Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz
Beteiligte
Rechtsanwalt Dr. Wolfhart E. Burdenski |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Ablehnung von Leistungen der Hinterbliebenenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis zum 28. Juli 1995.
I.
Der Beschwerdeführer zu 1. war ab Mai 1984 als Soldat der Bundeswehr auf Sardinien stationiert. Dort lebte er mit seiner Ehefrau, seiner Tochter (der Beschwerdeführerin zu 2.) und seinem inzwischen verstorbenen Sohn. Im September 1986 wurde die Ehefrau von einem anderen, ebenfalls dort stationierten Soldaten ermordet.
Das gegen die Versagung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) betriebene Widerspruchs- und Klageverfahren hatte keinen Erfolg. Während des Revisionsverfahrens trat am 29. Juli 1995 § 81 e SVG in Kraft. Diese durch das Gesetz zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24. Juli 1995 (BGBl I S. 962) eingeführte Vorschrift sieht in Absatz 12 und 13 vor, dass die Hinterbliebenen eines dienstlich im Ausland verwendeten Soldaten oder eines Angehörigen der Familie oder häuslichen Gemeinschaft, der an den Folgen einer nach dem 31. März 1956 erlittenen gesundheitlichen Schädigung gestorben ist, ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 BVG erhalten. Daraufhin wurde den Beschwerdeführern Hinterbliebenenversorgung ab 29. Juli 1995 gewährt. Die auf die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 1. August 1988 (Antragstellung) bis zum 28. Juli 1995 beschränkte Revision wies das Bundessozialgericht zurück (Urteil vom 18. Juni 1996 – 9 RVg 4/94). Einer Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz stehe das Territorialitätsprinzip entgegen. Die Beschränkung des Gewaltopferschutzes auf Schädigungen, die auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erlitten seien, beruhe auf einer grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers, die Ausnahmen im Einzelfall nicht zulasse und einen Härteausgleich ausschließe. Die Stichtagsregelung des § 81 e Abs. 13 Satz 2 SVG sei verfassungsgemäß.
Der von den Beschwerdeführern erneut gestellte Antrag auf Hinterbliebenenversorgung für die Zeit vor dem 29. Juli 1995 blieb ebenfalls im Widerspruch- und Klageverfahren erfolglos. Das Bundessozialgericht führte aus, die eingeschränkte Versorgung bei solchen Gewalttaten, die in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 81 e SVG lägen, verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine verfassungswidrige sozialrechtliche Regelungslücke liege nicht vor. Bei der Ausweitung von Sozialleistungsansprüchen verfüge der Gesetzgeber über einen weitgehenden Spielraum. Dies gelte vor allem für die Regelung von Altfällen. Da es mit der Verfassung in Einklang stehe, wenn diese völlig von einer sozialen Entschädigung ausgeschlossen werden, müsse erst recht die Festlegung eines Stichtags für den Leistungsbeginn möglich sein (Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 VS 3/99 R).
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung des Sozial- und Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) sowie des Art. 12 a GG. Der Gesetzgeber habe sich wegen des tragischen Falles veranlasst gesehen, den Gewaltopferschutz für im Ausland eingesetzte Soldaten und deren Angehörige zu regeln. Gleichwohl habe er erst nahezu neun Jahre nach dem Verbrechen durch Einführung des § 81 e SVG reagiert. Es widerspreche rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen, sich die lange Dauer der gerichtlichen Verfahren „zunutze” zu machen, das Ergebnis der Rechtsprechung abzuwarten und die Versorgung mit dem Inkrafttreten des Gesetzes beginnen zu lassen, um erhebliche Leistungen einzusparen. Schließlich verstoße die Altfallregelung gegen die in Art. 12 a GG verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
Es bestehen Bedenken, ob die Verfassungsbeschwerde den Begründungsanforderungen nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, 92 BVerfGG genügt und dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Subsidiaritätsgrundsatz entspricht, wonach die behauptete Grundrechtswidrigkeit bereits vor den Fachgerichten geltend zu machen ist (vgl. BVerfGE 84, 203 ≪208≫). Dies kann jedoch auf sich beruhen. Ihre Zulässigkeit unterstellt, kommt der Verfassungsbeschwerde eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes. Es enthält aber keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote von Verfassungsrang, sondern ist ein Verfassungsgrundsatz, der der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, wobei fundamentale Elemente des Rechtsstaats und die Rechtsstaatlichkeit im Ganzen gewahrt bleiben müssen (vgl. BVerfGE 53, 115 ≪127≫). Ob eine gesetzliche Regelung rechtsstaatlich unbedenklich ist, kann daher nur eine Prüfung im Einzelfall ergeben.
a) Das Vorbringen der Beschwerdeführer, der Gesetzgeber habe vor der Einführung der von ihm als notwendig angesehenen Leistungserweiterung Entscheidungen der Fachgerichte abgewartet, um Versorgungsaufwendungen einzusparen, vermag den gerügten Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG nicht zu begründen. Für diese Annahme liegen hinreichende Anhaltspunkte nicht vor. Von einer bewussten und zweckgerichteten Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil § 81 e SVG noch während des ersten Revisionsverfahrens am 29. Juli 1995 in Kraft getreten ist.
b) Die Hinterbliebenenversorgung des Soldatenversorgungsgesetzes, zu der § 81 e SVG gehört, zählt zur gewährenden Staatstätigkeit, bei deren Ausgestaltung der Gesetzgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügt (vgl. BVerfGE 78, 104 ≪121≫), der sich auch auf die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises erstreckt (vgl. BVerfGE 51, 295 ≪301≫). Dieser endet erst dort, wo eine Ungleichbehandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich bezeichnet werden muss (vgl. BVerfGE 39, 148 ≪153≫). Darüber hinaus ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, zu bestimmen, ab welchem Zeitpunkt eine Neuregelung gelten soll. Dessen Festlegung bedarf in der Regel keiner besonderen Rechtfertigung. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum in sachgerechter Weise genutzt hat oder ob für den gewählten Zeitpunkt sachlich einleuchtende Gründe fehlen (vgl. BVerfGE 47, 85 ≪93 f.≫; 80, 297 ≪311≫). Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Regelung nicht zu beanstanden.
Der entschädigungsrechtliche Gewaltopferschutz während des Auslandseinsatzes von Soldaten ist mit dem Gesetz vom 24. Juli 1995 neu eingeführt worden und am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft getreten. § 81 e SVG hat nicht die Voraussetzungen für den Bezug von Hinterbliebenenleistungen modifiziert, sondern sieht erstmals für bestimmte, vom Gesetzgeber als schutzwürdig eingestufte Personen einen Versorgungsanspruch vor. Da es vor der Einführung der Bestimmung an einer vergleichbaren Absicherung fehlte, erscheint es sachgerecht, bei der Wahl des Leistungsbeginns an den Tag des Inkrafttretens der neu geschaffenen Anspruchsnorm anzuknüpfen. Bei der Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises obliegt dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums die Entscheidung, ob und inwieweit er die geänderte Gesetzeslage auf die vor ihrem Inkrafttreten verwirklichten Sachverhalte erstrecken will. Die ihm hierbei gesetzte Willkürgrenze hat er bei der Einbeziehung der bis zum 28. Juli 1995 begangenen Gewalttaten nicht überschritten. Für den Gesetzgeber, der nicht nur die nach diesem Zeitpunkt, sondern sämtliche seit dem 1. April 1956 – dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SVG vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 785) – begangenen Gewalttaten berücksichtigt, bestand keine Notwendigkeit, den Hinterbliebenen der Opfer einer vor dem 29. Juli 1995 erlittenen gesundheitlichen Schädigung rückwirkend Leistungsansprüche einzuräumen. Zu einer einheitlichen Versorgung vom Zeitpunkt des Begehens der Gewalttat an war er weder auf Grund eines Verfassungsauftrags noch zur Bereinigung einer verfassungswidrigen Rechtslage verpflichtet. Andere verfassungsrechtlich relevante Gesichtspunkte, die ihn gezwungen haben könnten, einen früheren Leistungsbeginn für die so genannten Altfälle zu bestimmen, sind nicht ersichtlich.
2. Die angegriffene Regelung ist auch nicht sozialstaatswidrig. Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) verpflichtet zwar den Staat, für den Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfGE 22, 180 ≪204≫). Deren Ausgestaltung obliegt aber im Wesentlichen dem Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 75, 348 ≪359 f.≫). Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips lässt sich daraus regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren (vgl. BVerfGE 94, 241 ≪263≫ m.w.N.). Dies gilt auch für Ausgleichsleistungen in Fällen, denen – wie bei den Beschwerdeführern – ein besonders schweres Schicksal zu Grunde liegt.
3. Art. 12 a Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Unabhängig von der Frage, ob diese Verfassungsnorm überhaupt Grundrechte enthält oder lediglich die durch Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit einschränkt, ist der aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis resultierenden Fürsorgepflicht des Dienstherrn durch die Gewährung der Versorgungsleistungen genügt, die das Soldatenversorgungsgesetz den Soldaten und ihren Hinterbliebenen einräumt.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565183 |
NVwZ-RR 2001, 166 |
ZBR 2001, 205 |
www.judicialis.de 2000 |