Verfahrensgang
LG Stralsund (Urteil vom 29.11.2000; Aktenzeichen 1 S 29/97) |
Tenor
- Hinsichtlich der versäumten Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde wird dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 29. November 2000 – 1 S 29/97 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf willkürfreie Entscheidung aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht Rostock verwiesen.
- Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Berufungsurteil, durch das eine Klage auf Unterlassung einer Äußerung abgewiesen worden ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Wirtschaftsberater und war Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Usedom-Peene. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatte ihn im November 1995 in dieser Position abgelöst. Auf einer Versammlung eines SPD-Ortsvereins im Jahre 1996 äußerte der Beklagte, der Beschwerdeführer habe “permanent den damaligen Wirtschaftsminister, Harald Ringstorff, belegt, um Aufträge für die eigene Firma zu bekommen und persönliche Vorteile zu erlangen”.
Das Amtsgericht hat die Klage auf Unterlassung dieser Äußerung ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, selbst bei Unterstellung des Vortrags des Beschwerdeführers als wahr liege kein widerrechtlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor.
2. Mit Beschluss vom 9. Februar 2000 hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Landgerichts vom 11. September 1997 auf, da das Urteil den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletze (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 9. Februar 2000 – 1 BvR 140/98 –, NJW 2000, S. 3485).
3. Nach der Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht den früheren Wirtschaftsminister als Zeugen vernommen und sodann den Beklagten durch das angegriffene Urteil vom 29. November 2000 verurteilt, zu unterlassen zu behaupten oder zu verbreiten, der Beschwerdeführer habe permanent den damaligen Wirtschaftsminister Harald Ringstorff belegt, um Aufträge für die eigene Firma zu bekommen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Beschwerdeführer stehe ein Unterlassungsanspruch wie tenoriert zu, da die Äußerung, er habe sich permanent an den damaligen Wirtschaftsminister gewandt, um Aufträge zu bekommen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unwahr sei. Soweit die Äußerung des Beklagten die Aussage umfasse, das Verhalten des Beschwerdeführers sei insgesamt darauf gerichtet gewesen, die innerparteiliche Position auch zum eigenen Vorteil auszunutzen, stehe dem Beschwerdeführer ein Unterlassungsanspruch dagegen nicht zu. Hinsichtlich dieser Teilaussage lasse sich weder die Wahrheit noch die Unwahrheit konkret feststellen. Der Vorwurf, dass das Verhalten des Beschwerdeführers insgesamt darauf ausgerichtet gewesen sei, die innerparteiliche Position zum eigenen Vorteil auszunutzen, habe sich in der Beweisaufnahme bestätigt, nicht aber, dass dies sich deutlich in ständigem Kontakt zu dem Wirtschaftsminister ausgedrückt habe. Hinsichtlich der erstgenannten “Teilaussage” führe die Abwägung mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung dazu, dass dem Beschwerdeführer ein Unterlassungsanspruch nicht zugestanden werden könne.
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sei die Äußerung insoweit durch das Recht auf freie Meinungsäußerung in der politischen Auseinandersetzung gedeckt. Der Zeuge habe ausgesagt, auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers den Eindruck gewonnen zu haben, dieser könne seine Tätigkeit in der Partei und seine eigene berufliche Tätigkeit als Wirtschaftsberater nicht auseinander halten und er versuche, sich durch seine Stellung in der Partei berufliche Vorteile zu verschaffen. Auf Grund der Aussage stehe für die Kammer fest, dass insgesamt das Verhalten des Beschwerdeführers den Anschein habe erwecken können, dieser versuche, sich durch seine Stellung in der SPD und die dadurch möglichen Kontakte zum damaligen Landesvorsitzenden, der gleichzeitig Wirtschaftsminister war, berufliche Vorteile zu verschaffen. Im Rahmen einer innerparteilichen Auseinandersetzung könne nicht verlangt werden, dass die konkrete Wortwahl jegliche Verzerrungen oder Übertreibungen vermeide. Wenn dementsprechend davon ausgegangen werden könne, dass die Grundaussage jedenfalls nicht nachweislich unwahr sei, sondern auf Grund objektiver Anhaltspunkte vieles für deren Wahrheit spreche, müsse der Angegriffene im Rahmen der innerparteilichen Auseinandersetzung auch Übertreibungen hinnehmen, sofern diese nicht dazu führten, dass hierdurch die gesamte Aussage einen völlig anderen Sinngehalt bekomme; das aber sei hier nicht geschehen.
4. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer erneut eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Trennung der Behauptung des Beklagten in zwei Teile sei vom Sinnzusammenhang her nicht möglich, da die Beklagtenbehauptung ein und denselben Sachverhalt betroffen habe; es sei ausschließlich um die Frage der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile gegangen. Sein Unterlassungsbegehren habe sich nur auf diese Frage bezogen. Bei der erforderlichen Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung habe das Landgericht den untrennbaren Zusammenhang der von dem Beklagten aufgestellten Behauptungen übersehen. Die Erwägungen des Landgerichts seien völlig unverständlich.
5. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern und der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf willkürfreie Entscheidung (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Grundrecht auf Persönlichkeitsschutz aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Zwar ist die Beschwerdeschrift gegen das am 6. Dezember 2000 zugestellte Urteil erst am 9. Januar 2001 beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Dem Beschwerdeführer ist jedoch hinsichtlich der damit gemäß § 93 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BVerfGG versäumten Einlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat die Verfassungsbeschwerde ausweislich des Poststempels des Briefumschlags bereits am 4. Januar zur Post gegeben; bei gewöhnlicher Postlaufzeit wäre sie daher rechtzeitig beim Bundesverfassungsgericht eingegangen.
2. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf willkürfreie Entscheidung aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem sich aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es ist offensichtlich sachwidrig und objektiv willkürlich, ohne dass es auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts ankäme (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 58, 163 ≪167 f.≫; 71, 122 ≪136≫; 71, 202 ≪205≫; stRspr). Die Verletzung des aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Willkürverbots hat der Beschwerdeführer zwar nicht ausdrücklich, jedoch sinngemäß gerügt.
a) Ein Verfassungsverstoß liegt bei gerichtlichen Urteilen unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Willkürlich ist der Richterspruch erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 ≪7≫; 62, 189 ≪192≫; 80, 48 ≪51≫; 86, 59 ≪62 f.≫; 87, 273, ≪278 f.≫; stRspr). So liegt es hier.
Die Klärung, ob eine Meinungsäußerung den Persönlichkeitsschutz verletzt, setzt die zutreffende Erfassung des Inhalts der Äußerung voraus. Wenn die Deutung der Äußerung eine Persönlichkeitsverletzung ergibt, ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit andererseits durchzuführen. Ersetzt das Fachgericht bei dieser Abwägung die streitige Äußerung durch eine auf Grund einer Beweisaufnahme gewonnene eigene Tatsachenfeststellung anderen Inhalts, auf die sich das Unterlassungsbegehren gar nicht gerichtet hatte, erliegt es keinem bloßen Rechtsanwendungsfehler, sondern handelt objektiv willkürlich.
b) Das Landgericht hat die Äußerung des Beklagten, die ein bestimmtes Verhalten des Beschwerdeführers mit dessen damit vermeintlich verbundenen Absichten verknüpft hat, in zwei Teile zergliedert, für die so gewonnenen “Teilaussagen” jeweils eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers durchgeführt und bei einer der “Teilaussagen” den Vorrang der Meinungsfreiheit vor dem Persönlichkeitsschutz bejaht. Darauf hat es die Teilabweisung der Unterlassungsklage und die Kostenteilung gestützt.
Dazu hat das Landgericht seiner Entscheidung jedoch eine Deutung der Aussage des Beklagten zugrunde gelegt, die mit deren Wortlaut ersichtlich nicht zu vereinbaren ist. Es hat festgestellt, nach der Aussage des Zeugen habe das Verhalten des Beschwerdeführers den Anschein erwecken können, er versuche, sich durch seine Stellung in der SPD und die dadurch möglichen Kontakte zum damaligen Landesvorsitzenden und Wirtschaftsminister berufliche Vorteile zu verschaffen. Somit habe sich in der Beweisaufnahme “der Vorwurf, der hinter der konkreten Behauptung des Beklagten auf der Parteiversammlung stand, dass nämlich der Verdacht nahe liege, dass der Kläger über seine Funktion in der Partei auch versuchte, für sich persönlich Vorteile herauszuholen”, bestätigt.
Eine solche – auf das Verhalten des Beschwerdeführers insgesamt zielende – Kritik hat der Beklagte jedoch nicht geäußert. Seine streitige Äußerung bezieht sich vielmehr ausschließlich darauf, dass der Beschwerdeführer den Landesvorsitzenden und Wirtschaftsminister – mit bestimmten Absichten – “permanent … belegt” habe. Nach dem Wortlaut der Äußerung wird das Ziel der Erlangung persönlicher Vorteile, ebenso wie das Ziel, Aufträge für die eigene Firma zu erhalten, nur auf die Kontaktaufnahme zum Wirtschaftsminister gestützt, nicht hingegen auf das Verhalten des Beschwerdeführers insgesamt. Dies ergibt sich aus dem Wort “und” in dem Halbsatz nach dem Komma, durch das auch die angeblich angestrebte Erlangung persönlicher Vorteile mit der permanenten “Belegung” des Wirtschaftsministers verknüpft wird (“… belegt, um … persönliche Vorteile zu erlangen”).
Wie dem angegriffenen Urteil zu entnehmen ist, hat das Landgericht in der Beweisaufnahme eine permanente Kontaktaufnahme des Beschwerdeführers zu dem Wirtschaftsminister nicht feststellen können. Für die weitere Feststellung des Landgerichts, der “Vorwurf, dass das Verhalten des Klägers insgesamt darauf ausgerichtet” gewesen sei, “die innerparteiliche Position auch zum eigenen Vorteil auszunutzen”, habe sich bestätigt, ist kein Raum, da der Beklagte einen derartigen Vorwurf nicht erhoben hatte und dementsprechend vom Beschwerdeführer auch kein Unterlassungsbegehren verfolgt worden war. Das Landgericht mag auf Grund der Beweisaufnahme zu der Auffassung gelangt sein, das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers sei kritikwürdig gewesen, sein vollständiges Obsiegen dem Beklagten gegenüber daher unbillig. Derartige Erwägungen wären indes für die hier zu treffende Entscheidung sachfremd.
c) Durch die willkürliche Behandlung seines Begehrens auf Unterlassung der Äußerung des Beklagten des Ausgangsverfahrens wird der Beschwerdeführer zugleich in seinem grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
d) Die angegriffene Entscheidung beruht auf der Verkennung des Grundrechtsschutzes, da sich die teilweise Klageabweisung auf die Annahme einer Behauptung gründet, die der Beklagte in dieser Form nicht gemacht hat.
3. Die Sache ist einem mit ihr noch nicht befassten anderen Landgericht in Mecklenburg-Vorpommern zu übertragen. Sie wird an das Landgericht Rostock verwiesen.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1335960 |
NJW 2005, 2138 |