Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluß: Abwägung zwischen Informationsfreiheit aus GG Art 5 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 und Eigentumsrecht aus GG Art. 14 Abs. 1 bei einer vom Vermieter nicht genehmigten Anbringung einer Parabolantenne
Orientierungssatz
1. Die Errichtung einer Parabolantenne, die zum Empfang von über Satelliten ausgestrahlten Hörfunk- und Fernsehprogrammen bestimmt ist, fällt in den Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit aus GG Art 5 Abs 1 S 1 Halbs 2.
2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn dem Anspruch des Vermieters auf Aufrechterhaltung intakten Eigentums durch Vermeidung von Störungen des äußeren Erscheinungsbildes des Gebäudes durch eine Vielzahl von Parabolantennen in den Fällen der Vorrang gegeben wird, in denen dem Mieter die Teilhabe an den neuen Medien durch Bereitstellung eines Kabelanschlusses oder einer Gemeinschaftssatellitenempfangsanlage ermöglicht wird.
Da der Mieter sein Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, weitgehend realisieren kann, liegt eine wesentliche Beeinträchtigung der Informationsfreiheit nicht vor.
3. Die Beachtung dieser Grundsätze, die das OLG Frankfurt in seinem Rechtsentscheid vom 1992-07-22, 20 REMIET 1/91, WuM 1992, 458 aufgestellt hat, gewährleistet bei typischen Durchschnittsfällen einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Mieter- und Eigentümerinteressen.
Im konkreten Fall kann es jedoch geboten sein, besondere berechtigte Interessen, die bei der notwendig typisierenden Betrachtungsweise des Rechtsentscheids nicht miterfaßt werden, in die Güter- und Interessenabwägung einzubeziehen und zu gewichten.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, Abs. 2, Art. 14 Abs. 1; BGB §§ 550, 535-536, 242, 1004
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 01.07.1992; Aktenzeichen 2 S 142/92) |
AG Neustadt an der Weinstraße (Urteil vom 13.02.1992; Aktenzeichen 2 C 67/92) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zivilgerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiet des Mietrechts zu der Frage, ob der Vermieter von Wohnraum vom Mieter die Entfernung einer Satelliten-Empfangsantenne verlangen kann, wenn das Haus über einen Kabelanschluß verfügt.
1. Die Beschwerdeführerin ist Mieterin einer Wohnung, die in einem Mehrfamilienhaus gelegen ist. Das Haus ist mit einem Kabelanschluß versehen, an den die Mieter ihre Wohnungen anschließen können. Im Frühjahr 1991 brachte die Beschwerdeführerin auf dem Dach des Hauses eine Parabolantenne an. Die Vermieterin und Eigentümerin, die nicht in dem Anwesen wohnt, forderte die Beschwerdeführerin erfolglos auf, die Parabolantenne zu entfernen.
2. Das Amtsgericht hat die Beschwerdeführerin gemäß § 1004 BGB verurteilt, die Satellitenantenne zu entfernen, und festgestellt, daß es die Beschwerdeführerin auf Dauer zu unterlassen habe, eine Satelliten-Empfangsantenne sichtbar an der Außenwand ihrer Mietwohnung anzubringen. Zur Begründung hat das Amtsgericht im wesentlichen ausgeführt:
Die Errichtung der Parabolantenne stelle eine bauliche Veränderung dar, die das Eigentum der Klägerin beeinträchtige. Diese sei nicht verpflichtet gewesen, die Beeinträchtigung zu dulden. Der Mietvertrag erlaube die Errichtung einer Einzelantenne nur mit Zustimmung der Vermieterin. Zwar habe die Beschwerdeführerin um die Genehmigung nachgesucht. Die Klägerin könne die Beseitigung der Parabolantenne aber verlangen, da sie nicht verpflichtet gewesen sei, ihre Zustimmung zu erteilen. Eine solche Pflicht ergebe sich nicht aus dem Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG, da dieses Grundrecht seine Schranken im Eigentumsgrundrecht der Klägerin aus Art. 14 Abs. 1 GG finde. Es sei deshalb abzuwägen, welchem Recht aus welchem Grund und in welchem Umfang der Vorzug gebühre. Dabei sei davon auszugehen, daß der Mieter die Möglichkeit haben müsse, die Programme der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten zu empfangen. Unter Umständen habe der Mieter insoweit ein Recht auf Herstellung der entsprechenden Voraussetzungen. Anlagen an der Außenwand bedürften aber der Zustimmung des Vermieters. Einen Anspruch auf Anbringung einer Parabolantenne habe der Mieter grundsätzlich nicht, da diese Antennen regelmäßig unschön seien und selbst als Einzelstücke das Anwesen verunstalteten. Das Mieterinteresse am Empfang weiterer Fernsehprogramme müsse daher zurücktreten, zumal diese gewöhnlich nicht der Unterrichtung, sondern der Unterhaltung dienten, die nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sei. Im vorliegenden Fall könne die Beschwerdeführerin im übrigen vom Kabelnetz Gebrauch machen. Der Vermieter müsse den Eingriff in sein Eigentum jedenfalls dann nicht hinnehmen, wenn durch den Anschluß an das Breitbandkabel in etwa der gleiche Erfolg erzielt werden könne wie durch eine Parabolantenne. In diesem Fall genieße der Anspruch auf Aufrechterhaltung intakten Eigentums den Vorrang. Es sei nicht ausgeschlossen, daß unter besonderen Umständen etwas anderes gelten könne. Solche Umstände lägen hier aber nicht vor.
Das Landgericht hat die Berufung der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts zurückgewiesen.
3. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, daß die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich falschen Bestimmung des Verhältnisses zwischen ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG und der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes aus Art. 14 Abs. 1 GG beruhten. Es stelle eine Beschneidung ihrer Informationsfreiheit dar, wenn sie auf den Anschluß an das vorhandene Kabelnetz verwiesen werde. Das Breitbandkabel könne eine Satellitenantenne nicht ersetzen. Die Parabolantenne erlaube den Empfang einer Vielzahl von Rundfunk- und Fernsehprogrammen, die nicht im Kabelangebot enthalten seien. Es komme hinzu, daß die Einspeisung eines Programms in das Kabelnetz in jedem Bundesland einer staatlichen Zulassung bedürfe. Sie unterliege somit bei einem Kabelanschluß einer Zensur, die sie in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit verletze. In den angegriffenen Entscheidungen werde verkannt, daß keine sachbezogenen Interessen der Eigentümerin vorlägen, die eine Verweigerung der Genehmigung zur Anbringung der Parabolantenne rechtfertigen könnten. Eingriffe in die Bausubstanz seien nicht zu befürchten. Geschmacksfragen dürften schon deshalb nicht zugunsten der Vermieterin ausschlaggebend sein, weil diese nicht in dem Anwesen wohne.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen lassen den von der Beschwerdeführerin gerügten Verstoß gegen das Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht erkennen.
1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG gewährleistet jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Dieses Grundrecht ist wie das Grundrecht der Meinungsfreiheit eine der wichtigsten Voraussetzungen der individuellen Entfaltung und der demokratischen Ordnung (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208≫; 27, 71 ≪81 f.≫). Der Grundrechtsschutz umfaßt Informationen aller Art, nicht nur die im engeren Sinn politischen. Allgemein zugänglich sind solche Informationsquellen, die geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit, das heißt einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Dabei richtet sich die allgemeine Zugänglichkeit allein nach tatsächlichen Kriterien. Zeitungen und andere Massenkommunikationsmittel wie Rundfunk und Fernsehen gehören daher stets zu den allgemein zugänglichen Informationsquellen (vgl. BVerfGE 27, 71 ≪83 f.≫; 33, 52 ≪65≫; 35, 307 ≪309≫; vgl. auch EGMR, NJW 1991, S. 620 ff.). Der Grundrechtsschutz erstreckt sich auch auf die Voraussetzungen zur individuellen Erschließung allgemein zugänglicher Informationsquellen. Infolgedessen fällt die Errichtung einer Parabolantenne, die zum Empfang von über Satelliten ausgestrahlten Hörfunk- und Fernsehprogrammen bestimmt ist, ebenfalls in den Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit.
Die Informationsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet wie alle Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG ihre Schranken gemäß Art. 5 Abs. 2 GG in den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen gehören auch die miet- und eigentumsrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Diese müssen jedoch ihrerseits wieder im Licht des betroffenen Grundrechts ausgelegt werden, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 1, 198 ≪208 f.≫; st. Rspr.). Das erfordert in Fällen wie diesem eine Abwägung zwischen den Informationsinteressen des Mieters und den Eigentumsinteressen des Vermieters, die im Rahmen der Auslegung und Anwendung des bürgerlichen Rechts vorzunehmen ist.
Mietrechtliche Konflikte über die Errichtung von Außenantennen werden von den Fachgerichten typischerweise anhand der §§ 535, 536, 242 BGB beurteilt (vgl. BayObLG – Rechtsentscheid – WuM 1981, S. 80 f.; KG – Rechtsentscheid – NJW 1985, S. 2031 ff.). Für Fälle der vorliegenden Art hat das Oberlandesgericht Frankfurt/Main in seinem Rechtsentscheid vom 22. Juli 1992 – 20 REMiet 1/91 – (WuM 1992, S. 458 ff.) eine Güter- und Interessenabwägung vorgenommen, nach der ein überwiegendes Interesse des Vermieters an der Verweigerung der Zustimmung zur Installation einer Parabolantenne nur dann besteht, wenn das Haus über eine Gemeinschaftssatelliten-Empfangsanlage oder einen Kabelanschluß verfügt oder wenn ein solcher Anschluß zeitlich absehbar ist. Ist dies nicht der Fall, hat das Eigentumsrecht hinter der Informationsfreiheit des Mieters zurückzutreten und die Zustimmung ist zu erteilen.
Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar führt der Verweis auf den Kabelanschluß zu einer Beschränkung der Informationsfreiheit des Mieters, da über die Parabolantenne Satellitenprogramme empfangen werden können, die nicht in das Kabelnetz eingespeist werden. Diese Beschränkung ist aber bei typisierender Betrachtungsweise gerechtfertigt, weil der Mieter über den Kabelanschluß sein Interesse, am Medienangebot teilzuhaben, weitgehend realisieren kann, sein Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, also nicht wesentlich beeinträchtigt wird (OLG Frankfurt/Main, a.a.O., S. 459 RSp.). Jedenfalls wird es von Verfassungs wegen im Regelfall nicht zu beanstanden sein, wenn bei dieser Sachlage ein überwiegendes Interesse des Vermieters angenommen wird, Störungen des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses durch Parabolantennen zu vermeiden.
Allerdings kann es im konkreten Fall geboten sein, besondere Eigentümer- oder Mieterinteressen, die bei der typisierenden Betrachtungsweise des Rechtsentscheids nicht miterfaßt werden, in die Güter- und Interessenabwägung einzubeziehen und zu gewichten. Die vom Oberlandesgericht Frankfurt in seinem Rechtsentscheid dargelegten Grundsätze stellen aber jedenfalls für die typische Spannungslage zwischen dem Grundrecht auf Informationsfreiheit des Mieters und den betroffenen Eigentümerinteressen des Vermieters ein Abwägungsergebnis dar, das der grundlegenden Bedeutung der betroffenen Grundrechte Rechnung trägt. Eine Rechtsanwendung der Fachgerichte, die mit diesen Grundsätzen übereinstimmt, ist daher von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
2. So verhält es sich bei den angegriffenen Entscheidungen. Zwar ist es mit dem Grundrecht der Informationsfreiheit nicht zu vereinbaren, daß das Amtsgericht der Beschwerdeführerin die Anbringung einer Parabolantenne mit der Begründung versagt hat, daß die über Satellit empfangbaren Programme nur der Unterhaltung dienten. Diese Begründung trägt das Ergebnis aber nicht allein. Das Amtsgericht hat vielmehr maßgeblich darauf abgestellt, daß der Anspruch auf Aufrechterhaltung intakten Eigentums den Vorrang genieße, weil die Beschwerdeführerin die Möglichkeit habe, vom Kabelnetz Gebrauch zu machen.
Die dagegen erhobenen Rügen der Beschwerdeführerin greifen nicht durch. Zwar liegt in der Verweisung der Beschwerdeführerin auf das Programmangebot im Kabelnetz eine Beschränkung ihrer Informationsfreiheit, weil sie über eine Parabolantenne Zugriff auf weitere Satellitenrundfunk- und Fernsehprogramme hätte. Diese Beschränkung ist aber im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Der den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt entspricht der typischen Spannungslage zwischen der Informationsfreiheit und dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Vermieterinteresse, so daß das Abwägungsergebnis des Amtsgerichts, das auf der Linie des Rechtsentscheids des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 22. Juli 1992 liegt, der grundlegenden Bedeutung der Informationsfreiheit Rechnung trägt. Über den Durchschnittsfall hinausgehende berechtigte Interessen der Beschwerdeführerin, die in der vom Amtsgericht vorgenommenen Abwägung unberücksichtigt geblieben wären und ein anderes Ergebnis hätten gebieten können, sind von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Daß die Erforderlichkeit einer Auswahlentscheidung über die Einspeisung von Fernsehprogrammen in das Kabelnetz bei knappen Übertragungskapazitäten keine Zensur im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG darstellt, bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. insoweit BVerfGE 33, 52 ≪71 ff.≫; 83, 130 ≪155≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Henschel, Seidl, Grimm
Fundstellen
Haufe-Index 543624 |
NJW 1993, 1252 |
EuGRZ 1993, 302 |
AfP 1993, 562 |