Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung der Eintragung eines Namenszusatzes
Beteiligte
Rechtsanwältin Beate Bergmann |
Verfahrensgang
OLG Hamm (Zwischenurteil vom 18.07.1997; Aktenzeichen 15 W 3/97) |
LG Münster (Zwischenurteil vom 26.11.1996; Aktenzeichen 5 T 776/96) |
AG Münster (Zwischenurteil vom 26.04.1996; Aktenzeichen 22 III 54/96) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. Juli 1997 – 15 W 3/97 – verletzt den Beschwerdeführer zu 1 in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 1, Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer zu 1 die notwendigen Auslagen in Höhe von 3/4 zu erstatten. Insoweit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin Beate Bergmann; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein namensrechtliches Verfahren, in dem den Beschwerdeführern die Eintragung des Namenszusatzes „Singh” als Ehename versagt wurde. Dem zugrunde liegt die Frage, ob es sich bei dem Namenszusatz „Singh” um den Familiennamen des Beschwerdeführers zu 1 handelt.
I.
1. Der in Indien geborene Beschwerdeführer zu 1 führt seit seiner Geburt den Namen „Gurpinder Singh”. Er kam im Jahr 1984 nach Deutschland und heiratete hier im Jahr 1986. Als Ehename wurde „Singh” in das deutsche Familienbuch eingetragen. Im Jahr 1992 wurde der Beschwerdeführer zu 1 in Deutschland eingebürgert. Sowohl in der Einbürgerungsurkunde als auch in seinem Personalausweis und dem Reisepass lautet sein Familienname auf „Singh”. Nach der Scheidung seiner ersten Ehe heiratete der Beschwerdeführer zu 1 im Jahr 1994 in Indien die dort lebende Beschwerdeführerin zu 2; sie bestimmten keinen Ehenamen. Die im August 1994 in Indien geborene gemeinsame Tochter Monia wurde in das dortige Geburtenregister mit dem Namen „Monia Singh” eingetragen. Der Familienname in ihrem deutschen Kinderausweis lautet auf „Singh”.
2. Im Jahr 1996 stellte jedenfalls der Beschwerdeführer zu 1 beim Standesamt den Antrag, gemäß § 1355 Abs. 3 Satz 2 BGB als Ehenamen „Singh” in das Familienbuch einzutragen. Der Standesbeamte legte die Angelegenheit dem Amtsgericht Münster vor, das mit dem angegriffenen Beschluss feststellte, dass der Namenszusatz „Singh” als Ehename nicht eintragungsfähig sei. „Singh” sei kein Familienname, sondern ein bloßer Namenszusatz. Das indische Namensrecht sei weitgehend von religiösen Vorstellungen beherrscht und kenne den Familiennamen als solchen nicht. Bei dem Namenszusatz „Singh” handele es sich nicht um einen Eigennamen und damit um einen echten Namensbestandteil, sondern um eine vor allem bei Angehörigen der Sikh hinzugefügte, auf die Religionszugehörigkeit hinweisende Bezeichnung mit der Bedeutung „Löwe” für Männer; Frauen führten entsprechend den Zusatz „Kaur” (= Schmuck).
Auf die Beschwerde hob das Landgericht Münster mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss den Beschluss des Amtsgerichts auf. Da der Beschwerdeführer zu 1 keinen Familiennamen führe, bewirke der Statutenwechsel ein Recht auf Anpassung an die deutsche Namensführung. Der Namenszusatz „Singh” sei daher im Wege der Angleichung als Familienname zu bestimmen. Auf die weitere Beschwerde der Standesamtsaufsicht hob das Oberlandesgericht Hamm mit dem angegriffenen Beschluss den Beschluss des Landgerichts auf und wies die Beschwerde zurück. Es sei schon nicht ersichtlich, ob die Beschwerdeführer überhaupt eine wirksame Erklärung über die Führung eines Ehenamens abgegeben hätten. Gleichwohl sei die Sache aber nicht wegen eines Aufklärungsmangels an das Landgericht zurückzuweisen, denn unabhängig davon könne der Zusatz „Singh” nicht als Familienname eingetragen werden. So habe der Beschwerdeführer zu 1 zwar geltend gemacht, dass der Zusatz „Singh” auch in Indien zum Teil als echter Familienname geführt werde. Er selbst führe aber erst seit seiner Eheschließung in Deutschland den Zusatz „Singh” als Familiennamen. Da es sich bei dem Zusatz „Singh” nicht um einen echten Namensbestandteil handele, könne er auch nicht im Wege der Angleichung als Familienname behandelt werden. Im Übrigen bewirke die Nichtbeachtung der aufgezeigten Rechtsgrundsätze durch andere Standesämter und sonstige Behörden keine Rechtsbindung.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2, Art. 3 und Art. 6 GG. Für den Beschwerdeführer zu 1, der Deutscher sei und als dessen Familienname in erster Ehe „Singh” festgestellt worden sei, sei es nicht nachvollziehbar, dass er in seiner zweiten Ehe diesen Namen nicht führen könne. Es könne ihm auch nicht zugemutet werden, einen weiteren Eigennamen anzunehmen. Da er jedenfalls seit mehr als elf Jahren den Familiennamen „Singh” führe und die Namensnutzung seit langem festgestellt und geduldet werde, stelle eine Namensänderung einen Verstoß gegen Art. 2 GG dar und könne ihm nicht zugemutet werden. Hinzu käme, dass auch seine Tochter Monia den Namen bereits führe.
4. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, der Bundesgerichtshof sowie die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1 gegen die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie ist insoweit mangels ausreichender Substantiierung unzulässig. Hinsichtlich der landgerichtlichen Entscheidung fehlt es darüber hinaus an einer Beschwer des Beschwerdeführers zu 1. Soweit sich seine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts wendet, erfolgt ihre Annahme, weil dies zur Durchsetzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die engere persönliche Lebenssphäre, die Selbstdarstellung des Einzelnen in der Öffentlichkeit, seinen sozialen Geltungsanspruch sowie seine soziale Identität (zum Inhalt des grundrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit vgl. BVerfGE 35, 202 ≪220≫; 54, 148 ≪154 ff.≫; 65, 1 ≪41 f.≫). Im Rahmen dessen hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt, dass der Name eines Menschen nicht nur als Unterscheidungs- und Zuordnungsmerkmal dient, sondern darüber hinaus Ausdruck seiner Identität und Individualität ist und vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst wird (vgl. BVerfGE 78, 38 ≪49≫; 97, 391 ≪399≫). Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls entschieden, dass das aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Gebot des Vertrauensschutzes Verfassungsrang genießt (vgl. BVerfGE 30, 392 ≪403≫; 50, 244 ≪250≫).
b) Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 1 in seinem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht und ist mit dem rechtsstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes nicht vereinbar.
aa) Geschützt durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist der Name eines Menschen, der Ausdruck der Identität sowie Individualität des Namensträgers ist und sich als solcher nicht beliebig austauschen lässt. Er begleitet vielmehr die Lebensgeschichte seines Trägers, die unter dem Namen als zusammenhängende erkennbar wird. Der Einzelne kann daher grundsätzlich verlangen, dass die Rechtsordnung seinen Namen respektiert und schützt. Eine Namensänderung beeinträchtigt die Persönlichkeit und darf nicht ohne gewichtigen Grund gefordert werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (vgl. BVerfGE 78, 38 ≪49≫; 84, 9 ≪22≫; 97, 391 ≪399≫). Dies gilt nicht nur für den von der Rechtsordnung zugelassenen und somit rechtmäßig erworbenen, sondern auch für den von einem Menschen tatsächlich geführten Namen, wenn sich mit diesem Namen eine Identität und Individualität des Namensträgers herausgebildet und verfestigt hat und sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der Namensführung auch herausbilden durfte.
Zwar gebietet das Rechtsstaatsprinzip und das aus ihm folgende Gebot der Beachtung des Vertrauensschutzes nicht, dass jegliche einmal entstandene Vertrauensposition Bestand haben muss; es nötigt aber zu der an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit vorzunehmenden Abwägung zwischen den Belangen des Allgemeinwohls, wie etwa der Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, und den Interessen des Einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf deren Fortbestand er vertraute (vgl. BVerfGE 59, 128 ≪166≫).
Insofern ist auch der tatsächlich geführte Name jedenfalls dann vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst, wenn er über einen nicht unbedeutenden Zeitraum die Persönlichkeit des Trägers tatsächlich mitbestimmt hat und ein entsprechender Vertrauenstatbestand vorliegt. Dagegen muss das öffentliche Interesse an der Richtigkeit von Eintragungen in Personenstandsurkunden abgewogen werden (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 7. Februar 2000, StAZ 2000, 148 ≪151≫; LG Essen, Beschluss vom 13. April 1992, StAZ 1992, 309 ≪310≫; AG Tübingen, Beschluss vom 14. März 1995, StAZ 1995, 297 ≪298≫).
bb) Das Oberlandesgericht hat in der angegriffenen Entscheidung die Frage, ob ein Recht des Beschwerdeführers zu 1 auf Weiterführung seines gutgläubig geführten Namens bestehen könnte, nicht aufgeworfen. Es hat dementsprechend weder die besondere Situation des Beschwerdeführers zu 1 noch den sich hierauf gründenden Schutz, den er aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG erfährt, hinreichend gewürdigt und damit Funktion und Bedeutung des grundrechtlich gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Gebots des Vertrauensschutzes verkannt.
Zu dieser Prüfung hätte aber Anlass bestanden, denn mit der Eintragung des Zusatzes „Singh” als Familienname des Beschwerdeführers zu 1 haben verschiedene Behörden zum Ausdruck gebracht, dass sie keinen Zweifel an der Berechtigung des Beschwerdeführers zu 1 zum Führen des Familiennamens „Singh” hatten. Dadurch, dass der Beschwerdeführer zu 1 diesen Namen als Familiennamen infolge dessen seit der Eintragung in das Familienbuch im Jahr 1986 und damit über den jedenfalls nicht unerheblichen Zeitraum von fast elf Jahren tatsächlich geführt hat, ist für ihn nicht nur ein rechtlich schutzwürdiger Vertrauenstatbestand entstanden, sondern es hat sich für ihn auch eine Identität mit dem Familiennamen „Singh” gebildet. So ist er, seitdem er in der Bundesrepublik Deutschland lebt, unter diesem Namen in seinem sozialen Umfeld bekannt. Zweifel an der Richtigkeit seiner Namensführung haben bei ihm auch aufgrund der wiederholten amtlichen Eintragung nicht aufkommen müssen. Auch lässt sein wiederholtes Vorbringen, ihm könne nach der langen festgestellten und geduldeten Namensnutzung eine Namensänderung nicht zugemutet werden, den Schluss zu, dass er sich mit diesem Namen identifiziert.
cc) Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf den dargelegten Grundrechtsverstößen. Zwar hat das Gericht angemerkt, dass nicht geklärt ist, ob die Beschwerdeführer überhaupt eine formwirksame Erklärung nach § 1355 Abs. 3 Satz 2 BGB abgegeben haben. Das Gericht hat diese Frage aber ausdrücklich offen gelassen, und die Zurückweisung der Beschwerde allein darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer zu 1 den Namenszusatz „Singh” nicht als Familienname trägt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gebots des Vertrauensschutzes zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, ist die angegriffene Entscheidung aufzuheben.
2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2 ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist bereits unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert begründet ist (§§ 23, 92 BVerfGG). Die Beschwerdeführerin zu 2 hat weder dargetan noch ist ersichtlich, dass sie durch die Nichtanerkennung des Namenszusatzes „Singh” als Familienname ihres Ehemannes und dadurch, dass dieser Name insofern nicht ihr Ehename werden kann, in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder in anderen Grundrechten verletzt sein könnte.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu 1 beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Unterschriften
Papier, Haas, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 585081 |
NWB 2001, 1736 |
FuR 2002, 246 |
ZAP 2001, 663 |
StAZ 2001, 207 |
IPRspr. 2001, 8 |
www.judicialis.de 2001 |