Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 27.10.2005; Aktenzeichen 1 Ss 236/05) |
LG Dortmund (Urteil vom 11.02.2005; Aktenzeichen Ns 170 Js 121/02 14 (XXI) P1/03) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Frist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG substantiiert begründet wurde.
1. Die letztinstanzliche fachgerichtliche Entscheidung ist dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers am 28. November 2005 zugegangen. Der Eingang der Verfassungsbeschwerdeschrift per Telefax beim Bundesverfassungsgericht erfolgte am 28. Dezember 2005. Dieser Zuschrift waren die angegriffenen Entscheidungen nicht beigefügt, die per Postsendung beim Bundesverfassungsgericht erst am 31. Dezember 2005, also nach Fristablauf, eingingen.
2. Für die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde kann es genügen, dass der wesentliche Inhalt der angegriffenen Entscheidung in einer Weise wiedergegeben wird, die eine Beurteilung erlaubt, ob die Entscheidung mit dem Grundgesetz in Einklang steht oder nicht (vgl. BVerfGE 88, 40 ≪45≫; 93, 266 ≪288≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. September 2001 – 1 BvR 305/01 –, veröffentlicht NJW 2002, S. 955; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 2000 – 1 BvR 2260/97 –, veröffentlicht NJW 2000, S. 3413). Dies war hier jedoch nicht der Fall.
Entgegen dem – nach Hinweis des Präsidialrats angebrachten – Vortrag des Beschwerdeführers war die bloße Wiedergabe einzelner Passagen der angegriffenen Entscheidungen nicht ausreichend. Das Urteil umfasst 22 Seiten. Die Darstellung des Beschwerdeführers erschöpft sich darin, die vom Landgericht herangezogene Rechtsfigur des hypothetischen Ersatzeingriffs als Umgehung des gesetzlichen Verwendungsverbots gemäß § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO zu kennzeichnen. Maßgeblich für die verfassungsrechtliche Prüfung ist hier aber auch, ob und inwieweit sich die Fachgerichte mit der Problematik der Reichweite des Verwendungsverbots und der hierzu ergangenen Rechtsprechung bzw. dem
rechtswissenschaftlichen Schrifttum auseinandergesetzt haben. Dies lässt sich der Darstellung des Beschwerdeführers nicht entnehmen. Ohne vollständige Kenntnis der fachgerichtlichen Entscheidungen kann das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen der vermeintlichen Grundrechtsverletzungen nicht prüfen.
Dieser Mangel wird auch nicht durch die verspätete Vorlage der angegriffenen Entscheidungen geheilt. Zwar ist eine spätere Ergänzung der Beschwerdebegründung nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 81, 208 ≪214≫); Voraussetzung ist aber stets, dass bereits bei Fristablauf eine ausreichend begründete und damit zulässige Verfassungsbeschwerde vorlag (vgl. BVerfGE 5, 1 ≪2≫; 12, 319 ≪322≫; 18, 85 ≪89≫; 84, 203 ≪223≫).
3. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, es komme für den Fristbeginn nicht auf die Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung beim Verteidiger an, sondern beim Verurteilten selbst, kann dem rechtlich nicht gefolgt werden.
Maßgeblich für den Beginn der Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde ist die Zustellung oder die formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung (§ 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Nach § 145 a Abs. 1 StPO gilt der Verteidiger als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen. Durch die formlose Übersendung an den Verteidiger begann die Monatsfrist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde zu laufen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 1989 – 2 BvR 247/89 –, juris; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1990 – 2 BvR 1378/90 –, veröffentlicht NJW 1991, S. 2623).
4. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nach § 93 Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Fristsäumnis beruhte hier auf einem Verschulden des Bevollmächtigten, welches nach § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG einem Verschulden des Beschwerdeführers gleichsteht.
a) Der Bevollmächtigte hatte aufgrund des ihm erteilten Auftrags, Verfassungsbeschwerde einzulegen, alles ihm Zumutbare zu tun, damit die Einlegungsfrist gewahrt wird. Dass ihm dies möglich gewesen wäre, belegt der fristgerechte Eingang der – nicht hinreichend begründeten – Verfassungsbeschwerdeschrift. Die Fristversäumung beruht danach nicht auf der fehlenden Benachrichtigung des Beschwerdeführers von der Zustellung der Revisionsentscheidung an seinen Verteidiger, sondern auf – mit der Wiedereinsetzung nicht heilbaren – Versäumnissen bei der Begründung der Beschwerde.
b) Darüber hinaus steht das – durch den Bevollmächtigten eingeräumte – anwaltliche Verschulden beim Fehlschlagen der Benachrichtigung des Beschwerdeführers einer Wiedereinsetzung entgegen.
Beruht die Unkenntnis vom Fristbeginn darauf, dass der Beschwerdeführer seinem Prozessbevollmächtigten im fachgerichtlichen Verfahren die Änderung seiner Anschrift nicht mitgeteilt hat, liegt regelmäßig Verschulden vor (vgl. Umbach/Clemens/Dollinger, a.a.O., § 93 Rn. 54). Dem steht das Verschulden des Bevollmächtigten bei der Mitteilung der neuen Anschrift des Beschwerdeführers an die Fachgerichte gleich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen