Verfahrensgang
OLG Bamberg (Beschluss vom 28.05.2010; Aktenzeichen 3 Ss OWi 200/2010) |
AG Erlangen (Urteil vom 26.10.2009; Aktenzeichen 6 OWi 915 Js 145052/09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 26. Oktober 2009 wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes bei einer Geschwindigkeit von 137 km/h um weniger als 4/10 des halben Tachowertes zu einer Geldbuße von 360 Euro verurteilt. Die Abstandsmessung sei durch eine geeichte Anlage erfolgt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei die dabei angefertigte Videoaufzeichnung verwertbar. Zwar seien über einen gewissen Zeitraum Aufnahmen des fließenden Verkehrs von einer Brücke aus angefertigt worden, das Gericht habe diese „Übersichtsaufnahmen” aber in Augenschein genommen und festgestellt, dass weder Fahrer noch amtliche Kennzeichen der Fahrzeuge zu erkennen seien, so dass kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Fahrzeugführer vorliege. Der Polizeibeamte, der die Messung durchgeführt habe, habe als Zeuge ausgesagt, dass er eine weitere, am Fahrbahnrand angebrachte Videokamera nur beim Verdacht eines Abstandsverstoßes aktiviert habe. Auf diesen Aufnahmen seien der Fahrer und das Kennzeichen deutlich zu erkennen. Sobald das betreffende Fahrzeug die Messstrecke passiert hätte, sei die Kamera am Fahrbahnrand wieder ausgeschaltet worden.
2. Das Oberlandesgericht Bamberg verwarf die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 28. Mai 2010 als unbegründet. Es verwies in den Gründen auf eine Entscheidung vom 16. November 2009 (Az.: 2 Ss OWi 1215/09, NJW 2010, S. 100 f.). Darin sei geklärt worden, dass das angewendete Messverfahren auf § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG gestützt werden könne. Es sei dadurch gekennzeichnet, dass die Identifizierungskamera nur anlassbedingt aktiviert werde, wenn der Verdacht eines Verkehrsverstosses bestehe. Dass dieser erst im Nachhinein, durch die Auswertung der Aufzeichnungen, bestätigt oder entkräftet werde, sei ohne Belang. Es sei auch unerheblich, ob durch besondere Nachbearbeitung der Aufnahmen, die durch die beiden auf der Brücke befindlichen Kameras angefertigt worden seien, mit technischen Mitteln Kennzeichen und Gesicht der Fahrer erkennbar gemacht werden könnten, was fraglich sei. Dies sei im regulären Arbeitsablauf nicht vorgesehen. Die Tatsache, dass mittels einer dritten Kamera verdachtsabhängig Aufnahmen angefertigt würden, um Fahrzeug und Fahrer zu identifizieren, zeige, dass die „Übersichtsaufnahmen” nach dem Verwendungskontext eine Identifizierung nicht ermöglichen sollten und könnten. Selbst wenn dem nicht gefolgt würde, folge aus dem Beweiserhebungsverbot noch kein Beweisverwertungsverbot. Nach ständiger verfassungsgerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung sei dies nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften auch dazu führe, dass diese nicht zu Lasten des Betroffenen verwendet werden dürften, sei dem Strafverfahrensrecht fremd. Vorliegend sei die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zu berücksichtigen sowie das Gewicht des Verkehrsverstoßes im Einzelfall. Eine etwaiger Verfahrensverstoß durch eine dauerhafte Videoaufzeichnung sei weder eine bewusste Gesetzesverletzung noch objektiv willkürlich. Dies gelte umso mehr, als eine Identifizierung anhand der „Übersichtsaufnahmen” nach den Feststellungen des Amtsgerichts weder möglich noch beabsichtigt sei. Die Intensität eines etwaigen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – soweit diese überhaupt bejaht werden könne – sei daher auf ein Minimum reduziert. Die Daten beträfen zudem weder den Kernbereich privater Lebensgestaltung noch die engere Privatsphäre, sondern die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr. Die verfahrensgegenständlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten hätten ohne weiteres auch durch andere rechtmäßige Eingriffsmaßnahmen festgestellt werden können.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vor allem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Bedeutung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Er macht geltend, dass § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden könne, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Dies gelte erst recht für die Übersichtsaufnahmen, deren Anfertigung ebenfalls Eingriffsqualität zukomme. Die Befugnis greife nur bei der Herstellung von Bildaufnahmen zu Observationszwecken, nicht dagegen bei der Fertigung von Lichtbildern zur Beweissicherung und Auswertung. Außerdem sei die Einschätzung des Messbeamten nicht ausreichend, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Anfangsverdacht annehmen zu können.
Mangels gesetzlicher Rechtfertigung für den Eingriff sei das Grundrecht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung daher verletzt. Daraus folge ein Beweisverwertungsverbot. Es liege eine verdeckte Datenerhebung in großem Umfang vor. Aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs folge aus dem Erhebungs- ein Verwertungsverbot.
Weiterhin macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 sowie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG geltend.
III.
Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG rügt. Es fehlt insofern an einer Begründung, die den in § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG normierten Anforderungen genügt. Zu diesen Erfordernissen zählt auch die Darlegung, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (BVerfGE 99, 84 ≪87≫), die in Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsfrage bereits entschieden hat, auf Grundlage der entsprechenden Rechtsprechung und der darin gebildeten Maßstäbe vorzunehmen ist (BVerfGE 77, 170 ≪214 ff.≫; 79, 292 ≪301≫; 99, 84 ≪87≫). Der Beschwerdeführer hat eine Verletzung der genannten Grundrechte lediglich behauptet und nicht näher substantiiert.
2. Im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht festzustellen.
a) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das seine Träger gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen individualisierten oder individualisierbaren Daten schützt (BVerfGE 103, 21 ≪33≫ stRspr), ist der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit genügt und verhältnismäßig ist (BVerfGE 65, 1 ≪43 f.≫ stRspr). Das Oberlandesgericht hat als Rechtsgrundlage § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen. Die Norm erlaubt die Anfertigung von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert wäre. Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung wurden weder vom Beschwerdeführer vorgebracht noch sind solche sonst ersichtlich (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 22. Februar 2010 – 1 Ss [OWi] 23 Z/10 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 Ss 1525/09 –, DAR 2010, S. 148 f.; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Januar 2010 – 1 Ss 291/09 –, NJW 2010, S. 1093 f., jeweils m.w.N.).
b) Die Auslegung und Anwendung des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG durch die Fachgerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts kann nicht festgestellt werden.
aa) Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Die fachgerichtliche Rechtsprechung unterliegt jedoch nicht der unbeschränkten verfassungsgerichtlichen Nachprüfung (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Eine umfassende Kontrolle der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts findet nicht statt. Das Bundesverfassungsgericht überprüft – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur, ob die angefochtenen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 101, 361 ≪388≫; 106, 28 ≪45≫).
bb) Ein derartiger Verstoß gegen Grundrechte wurde vom Beschwerdeführer nicht plausibel geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Er rügt lediglich die fehlerhafte Anwendung der einfachgesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG. Die obergerichtliche Rechtsprechung zieht diese Regelung überwiegend als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr heran, wenn der Verdacht eines Verkehrsverstoßes gegeben ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2010 – 5 RBs 13/10 –, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 24. Februar 2010, – 2 Ss [OWi] 6/10 I 19/10 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 Ss 1525/09 –, DAR 2010, S. 148 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 16. November 2009 – 2 Ss OWi 1215/09 –, NJW 2010, S. 100 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Oktober 2009 – 4 Ss OWi 800/09 –, juris; vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 3 Ss OWi 206/10 –, juris; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 22. Februar 2010 – 1 Ss [OWi] 23 Z/10 –, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Januar 2010 – 1 Ss 291/09 –, NJW 2010, S. 1093 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 2 Ss OWi 1169/09 –, juris; a.A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Februar 2010 – IV-3 RBs 8/10 –, DAR 2010, S. 213 ff.). Dem folgen Teile der Literatur (vgl. Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59 Rn. 143, 145a; Krenberger, NJ 2009, S. 481; Krumm, NZV 2009, S. 620 ≪621≫; König/Seitz, DAR 2010, S. 361 ≪368 f.≫; a.A. Elsner, DAR 2010, S. 164 ff.; Niehaus, DAR 2009, S. 632 ≪634≫; Roggan, NJW 2010, S. 1042 ≪1044≫).
(1) Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass bei Anfertigung von Bildaufnahmen mittels der Identifizierungskamera ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 –, NJW 2009, S. 3293 f.). Als Rechtsgrundlage hat es § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen und ausgeführt, dass diese Eingriffsbefugnis Video- und Filmaufnahmen zur Erforschung des Sachverhalts sowie zu Ermittlungszwecken ermöglicht, ohne auf Observationszwecke beschränkt zu sein (ebenso OLG Rostock, Beschluss vom 24. Februar 2010, – 2 Ss [OWi] 6/10 I 19/10 –, juris; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 22. Februar 2010 – 1 Ss [OWi] 23 Z/10 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 Ss 1525/09 –, DAR 2010, S. 148 f.; Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59 Rn. 143, 145a). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, der mit einer Auffassung in der Rechtsprechung und in der Literatur eine Beschränkung dieser Befugnis auf die Anfertigung von Bildaufnahmen zu Observationszwecken befürwortet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Februar 2010 – IV-3 RBs 8/10 –, DAR 2010, S. 213 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 100h, Rn. 1; Wolter, in: SK StPO, § 100h Rn. 4 [April 2009]), hat das Oberlandesgericht dadurch den Schutzbereich von Grundrechten nicht verkannt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt. Die Heranziehung dieser Befugnisnorm begegnet nicht nur im Hinblick auf die Anfertigung von Einzelaufnahmen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris), sondern auch hinsichtlich von Videoaufnahmen. Es handelt sich um eine Frage der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen ist. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot, der voraussetzen würde, dass diese Rechtsauffassung unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 –, NJW 2009, S. 3293 ff.), ist nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt auch für die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass eine verdachtsabhängige Anfertigung von Bildaufnahmen stattgefunden hat und dass auch die weiteren Voraussetzungen der Rechtsgrundlage vorliegen.
(2) Die angefochtenen Entscheidungen lassen auch keine unverhältnismäßige Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten erkennen. Zweck derartiger Maßnahmen ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit – angesichts des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsübertretungen – der Schutz von Rechtsgütern mit ausreichendem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 1996 – 2 BvR 616/91 –, NJW 1996, S. 1809 f.). Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht auch in Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 –, NJW 2002, S. 2378 ≪2380≫). Die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Durchgreifende Zweifel an der Erforderlichkeit sind nicht ersichtlich. Die fachgerichtliche Rechtsprechung geht nachvollziehbar davon aus, dass aufgrund der Eigenart des fließenden Verkehrs keine weniger belastende Maßnahme in Betracht kommt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2010 – 5 RBs 13/10 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. März 2010 – 1 SsBs 23/10 –, juris). Der Beschwerdeführer hat auch keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass die mit der konkreten Maßnahme verbundenen Eingriffe außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich einerseits um verdeckte Datenerhebungen handelt, was regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität führt (vgl. BVerfGE 107, 299 ≪321≫; 115, 166 ≪194≫; 115, 320 ≪353≫), dass aber anderseits nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet werden, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind, so dass das Gewicht des Eingriffs für den Einzelnen reduziert ist (vgl. BVerfGE 120, 378 ≪404≫). Die Maßnahme zielt nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben haben, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes besteht (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪353≫; 113, 348 ≪383≫; 120, 378 ≪430 f.≫). Andere Personen dürfen gemäß § 100h Abs. 3 StPO nur betroffen sein, wenn dies unvermeidbar ist. Nach den Darlegungen des Oberlandesgerichts beschränken sich die jeweiligen Videoaufnahmen nur auf wenige Sekunden. Einschüchterungseffekte und eine Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten sind nicht zu erwarten (vgl. BVerfGE 120, 378 ≪430≫). Vielmehr zielt die Verkehrsüberwachung lediglich auf die Einhaltung der aus Gründen der Verkehrssicherheit erlassenen Abstands- und Geschwindigkeitsregelungen. Schließlich entfaltet die Maßnahme über die Ahndung der Verkehrsordnungswidrigkeit hinaus grundsätzlich keine belastenden Wirkungen für den Betroffenen. Im Übrigen enthält § 101 StPO grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften über die Benachrichtigung, Kennzeichnung und Löschung von Daten (vgl. auch Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59 Rn. 145a). Es bestehen daher im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
c) Soweit das Oberlandesgericht auch die Anfertigung der Übersichtsaufnahmen für zulässig gehalten hat, ist ebenfalls kein Verfassungsverstoß gegeben.
Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten schützt (vgl. BVerfGE 103, 21 ≪33≫ stRspr), liegt vor, soweit Kennzeichen von Kraftfahrzeugen (vgl. BVerfGE 120, 378 ≪400 f.≫) oder Fahrzeuginsassen (vgl. BVerfGK 10, 330 ≪336≫) durch die Anfertigung von Bildaufnahmen identifizierbar aufgezeichnet werden. Maßgeblich ist dabei auch, ob sich mit Blick auf den durch den jeweiligen Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das Interesse an den Daten bereits so verdichtet hat, dass bei einer Gesamtbetrachtung ein Betroffensein in einer den Grundrechtsschutz auslösenden Qualität zu bejahen ist (BVerfGE 120, 378 ≪398≫; m.w.N.). Begründet dagegen eine Datenerfassung keinen Gefährdungstatbestand, fehlt es an der Eingriffsqualität (vgl. BVerfGE 120, 378 ≪399≫).
Das Oberlandesgericht hat unter Zugrundelegung dieser Grundsätze und in Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. März 2010 – IV-1 RBs 23/10, 1 RBs 23/10 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2010 – 5 RBs 13/10 –, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 24. Februar 2010 – 2 Ss [OWi] 6/10 I 19/10 –, juris) einen Grundrechtseingriff verneint. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Erlangen war eine Identifizierung der Fahrer oder der Kennzeichen anhand der dauerhaft angefertigten Übersichtsaufnahmen nicht möglich. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht zutreffend auf die konkrete Zweckbestimmung und den Verwertungskontext abgestellt. Die Individualisierung eines Betroffenen erfolgt gerade nicht durch eine vom Beschwerdeführer nur als abstrakte Möglichkeit in den Raum gestellte technische Bearbeitung dieser Aufnahmen, sondern durch die verdachtsabhängige Anfertigung von Bildaufnahmen mittels einer Fahrbahnkamera, auf der Grundlage von § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
ZAP 2010, 880 |
DÖV 2010, 941 |
DAR 2010, 574 |
DuD 2010, 788 |
KomVerw/LSA 2011, 218 |
NJW-Spezial 2010, 586 |
NPA 2012 |
StRR 2010, 395 |
VRR 2010, 394 |
FuBW 2011, 414 |
FuHe 2011, 432 |
GreifRecht 2011, 4 |
KomVerw/MV 2011, 217 |
KomVerw/S 2011, 218 |
KomVerw/T 2011, 220 |