Entscheidungsstichwort (Thema)
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde: Anhörungsrüge
Leitsatz (redaktionell)
Das Unterlassen der Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge nach § 133a FGO hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die behauptete Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), deren Heilung § 133a Abs. 1 FGO bezweckt, sondern insgesamt unzulässig ist, da sich die behauptete Gehörsverletzung auf den gesamten Streitgegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens erstreckt.
Normenkette
BVerfGG § 90 Abs. 2; FGO § 133a; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2; EStG § 50a
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin als Haftungsschuldnerin für die Steuerschuld der von ihr engagierten, in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ansässigen, Künstler nach § 50a Abs. 5 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit § 50a Abs. 4 Satz 4 EStG in der Fassung der Streitjahre 1991, 1992, 1994 bis 1996. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dies verletze ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 19 Abs. 3 GG. Überdies habe der Bundesfinanzhof, der mit Beschluss vom 17. November 2004 die Revision der Beschwerdeführerin als unbegründet zurückwies, dadurch ihre grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, dass er nach § 126a FGO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden habe und seiner Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof nicht nachgekommen sei. Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 21. Januar 2005 zugegangenen Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 17. November 2004 legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde ein.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie mangels Erhebung der Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO bereits unzulässig ist.
Die Verfassungsbeschwerde kann erst nach der Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dies erfordert die ordnungsgemäße Einlegung aller zulässigen Rechtsbehelfe. Hierzu zählt auch die Anhörungsrüge nach § 133a FGO.
Zwar ist der vorliegend mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene unanfechtbare Beschluss des Bundesfinanzhofs bereits mit seinem Erlass am 17. November 2004 – also vor Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes am 1. Januar 2005 (Art. 22 Anhörungsrügengesetz, BGBl 2004 I S. 3220, 3230) – rechtskräftig geworden. § 133a FGO in der Fassung des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220) gilt – sofern die nach § 133a Abs. 2 FGO zu wahrenden Fristen noch nicht abgelaufen sind – jedoch auch für vor Inkrafttreten der Novelle am 1. Januar 2005 rechtskräftig gewordene Entscheidungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 – 1 BvR 644/05 –). Vorliegend hatte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, die Anhörungsrüge innerhalb der Frist des § 133a Abs. 2 FGO von zwei Wochen zu erheben, da sie Kenntnis von der – von ihr behaupteten – Verletzung des rechtlichen Gehörs erst mit der Zustellung des Beschlusses am 21. Januar 2005 – also nach Inkrafttreten des § 133a FGO – erlangte.
Der Verzicht auf eine Übergangsregelung hinsichtlich der Einführung der Anhörungsrüge ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da dies nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit eines von der Beschwerdeführerin bereits eingelegten Rechtsmittels führte (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪64 f.≫).
Das Unterlassen der Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge nach § 133a FGO hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die behauptete Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG, deren Heilung § 133a Abs. 1 FGO bezweckt, sondern insgesamt unzulässig ist, da sich die behauptete Gehörsverletzung auf den gesamten Streitgegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens erstreckt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 – 1 BvR 644/05 –). Denn läge ein Gehörsverstoß vor, so würde das Gericht ihm abhelfen, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist (§ 133a Abs. 5 FGO).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1807979 |
BFH/NV Beilage 2008, 63 |
HFR 2007, 1240 |
BFH/NV-Beilage 2008, 63 |