Verfahrensgang
VG Wiesbaden (Urteil vom 09.05.2007; Aktenzeichen 6 E 2822/04.A) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 9. Mai 2007 – 6 E 2822/04.A – verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Wiesbaden zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Abweisung einer Klage im Asylfolgeverfahren als offensichtlich unbegründet.
1. Die Beschwerdeführer sind iranische Staatsangehörige. Im Juli 2001 reisten sie erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und suchten um politisches Asyl nach. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wies die Klage im Juli 2003 unter Versagung von Abschiebungsschutz rechtskräftig ab.
2. Am 29. November 2004 stellten die Beschwerdeführer beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundesamt) Anträge auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und Abänderung der negativen Feststellung zu § 53 AuslG – jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG –, die sie mit ihrem exilpolitischen Engagement begründeten. Der Beschwerdeführer zu 1) sei am 30. Oktober 2003, die Beschwerdeführerin zu 2) am 15. Dezember 2003 Mitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Irans (API) geworden. Beide hätten daraufhin als Parteimitglieder regelmäßig an politischen Veranstaltungen und Protestaktionen teilgenommen. Unter anderem habe der Beschwerdeführer zu 1) auf dem Kongress der API in Dortmund vom 11. bis 13. Dezember 2003 eine vierminütige Ansprache gehalten und zweimal dem Fernsehsender „International TV” ein Interview gegeben, nämlich im Anschluss an die Teilnahme am 10. bundesweiten Kongress zur Förderung iranischer Asylsuchender in Köln vom 29. bis 30. Mai 2004 und während des am 18. und 19. September 2004 stattfindenden 5. Kongresses der API in Bochum. Zuletzt habe er am 30. Oktober 2004 an einer Demonstration vor dem iranischen Generalkonsulat und am 6. November 2004 am Jahrestag der sozialistischen Oktoberrevolution in Frankfurt teilgenommen. Die Beschwerdeführerin zu 2) habe an einer Reihe näher bezeichneter Demonstrationen teilgenommen. Sie informiere wöchentlich freitags an einem Informationsstand in der Mensa der Universität Frankfurt über die Lage der Frauen im Iran und habe am 19. Oktober 2004 sowie am 10. November 2004 an iranische Frauen gerichtete Artikel im Internet veröffentlicht, die dazu aufforderten, die islamischen Gesetzgeber zu bekämpfen. Im Rahmen der informatorischen Anhörung beim Bundesamt ergänzte der Beschwerdeführer zu 1), dass er auf dem 5. Kongress der API in Bochum von seinem Ortsverein für das Zentralkomitee vorgeschlagen worden, aber nicht gewählt worden sei. Die Beschwerdeführerin zu 2) gab eine weitere Mitgliedschaft in der Frauenorganisation „Freiheit für Frauen” an.
3. Das Bundesamt lehnte die Anträge mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 ab. Die für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG notwendigen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG seien im Falle der Beschwerdeführer nicht erfüllt. Die von ihnen als Wiederaufnahmegrund vorgetragene exilpolitische Betätigung sei nicht innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis dieses Wiederaufnahmegrundes geltend gemacht worden. Bei einer solchen Betätigung handele es sich um einen sogenannten Dauersachverhalt. Für den Lauf der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sei demnach der Zeitpunkt der Aufnahme des exilpolitischen Engagements maßgeblich, für die Beschwerdeführer also der Zeitpunkt des Eintritts in die API. Die Stellung des Folgeantrags habe daher Anfang 2004 erfolgen können und müssen. Dabei sei es unerheblich, ob einzelne Aktivitäten innerhalb der Ausschlussfrist vorgetragen worden seien, wenn diese, wie hier, qualitativ nicht aus dem Rahmen des bisherigen Engagements fielen. Auch ein Wiederaufgreifen zu § 53 AuslG komme nicht in Frage, da das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt habe, dass Abschiebungshindernisse nicht bestünden und daher ebenfalls die hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen müssten. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 53 AuslG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigten, lägen nicht vor. Aufgrund der nur untergeordneten exilpolitischen Betätigungen für die API sei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen würden. Aktivitäten wie regelmäßige Teilnahme an vielfältigen gegen das iranische Regime gerichteten Demonstrationen, Kundgebungen und sonstigen Protestveranstaltungen im Zusammenhang mit dem Tragen von Plakaten, der Betreuung von Büchertischen und der Verteilung von Flugblättern begründeten nicht die Gefahr politischer Verfolgung, da sie niedrigen Profils seien. Das Gleiche gelte für Radio- und Fernsehinterviews, die, wie mittlerweile üblich, in lokalen Fernsehprogrammen ausgestrahlt würden. Auch lediglich die Erhöhung niedrig profilierter Aktivitäten führe dabei nicht zu einer Qualitätsänderung der Gesamtaktivität. Erheblich sei eine exilpolitische Betätigung nur dann, wenn der Betreffende nach außen erkennbar, persönlich exponiert und regimefeindlich aktiv werde, wobei die Ernsthaftigkeit der politischen Überzeugung, Art, Dauer und Intensität der exilpolitischen Betätigung von Bedeutung seien. Zwar unterlägen Anhänger der API einer besonderen Beobachtung durch den iranischen Nachrichtengeheimdienst, so dass – soweit es sich bei ihnen um Führungspersonen oder Einzelpersonen mit Außenwirkung handele – bei ihrer Rückkehr in den Iran von einer Gefährdung auszugehen sei. Bei den Beschwerdeführern sei jedoch nicht von einer derart exponierten Tätigkeit auszugehen.
4. Mit ihrer dagegen erhobenen Klage begehrten die Beschwerdeführer die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise die des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorlägen. Sie ergänzten und vertieften den Vortrag zu ihrem Engagement. Die Beschwerdeführerin zu 2) führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass sie einem „Organisationskomitee zur Befreiung der Frauen im Iran” angehöre und einer „Gruppierung, die sich gegen die Steinigung im Iran wende”. Der Beschwerdeführer zu 1) gab an, dass er seit kurzem in den Vorstand der API gewählt worden sei, wo seine Zuständigkeit insbesondere die Archivierung und Versendung von Foto- und Filmmaterial umfasse. Zudem habe er sich am 31. März 2007 dem „Zentralrat der Ex-Muslime” angeschlossen. Bei ihrer Rückkehr in den Iran sei in Folge ihrer exilpolitischen Betätigung, insbesondere aufgrund ihrer Veröffentlichungen und ihres öffentlichkeitswirksamen Auftretens, von der Gefahr politischer Verfolgung auszugehen. Mit Blick auf § 51 Abs. 3 VwVfG sei zu bedenken, dass selbst das Bundesamt die Gefahr politischer Verfolgung nicht schon infolge einer reinen Parteimitgliedschaft annehme, sondern verlange, dass sich Personen aus der Masse der Parteimitglieder hervorheben. Deswegen sei es unredlich, zu fordern, bereits die Mitgliedschaft müsse unverzüglich gemeldet werden.
5. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit angegriffenem Urteil vom 9. Mai 2007 als offensichtlich unbegründet ab. Zur vollen, in der mündlichen Verhandlung gewonnenen gerichtlichen Überzeugung stünden den Beschwerdeführern im Asylfolgeverfahren offensichtlich keine Schutzrechte zu. Das Gericht habe die feste Überzeugung, dass sich beide Beschwerdeführer für die Aufnahme von exilpolitischen Aktivitäten entschieden hätten, um ihre Chancen im Verfahren zu erhöhen. Das Bundesamt habe daher die Durchführung von weiteren Asylverfahren zu Recht abgelehnt und darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien. Wegen der weiteren Einzelheiten werde auf den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen. Bei der exilpolitischen Betätigung handele es sich tatsächlich um einen Dauersachverhalt; für den Lauf der Drei-Monats-Frist sei der Beginn der Aktivitäten, hier also der Eintritt in die Partei, maßgeblich. Die Beschwerdeführer seien damit schon durch Verfristung mit ihrem Vorbringen zu § 60 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen. Darüber hinaus kämen auch Schutzrechte nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht in Betracht, weil die exilpolitischen Tätigkeiten der Beschwerdführer nicht ein Niveau erreichten, dessentwegen sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat Iran einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt seien. Eine konkrete Gefährdung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes bei einer Rückkehr in den Iran nur für solche führenden Persönlichkeiten von Oppositionsgruppen gegeben, die öffentlich und öffentlichkeitswirksam, zum Beispiel als Redner oder verantwortliche oder leitende Funktionsträger, in Erscheinung träten und zum Sturz des Regimes aufriefen. Das sei bei den Beschwerdeführern nicht der Fall. Sie hätten einen Bezug zu politischen Gruppierungen im Iran nicht darzulegen vermocht. Auch der Beschwerdeführer zu 1) trete durch die Betreuung des Archivs nicht in einer Weise in den Vordergrund, die ihn nach den vorliegenden Erkenntnissen einer besonderen Gefahr aussetze. Soweit es die behauptete Zugehörigkeit zur Organisation „Zentralrat der Ex-Muslime” betreffe, könne offen bleiben, ob gegenüber einzelnen Personen Drohungen von asylrelevanter Dimension durch den iranischen Staat ausgesprochen würden. Denn jedenfalls habe der Beschwerdeführer zu 1) „nicht dargelegt bzw. glaubhaft gemacht”, dass ihm wegen der Zugehörigkeit zur vorgenannten Organisation eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohe.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts genüge mit Blick auf § 60 Abs. 1 AufenthG nicht der besonderen Begründungspflicht, die im Rahmen von § 78 Abs. 1 AsylVfG für eine qualifizierte Klageabweisung notwendig sei. Das Verwaltungsgericht habe dieser Pflicht auch nicht durch die Bezugnahme auf die kurzen Ausführungen des nicht in der qualifizierten Form nach § 30 AsylVfG ergangenen Behördenbescheids gerecht werden können. Den Entscheidungsgründen könne nicht entnommen werden, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an der Richtigkeit der Einschätzung des Folgeantrags als unerheblich vernünftigerweise keine Zweifel bestehen könnten und sich die Abweisung der Klage geradezu aufdränge. Die Beschwerdeführer hätten vielmehr Tatsachen vorgetragen, die geeignet seien, ein Verfolgungsrisiko auszulösen, und die auch nicht präkludiert gewesen seien. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass Aktivitäten von Asylsuchenden unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Qualitätssprungs inhaltlich zu würdigen seien, auch wenn der zugrunde liegende Dauersachverhalt bereits früher seinen Anfang genommen habe. Hinsichtlich der Frage, ob das Engagement der Beschwerdeführer ein Niveau erreicht habe, dessentwegen ihnen bei einer Rückkehr in den Iran eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohe, sei die Einschätzung des Gerichts jedenfalls nicht zweifelsfrei.
2. Die Hessische Staatskanzlei sowie das Bundesamt haben von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
1. Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen. Sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potentiell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist. Vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (stRspr; etwa BVerfGE 35, 263 ≪274≫; 40, 272 ≪275≫; 67, 43 ≪58≫; 84, 34 ≪49≫). Die in § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG getroffene Regelung, nach der das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, unanfechtbar ist, begegnet daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (zur Anwendbarkeit auch auf Folgeschutzgesuche vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2007 – 2 BvR 1613/07 –; BVerwG, Beschluss vom 6. März 1996 – 9 B 714.95 –, NVwZ-RR 1997, S. 255; Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, § 78 Rn. 11; Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Stand: April 1998, § 78 Rn. 41). Steht, wie in den Fällen des § 78 Abs. 1 AsylVfG, nur eine Instanz zur Verfügung, verstärkt dies jedoch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. BVerfGE 83, 24 ≪31≫; 87, 48 ≪61 f.≫). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (§ 78 Abs. 1 AsylVfG) – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 AsylVfG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt. Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylVfG kommt, warum somit die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist. Die schlichte Behauptung, die Klage sei offensichtlich unbegründet, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht (vgl. BVerfGE 65, 76 ≪95 f.≫; 71, 276 ≪293 f.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 1996 – 2 BvR 2353/95 –, NVwZ-Beil. 2/1997, S. 9; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 1993 – 2 BvR 1869/92 –, InfAuslR 1993, S. 146 ≪148≫, und vom 2. März 1993 – 2 BvR 2075/92 –, NVwZ 1993, S. 769).
Die Entscheidungsgründe müssen die Maßstäbe erkennen lassen, die der Klageabweisung als offensichtlich unbegründet zugrunde liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. November 2000 – 2 BvR 1684/98 –, juris, Rn. 4), und sich nach diesen Maßstäben mit dem Einzelfall auseinandersetzen, wobei die Darlegung besondere Sorgfalt erfordert, wenn das Bundesamt den Asylantrag – wie hier – lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 – 2 BvR 2063/06 –, juris, Rn. 10; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1993 – 2 BvR 1214/93 –, InfAuslR 1994, S. 41 ≪42≫; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 1992 – 2 BvR 1038/90 –, InfAuslR 1992, S. 257 ≪258≫). Dabei darf das Gericht sich nicht mit dem Hinweis begnügen, dass die von ihm gewonnenen Erkenntnisse „eindeutig” oder „evident” seien; denn mit der Verwendung von Ausdrücken, die nichts anderes bedeuten als „offensichtlich”, wird die vom Gesetz geforderte Offensichtlichkeit nicht begründet, sondern nur behauptet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 1990 – 2 BvR 2005/89 –, InfAuslR 1991, S. 89 ≪92≫). Ebensowenig genügt der bloße Verweis auf die „feste” oder „volle” Überzeugung des Gerichts.
Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG gerichtet sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 – 2 BvR 2063/06 –, juris; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. November 2000 – 2 BvR 857/98 –, juris, Rn. 3; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. November 2000 – 2 BvR 1684/98 –, juris, Rn. 3). Auch im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG muss den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen wirksam Rechnung getragen werden.
2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts nicht. Das Gericht legt weder die Maßstäbe für die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet dar noch wendet es solche Maßstäbe in einer den Anforderungen entsprechenden Weise auf den konkreten Fall an. Diesem Mangel hilft auch die Bezugnahme auf den Bundesamtsbescheid nicht ab. Dieser hatte das Asylfolgebegehren gerade nicht als offensichtlich unbegründet, sondern nur als schlicht unbegründet abgelehnt.
a) Hinsichtlich der Dreimonatsfrist des § 51 VwVfG beschränkt sich das Verwaltungsgericht – neben Mutmaßungen zu den Beweggründen der Beschwerdeführer für die Aufnahme ihrer exilpolitischen Aktivitäten – auf die Feststellung, es handele sich um einen Dauersachverhalt, so dass für den Beginn des Fristlaufs die Aufnahme der exilpolitischen Tätigkeit und damit der Eintritt in die API maßgeblich sei. Auf der Hand lag die Nichteinhaltung der Frist hier aber schon deshalb nicht, weil sich bei Dauersachverhalten die Frage stellt, zu welchem Zeitpunkt die Schwelle zur Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten nachträglichen Sachverhaltsänderungen überschritten wurde und ob „Qualitätssprünge” festzustellen sind, die unter Umständen neue Fristläufe in Gang zu setzen vermögen. Wann sich die Entwicklung der Sachlage insgesamt so verdichtet hat, dass von einer entscheidungserheblichen Veränderung auszugehen ist, kann dabei nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl. Thüringer OVG, Urteil vom 6. März 2002 – 3 KO 428/99 –, NVwZ-Beil. I 3/2003, S. 19 ≪20≫; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Mai 1995 – 25 A 2864/95.A –, juris, Rn. 4 f.). Eine solche Einzelfallwürdigung hat das Verwaltungsgericht weder unmittelbar selbst noch mit seiner Bezugnahme auf den Bescheid des Bundesamtes (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) vorgenommen. Abgesehen davon, dass der Bescheid die konkrete Frage lediglich in einem Satz behandelt, greift die Verweisung auf den Bundesamtsbescheid hier auch deshalb zu kurz, weil seit Erlass des Bescheides weiterer Vortrag, etwa zum Eintritt des Beschwerdeführers zu 1) in die Organisation „Zentralrat der Ex-Muslime”, erfolgt war, und bei mehreren selbstständigen Wiederaufgreifensgründen für jeden Grund die Frist eigenständig läuft (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1993 – 9 C 49.92 –, NVwZ 1993, S. 788).
b) Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 7 AufenthG und zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 oder Abs. 5 AufenthG differenziert das Gericht schon nicht zwischen den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG und denen des § 51 Abs. 5 VwVfG in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG, die einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung für den Fall begründen, dass die Frist nach § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nicht gewahrt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 – 9 C 41.99 –, NVwZ 2000, S. 940 ≪941≫). Für keine dieser Alternativen wird deutlich, warum die Voraussetzungen insoweit offensichtlich nicht vorliegen sollen. Das Verwaltungsgericht verkennt zwar nicht, dass öffentlichkeitswirksames exilpolitisches Engagement zu einer konkreten Gefährdung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr in den Iran führen kann, und legt Voraussetzungen dar, unter denen nach seiner Überzeugung von einer solchen Gefährdung auszugehen sei. Weder für diese Voraussetzungen noch erst recht für die vorgenommene Subsumtion mit dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen im Fall der Beschwerdeführer nicht erfüllt seien, wird aber deutlich, worauf sich die Annahme der Offensichtlichkeit stützt. Die bekundete „feste Überzeugung” des Gerichts, dass die Beschwerdeführer ihre exilpolitischen Aktivitäten nur entfaltet hätten, um einen Nachfluchtgrund zu konstruieren, kann diesen Begründungsmangel – auch wenn eine Begründung für die Offensichtlichkeit dieses Sachverhalts gegeben worden wäre – schon deshalb nicht ausgleichen, weil sie an den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorbeigeht.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Die Aufhebung und Zurückverweisung (§ 95 Abs. 2 BVerfGG) ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil deutlich absehbar wäre, dass die Beschwerdeführer auch im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung mit ihrem Begehren letztlich keinen Erfolg haben würden, so dass es an einem schweren Nachteil im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG fehlte (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 2055446 |
NVwZ-RR 2008, 507 |
InfAuslR 2008, 232 |