Entscheidungsstichwort (Thema)
Führen einer Facharztbezeichnung, die es am Ort der Niederlassung nicht gibt
Beteiligte
Rechtsanwalt Dr. Hugo Lanz |
Verfahrensgang
Tenor
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Juli 1997 – 9 S 1141/97 – und das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. April 1997 – 7 K 1760/96 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Das Verfahren wird an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
2. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die ihm entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Berechtigung zum Führen einer in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Facharztbezeichnung, die es am Ort der Niederlassung in Baden-Württemberg nicht gibt.
1. Nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Dentisten (Kammergesetz) des Landes Baden-Württemberg in der Fassung vom 16. März 1995 (GBl S. 314; im Folgenden: KaG) können Kammermitglieder ihre Berufsbezeichnung durch Bezeichnungen erweitern, die auf besondere Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten medizinischen Gebiet (Gebietsbezeichnung) oder Teilgebiet (Teilgebietsbezeichnung) oder auf andere zusätzlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten (Zusatzbezeichnung) hinweisen. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 KaG bestimmen die Kammern für ihre Mitglieder diese Bezeichnungen, wenn dies im Hinblick auf die medizinische Entwicklung und für eine angemessene Versorgung der Bevölkerung erforderlich ist. § 41 Satz 1 KaG regelt die Anerkennung einer im übrigen Geltungsbereich der Bundesärzteordnung erworbenen Bezeichnung. Er lautet:
Die im übrigen Geltungsbereich der Bundesärzteordnung erteilte Anerkennung, eine Bezeichnung im Sinne des § 32 zu führen, gilt auch in Baden-Württemberg.
2. Der Beschwerdeführer, Jahrgang 1942, erhielt 1968 in der Deutschen Demokratischen Republik die Approbation und 1973 die Anerkennung als Facharzt für Sportmedizin. Seit 1990 führt er in Baden-Württemberg eine ärztliche Privatpraxis, in der er als „Facharzt für Sportmedizin”, „Naturheilverfahren” firmiert. Im Frühjahr 1996 forderte die Bezirksärztekammer den Beschwerdeführer auf, die Bezeichnung „Facharzt für Sportmedizin” in Baden-Württemberg nicht mehr zu führen. Die Berechtigung zur weiteren Führung der in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Facharztbezeichnungen richte sich nach Landesrecht. Nach § 41 Satz 1 KaG dürften in Baden-Württemberg nur Weiterbildungsbezeichnungen geführt werden, die den in der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg geregelten Facharztbezeichnungen entsprächen. Ein „Facharzt für Sportmedizin” sei in Baden-Württemberg nicht vorgesehen.
Das Verwaltungsgericht wies die Feststellungsklage des Beschwerdeführers ab, mit der er die Berechtigung erstrebte, die Bezeichnung „Facharzt für Sportmedizin” auch in Baden-Württemberg zu führen. Allen Ärzten sei in Baden-Württemberg nur die Führung der in der Weiterbildungsordnung des Landes enthaltenen Zusatz-, Gebiets- oder Teilgebietsbezeichnungen erlaubt. Da es in Baden-Württemberg nur die Zusatzbezeichnung „Sportmedizin” gebe, nicht jedoch eine Weiterbildung zur Erlangung des Rechts zum Führen der Facharztbezeichnung „Facharzt für Sportmedizin”, dürfe auch der Beschwerdeführer diese Bezeichnung nicht führen. Auf § 41 Satz 1 KaG könne der Beschwerdeführer seinen Anspruch nicht stützen. Durch ihren Verweis auf § 32 KaG sei diese Norm so zu verstehen, dass nur die Anerkennung solcher von anderen Kammern ausgesprochener Bezeichnungen gemeint sei, die auch im eigenen Satzungsrecht der Ärztekammer vorgesehen seien. Die gegenteilige Auffassung hätte zur Folge, dass das Ziel, im Bereich der ärztlichen Bezeichnungen Übersichtlichkeit, inhaltliche Klarheit und Vergleichbarkeit zu schaffen, nur bedingt erreicht und außerdem einer Wettbewerbsverzerrung Raum gegeben würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Die Sache habe trotz der verfassungsrechtlichen Rügen keine grundsätzliche Bedeutung; ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestünden nicht. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer seine in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene Facharztbezeichnung dort zunächst weiterführen durfte, folge nicht, dass er diese Bezeichnung auch in Baden-Württemberg führen dürfe. Der Beschwerdeführer sei wie jeder andere Arzt dem Recht des jeweiligen Bundeslandes unterworfen, in welchem er sich als Arzt niederlasse. Die im Streit stehenden Regelungen benachteiligten den Beschwerdeführer weder wegen seiner Heimat und Herkunft noch berührten sie das in Art. 11 GG gewährleistete Recht der Freizügigkeit. Der Beschwerdeführer könne sich ohne weiteres als Arzt in Baden-Württemberg niederlassen.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 11 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG, ergänzend die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Entgegen der Auffassung der Verwaltungsgerichte gehe es bei der Frage der Facharztanerkennung um die Berufswahl und nicht um die Berufsausübung, da der Facharzt für Sportmedizin ein eigenständiger Beruf sei. Überdies setze die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung eine Facharztbezeichnung voraus. Seine Fortbildung zum Facharzt habe fünf Jahre gedauert. Es sei nicht zu erkennen, welche Gemeinschaftsgüter durch die angegriffene Regelung geschützt würden und worin eine Irreführung über seine berufliche Qualifikation liegen könne.
Schließlich verstoße der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, denn die Rechtssache weise offensichtlich besondere rechtliche Schwierigkeiten auf. Durch die Verweigerung der Berufungsinstanz werde der Beschwerdeführer seinen gesetzlichen Richtern am Verwaltungsgerichtshof und am Bundesverwaltungsgericht entzogen.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben Landesregierungen, Ärztekammern und Berufsverbände Stellung genommen.
a) Die Stellungnahmen der Landesregierungen der alten Bundesländer sowie der Ärztekammern der alten Bundesländer verweisen darauf, dass nach § 14 Abs. 1 Satz 3 der Bundesärzteordnung in der Fassung des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (vgl. Anlage I Kapitel X Sachgebiet D Abschnitt II Nr. 1 Buchstabe g) sich die Berechtigung zur weiteren Führung der in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Facharztanerkennungen nach Landesrecht richte. Nach dem in den alten Bundesländern jeweils geltenden Landesrecht sei aber nur eine Zusatzbezeichnung „Sportmedizin” vorgesehen und nicht eine Gebietsbezeichnung „Facharzt für Sportmedizin”.
Ob, welche und in welcher Ausgestaltung die jeweilige Körperschaft für ihren Zuständigkeitsbereich Weiterbildungsgebiete, Teilgebiete bzw. Schwerpunkte und Bereiche festlege und welche Bezeichnungen sie dazu bestimme, sei ihrem Normsetzungsermessen nach Maßgabe der medizinischen Entwicklung und den Erfordernissen einer angemessenen ärztlichen Versorgung überlassen. Da die gesundheitlichen Versorgungsbedürfnisse für das eine oder andere ärztliche Spezialgebiet regional durchaus unterschiedlich sein könnten, könne es im föderalistischen Staat insoweit durchaus zu unterschiedlichen Entscheidungen über das gesundheitspolitische Gewicht und die versorgungspolitische Bedeutung eines ärztlichen Funktionsspektrums kommen. Das ärztliche Weiterbildungsrecht habe wesensmäßig nicht nur eine Qualifizierungsfunktion, sondern auch eine Ankündigungs- und den innerberuflichen Wettbewerb betreffende Ordnungsfunktion. Es sei daher folgerichtig, dass im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Berufsvertretungskörperschaft nur in den dort rechtsförmlich eingeführten Weiterbildungsgebieten, Teilgebieten und Bereichen eine Anerkennung im Einzelfall möglich sei, aufgrund der dann die jeweils dafür vorgesehene (Weiterbildungs-)Bezeichnung geführt werden dürfe.
b) Nach den Stellungnahmen der Landesregierungen und der Ärztekammern der neuen Bundesländer sowie der Ärztekammer Berlin können auch dort die in anderen Bundesländern erworbenen Bezeichnungen grundsätzlich nur dann weitergeführt werden, wenn sie in der Weiterbildungsordnung vorgesehen sind. Nur im Freistaat Sachsen und im Freistaat Thüringen werden Facharztbezeichnungen, die nur im Bereich anderer Ärztekammern der Bundesrepublik vorgesehen sind, in der Regel anerkannt. Im Übrigen wird in diesen Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass die Weiterführung von in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Arztbezeichnungen durch Übergangsbestimmungen dahin geregelt sei, dass sie, sofern sie nicht in entsprechende Bezeichnungen der jetzt geltenden Weiterbildungsordnung umgewandelt werden könnten, weitergeführt werden dürften. Dies gelte auch für die Bezeichnung „Facharzt für Sportmedizin”.
c) Die Bundesärztekammer weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass mit Hilfe einer so genannten Muster-Weiterbildungsordnung die untergesetzliche Normsetzung der Ärztekammern vereinheitlicht worden sei. Die Gegenseitigkeitsregeln der Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder verstießen nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Vernünftige Gründe des Gemeinwohls sprächen dafür, im Kammerbereich nur die in der Weiterbildungsordnung geregelten Bezeichnungen führen zu dürfen. Dies diene der wiederum aus der ausschließlichen Länderkompetenz abzuleitenden Durchsetzung des Grundsatzes, dass für die Ärzte im jeweiligen Kammerbereich das jeweilige Landesrecht einheitlich und für alle zu gelten habe.
d) Nach der Stellungnahme der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände haben sich die Weiterbildungsgremien nach der Wiedervereinigung dazu entschlossen, die Zusatzbezeichnung für den Bereich „Sportmedizin” beizubehalten, da die Sportmedizin (als Facharztanerkennung) für die Bevölkerung entbehrlich sei. Den Besitzstand für die Inhaber dieser Bezeichnung habe man dadurch zu wahren gesucht, dass ein Weiterführen dieser Bezeichnung in den neuen Bundesländern erlaubt geblieben sei. Inzwischen sei zwar in der Sozialgesetzgebung die Niederlassung ohne eine Facharztanerkennung nicht mehr möglich. Diese Bestimmung gelte jedoch nicht rückwirkend, so dass dem Beschwerdeführer aus dieser Bestimmung kein Nachteil entstehen dürfte.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 33, 125 – Facharzt). Der Entscheidung, sich als Facharzt zu betätigen, wohnen Elemente inne, die einer Berufswahl nahe kommen. Der Entschluss, sich zum Facharzt auszubilden und die ärztliche Tätigkeit künftig auf das gewählte Fachgebiet zu beschränken, ist in aller Regel auf Dauer angelegt, er ist eine Lebensentscheidung. Auf der Grundlage der einheitlichen ärztlichen Berufsausbildung stellt sie dem Arzt besondere Aufgaben, führt ihm einen besonderen Patientenkreis zu und eröffnet ihm die besonderen wirtschaftlichen Chancen, die mit der fachärztlichen Tätigkeit verbunden sind (BVerfG, a.a.O., S. 161 f.). Ferner hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der wahrheitsgemäße Hinweis auf rechtsförmlich erworbene fachliche Qualifikationen keine unzulässige Werbung darstellt (BVerfG, a.a.O., S. 170). Den Angehörigen freier Berufe muss für interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben (vgl. BVerfGE 82, 18 ≪28≫).
2. Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Kammergesetzes können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫).
So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.
a) Nach diesen Entscheidungen darf der Beschwerdeführer die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene Bezeichnung „Facharzt für Sportmedizin” nicht in Baden-Württemberg führen. Die Entscheidungen stützen sich auf § 41 Satz 1 in Verbindung mit § 32 KaG. Diese Vorschriften besagen nach Ansicht der Verwaltungsgerichte, dass eine im übrigen Geltungsbereich der Bundesärzteordnung erteilte Berechtigung, eine Gebiets-, Teilgebiets- oder Zusatzbezeichnung zu führen, nur dann in Baden-Württemberg fortgilt, wenn es in der Weiterbildungsordnung des Landes Baden-Württemberg ein Gegenstück dazu gibt.
b) Diese Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen berücksichtigt die Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG nicht hinreichend. Es gibt keine vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls dafür, alle Facharztbezeichnungen, die nicht in der Weiterbildungsordnung des Landes Baden-Württemberg enthalten sind, ohne Rücksicht auf ihren Informationswert für die Patienten generell zu verbieten.
Durch die Weiterbildung zum Facharzt vertieft der Arzt seine medizinische Kompetenz auf einem bestimmten Fachgebiet in besonderer Weise. Hat der Arzt rechtsförmlich eine fachliche Qualifikation dieser Art erworben, so können nur Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht ein Verbot rechtfertigen, auf die Qualifikation hinzuweisen, sofern der Hinweis nicht irreführend ist. Der föderalistische Aufbau der Bundesrepublik und die Regelung des Arztrechts in Länderkompetenz allein stellen solche Gemeinwohlbelange nicht dar.
Nach Ansicht der Verwaltungsgerichte sowie der Bundesärztekammer soll allerdings die Gegenseitigkeitsregel der – aus der ausschließlichen Länderkompetenz abzuleitenden – Durchsetzung des Grundsatzes dienen, dass für die Ärzte im jeweiligen Kammerbereich das jeweilige Landesrecht einheitlich und für alle zu gelten habe. Dies vermeide auch Wettbewerbsverzerrungen. Ferner weist der Amtschef der Bayerischen Staatskanzlei darauf hin, dass die gesundheitlichen Versorgungsbedürfnisse für das eine oder andere ärztliche Spezialgebiet regional durchaus unterschiedlich sein können. Deshalb könne es im föderalistischen Staat zu unterschiedlichen Entscheidungen über das gesundheitspolitische Gewicht und die versorgungspolitische Bedeutung eines ärztlichen Funktionsspektrums kommen.
Die einheitliche Geltung der Facharztbezeichnungen innerhalb eines Bundeslandes entsprechend der dortigen gesundheitlichen Versorgungsbedürfnisse sowie der Konkurrenzschutz der Ärzte vermögen jedoch nicht derartige Beschränkungen der Berufsfreiheit zu legitimieren. Liegt ein entsprechendes Versorgungsbedürfnis für eine bestimmte Facharztbezeichnung nicht vor, bleibt es den Kammern unbenommen, eine Weiterbildung für diesen Bereich nicht vorzusehen. Die Kompetenz der Länder, ihr Weiterbildungsrecht eigenständig zu regeln, gewährleistet auch, dass grundsätzlich einheitliche Bedingungen im jeweiligen Bundesland gelten. Die Gegenseitigkeitsregel gewährleistet jedoch nicht den landesüblichen Ausbildungsstandard; insoweit akzeptieren die Länder wechselseitig die Qualitätssicherung durch das jeweils andere Bundesland. Soweit ausgeschlossen wird, dass auf andernorts übliche, im eigenen Land aber nicht gebräuchliche Fachkompetenzen hingewiesen wird, soll dies – wie in den Stellungnahmen auch zugestanden wird – lediglich Wettbewerbsverzerrungen vermeiden. Insoweit sind gesundheitspolitische Erwägungen und sonstige Gemeinwohlbelange nicht ersichtlich. Allein die föderalistische Struktur der Bundesrepublik stellt keinen Gemeinwohlbelang dar, der gegenüber dem Betroffenen die Versagung der Anerkennung einer – in einem jetzt zur Bundesrepublik gehörenden Land getroffenen – Verwaltungsentscheidung zu legitimieren vermag.
Soweit die beschränkte Facharztanerkennung dem Konkurrentenschutz zu dienen bestimmt sein sollte, wären die Kammern nicht legitimiert, mit ihren Weiterbildungsordnungen in den Wettbewerb allein zum Zwecke des Schutzes der im eigenen Land weitergebildeten Ärzte einzugreifen. Die Ärzte genießen keinen Schutz vor Konkurrenten, die andere Qualifikationen erworben haben. Auch stellt der Konkurrenzschutz an sich keinen Gemeinwohlbelang dar. Es ist auch nicht vorstellbar, dass die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene Gebietsbezeichnung „Facharzt für Sportmedizin” dazu geeignet ist, Irrtümer bei den Patienten hervorzurufen, zumal die in Baden-Württemberg geläufige Zusatzbezeichnung „Sportmedizin” anerkannt ist. Der Eindruck, dass die Facharztbezeichnung auf eine längere Weiterbildung schließen lässt, ist zutreffend.
Der Beschwerdeführer kann nicht darauf verwiesen werden, die Zusatzbezeichnung „Sportmedizin” zu führen. Eine Zusatzbezeichnung ist einer Facharztbezeichnung nicht gleichwertig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach § 95 Abs. 2, § 95 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch die Zulassung als Vertragsarzt ohne Facharztanerkennung nicht mehr möglich ist.
c) Da es keine Gemeinwohlbelange gibt, die einer korrekten Information der Öffentlichkeit über die tatsächlich erworbene Qualifikation im medizinischen Bereich entgegenstehen könnten, ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 41 Satz 1 KaG geboten. Eine Facharztbezeichnung ist auch dann anzuerkennen, wenn sie nicht in der Weiterbildungsordnung des Landes Baden-Württemberg aufgeführt ist.
§ 41 Satz 1 KaG lässt diese Auslegung zu. Als Bezeichnung im Sinne des § 32 KaG kann jede Gebiets-, Teilgebiets- oder Zusatzbezeichnung verstanden werden, die in einem anderen Bundesland rechtsförmlich erworben worden ist. Das ist sogar der Regelfall. Denn die Muster-Weiterbildungsordnung hat die Gebietsbezeichnungen und die Teilgebietsbezeichnungen sowie die Zusatzbezeichnungen weitgehend vereinheitlicht. So regelt § 23 Abs. 12 der Muster-Weiterbildungsordnung nach den Beschlüssen des 95. Deutschen Ärztetages 1992 in Köln, dass derjenige, der rechtmäßig Arztbezeichnungen nach der Facharztordnung oder der Subspezialisierungsordnung der Deutschen Demokratischen Republik führt, welche nicht in entsprechende Arztbezeichnungen nach der bisherigen Weiterbildungsordnung oder in entsprechende Arztbezeichnungen nach dieser Weiterbildungsordnung umgewandelt werden können, sie weiterführen darf. Dies ist aber ausdrücklich nur in den Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern der neuen Bundesländer vorgesehen. Im Übrigen fanden die Facharztbezeichnungen, die nur in der Deutschen Demokratischen Republik verliehen worden sind, in der Muster-Weiterbildungsordnung keine Berücksichtigung.
Soweit die Bundesärztekammer mit nachvollziehbaren Gründen darauf hingewiesen hat, dass bundesweit der Facharzt für Sportmedizin nicht für notwendig erachtet worden ist, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Daraus folgt jedoch nicht, dass die bereits erworbenen Facharztqualifikationen zu verschweigen wären. Hierfür sind Gründe nicht ersichtlich.
d) Da die angefochtenen Entscheidungen schon wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG aufzuheben sind, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs noch mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu vereinbaren ist.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist verletzt, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫ mit zahlr. Nachw.). Dieser Prüfungsmaßstab ist, vergleichbar demjenigen zu Art. 103 Abs. 1 GG, dahin zu ergänzen, dass eine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters durch eine richterliche Zuständigkeitsentscheidung vorliegt, wenn diese Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫; 87, 282 ≪285≫). Dass der Verwaltungsgerichtshof vorliegend die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO verneint hat, ist zwar kaum nachvollziehbar. Die Frage, inwieweit eine – in einem anderen Bundesland – bereits anerkannte Facharztbezeichnung in Baden-Württemberg fortgeführt werden kann, hat über ihre Bedeutung für den zu entscheidenden konkreten Fall hinaus erhebliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung des Kammergesetzes des Landes Baden-Württemberg. Ob die Auslegung des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch den Verwaltungsgerichtshof mit Rücksicht darauf willkürlich ist, kann indessen dahingestellt bleiben.
e) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargelegten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, dass die Gerichte im Ausgangsverfahren anders entschieden hätten, wenn sie die §§ 32, 41 KaG verfassungskonform ausgelegt hätten. Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, damit dies nachgeholt werden kann.
f) Im Übrigen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer weiteren Begründung abgesehen.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565138 |
NJW 2000, 3057 |
MedR 2000, 479 |
NJ 2000, 533 |
DVBl. 2000, 976 |
AusR 2000, 109 |