Verfahrensgang
BayObLG (Beschluss vom 10.10.2002; Aktenzeichen 1 St RR 132/02) |
LG Kempten (Urteil vom 04.06.2002; Aktenzeichen 4 Ns 211 Js 21631/00) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung.
1. Der Beschwerdeführer war im Jahre 2000 Kreisvorsitzender des Kreisverbandes Kempten/Oberallgäu der Partei „Die Republikaner”. Im Zusammenhang mit einem Parteitag der Republikaner im November 2000 in Winnenden bei Stuttgart, an dem der Beschwerdeführer teilnahm, kam es zu massiven Protesten politischer Gegner. Zuvor, im Oktober 2000, hatte Dr. F., der damalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in Winnenden zum Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und gegen Gewalt aufgerufen.
Der Beschwerdeführer verfasste unter dem 20. November 2000 eine Pressemeldung, in der unter anderem folgende Angaben enthalten sind:
Natürlich fehlte bei diesem Theater der „Zigeunerjude” F. auch nicht, der wieder in gewohnter Weise mit tiefem Hass und voller Inbrunst sein Gift gegen die Republikaner und alles was deutsch und rechts ist, ausspritzte.
2. Nach Aufhebung eines freisprechenden Urteils des Landgerichts Kempten/Allgäu durch das Bayerische Oberste Landesgerichts und Zurückverweisung verurteilte eine andere Strafkammer des Landgerichts Kempten/Allgäu den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 EUR. Es hat den Ausdruck „Zigeunerjude” dahingehend gedeutet, dass er nach dem Verständnis eines unbefangenen verständigen Dritten nur als Schmähung des betroffenen Dr. F. verstanden werden könne. Dies ergebe sich aus der Kombination der Wortbestandteile „Zigeuner” und „Jude”, die dem heutigen Sprachgebrauch fremd sei. In der Zeit des Nationalsozialismus seien beide Gruppen jedoch als sozial und rassisch minderwertig angesehen worden und Gegenstand verbrecherischer Verfolgung gewesen. Bei der Deutung im Kontext der Äußerung sei auch zu berücksichtigen, dass sie durch den Kreisvorsitzenden einer Partei formuliert worden sei, die von weiten Teilen der Bevölkerung als Partei mit rechtsextremer Zielrichtung angesehen werde. Die Benutzung des Wortes „Zigeunerjude” dränge danach den Eindruck auf, dass auf Maßstäbe aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgegriffen werde, zumal der Geschädigte Dr. F. in der Pressemeldung als eine Person dargestellt werde, die „Gift … ausspritze” gegen alles, was „deutsch und rechts” ist. Die Äußerung stelle eine Schmähkritik dar, weil ihr absolut im Vordergrund stehender Zweck die Herabsetzung von Dr. F. sei. Eine sachliche Auseinandersetzung lasse sich dem Schreiben des Beschwerdeführers weder in Bezug auf Fragen im Zusammenhang mit Juden oder Sinti und Roma noch mit einer durch den Beschwerdeführer zur Rechtfertigung der Wortwahl geltend gemachten gesteigerten Reisetätigkeit von Dr. F. entnehmen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Beschwerdeführers hat das Bayerische Oberste Landesgericht als unbegründet verworfen.
3. Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 3 GG und 5 Abs. 1 GG. Das Landgericht habe unter Verletzung der dem Beschwerdeführer zukommenden Meinungsfreiheit bei der Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt, dass seine Äußerung sich auf eine Instrumentalisierung seines Judentums durch Dr. F. bezogen habe. Gleichheitsrechte des Beschwerdeführers (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, letzte Alternative GG) seien dadurch verletzt, dass das Landgericht bei der Deutung auf die Parteizugehörigkeit des Beschwerdeführers abgestellt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Der Beschwerdeführer wird durch das Urteil des Landgerichts nicht in seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) oder in seinem Gleichheitsrecht (Art. 3 Abs. 3 GG) verletzt.
a) Die inkriminierte Äußerung fällt in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie ist durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteil anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 ≪138 f.≫; 93, 266 ≪289≫; stRspr).
Das nicht vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet eine Schranke unter anderem in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die ehrschützende Bestimmung des § 185 StGB gehört, die Grundlage der Verurteilung des Beschwerdeführers geworden ist. Die Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht die wertsetzende Bedeutung des Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; 93, 266 ≪292≫; stRspr).
aa) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob die Äußerung Rechtsgüter verletzt, ist die Ermittlung ihres objektiven Sinnes. Maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫). Dabei ist vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Empfänger erkennbar sind.
bb) Ist eine Rechtsgüterverletzung durch die Äußerung festzustellen, bedarf es regelmäßig einer Abwägung der durch die solchermaßen ermittelte Äußerung beiderseits betroffenen Interessen, nämlich einerseits der Meinungsfreiheit des sich Äußernden und vorliegend andererseits des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des durch eine Äußerung Betroffenen. Eine solche Abwägung entfällt allerdings, wenn es sich um Schmähkritik handelt (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪294≫). Wenn bei einer wertenden Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung hinter das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪283 f.≫; 85, 1 ≪16≫; 93, 266 ≪294≫).
b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung gerecht.
aa) Das Landgericht hat für die Deutung der Äußerung insbesondere auf die Kombination der beiden Wortbestandteile des angegriffenen Wortes „Zigeunerjude” abgestellt. Verfassungsrechtlich ist nicht zu beanstanden, dass es in der Wahl des kombinierten Begriffs „Zigeunerjude” eine an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch erinnernde, auf Ausgrenzung und menschenverachtende Herabwürdiung der Roma und Sinti sowie der Juden zielende Äußerung erblickt hat. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war es dem Landgericht verfassungsrechtlich nicht verwehrt, bei der Erfassung des Sinns der Äußerung ihren Kontext zu berücksichtigen, darunter auch den Umstand, dass die Äußerung durch ein Mitglied der rechtsextremen Partei der „Republikaner” für eine Presseerklärung dieser Partei verfasst worden ist.
Das Landgericht hat seine Einschätzung des Sinns der Äußerung auch auf den Kontext in der Pressemeldung gestützt. Dem Leser dränge sich der Eindruck auf, dass in der Erklärung auf Bewertungsmaßstäbe aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgegriffen werde, wenn der Begriff „Zigeunerjude” auf eine Person bezogen werde, die angeblich „in gewohnter Weise mit tiefem Hass und Inbrunst sein Gift gegen die Republikaner und alles was deutsch und rechts ist” ausspritze.
bb) Andere nachvollziehbare Deutungen der Äußerung sind nicht erkennbar. Auch der Beschwerdeführer selbst zeigt sie nicht auf. Das Gericht braucht nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪296≫). Die von dem Beschwerdeführer im Verfahren angegebene Bedeutung, wonach er auf eine starke Reisetätigkeit des Dr. F. habe hinweisen wollen, durfte das Gericht angesichts des Fehlens jeglichen Bezugs der Äußerung und ihres Kontextes zu Reisen des Geschädigten als absolut fernliegend ansehen.
cc) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die angegriffene Äußerung „Zigeunerjude” als Schmähung eingeordnet hat. Es hat dabei berücksichtigt, dass eine herabsetzende Äußerung erst dann als Schmähkritik angesehen werden kann, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
dd) Für eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) ist nichts dargetan. Der Beschwerdeführer ist nicht wegen seiner politischen Anschauungen, sondern wegen einer Schmähung verurteilt worden.
2. Die Verfassungsbeschwerde hat keine eigenständige Verletzung grundrechtlicher Gewährleistungen durch den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts aufgezeigt. Diese das Urteil des Landgerichts bestätigende Entscheidung ist verfassungsrechtlich gleichfalls nicht zu beanstanden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1979237 |
ZUM-RD 2006, 127 |
BayVBl. 2006, 15 |
NPA 2006 |