Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 16.09.1996; Aktenzeichen 2 Ss (OWi) 230/96) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
- Die Beschwerdeführerinnen sind Atomkraftgegnerinnen. Sie wohnen im Kreis Lüchow-Dannenberg, in dem sich ein Lager für radioaktive Abfälle befindet. Aus Anlaß eines Transports von Castor-Behältern mit atomarem Material in dieses Lager war für den 25. April 1995 eine Versammlung geplant, die von der zuständigen Behörde mit einer in der örtlichen Zeitung am 21. April 1995 bekanntgemachten Allgemeinverfügung untersagt wurde. Die Beschwerdeführerinnen nahmen dessen ungeachtet an der Versammlung teil. Sie ketteten sich dabei an die Eisenbahnschienen der Bahnlinie Uelzen-Dannenberg an, die nur noch für Castor-Transporte benutzt wird. Das Versammlungsverbot wurde später vom Verwaltungsgericht wegen unzureichender Gefahrenprognose für rechtswidrig erklärt.
Mit Bußgeldbescheid wurde den Beschwerdeführerinnen wegen Verletzung des Versammlungsgesetzes und der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung eine Geldbuße von 400 DM auferlegt.
Auf ihren Einspruch hin setzte das Amtsgericht wegen einer Ordnungswidrigkeit gegen das Versammlungsgesetz in Tateinheit mit einer Ordnungswidrigkeit gegen die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung eine Geldbuße von 10 DM fest. Das Gericht schloß sich zwar der Auffassung des Verwaltungsgerichts an, daß das Versammlungsverbot rechtswidrig gewesen sei. Auf die Rechtmäßigkeit des Verbots komme es jedoch nicht an, weil der Ungehorsam gegen die vollziehbare behördliche Anordnung bestraft werde. Bei der Festsetzung der Geldbuße habe es einerseits die rechtswidrige vollziehbare Allgemeinverfügung, andererseits das Grundrecht der Beschwerdeführerinnen aus Art. 8 GG berücksichtigt. Verglichen mit den in Straßenverkehrssachen verhängten Geldbußen sei die Geldbuße hier am untersten Rahmen anzusetzen.
Mit den angegriffenen Entscheidungen ließ das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu, faßte den Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils neu und änderte es im Rechtsfolgenausspruch zu einer Geldbuße in Höhe von 500 DM ab.
Das Rechtsmittel sei wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Feststellungen des Amtsgerichts belegten hinreichend einen Verstoß sowohl gegen § 64b Abs. 2 Nr. 1 EBO als auch gegen § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG. Beide Regelungen seien verfassungsrechtlich unbedenklich. Das für vollziehbar erklärte Versammlungsverbot sei auch nicht etwa nichtig gewesen. Ob es anfechtbar gewesen sei, könne offen bleiben. Da die Urteilsgründe sichere Anhaltspunkte für vorsätzliches Handeln lieferten, könne der Senat die vom Amtsgericht unterlassene notwendige Bezeichnung der Schuldform nachholen. Das gelte auch, wenn der Schuldspruch bereits durch die Beschränkung des Rechtsmittels rechtskräftig geworden sei.
Die Rechtsbeschwerde habe Erfolg. Eine Entscheidung in der Sache sei zulässig, weil keine weiteren entscheidungserheblichen Feststellungen zu erwarten seien. Das Amtsgericht sei bei der Bemessung der Geldbuße von einem falschen Bußgeldrahmen ausgegangen. § 64b Abs. 1 und 2 EBO verwiesen nicht mehr auf § 8a AEG, sondern auf § 28 AEG. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 AEG handele ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c AEG zum Schutz der Bahnanlagen zuwider handele, wenn die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweise. Einen solchen Verweis enthalte § 64b Abs. 2 Nr. 1 EBO. Nach § 28 Abs. 2 AEG könne dieser Verstoß bei Vorsatz mit einer Geldbuße bis zu 10.000 DM geahndet werden.
Bei der Bemessung der Geldbuße habe sich das Gericht davon leiten lassen, daß die Ordnungswidrigkeit nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung im Vordergrund stehe und schwer wiege. Der reibungslose Bahnverkehr sei durch die Handlung der Beschwerdeführerinnen gefährlich beeinträchtigt worden. Die Häufigkeit gleichartiger, in den Medien wiederholt dargestellter Verstöße erfordere eine Abschreckung weiterer Täter. Wenn überhaupt ein Verbotsirrtum in Erwägung zu ziehen gewesen wäre, hätte sich dieser ohne weiteres vermeiden lassen.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts habe das Oberlandesgericht den Entscheidungen zugrundelegen müssen, daß das Versammlungsverbot rechtswidrig gewesen sei. Der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz habe daher bei Berücksichtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht geahndet werden dürfen. Die mangelnde Beachtung des Grundrechts durch das Oberlandesgericht habe sich in der Auferlegung eines erheblich höheren Bußgeldes ausgewirkt.
Ihrem gesetzlichen Richter seien sie dadurch entzogen worden, daß das Oberlandesgericht in der Sache selbst entschieden habe. Zwar könne das Beschwerdegericht unter bestimmten Voraussetzungen in der Sache selbst entscheiden. Das gelte aber nur, wenn keine neuen tatsächlichen Feststellungen zugrundegelegt würden. Gegen diesen Grundsatz habe das Oberlandesgericht verstoßen. Der in den Vordergrund gerückte Zumessungsgesichtspunkt, wonach der Bahnverkehr gefährlich beeinträchtigt worden sei, finde in den Feststellungen des Amtsgerichts keine Stütze. Das Oberlandesgericht habe auch von sich aus nicht Medienberichte zur Erhöhung des Bußgeldes heranziehen können. In Überschreitung seiner Befugnisse habe es ferner die Schuldform eigenmächtig bestimmt. In diesem Zusammenhang sei überdies die Prüfung unterlassen worden, ob das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht das kurzfristige Verweilen auf den Schienen gedeckt habe. Schließlich habe das Oberlandesgericht auch nicht selbst entscheiden dürfen, ob die Beschwerdeführerinnen nicht einem rechtlich relevanten Irrtum unterlegen hätten.
Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil sie sich zu den in der Beschlußbegründung vorgebrachten neuen Strafzumessungstatsachen nicht hätten äußern können. Die Staatsanwaltschaft habe ihren höheren Verurteilungsantrag lediglich mit generalpräventiven Gesichtspunkten begründet. Im Falle ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs hätten sie vorgetragen, daß die Bahnstrecke Uelzen-Dannenberg seit Jahren stillgelegt sei. Von der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung hätten sie keine Kenntnis gehabt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Ihnen kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihnen aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auch nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführerinnen geltend gemachten Rechte angezeigt. Ihnen entsteht durch die Versagung der Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil.
Zwar ist es mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit unvereinbar, daß das Oberlandesgericht einen Verstoß der Beschwerdeführerinnen gegen § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG angenommen hat, ohne zu berücksichtigen, ob das Versammlungsverbot rechtmäßig war. Insoweit gelten die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1992 (BVerfGE 87, 399 ≪406 ff.≫) dargelegten Grundsätze.
Die Verletzung von Art. 8 Abs. 1 GG wirkt sich für die Beschwerdeführerinnen aber nicht besonders schwer aus, weil das Oberlandesgericht die Verurteilung außerdem auf die eisenbahnrechtlichen Vorschriften von § 64b Abs. 2 Nr. 1 EBO und § 28 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 AEG gestützt und den Verstoß gegen diese als schwerwiegend eingestuft und bei der Zumessung des Bußgelds in den Vordergrund gerückt hat. Insoweit begegnet die Entscheidung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird durch die genannten Vorschriften in verfassungsmäßiger Weise eingeschränkt. Bei ihrer Auslegung und Anwendung ist Art. 8 Abs. 1 GG nicht verkannt worden. Da sie sich im Unterschied zu § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG nicht speziell auf ein Verhalten im Zusammenhang mit verbotenen Versammlungen beziehen, sondern einer generell bestehenden Gefahr entgegenwirken, hängt ihre Anwendung auch nicht von der Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots ab. Das Oberlandesgericht konnte auch in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise davon ausgehen, daß sich die Beschwerdeführerinnen nicht darauf berufen konnten, die von ihnen blockierten Bahnanlagen seien stillgelegt und würden nur noch gelegentlich für Castor-Transporte benutzt. Am Tag der Blockade wurde auf der Strecke ein die Castor-Behälter transportierender Zug erwartet, auf dessen Blockade es den Beschwerdeführerinnen nach eigenem Bekunden gerade ankam. Angesichts der beträchtlichen Gefahr, denen die eisenbahnrechtlichen Vorschriften begegnen wollen, verlangt Art. 8 Abs. 1 GG auch nicht, daß ihre Anwendung bei einer kurzen Verweildauer auf den Bahnanlagen zu Blockadezwecken unterbleibt.
Für eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG ist nichts hervorgetreten. Insoweit wird auf eine weitere Begründung verzichtet (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen