Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Unterlassung einer Äußerung
Verfahrensgang
LG Stralsund (Urteil vom 11.09.1997; Aktenzeichen 1 S 29/97) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 11. September 1997 – 1 S 29/97 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches Urteil, mit dem ein vom Beschwerdeführer geltend gemachter Anspruch auf Unterlassung einer Äußerung abgewiesen worden ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Wirtschaftsberater und war Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Usedom-Peene. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatte ihn im November 1995 in dieser Position abgelöst. Auf einer Versammlung des SPD–Ortsvereins Usedom–Ost am 20. August 1996 äußerte der Beklagte, der Beschwerdeführer habe permanent den damaligen Wirtschaftsminister Harald Ringstorff belegt, um Aufträge für die eigene Firma zu bekommen und persönliche Vorteile zu erlangen.
Der Beschwerdeführer nahm den Beklagten daraufhin gerichtlich auf Unterlassung dieser Äußerung, die er als Schmähung empfand, in Anspruch. Der Beklagte machte geltend, die Äußerung sei inhaltlich zutreffend und bot Beweis hierfür an. Das Amtsgericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht mit dem angegriffenen Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs seien nicht gegeben. Selbst bei Unterstellung des Vortrags des Beschwerdeführers als wahr, liege kein widerrechtlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Die strittige Äußerung enthalte zwar eine abwertende Komponente. Gleichwohl gehe die Äußerung, selbst für den Fall, dass sie unwahr sei, nicht über das Maß der Ehrenrührigkeit hinaus, die im Rahmen der politischen Auseinandersetzung zwischen Konkurrenten hinzunehmen sei. Durch die Äußerung habe der Beklagte offensichtlich Kritik an der Vorgehensweise des Beschwerdeführers üben und ein Disziplinar– bzw. Parteiausschlussverfahren gegen ihn fördern wollen. Die streitige Äußerung sei daher im Zusammenhang mit dem Interesse des Beklagten zu sehen, seine Position in der Partei zu stärken und die seines Konkurrenten zu schwächen. Im Hinblick auf dieses legitime Ziel könne der Angriff noch nicht als unangemessen qualifiziert werden. Er stelle vielmehr eine möglicherweise harte, aber zulässige parteipolitische Auseinandersetzung dar. Die aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zu entnehmende Aufgabe der Parteien, an der politischen Meinung des Volkes mitzuwirken, spreche für die Zulässigkeit einer freien Rede, so dass bei politisch motivierten Äußerungen – auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG und § 193 StGB – nur in äußersten Fällen durch die Gerichte eingegriffen werden dürfe (Bezugnahme auf BVerfG, NJW 1983, S. 1415 f. = BVerfGE 61, 1). Darüber hinaus habe sich der Beschwerdeführer ebenfalls aus eigenem Entschluss an der politischen Meinungsbildung beteiligt und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben. Da auch kein Fall der so genannten Schmähkritik vorliege, fehlten die Voraussetzungen für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch.
2. Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG. Er macht im Wesentlichen geltend: Das Landgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, die Behauptung des Beklagten enthalte keine besondere Ehrenrührigkeit. Tatsächlich sei die Äußerung in ihren Auswirkungen klar geschäftsschädigend und persönlich verletzend. Das Landgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich um eine politisch motivierte Äußerung innerhalb einer parteipolitischen Auseinandersetzung gehandelt habe. Es sei in keinem Kreis gerechtfertigt, weder in der Öffentlichkeit noch innerhalb einer Partei oder eines Vereins, gezielte Falschbehauptungen bezüglich des Verhaltens einer anderen Person als Mittel der persönlichen Herabsetzung aufzustellen. Da das Landgericht es zugelassen habe, dass gegen ihn unsanktioniert und unwidersprochen mit einer seine persönliche Integrität beeinträchtigenden Lüge operiert werden könne, habe es das Prinzip der durch die Rechtsprechung zu wahrenden Achtung der Menschenwürde zur Disposition gestellt.
3. Das Ministerium für Justiz und Angelegenheiten der Europäischen Union Mecklenburg-Vorpommern hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Das gilt namentlich für die Bedeutung und Reichweite des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes (BVerfGE 54, 148 ≪153≫; 97, 125 ≪148 f.≫; 97, 391 ≪403≫; 99, 185 ≪193 f.≫) und die Maßstäbe zur Lösung eines Konflikts zwischen Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit (zusammengefasst in BVerfGE 99, 185 ≪195 ff.≫).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer ausdrücklich allein die Verletzung des Menschenwürdesatzes aus Art. 1 Abs. 1 GG rügt. Zur Erfüllung der Begründungsanforderungen aus §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG genügt es, dass der maßgebliche Sachverhalt in einer Weise vorgetragen ist, die erkennbar macht, welches Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 47, 182 ≪187≫; 85, 214 ≪217≫). Das ist in der Verfassungsbeschwerde hinsichtlich des vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Persönlichkeitsrechts der Sache nach geschehen.
2. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Das vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Persönlichkeitsrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien sind, aber diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (vgl. BVerfGE 54, 148 ≪153≫). Es umfasst den Schutz der Anerkennung der Person als solcher und das Ansehen in der Gesellschaft und beschränkt sich nicht auf Ehrverletzungen, die sich als Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen (vgl. BVerfGE 75, 369 ≪379 f.≫; 93, 266 ≪293, 297, 299≫). Dazu gehört vielmehr auch die soziale Anerkennung des Einzelnen. Aus diesem Grund erfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Derartige Äußerungen gefährden die von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine sozialen Kontakte schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben können (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪193 f.≫). Der Schutz des Grundrechts erstreckt sich daher auf verfälschende oder entstellende Darstellungen der Person des Einzelnen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl. BVerfGE 97, 125 ≪148 f.≫; 97, 391 ≪403≫).
Die hier in Rede stehende Äußerung hat eine derartige Persönlichkeitsrelevanz. Der Vorwurf, die innerparteiliche Position um des eigenen wirtschaftlichen Vorteils willen ausgenutzt zu haben, mindert das gesellschaftliche Ansehen dessen, dem ein solches Verhalten angelastet wird. Er weckt zwangsläufig Zweifel an der persönlichen Geeignetheit des Betroffenen für eine parteipolitische Funktion und diskreditiert ihn damit. Dies gilt insbesondere, wenn – wie hier – die Äußerung auf einer Parteiversammlung erfolgt. Überdies wird die persönliche Integrität durch den Vorwurf unlauterer Bestrebungen nach wirtschaftlichen Vorteilen allgemein in Frage gestellt und entfaltet damit nachteilige Wirkungen auch über den Bereich parteipolitischer Aktivitäten hinaus.
b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 2 Abs. 1 GG wird es durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung, die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedermann gewährleistet. Vom Schutz dieses Grundrechts werden auch Tatsachenbehauptungen erfasst, wenn sie einen Meinungsbezug haben. Nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht, fallen von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG heraus (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫; 85, 1 ≪15≫; 90, 1 ≪15≫).
Ebenso wenig wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist jedoch die Meinungsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und im Recht der persönlichen Ehre.
Als zivilrechtliche Grundlage für Unterlassungsbegehren gegenüber Äußerungen kommen §§ 823, 1004 Abs. 1 BGB in Betracht, von denen das Landgericht bei seinem Urteil ausgegangen ist. Die Belange der Meinungsfreiheit finden demgegenüber vor allem in § 193 StGB Ausdruck (vgl. BVerfGE 12, 113 ≪125 f.≫; 93, 266 ≪290 f.≫), der bei Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Verurteilung wegen ehrverletzender Äußerungen ausschließt und – vermittelt über § 823 Abs. 2 BGB, sonst seinem Rechtsgedanken nach – auch im Zivilrecht zur Anwendung kommt. Soweit es sich um Auseinandersetzungen zwischen politischen Parteien in einem Wahlkampf handelt, ist zudem der Einfluss von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪11 f.≫).
Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften sind Sache der dafür zuständigen Gerichte. Dabei müssen sie jedoch die betroffenen Grundrechte bei ihrer Interpretation beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫). Das verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des einfachen Rechts vorzunehmen ist.
Das Ergebnis dieser Abwägung ist wegen ihres Fallbezuges verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Jedoch fällt der Wahrheitsgehalt einer vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfassten Tatsachenbehauptung bei der Abwägung ins Gewicht (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪8≫). Grundsätzlich tritt die Meinungsfreiheit bei unwahren Tatsachenbehauptungen hinter das Persönlichkeitsrecht zurück (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪197≫). Es gibt kein legitimes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten (vgl. BVerfGE 97, 125 ≪149≫).
c) Das angegriffene Urteil wird diesen Maßstäben nicht gerecht.
Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die in Frage stehende Äußerung das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers beeinträchtigt, indem es ihr eine abwertende Komponente beigemessen hat. Auch begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Äußerung als vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst angesehen hat. Nach den fachgerichtlichen Feststellungen ist von einer Tatsachenbehauptung mit Meinungsbezug auszugehen, weil die Äußerung im Zusammenhang mit einer Kritik an der Vorgehensweise des Beschwerdeführers stand.
Das Landgericht hat die Äußerung jedoch trotz unterstellter Unwahrheit im Hinblick auf Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG für gerechtfertigt gehalten, weil sie politisch motiviert und vom Interesse des Beklagten getragen gewesen sei, seine Position in der Partei zu stärken und die des Beschwerdeführers zu schwächen. Das hält der verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat bei seinen Erwägungen verkannt, dass der Schutz der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsschutz zurückzutreten hat, wenn die beeinträchtigende Tatsachenbehauptung falsch ist. Hieran vermag auch die vom Landgericht dem Beklagten zu Gute gehaltene politische Motivation nichts zu ändern. Die Weiterverbreitung einer unrichtigen Information kann ungeachtet der Motive und des Forums, auf dem sie geschieht, zum Meinungsbildungsprozess nichts beitragen. Sie ist deshalb auch im Rahmen der politischen innerparteilichen Auseinandersetzung von Konkurrenten keinesfalls hinzunehmen und lässt sich auch nicht aus der aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zu entnehmenden Aufgabe der Parteien, an der politischen Meinung des Volkes mitzuwirken, rechtfertigen. Soweit sich das Landgericht für seine Erwägungen auf die Entscheidung BVerfGE 61, 1 stützt, hat es die maßgeblichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts verkannt. Zum einen betraf die Entscheidung nicht die innerparteiliche Auseinandersetzung von Parteimitgliedern, sondern Auseinandersetzungen zwischen politischen Parteien in einem Wahlkampf. Zum anderen war die maßgebliche Äußerung mangels einer konkret-greifbaren Tatsache als pauschales Werturteil und nicht als unwahre Tatsachenbehauptung eingestuft worden (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪9 f.≫).
d) Die angegriffene Entscheidung beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht bei der verfassungsrechtlich gebotenen Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes des Beschwerdeführers seinem Unterlassungsbegehren stattgegeben hätte.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565120 |
NJW 2000, 3485 |