Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Rudolf Nörr und Koll. |
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 24.07.1995; Aktenzeichen 30 U 117/95) |
LG Augsburg (Urteil vom 22.12.1994; Aktenzeichen 3 HK O 3129/94) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Urteile, durch die ein vom Beschwerdeführer geltend gemachter Unterlassungsanspruch zurückgewiesen wurde. Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens war ein Vorwurf der Beklagten gegenüber dem Beschwerdeführer, wonach „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Kollusion der damaligen Geschäftsführung zum Fusionsvertrag 1972 mit dem D.-Konzern geführt” habe. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie seines Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die von ihr aufgeworfenen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 61, 1 ff.; 85, 1 ff.; 90, 241 ff.; 99, 185 ff.). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG kann nicht festgestellt werden.
a) Der Beschwerdeführer wird allerdings durch die angegriffenen Entscheidungen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht berührt. Das Grundrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien sind, aber diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Dazu gehört auch die soziale Anerkennung des Einzelnen. Aus diesem Grund umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪193≫). Die hier in Rede stehende Äußerung, die dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der M. KG unredliches Verhalten vorwirft, hat eine derartige Persönlichkeitsrelevanz.
b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet seine Grenzen nach Art. 2 Abs. 1 GG in den Rechten anderer, zu denen auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gehört. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wird die streitgegenständliche Äußerung von dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Hierbei kann zunächst dahinstehen, ob mit der Äußerung – zumindest auch – eine Tatsachenbehauptung verbunden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fallen unter den Schutz der Meinungsfreiheit nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie meinungsbezogen sind. Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG liegen nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪197≫). Bei dem von den Beklagten des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang mit dem Fusionsvertrag geäußerten Kollusionsverdacht handelt es sich aber zumindest auch um die Bewertung eines tatsächlichen Vorganges. Anhaltspunkte dafür, dass mögliche tatsächliche Bestandteile dieser Äußerung von den Beklagten bewusst der Wahrheit zuwider behauptet wurden, liegen nicht vor. Hiergegen spricht nicht zuletzt der Umstand, dass das Oberlandesgericht in dem Parallelverfahren 30 U 689/92 die Zusammenhänge mit dem Fusionsvertrag 1972 als klärungsbedürftig bezeichnet hat.
c) Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist freilich seinerseits kein schrankenloses. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt es vielmehr den Beschränkungen, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben, zu denen auch die §§ 1004, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB gehören, die dem verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrecht zivilrechtlich Ausdruck verleihen und deren Voraussetzungen die Gerichte vorliegend abgelehnt haben. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Sie haben dabei jedoch beiden Grundrechten angemessen Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Das führt im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der einfach-rechtlichen Vorschriften regelmäßig zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsguts, das das einfache Recht schützen will. Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen ihres Fallbezugs nicht generell und abstrakt vorwegnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit jedoch bestimmte Vorzugsregeln entwickelt, wobei es entscheidend darauf ankommt, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt. So geht bei Werturteilen der Persönlichkeitsschutz regelmäßig der Meinungsfreiheit vor, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, Schmähkritik oder als Formalbeleidigung darstellt. Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪196≫). Wenn allerdings eine Äußerung derart substanzarm ist, dass sich ihr die Behauptung wenigstens einer konkret-greifbaren Tatsache nicht entnehmen lässt, tritt ein möglicher tatsächlicher Gehalt gegenüber der Wertung zurück (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪9 f.≫). Bei einer derartig substanzarmen Äußerung kann deshalb auch im Rahmen der Abwägung dem Wahrheitsgehalt möglicher tatsächlicher Elemente keine Bedeutung zukommen.
d) Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist die – in erster Linie maßgebliche – Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu beanstanden.
aa) Das Oberlandesgericht ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Vorwurf der „Kollusion der damaligen Geschäftsführung usw.” um eine bloße subjektive Wertung handelt, die nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft werden kann. Der Äußerung lässt sich eine konkret-greifbare Tatsache – abgesehen von der als solchen wahren Aussage, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer an der Fusion 1972 mitgewirkt hat – nicht entnehmen. Der Vorwurf ist vielmehr sehr pauschal formuliert. In welcher Art und Weise die Geschäftsführung im Zusammenhang mit dem Fusionsvertrag 1972 möglicherweise unredlich gehandelt hat, ergibt sich aus der Äußerung nicht. Dies wird deutlich, wenn man versucht, eine Beweisfrage zu formulieren, die mit den Mitteln des zivilprozessualen Beweisrechts bewiesen werden könnte. Der verwendete Begriff „Kollusion” ist derart auslegungsfähig und auslegungsbedürftig, dass ihm eine eindeutige, beweisbare Tatsachengrundlage nicht entnommen werden kann. Sobald versucht wird, den Sinn des Begriffes zu ermitteln, wird unvermeidlich die Grenze zu dem Bereich des Dafürhaltens und Meinens und damit auch des Kampfes der Meinungen überschritten. In diesem Zusammenhang darf auch nicht der konkrete Streitgegenstand der gerichtlichen Entscheidungen aus dem Blick verloren werden. Es ging insoweitlediglich um den zitierten Satz mit der vermeintlichen Kollusion der Geschäftsführung. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auf weiterekonkrete Tatsachenbehauptungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens abstellt und deren Unwahrheit zu belegen versucht, kann dem im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zukommen. Bei diesen Äußerungen mag es sich in der Tat um dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptungen handeln; diese hat der Beschwerdeführer jedoch nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht.
bb) Damit kommt es im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen auf den Wahrheitsgehalt der Äußerung nicht an. Vielmehr finden die Abwägungsgrundsätze bei Werturteilen Anwendung. Insoweit könnte ein eindeutiger Vorrang des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers gegenüber dem Grundrecht der Beklagten des Ausgangsverfahrens auf Meinungsfreiheit nur dann angenommen werden, wenn es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Schmähkritik handeln würde. Dies hat das Oberlandesgericht jedoch zu Recht verneint. Den Beklagten des Ausgangsverfahrens ging es erkennbar nicht um die Diffamierung des Beschwerdeführers, sondern um die Auseinandersetzung in der Sache. Die Äußerung ist im Zusammenhang mit dem Streit über den Fusionsvertrag 1972 zu sehen.
cc) Die Tatsache, dass es sich nicht um Schmähkritik handelt, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass der Meinungsfreiheit in jedem Fall der Vorrang gebühren würde. Vielmehr bedarf es einer Abwägung der sich gegenüber stehenden Grundrechtspositionen. Eine solche Abwägung hat das Oberlandesgericht jedoch in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise vorgenommen. Tragfähig ist insbesondere seine Überlegung, dass die Beklagten ein gesteigertes Recht zur Meinungsäußerung im Rahmen ihrer Gesellschafterstellung haben (vgl. hierzu auch BGH, MDR 1972, S. 227). Insoweit hat das Oberlandesgericht auch nicht einseitig nur auf die Interessen der Beklagten abgestellt. Vielmehr hat es zu Recht darauf hingewiesen, dass die Geschäftsführung und damit auch der Beschwerdeführer allein auf Grund des Informationsvorsprunges in der Lage waren, sich zu wehren und Gegenargumente vorzubringen. Schließlich hat das Oberlandesgericht auch zu Recht die Entscheidung in dem Parallelverfahren 30 U 689/92 in seine Überlegungen mit einbezogen. Hieraus ergibt sich, dass die Vorgänge im Zusammenhang mit der Fusion im Jahre 1972 zumindest klärungsbedürftig waren und die Äußerungen der Beklagten in diesem Zusammenhang zu sehen sind.
2. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffenen Urteile auch nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundgesetzbestimmung bietet keinen Schutz dagegen, dass ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird (vgl. BVerfGE 50, 32 ≪36≫; 65, 305 ≪307≫; 69, 141 ≪143 f.≫). Da die streitgegenständliche Äußerung als Werturteil anzusehen ist, hinter dem der mögliche tatsächliche Gehalt zurücktritt, bedurfte es der von dem Beschwerdeführer begehrten Beweisaufnahme über die vermeintliche Unrichtigkeit der Äußerung nicht.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565268 |
NJW-RR 2001, 411 |