Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheit. Dienstliche Äußerung des Richters Jentsch vom 8. Juni 2000 gemäß § 19 Abs. 3 BVerfGG
Beteiligte
Hessische Landesregierung |
a) Prof. Dr. Konrad Redeker |
b) Prof. Dr. Gunter Widmaier |
Tenor
Der von dem Richter Jentsch mit dienst-licher Äußerung vom 8. Juni 2000 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Gründe
I.
1. a) Das Wahlprüfungsgericht beim Hessischen Landtag, besetzt mit dem Präsidenten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs als Vorsitzendem, der Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main als weiterem Mitglied sowie drei Abgeordneten des Hessischen Landtags als vom Landtag gewählten Mitgliedern, hat durch Beschluss vom 3. März 2000 das ordentliche Wahlprüfungsverfahren betreffend die Landtagswahl vom 7. Februar 1999 mit der Begründung wieder aufgenommen, es halte die bekannt gewordene Mitfinanzierung des Landtagswahlkampfs des CDU-Landesverbands Hessen durch den Einsatz von entgegen dem Parteiengesetz nicht deklariertem Auslandsvermögen der CDU für sittenwidrig. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass durch diese sittenwidrigen Handlungen das Ergebnis der Landtagswahl mandatsrelevant beeinflusst worden sein könnte.
b) Die Hessische Landesregierung hat mit Schriftsatz vom 29. Mai 2000 beantragt festzustellen, dass die Regelungen für die Prüfung der Wahlen zum Hessischen Landtag mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig sind, soweit in ihnen bestimmt ist, dass gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen, die Wahl im Falle der Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl ungültig machen, und dass das Wahlprüfungsgericht neben den beiden höchsten Richtern des Landes mit drei vom Landtag gewählten Abgeordneten besetzt ist und seine Entscheidungen durch Urteil trifft, das mit seiner Verkündung rechtskräftig wird.
2. Der Richter Jentsch hat dem Zweiten Senat unter dem 8. Juni 2000 die folgende dienstliche Äußerung übermittelt:
„Ich gebe dem Senat Kenntnis davon, dass Herr Manfred Kanther, auch mit meinem Einverständnis, seit Mai 1999 seinen Beruf als Rechtsanwalt in der von mir begründeten Rechtsanwaltspraxis mit Sitz in Wiesbaden ausübt. Der Name der Rechtsanwaltspraxis lautet seitdem:
J., P., W., K. – Anwaltskanzlei und Notar. Auf Briefbögen und Vollmachtformularen der Praxis ist meinem Namen folgender Zusatz zugeordnet: Zulassungen ruhen gemäß § 104 BVerfGG.
Seit meiner Ernennung zum Richter des Bundesverfassungsgerichts bin ich am wirtschaftlichen Ergebnis der Rechtsanwaltskanzlei nicht mehr beteiligt. Rechte und Pflichten aus dem Gesellschafterverhältnis übe ich seither nicht aus, mit Ausnahme einer Mitwirkung an solchen Entscheidungen, die für die Praxis und ihren Bestand von grundlegender Bedeutung sind, wie die Aufnahme weiterer Rechtsanwälte.
Da ich nicht ausschließen kann, dass dieser Sachverhalt zum Anlass genommen wird, meine Unbefangenheit in diesem Verfahren in Frage zu stellen, beantrage ich eine Entscheidung des Senats gemäß § 19 Abs. 3 BVerfGG (vgl. BVerfGE 88, 17 ≪22≫).”
3. Dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem Hessischen Landtag und dem Wahlprüfungsgericht beim Hessischen Landtag sowie den Bevollmächtigten der Antragstellerin ist die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Antragstellerin hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
II.
1. Bei der dienstlichen Äußerung des Richters Jentsch handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 19 Abs. 3 BVerfGG. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (vgl. BVerfGE 88, 1 ≪3≫; 88, 17 ≪22≫; 98, 134 ≪137≫; 101, 46 ≪50≫). Die mitgeteilten Umstände geben zu einer Senatsentscheidung gemäß § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 BVerfGG über die Besorgnis der Befangenheit des Richters Jentsch Anlass.
2. Der von dem Richter Jentsch mit dienstlicher Äußerung vom 8. Juni 2000 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, der geeignet wäre, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Jentsch auszulösen.
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 88, 17 ≪22 f.≫; 99, 51 ≪56≫; 101, 46 ≪50 f.≫).
Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG kann nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und 3 BVerfGG einen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts nicht rechtfertigen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade auf diese Gründe dennoch eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Es muss etwas Zusätzliches gegeben sein, das über die in § 18 Abs. 2 und 3 BVerfGG genannten Umstände hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl. BVerfGE 88, 17 ≪23≫).
b) Hieran gemessen vermag die Tatsache, dass in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis Herr Manfred Kanther unter den in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Bedingungen seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu stützen. Schon die Schwelle, die § 18 Abs. 2 BVerfGG für einen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts errichtet, ist hier nicht berührt.
Nach § 18 Abs. 2 BVerfGG ist ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht mit der Folge eines Ausschlusses von der Ausübung seines Richteramts am Verfahren im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG „beteiligt”, wenn er „auf Grund … seines Berufs … oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist”. Der von Richter Jentsch angezeigte Sachverhalt liegt deutlich unter dieser Schwelle.
Allein auf Grund seines Berufs als Rechtsanwalt ist Richter Jentsch, zumal die Rechte aus der Zulassung gemäß § 104 Abs. 1 BVerfGG ruhen, nicht am Ausgang des Verfahrens im Sinne des § 18 Abs. 2 BVerfGG interessiert. Anhaltspunkte für ein Interesse am Ausgang des Verfahrens von Berufs wegen oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt lassen sich auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltspraxis mit dessen Einverständnis Herr Kanther nicht nur seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, sondern diese Praxis sowohl die Namen von Herrn Kanther als auch von Richter Jentsch – bei letzterem mit dem Hinweis auf das Ruhen der Rechte aus der Zulassung gemäß § 104 BVerfGG – führt. Dass Herr Kanther früher Landesvorsitzender der CDU Hessens war, und dass während seiner Amtszeit nicht deklariertes Vermögen der CDU ins Ausland transferiert, dieses Vermögen teilweise zur Finanzierung des Wahlkampfs zur letzten Landtagswahl in Hessen eingesetzt worden sein soll und das hessische Wahlprüfungsgericht diese Mitfinanzierung des Wahlkampfs möglicherweise für sittenwidrig hält, sind im Verhältnis zur Ausübung des Richteramts durch Richter Jentsch im vorliegenden Verfahren so entfernte Gesichtspunkte, dass von einem Interesse im Sinne des § 18 Abs. 2 BVerfGG nicht gesprochen werden kann. Denn das zur Entscheidung anstehende verfassungsgerichtliche Verfahren hat nicht die Rechtmäßigkeit des Finanzgebarens der hessischen CDU zum Gegenstand, sondern die Verfassungsgemäßheit der personellen Zusammensetzung des hessischen Wahlprüfungsgerichts sowie von Teilen des ihm vorgegebenen Prüfungsmaßstabs und der sofortigen Rechtskraft seiner Urteile.
c) Andere als die bisher geprüften Umstände sind nicht geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Jentsch zu begründen. Bei einem Erfolg des Antrags könnte Herr Kanther zwar der Sache nach als rehabilitiert erscheinen; der Ausgang des Verfahrens könnte das Ansehen und den wirtschaftlichen Wert der Rechtsanwaltskanzlei betreffen und daher die ökonomischen In-teressen des Richters Jentsch vornehmlich für die Zeit nach seinem Ausscheiden als Bundesverfassungsrichter berühren. Bei vernünftiger Würdigung aus dem hier maßgeblichen Blickwinkel der in einem abstrakten Normenkontrollverfahren beteiligten Staatsorgane rechtfertigen solche möglichen mittelbaren Folgewirkungen einer anstehenden Entscheidung aber noch nicht die Besorgnis, der Richter Jentsch sei in Bezug auf den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens befangen (vgl. hierzu BVerfGE 101, 46 ≪53≫).
III.
Diese Entscheidung ist mit vier gegen zwei Stimmen ergangen.
Unterschriften
Limbach, Sommer, Hassemer, Broß, Osterloh, Di Fabio
Fundstellen
Haufe-Index 565286 |
BVerfGE, 192 |
NJW 2000, 2808 |