Verfahrensgang
OLG Rostock (Beschluss vom 15.12.2006; Aktenzeichen 3 U 140/06) |
OLG Rostock (Beschluss vom 27.09.2006; Aktenzeichen 3 U 140/06) |
LG Schwerin (Urteil vom 20.07.2006; Aktenzeichen 4 O 505/05) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Rostock vom 27. September 2006 – 3 U 140/06 – und vom 15. Dezember 2006 – 3 U 140/06 – verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu einem Drittel zu erstatten.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Andreas Wulf, Güstrow, wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich insbesondere gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für einen Zivilrechtsstreit.
1. Die Beschwerdeführer begehrten aus der Rückabwicklung eines Kaufvertrages einen Betrag von rund 80.000 € sowie die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung aus einem notariellen Schuldanerkenntnis. Für die entsprechende Klage beantragten sie Prozesskostenhilfe, die ihnen das Landgericht bewilligte.
Nach Abweisung der Klage in erster Instanz beantragten die Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. In einer Verfügung wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass die Erklärungen der Beschwerdeführer über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf die Angaben zu Grundstückswerten nicht vollständig seien. Die Beschwerdeführer legten sodann einen amtsgerichtlichen Beschluss vor, der sich zum Wert eines in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks verhielt.
Daraufhin teilte ihnen das Oberlandesgericht durch weitere Verfügung mit, aus dem Beschluss des Amtsgerichts ergebe sich, dass das betreffende Grundstück vermietet sei. Die Beschwerdeführer hätten jedoch angegeben, über keine Mieteinnahmen zu verfügen. Die Beschwerdeführer übermittelten nunmehr einen weiteren Beschluss des Amtsgerichts, aus dem sich die Anordnung der Zwangsverwaltung über das Grundstücks ergab. Sie führten zudem aus, dass seit dem Zeitpunkt der Anordnung keine Miete mehr an sie gezahlt worden sei, dass das Gebäude seit 2004 leer stehe, und dass sämtliche Versorgungsleitungen gekappt worden seien.
Im Anschluss daran hat das Oberlandesgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zurückgewiesen. Dem Prozesskostenhilfeantrag sei nicht stattzugeben, weil die beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Das Rechtsmittel werde als unzulässig zu verwerfen sein, weil es nicht mehr innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO eingelegt worden sei. Hieran vermöge auch ein eventueller Wiedereinsetzungsantrag nichts zu ändern. Diesem müsste ebenfalls der Erfolg versagt bleiben, denn die Beschwerdeführer hätten die Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht innerhalb der Berufungsfrist glaubhaft gemacht.
Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführer Gegenvorstellung erhoben, die vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden ist.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts und das Urteil des Landgerichts. Sie rügen die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, des Verfahrensgrundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Einer unbemittelten Partei dürfe der Zugang zu den Gerichten und Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden. Eine Partei, der in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, dürfe grundsätzlich davon ausgehen, dass bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch in zweiter Instanz ihre Bedürftigkeit bejaht werde. Die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit dürften nicht überspannt werden.
Das Oberlandesgericht habe zu Unrecht angenommen, es habe kein ordnungsgemäßer Prozesskostenhilfeantrag vorgelegen. Die Beschwerdeführer hätten vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit oder mangelnder Glaubhaftmachung zu rechnen brauchen, weil sie aus ihrer Sicht die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Entscheidung über den Antrag ausreichend dargelegt hätten. Dies gelte umso mehr, als sie in dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren auf die bereits erstinstanzlich eingereichten Unterlagen Bezug genommen und darauf hingewiesen hätten, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach wie vor unverändert seien.
3. Gelegenheit zur Äußerung erhielten das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern sowie der Gegner des Ausgangsverfahrens.
Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Soweit sie gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts gerichtet ist, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Justizgewährungsanspruchs der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde insbesondere innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegt. Der von den Beschwerdeführern als Gegenvorstellung bezeichnete Rechtsbehelf ist unter den gegebenen Umständen als Anhörungsrüge nach § 321a ZPO auszulegen. Die insoweit maßgebende zweiwöchige Einlegungsfrist (§ 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO) wurde gewahrt.
2. Die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Es ist daher geboten, dass der Staat Vorkehrungen zu treffen hat, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen. Art. 3 Abs. 1 GG stellt die Beachtung dieses Gebots der Rechtsschutzgleichheit unter grundrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪356 f.≫).
Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, jedoch dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Wahrnehmung ihrer Rechte unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪358≫). Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe – dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen – deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 –, NJW 2000, S. 1936).
b) Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Oberlandesgericht in den angegriffenen Entscheidungen nicht beachtet.
Das Oberlandesgericht hat die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Berufungseinlegung mit dem Argument verneint, nach Ablauf der Berufungsfrist (§ 517 ZPO) komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht, weil die Beschwerdeführer die erforderlichen Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht innerhalb der Berufungsfrist glaubhaft gemacht hätten. Dies trifft zwar insoweit zu, als die Beschwerdeführer es zunächst unterlassen haben, in ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Buchstabe G Angaben zum Wert ihres Grundvermögens zu machen, obwohl in dem amtlichen Vordruck ausdrücklich nach dem Einheits- oder Brandversicherungswert gefragt wurde. Die erforderlichen Angaben haben sie jedoch – auf entsprechenden Hinweis des Oberlandesgerichts – innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nachgeholt, indem sie einen Beschluss des Vollstreckungsgerichts betreffend die Wertfestsetzung für das Grundstück vorgelegt haben.
Sofern das Oberlandesgericht darüber hinaus meint, die Beschwerdeführer hätten verspätet dargelegt, dass ihr Grundbesitz unter Zwangsverwaltung stehe und Miete an sie nicht mehr gezahlt werde, überspannt es die Anforderungen an den Vortrag der Beschwerdeführer. Diese hatten bereits in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegeben, keine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen. Darauf, dass das Oberlandesgericht Aufklärungsbedarf sehen würde, nachdem der Grundbesitz in dem zwischenzeitlich vorgelegten Beschluss des Vollstreckungsgerichts als Mietshaus mit zwei Gewerbeeinheiten beschrieben wurde, mussten die Beschwerdeführer ihre Darlegungen nicht von Anfang an ausrichten. Ihre ursprüngliche Angabe, keine Miet- und Pachteinnahmen zu erzielen, war und blieb wahrheitsgemäß und bedurfte für sich genommen keiner Präzisierungen. Dies galt umso mehr, als aus den zusammen mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegten Anlagen hervorging, dass der Grundbesitz zwangsversteigert werden sollte, es also nahe lag, dass die Beschwerdeführer über etwaige Mieteinnahmen nicht mehr selbst verfügen konnten.
Ob die Beschwerdeführer ihre Darlegungen auch deshalb für ausreichend halten durften, weil ihnen erstinstanzliche Prozesskostenhilfe bewilligt worden war und sie gegenüber dem Berufungsgericht erklärten hatten, ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich zwischenzeitlich nicht geändert, kann in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen offen bleiben.
3. Da das Oberlandesgericht hiernach die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Berufung der Beschwerdeführer in einer Weise überspannt hat, die den Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt, sind seine angegriffenen Beschlüsse gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es auf die weiter erhobenen Rügen noch ankommt. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
4. Soweit sie sich gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts richtet, ist die Verfassungsbeschwerde ohne Aussicht auf Erfolg und daher nicht zur Entscheidung anzunehmen. Insoweit wird von einer weiteren Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
6. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts ist abzulehnen. Mit dem Kostenerstattungsanspruch gegen die öffentliche Hand entfällt ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪362≫). Soweit Kostenerstattung nicht angeordnet worden ist, fehlt der Verfassungsbeschwerde die erforderliche Erfolgsaussicht.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen