Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufenthaltserlaubnis und Sozialhilfe
Beteiligte
Rechtsanwalt Dieter Kierzynowski |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. Dezember 2000 – 1 BvR 781/98.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Ausländern, für die ein Abschiebungshindernis besteht und die über eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis verfügen, Hilfe zum Lebensunterhalt bei Wohnsitzbegründung außerhalb des Bundeslandes versagt werden darf, in dem die Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden ist.
I.
1. Die Beschwerdeführer zu 1 bis 5 stammen aus dem Libanon. Ihre Staatsangehörigkeit ist ungeklärt. Nach unanfechtbarer Ablehnung der Asylanträge und verwaltungsgerichtlicher Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen, erteilte der Landkreis G. (Niedersachsen) im Januar 1996 eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis. Im März 1996 zogen die Beschwerdeführer nach Berlin um. Das Landeseinwohneramt Berlin verlängerte die Aufenthaltsbefugnis bis zum 30. September 1998. Der im Mai 1996 geborene Beschwerdeführer zu 6 erhielt erstmals in Berlin eine Aufenthaltsbefugnis.
2. Das zunächst zuständige Bezirksamt bewilligte den Beschwerdeführern laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Nach einem weiteren Umzug innerhalb Berlins stellte das nunmehr zuständige Bezirksamt die Sozialhilfeleistungen mit der Begründung ein, die Beschwerdeführer hielten sich außerhalb des Bundeslandes auf, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden sei (Bescheid vom 22. Dezember 1997).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin führte aus, nachdem die Aufenthaltsbefugnis der Beschwerdeführer zu 1 bis 5 erstmals in Niedersachsen erteilt worden sei, dürfe nach § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nur die unabweisbar gebotene Hilfe gewährt werden. Auf die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis durch das Landeseinwohneramt Berlin komme es nicht an. Nur die Anknüpfung an die erstmalige Ausstellung der auf längstens zwei Jahre befristeten Aufenthaltsbefugnis trage dem Regelungszweck hinreichend Rechnung, eine Verlagerung von Sozialhilfelasten in andere Bundesländer dauerhaft zu verhindern. Auch das Ausländerrecht unterscheide zwischen der Erteilung und der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis. Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 16. Juni 1997 (1 BvR 365/97), die Beschränkung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG wirke im Falle einer Verlängerung durch die Ausländerbehörde des Landes, in dem sich der Ausländer aufhalte, nicht fort, werde nicht gefolgt. Dem Beschwerdeführer zu 6 stünden nach dem Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) keine weiter gehenden Leistungen zu als seinen Eltern (Beschluss vom 27. Februar 1998).
Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Zulassung der Beschwerde ab. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf eine verlängerte Aufenthaltsbefugnis im Beschluss vom 16. Juni 1997 (1 BvR 236/97) gehörten nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung und würden nicht von deren Bindungswirkung erfasst. Bei den Beteiligten des früheren Verfahrens habe es sich um Konventionsflüchtlinge gehandelt, die im Besitz einer erstmals erteilten, noch nicht verlängerten Aufenthaltsbefugnis gewesen seien.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 und 3 GG. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 16. Juni 1997 deutlich gemacht, dass die Einschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nur hinnehmbar und nicht willkürlich sei, wenn sie nicht dauerhaft bestehe. Die räumliche Begrenzung sei unter anderem deshalb akzeptiert worden, weil sie sich nicht auf einen Landkreis oder eine Stadt, sondern den Flächenstaat Niedersachsen bezogen habe. Die Rückkehr dorthin würde sie besonders hart treffen. Ein Umzug hätte für die seelische und schulische Entwicklung der in Berlin eingeschulten Beschwerdeführer zu 3 und 4 negative Folgen. Dem Beschwerdeführer zu 1, der Einnahmen aus einer geringfügigen Beschäftigung erziele, sei von einem Sachbearbeiter der Kreisverwaltung G. mitgeteilt worden, dass eine Wohnung in G. nicht zur Verfügung stehe. Mit der anfänglichen Sozialhilfegewährung durch das Bezirksamt sei ferner ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Die Aufenthaltsbefugnis des Beschwerdeführers zu 6 sei in Berlin erteilt worden.
4. Mit Beschluss vom 1. Oktober 1998 hat das Bundesverfassungsgericht dem Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben und das Land Berlin verpflichtet, für die Dauer des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens, längstens bis zum 28. Februar 1999, Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich der zur Deckung des Unterkunftsbedarfs notwendigen Leistungen zu gewähren. Die einstweilige Anordnung ist zuletzt durch Beschluss vom 11. Dezember 2000 bis zum 30. Juni 2001 verlängert worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmegründe des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot und Art. 3 Abs. 3 GG sind bereits geklärt (vgl. BVerfGE 51, 1 ≪30≫; 96, 189 ≪203≫ m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat auch entschieden, unter welchen Voraussetzungen die persönliche Entfaltungsfreiheit von Ausländern in Deutschland beschränkt werden kann (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪399 ff.≫; 96, 10 ≪21 ff.≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist ferner nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Soweit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG gerügt worden ist, fehlt es an einer substantiierten Begründung nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, 92 BVerfGG. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen keine Grundrechte der Beschwerdeführer.
a) Die Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG durch die Verwaltungsgerichte ist nicht willkürlich. Art. 3 Abs. 1 GG ist daher nicht verletzt. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt nur dann vor, wenn die angegriffene Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich anhand objektiver Kriterien der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Die fehlerhafte Anwendung und Auslegung eines Gesetzes allein macht sie nicht willkürlich. Willkür setzt voraus, dass eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Vorschrift in krasser Weise missgedeutet wird. Daran fehlt es, wenn die Entscheidung das Ergebnis einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Rechtslage ist und die ihr zugrunde liegende Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 96, 189 ≪203≫ m.w.N.). Danach ist ein willkürliches Verhalten hier nicht festzustellen.
aa) Das Verwaltungsgericht Berlin berücksichtigt den Wortlaut des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG und geht auf den Sinn und Zweck der Vorschrift ein. Es zieht Parallelen zum Ausländergesetz und setzt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander. Seine vom Oberverwaltungsgericht Berlin geteilte Ansicht, bei der Leistungsbeschränkung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sei auf den Ort der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsbefugnis abzustellen, erscheint ohne weiteres vertretbar. Sie ist nachvollziehbar begründet.
bb) Das Willkürverbot ist auch nicht deshalb verletzt, weil die angegriffene Rechtsanwendung dazu führt, dass die Beschwerdeführer zu 1 bis 5 trotz ihrer räumlich nicht beschränkten Aufenthaltsbefugnis ihren Lebensmittelpunkt in Niedersachsen beibehalten müssen, um ihren Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt aufrechtzuerhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinen Beschlüssen vom 16. Juni 1997 (1 BvR 236/97, NVwZ 1997, Beilage Nr. 10, S. 73, und 1 BvR 365/97) und vom 17. September 1997 (1 BvR 1401/97, FamRZ 1997, S. 1469) ausgeführt, dass § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG zwar faktisch dem Umzug in ein anderes Bundesland entgegenstehe, die Betroffenen aber sozialhilferechtlich nicht gehindert seien, innerhalb des Bundeslandes umzuziehen, in dem die Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden ist. Damit könnten sie ihren besonderen Lebensumständen und besonderen Lebensvorstellungen durch Veränderung des Lebensmittelpunktes auf dem Gebiet eines Flächenstaats hinreichend Rechnung tragen. Im Hinblick auf das für ein Bundesland uneingeschränkt eingeräumte Aufenthaltsbestimmungsrecht ist es nicht willkürlich, der mit § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG verfolgten Zielsetzung Vorrang vor dem Interesse an einem bundesweit nicht beschränkten Sozialhilfebezug einzuräumen. Die Vorschrift soll die Verlagerung der Sozialhilfelasten in andere Bundesländer durch Binnenwanderung ausschließen (vgl. BTDrucks 11/6321, S. 90 zu Art. 7 Nr. 2). Dadurch trägt sie zur angemessenen Verteilung der dauerhaft hohen Sozialhilfeleistungen auf die einzelnen Bundesländer und zur Integration der Betroffenen bei. Zugleich erschwert sie die missbräuchliche (mehrfache) Inanspruchnahme von Sozialhilfe. Hierbei handelt es sich um hinreichende, dem Gemeinwohl dienende Anliegen.
cc) Auch der Beschwerdeführer zu 6, der die Aufenthaltsbefugnis in Berlin erhalten hat, ist nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Bedeutung als Willkürverbot verletzt. Sein Ausschluss vom Bezug der Hilfe zum Lebensunterhalt beruht auf dem Grundsatz der familiengerechten Hilfe nach § 7 BSHG. Inwieweit die Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung willkürlich sein soll, ist nicht substantiiert dargelegt worden.
Abgesehen davon kommen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer unvertretbaren Auslegung des § 7 BSHG. Nach Satz 1 der Vorschrift sollen bei der Gewährung der Sozialhilfe die besonderen Verhältnisse in der Familie des Hilfe Suchenden berücksichtigt werden. Das Prinzip der familiengerechten Hilfe enthält das Gebot an den Sozialhilfeträger, familiäre Interessen zu beachten (vgl. BVerfGE 61, 18 ≪25≫), und dient dem Schutz der Familien vor Beeinträchtigungen. Es mag daher zweifelhaft sein, ob § 7 BSHG herangezogen werden kann, um die Versagung eines Anspruchs zu begründen. Gleichwohl drängt sich nicht der Schluss auf, dass die angegriffenen Entscheidungen auf sachfremden Erwägungen beruhen.
§ 7 Satz 2 BSHG, wonach die Sozialhilfe die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen soll, betont für den Familienverband als natürliche Hilfsgemeinschaft den Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BSHG). Der Gedanke der familiären Einstandspflicht ist auch in anderen Normen des Bundessozialhilfegesetzes verankert (vgl. z.B. §§ 16 Satz 1, 69 Satz 1 und 70 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung darf die Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht dazu führen, dass sozialhilfebedürftige Kinder und ihre Eltern zur Anspruchserhaltung gezwungen sind, in verschiedenen Bundesländern zu leben (vgl. OVG Berlin, InfoAuslR 2000, S. 83 ≪84≫; VG Aachen, InfoAuslR 2000, S. 85 ≪87 ff.≫; VG Hamburg, NVwZ 1999, Beilage I/3, S. 27).
dd) Willkür liegt außerdem nicht wegen der geltend gemachten Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor. Das Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht Berlin waren durch die Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juni 1997 und 17. September 1997 (a.a.O.), mit denen die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen worden sind, nicht gehindert, eine eigene Rechtsauffassung bei der Auslegung einfachen Rechts zu vertreten. Diesen Beschlüssen kommt keine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG zu (vgl. BVerfGE 85, 117 ≪121≫; 92, 91 ≪107≫).
ee) Es ist auch nicht ersichtlich, dass bei der Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG völkerrechtliche Regelungen in einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Weise nicht beachtet oder fehlerhaft angewendet worden sind.
Das Bundesverfassungsgericht prüft und beanstandet nur die Verletzung von Verfassungsrecht. Hierzu zählen weder Art. 23 und 26 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953, S. 560) noch die inhaltsgleichen Art. 23 und 26 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl II 1976, S. 474) in Verbindung mit den Einschränkungen des Art. 1 Nr. 1 des Zustimmungsgesetzes vom 12. April 1976 (BGBl II, S. 473). Diese Bestimmungen, wonach die Vertragsstaaten verpflichtet sind, den Flüchtlingen und Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge sowie sonstigen Hilfe- und Unterstützungsleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren und ihnen das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes einzuräumen, stehen einfachen Bundesgesetzen gleich. Ihre Anwendung und Auslegung als Völkervertragsrecht ist Aufgabe der Fachgerichte, die hier keiner anderen verfassungsgerichtlichen Kontrolle als bei der Anwendung einfachen Rechts unterliegen (vgl. BVerfGE 99, 145 ≪160≫ m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Dezember 2000 – 2 BvR 1290/99 –). Das Bundesverfassungsgericht kann daher nur prüfen, ob die Fachgerichte gegen Verfassungsrecht verstoßen haben. Das ist in der Regel erst dann anzunehmen, wenn ein Fehler sichtbar wird, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht, oder wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist (vgl. BVerfGE 95, 96 ≪128≫ m.w.N.). Danach begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Anhaltspunkte für die unhaltbare Nichtbeachtung einer offensichtlich einschlägigen völkerrechtlichen Norm in den Ausgangsverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind weder aufgezeigt worden noch erkennbar.
b) Die in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde gelegte Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ist mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar.
aa) Das auch Ausländern zustehende Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das die freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland einschließt (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪399≫), steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der sämtliche formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehenden Rechtsnormen zählen. Lässt die gesetzliche Beschränkung der freien Persönlichkeitsentfaltung – wie hier – den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung unberührt, hat jedermann staatliche Maßnahmen hinzunehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden. Das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel muss geeignet und erforderlich sein. Insoweit steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Bundesverfassungsgericht nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann. Ferner darf der Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen und den Betroffenen nicht übermäßig oder unzumutbar belasten (vgl. BVerfGE 96, 10 ≪21≫).
bb) Nach diesen Grundsätzen unterliegt § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG in der von den Gerichten vorgenommenen Auslegung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Geeignetheit des Mittels ist gegeben, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfGE 96, 10 ≪23≫). Der Gesetzgeber verfolgt in erster Linie das im öffentlichen Interesse liegende Ziel, die für Ausländer aufzuwendende Sozialhilfe unter den einzelnen Bundesländern angemessen zu verteilen. Die Beschränkung der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt auf das Bundesland, in dem der Ausländer die Aufenthaltsbefugnis erstmals erhalten hat, ist objektiv tauglich, diesen hinreichend gewichtigen Zweck zu fördern.
cc) § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ist auch erforderlich, um das genannte Ziel zu erreichen. Weniger belastende Mittel standen dem Gesetzgeber nicht zur Verfügung (vgl. BVerfGE 96, 10 ≪23 f.≫). Er hätte zwar den räumlichen Geltungsbereich von Aufenthaltsbefugnissen beschränken können. Dies hätte aber einen weitaus stärkeren Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Beteiligten zur Folge gehabt. Durch Einführung einer unbefristeten Ausgleichsregelung in Anlehnung an § 107 BSHG zu Lasten des Sozialhilfeträgers des Bundeslandes, in dem die Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden ist, wäre es möglich, eine belastungsgerechte Verteilung der Sozialhilfeleistungen zu erzielen. Mit ihr ließe sich aber nicht der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialhilfe entgegenwirken. Zudem hätte eine solche Regelung zusätzlichen Verwaltungsaufwand zur Folge.
dd) Die angegriffene Regelung ist auch zumutbar. Sie schränkt das Aufenthaltsbestimmungsrecht zwar faktisch ein, lässt die mit der räumlich unbeschränkten Aufenthaltsbefugnis bundesweit eingeräumte Bewegungsfreiheit aber unberührt. Die durch das Sozialhilferecht bewirkte Beschränkung kommt überdies nicht bei einer Veränderung des Lebensmittelpunktes innerhalb des Bundeslandes, in dem der Ausländer seine Aufenthaltserlaubnis erstmalig erhalten hat, zum Tragen, sondern nur bei einem Umzug in ein anderes Bundesland.
Darüber hinaus schließt die Norm nicht in jedem Fall den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt aus. Die nach § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG zu leistende unabweisbar gebotene Hilfe erschöpft sich zwar regelmäßig in der Übernahme von Reise- und Verpflegungskosten, die im Zusammenhang mit der Rückkehr an den Ausgangsort entstehen. Allerdings kann einzelnen Härtefällen dadurch Rechnung getragen werden, dass Hilfe zum Lebensunterhalt als unabweisbar gebotene Hilfe erbracht wird (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 30. Mai 1997 – 6 S 14.97; OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Januar 1996 – 4 M 6156/95; VG Hamburg, NVwZ 1999, Beilage Nr. 3, S. 27 ≪28≫; VG Gießen, Beschluss vom 26. Januar 1998 – 4 G 1984/97; VG München, Beschluss vom 4. November 1996 – M 15 E 96.5429).
Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes können die Beschwerdeführer der Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG durch die angegriffenen Entscheidungen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde nicht entgegensetzen. Die Vorschrift war im Zeitpunkt ihres Umzugs nach Berlin bereits geltendes Recht. Der Wortlaut stellt auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ab, nicht auf die Verlängerung. Die Beschwerdeführer konnten sich nicht darauf verlassen, dass die zuständigen Verwaltungsbehörden und die Verwaltungsgerichte eine für sie günstige Auslegung der Vorschrift vornehmen würden. Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 1998 liegt lediglich eine Abwägung der betroffenen Interessen zugrunde. Er lässt die Frage offen, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet ist.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 557830 |
InfAuslR 2001, 229 |
ZAR 2001, 138 |
DVBl. 2001, 892 |
GV/RP 2001, 460 |
AuS 2001, 49 |
FuHe 2002, 14 |
FuNds 2002, 178 |
JAR 2001, 151 |
info-also 2001, 173 |