Tenor
Der Antrag wird verworfen.
Tatbestand
Das Verfahren betrifft die Frage, ob die Antragsgegnerin verpflichtet war, nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 für den dortigen Einsatz der Bundeswehr erneut die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.
A.
I.
1. a) Nach Beendigung der militärischen Intervention der NATO zum Schutz der Bevölkerung des Kosovo beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 10. Juni 1999 mit seiner Resolution Nr. 1244 (1999) die Stationierung einer internationalen Militär- sowie Zivilpräsenz. Auf der Grundlage dieses Mandats wurde unter der militärischen Führung der NATO die Mission „Kosovo Force” (KFOR) entsandt mit der Aufgabe, ein Wiederaufflammen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern zu verhindern, Sicherheit und Ordnung im Kosovo herzustellen sowie die parallele zivile Mission „Interim Administration Mission in Kosovo” (UNMIK) zu unterstützen. Die Resolution Nr. 1244 (1999) betont in ihren Erwägungsgründen die Souveränität und territoriale Integrität der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, zu welcher der Kosovo gehörte, aber auch die Grundsätze substantieller Autonomie und Selbstverwaltung des Kosovo. Diese Resolution leitete einen politischen Prozess ein, ließ die Frage aber offen, welchen völkerrechtlichen oder staatsrechtlichen Status der Kosovo erhalten soll. Intensive internationale Verhandlungen über die Statusfrage blieben letztlich ohne Erfolg; auch über den Statusvorschlag des Sondergesandten der Vereinten Nationen Ahtisaari vom 26. März 2007 („Comprehensive Proposal for the Kosovo Status Settlement”, UN-Dok. S/2007/168/Add. 1) konnte keine Einigkeit erzielt werden.
b) Am 17. Februar 2008 erklärte sich der Kosovo unter Loslösung von Serbien einseitig für unabhängig und wurde in den Folgetagen von zahlreichen Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, anerkannt. Der Präsident des Kosovo teilte dem Generalsekretär der NATO namens der kosovarischen Regierung mit, dass diese die Fortsetzung der KFOR-Mission auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolution Nr. 1244 (1999) wünsche. Daraufhin sagte der NATO-Rat die Fortsetzung des militärischen Engagements im Kosovo zu (vgl. NATO-Presseerklärung ≪2008≫ 025 vom 18. Februar 2008). Am 10. Oktober 2008 ersuchte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Internationalen Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 96 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen um die Erstattung eines Rechtsgutachtens zu der Frage, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo mit dem geltenden Völkerrecht in Einklang stehe (A/RES/63/3 vom 8. Oktober 2008).
2. a) Deutsche Soldaten beteiligten sich an der KFOR-Mission von Beginn an. Bereits am 11. Juni 1999 beschloss die Antragsgegnerin eine deutsche Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz und beantragte die parlamentarische Zustimmung zu diesem Einsatz. Der Deutsche Bundestag stimmte dem Antrag am gleichen Tag mit breiter Mehrheit zu (vgl. BTPlenprot 14/43, Stenografischer Bericht, S. 3584). Der Zustimmungsantrag der Bundesregierung führt aus, die Bundesregierung werde den Deutschen Bundestag nach Ablauf von zwölf Monaten mit der Frage der Fortdauer der Operation befassen (vgl. BTDrucks 14/1133, S. 4). In der Folge etablierte die Bundesregierung die Praxis, den Kosovo-Einsatz trotz nicht bestehender zeitlicher Befristung des Mandats alljährlich neu zu beschließen und sodann erneut um Zustimmung des Deutschen Bundestages nachzusuchen (vgl. BTDrucks 14/3454, S. 1; BTPlenprot 14/108, Stenografischer Bericht, S. 10154; vgl. auch Hummel, NZWehrR 2001, S. 221 ff.). Am 13. Juni 2007 beschloss die Antragsgegnerin erneut die unveränderte Fortsetzung des Einsatzes, solange ein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vorliege, und beantragte die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dieser Fortsetzung. Als Begründung führte sie unter anderem aus, dass sich die Verhandlungen über den künftigen Status des Kosovo in einer entscheidenden Phase befänden (vgl. BTDrucks 16/5600, S. 2). Der Deutsche Bundestag stimmte der Fortsetzung des Einsatzes am 21. Juni 2007 – gegen die Stimmen der Antragstellerin – wiederum mit breiter Mehrheit zu (vgl. BTPlenprot 16/105, Stenografischer Bericht, S. 10772).
b) Nach dem Scheitern der Statusverhandlungen und der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo fand am 20. Februar 2008 eine Aussprache im Deutschen Bundestag statt. In dieser vertraten Abgeordnete der Fraktionen CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Auffassung, die Resolution Nr. 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gelte auch nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo fort und sei weiterhin die völkerrechtliche Grundlage der KFOR-Mission (vgl. BTPlenprot 16/144, Stenografischer Bericht, S. 15192 ff.). Demgegenüber erklärten Mitglieder der Antragstellerin, die einseitige Lösung der Statusfrage durch die kosovarische Unabhängigkeitserklärung habe der Resolution Nr. 1244 (1999) sachlich den Boden entzogen. Die KFOR-Mission habe somit keine völkerrechtliche Grundlage mehr, deshalb fehle auch die verfassungsrechtliche Grundlage für den Verbleib deutscher Soldaten im Kosovo (vgl. BTPlenprot 16/144, Stenografischer Bericht, S. 15196). Am 9. April 2008 brachten die Antragstellerin und einige ihrer Mitglieder einen Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestag ein, mit dem sie die Feststellung begehrten, dass die Sicherheitsratsresolution Nr. 1244 (1999) und damit auch der parlamentarische Zustimmungsbeschluss vom 21. Juni 2007 ihre Grundlagen verloren hätten; gleichzeitig beantragten sie, die Antragsgegnerin zum unverzüglichen Rückzug der Bundeswehr aus dem Kosovo aufzufordern (vgl. BTDrucks 16/8779). Der Auswärtige Ausschuss empfahl am 8. Mai 2008 die Ablehnung dieses Antrags (vgl. BTDrucks 16/9151).
c) Die Antragsgegnerin beschloss am 27. Mai 2008 erneut die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der KFOR-Mission auf der Grundlage von Resolution Nr. 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen mit der Zielsetzung, ein sicheres Umfeld für die Bewohner des Kosovo aufrechtzuerhalten und den Aufbau selbsttragender Sicherheitsstrukturen zu unterstützen (vgl. BTDrucks 16/9287, S. 1). Sie beantragte hierfür am selben Tag die Zustimmung des Deutschen Bundestages. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, die Sicherheitsratsresolution Nr. 1244 (1999) gelte bis zum Beschluss einer Folgeresolution fort und bleibe Rechtsgrundlage für die vom Kosovo ausdrücklich gewünschte Fortführung der KFOR-Mission der NATO. Nach einer Aussprache lehnte der Deutsche Bundestag am 5. Juni 2008 zunächst den Antrag der Antragstellerin hinsichtlich eines Rückzugs der Bundeswehr aus dem Kosovo ab (vgl. BTPlenprot 16/166, Stenografischer Bericht, S. 17556); anschließend stimmte er mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Mitglieder der Antragstellerin einer Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo zu (vgl. BTPlenprot 16/166, Stenografischer Bericht, S. 17558).
Entscheidungsgründe
II.
Die Antragstellerin hat am 9. Juni 2008 ihren Antrag im Organstreitverfahren gestellt. Zur Begründung trägt sie vor:
Verletzt seien Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung habe dessen wehrverfassungsrechtliches Beteiligungsrecht in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und deren Anerkennung dadurch verletzt, dass sie keine neue parlamentarische Zustimmung zur fortgesetzten deutschen Beteiligung am KFOR-Einsatz herbeiführte. Auslandseinsätze der Bundeswehr bedürften nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages. Dessen Recht, über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden, könne nicht nur dadurch verletzt werden, dass Auslandseinsätze gänzlich ohne Zustimmung des Deutschen Bundestages durchgeführt würden, sondern auch dadurch, dass die jeweiligen Einsätze über den durch Antrag und Zustimmungsbeschluss gesetzten rechtlichen Rahmen hinausgingen. So liege hier der Fall. Die Beteiligung der Bundeswehr an der KFOR-Mission habe nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo den durch Antrag und Zustimmungsbeschluss des Deutschen Bundestages vom 21. Juni 2007 gesetzten rechtlichen Rahmen verlassen.
1. In diesem Zustimmungsbeschluss sei der KFOR-Einsatz der Bundeswehr von der Bedingung abhängig gemacht worden, dass er völkerrechtlich von einem Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gedeckt sei. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 habe die KFOR-Mission sich aber nicht mehr im Rahmen der Vorgaben der Sicherheitsratsresolution Nr. 1244 (1999) bewegt, sondern den durch diese Resolution gesetzten Rahmen
überschritten. Das ursprünglich bestehende Mandat in Form der Resolution Nr. 1244 (1999) rechtfertige den Einsatz der Bundeswehr in einem unabhängigen Kosovo nicht; denn dieses Mandat sehe die Verwaltung des Kosovo als Teil der Bundesrepublik Jugoslawien und nicht als unabhängiger Staat vor. So enthalte die Resolution unter anderem eine Verpflichtung auf die Wahrung der Souveränität und der territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien und sehe vor, dass die endgültige Bestimmung des Status des Kosovo auf politischem Wege durch Verhandlungen zu erfolgen habe. Nur diese Auslegung der Resolution stehe in Übereinstimmung mit objektivem Völkerrecht und subjektivem Verständnis des Deutschen Bundestages im Zeitpunkt seiner Zustimmung: Das Völkerrecht erlaube die Loslösung des Kosovo von Serbien ebenso wenig wie die daraufhin abgegebenen Anerkennungserklärungen durch andere Staaten; jedenfalls habe der Deutsche Bundestag keine Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in einem unilateral proklamierten Staat Kosovo abgeben wollen.
2. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo habe zudem die der Zustimmung vom 21. Juni 2007 zugrundeliegenden Umstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht so wesentlich verändert, dass eine Neubefassung des Deutschen Bundestages erforderlich geworden sei. Dieser treffe seine Entscheidung über die politische Zweckmäßigkeit und die rechtliche Zulässigkeit eines Bundeswehreinsatzes auf der Grundlage der Umstände zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung. Gegenstand der Beurteilung sei dabei der konkrete Einsatz, wie er sich im Zeitpunkt der Beschlussfassung darstelle. Änderten sich diese Umstände wesentlich, entfalle der Gegenstand des Zustimmungsbeschlusses nachträglich. Diese Sichtweise habe ihre Grundlage in der Erkenntnis, dass rechtsverbindliche Erklärungen ihre Grenzen in einer wesentlichen Änderung der Umstände fänden; es handele sich um den Gedanken der clausula rebus sic stantibus, die als ungeschriebener Bestandteil des Verfassungsrechts anerkannt sei. Zwar setze die clausula rebus sic stantibus typischerweise eine vertragliche Beziehung voraus, der ihr innewohnende Gedanke, dass einmal getätigte Willensäußerungen ihre Urheber nicht ohne Rücksicht auf Änderungen der äußeren Umstände binden können, lasse sich aber auf alle rechtsverbindlichen Willensäußerungen übertragen. Die Frage, ob die Schwelle zur wesentlichen Änderung überschritten sei, müsse immer einzelfallbezogen beantwortet werden. Im konkreten Fall ergebe sich die Wesentlichkeit daraus, dass der Verbleib der Bundeswehr im Kosovo sich nach der Unabhängigkeitserklärung nicht mehr als Mittel zur Ermöglichung einer einvernehmlichen Lösung, sondern als Parteinahme in einem wieder aufflammenden Konflikt darstelle. Die Bundeswehr sichere die kosovarische Unabhängigkeit ab – mithin einen Zustand, welcher der Resolution Nr. 1244 (1999) zuwiderlaufe – und diene nicht mehr der Schaffung einer politischen Übergangsrahmenvereinbarung.
III.
Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig und auch für unbegründet.
Die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt; denn sie habe nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Antragsgegnerin Rechte des Deutschen Bundestages dadurch verletzt haben könnte, dass sie nicht unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 eine erneute parlamentarische Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung am KFOR-Einsatz eingeholt habe. Der Deutsche Bundestag habe dem Einsatz am 21. Juni 2007 ausdrücklich und unbefristet zugestimmt, solange ein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vorliege. Dieses Mandat sei nach wie vor in der Resolution Nr. 1244 (1999) zu sehen. Zwar sei ein Einsatz dann nicht mehr von der parlamentarischen Zustimmung gedeckt, wenn er den in dieser Zustimmung gezogenen Rahmen verlasse; dies bedeute aber gleichzeitig, dass von dem konkret gesetzten Rahmen auszugehen sei und nicht von Rahmenbedingungen, die außerhalb der Zustimmungsentscheidung lägen. Im konkreten Fall sei die Verabschiedung einer Folgeresolution des Sicherheitsrats, mit der das Regime der Resolution Nr. 1244 (1999) abgelöst worden wäre, stets als Anlass einer Neubefassung des Deutschen Bundestages angesehen worden, nicht dagegen die Veränderung der Rahmenbedingungen des Einsatzes, mit der angesichts der unklaren Statusfrage des Kosovo und der schwierigen internationalen Verhandlungen stets zu rechnen gewesen sei. Überdies passe der von der Antragstellerin herangezogene Gedanke der clausula rebus sic stantibus nicht, weil er durch die Regelungen des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz – ParlBG vom 18. März 2005, BGBl I S. 775) ausgeschlossen worden sei. Dem Deutschen Bundestag stehe nach § 8 ParlBG ein voraussetzungsloses Rückholrecht zur Verfügung; damit könne er auf eine Veränderung der außerhalb des Zustimmungsbeschlusses liegenden Umstände durch den Widerruf seiner Zustimmung reagieren und so Herr seiner Zustimmungsentscheidung bleiben.
Die Antragstellerin habe auch kein Rechtsschutzbedürfnis. Sie habe erst vier Tage nach dem erneuten Zustimmungsbeschluss des Deutschen Bundestages vom 5. Juni 2008 ihren Antrag beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht. Spätestens durch diesen Beschluss habe sich aber die Frage nach der Notwendigkeit einer neuen parlamentarischen Zustimmung erledigt. Die Frage, ob die deutsche Beteiligung an dem Militäreinsatz im Kosovo auch nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo auf die parlamentarische Zustimmung vom 21. Juni 2007 habe gestützt werden können, könne auch nicht erneut klärungsbedürftig werden; ein fortdauerndes Klarstellungsinteresse bestehe daher nicht.
IV.
Bundespräsident, Bundestag und Bundesrat wurden von dem Verfahren in Kenntnis gesetzt (§ 65 Abs. 2 BVerfGG).
B.
Der Antrag im Organstreitverfahren ist offensichtlich unbegründet.
I.
Bei einem Beschluss nach § 24 Satz 1 BVerfGG kann es dahinstehen, ob der Antrag im Organstreitverfahren zulässig ist, wenn er offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfGE 6, 7 ≪11≫; 60, 243 ≪246≫; 97, 350 ≪368≫). An der Zulässigkeit bestehen Zweifel. Streitgegenstand ist hier ein rechtserhebliches Unterlassen der Antragsgegnerin: die Nichteinholung der erneuten Zustimmung des Deutschen Bundestages zur deutschen Beteiligung an der KFOR-Mission nach der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008. Die zunächst unterlassene Handlung nahm die Antragsgegnerin indes bereits am 27. Mai 2008 vor, indem sie dem Deutschen Bundestag die von ihr beschlossene Fortsetzung des Einsatzes zur Zustimmung vorlegte. Erst vier Tage nachdem der Deutsche Bundestag diesem Antrag am 5. Juni 2008 zugestimmt und damit den Bundeswehreinsatz im Kosovo auf eine neue parlamentarische Mandatsgrundlage gestellt hatte, ging der Antrag im Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht ein. Ob das Rechtsschutzbedürfnis für eine verfassungsrechtliche Überprüfung im Anschluss an eine vor Rechtshängigkeit beendete Unterlassung, etwa wegen einer Wiederholungsgefahr, in dieser Konstellation fortbestehen kann, erscheint durchaus fraglich, muss hier aber nicht entschieden werden.
II.
Die Antragsgegnerin war jedenfalls nach dem 17. Februar 2008 offensichtlich von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, eine erneute Zustimmung des Deutschen Bundestages für die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo herbeizuführen.
1. a) Wie die Zuständigkeiten zwischen Deutschem Bundestag und Bundesregierung beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte verteilt sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hat der Senat festgestellt, dass die Bundeswehr ein Parlamentsheer ist und dass deshalb jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪381 ff.≫; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u.a. –, NJW 2009, S. 2267 ≪2291≫). Die Frage, wann es sich um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte handelt, der eine parlamentarische Zustimmung erfordert, hat der Senat in seinem Urteil vom 7. Mai 2008 (BVerfGE 121, 135) beantwortet und zudem hervorgehoben, dass dem Deutschen Bundestag beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht lediglich die Rolle eines nachvollziehenden, nur mittelbar lenkenden und kontrollierenden Organs zukommt. Das Parlament ist vielmehr zur grundlegenden, konstitutiven Entscheidung berufen, weil ihm die maßgebliche Verantwortung für den bewaffneten auswärtigen Einsatz der Bundeswehr obliegt (vgl. BVerfGE 121, 135 ≪161 f.≫). Nach diesem Urteil stellen die Beschlüsse von Bundesregierung und Deutschem Bundestag über ein militärisches Unternehmen einen auf den konkreten Streitkräfteeinsatz bezogenen Entscheidungsverbund her, bei dem der Deutsche Bundestag den Einsatz nicht nur in Form eines einmaligen Zustimmungsakts bestätigt, sondern fortlaufend mitverantwortet.
b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist beim Kosovo-Einsatz der Bundeswehr nicht verletzt worden. Erstmals stimmte der Deutsche Bundestag diesem Einsatz mit Beschluss vom 11. Juni 1999 zu und wiederholte seine Zustimmung jeweils in den darauffolgenden Jahren. Vor der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 hatte der Deutsche Bundestag zuletzt am 21. Juni 2007 zugestimmt. Diese Zustimmung hat auch über den 17. Februar 2008 hinaus bis zu ihrer Erneuerung wirksam fortbestanden.
2. Das Organstreitverfahren wirft die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen ein neuer Zustimmungsbeschluss des Deutschen Bundestages erforderlich wird, wenn sich rechtliche oder tatsächliche Umstände eines Streitkräfteeinsatzes nach Erteilung einer parlamentarischen Zustimmung verändern.
a) Die Bundesregierung muss eine erneute konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages herbeiführen, wenn nachträglich tatsächliche oder rechtliche Umstände wegfallen, die der Zustimmungsbeschluss selbst als notwendige Bedingungen für einen Einsatz nennt. Eine entsprechende Handlungspflicht obliegt der Bundesregierung grundsätzlich schon deshalb, weil dem Deutschen Bundestag das Initiativrecht für einen neuen Einsatzbeschluss fehlt (vgl. bereits BVerfGE 90, 286 ≪389≫). Er kann in solchen Fällen seine Mitverantwortung für den Einsatz auch nicht durch ein Handeln nach § 8 ParlBG wahrnehmen; denn wenn seine Zustimmung bereits durch das Eintreten auflösender Bedingungen entfallen ist, greift ein Widerruf der Zustimmung notwendig ins Leere.
Eine notwendige Bedingung in diesem Sinne kann die explizite Verknüpfung einer Zustimmung mit dem Fortbestand eines völkerrechtlichen Mandats des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sein. Sofern sich im Zeitpunkt der Zustimmung bereits die konkrete Möglichkeit abzeichnet, dass sich Bedingungen, die der Deutsche Bundestag für notwendig hält, in absehbarer Zeit ändern, kann in die Zustimmung auch ein ausdrücklicher Vorbehalt dahingehend aufgenommen werden, dass der Deutsche Bundestag erneut befasst werden muss, sobald solche Veränderungen eintreten; derlei Vorbehalte hat der Deutsche Bundestag etwa für die deutsche Beteiligung an den Missionen der Vereinten Nationen im Sudan oder im Libanon formuliert (vgl. BTDrucks 16/2900, S. 1; BTDrucks 16/6278, S. 1). Durch Veränderung dieser Umstände entfällt dann entweder eine notwendige Bedingung oder ein ausdrücklich erklärter Vorbehalt wird wirksam. In einem solchen Fall kann auch eine Mehrheit des Deutschen Bundestages nicht stillschweigend von der Fortgeltung der einmal erteilten Zustimmung ausgehen, vielmehr bedarf es dann schon aus Gründen der Rechts- und Verantwortungsklarheit einer erneuten parlamentarischen Entscheidung.
b) Ein parlamentarischer Zustimmungsbeschluss zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte verliert aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit aber nicht schon dann seine Wirkung, wenn der Fortbestand von Umständen, an die der Deutsche Bundestag seine Zustimmung geknüpft hat, lediglich zweifelhaft wird. In solchen Fällen kann der Deutsche Bundestag seine politische Verantwortung notfalls durch Ausübung seines Rückholrechts nach § 8 ParlBG betätigen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen erfordert es gerade der von der Antragstellerin als verletzt gerügte konstitutive Parlamentsvorbehalt, dass bestehende Unsicherheiten nicht das einmal erteilte parlamentarische Mandat des Deutschen Bundestages eo ipso entfallen lassen. Der Deutsche Bundestag hat nach der durch Erteilung seiner Zustimmung begründeten Verantwortung die Möglichkeit, Zweifel über das Fortbestehen von Bedingungen, an die er seine Zustimmung gebunden hat, selbst auszuräumen; dadurch bleibt er – im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben – Herr seiner Zustimmungsentscheidung (vgl. BVerfGE 121, 135 ≪161 f.≫).
Deshalb kann der Deutsche Bundestag sogar die Änderung solcher Umstände, die er in seiner Zustimmungsentscheidung nicht erkennbar in den Rang wesentlicher Einsatzbedingungen erhoben hat, stets zum Anlass nehmen, seine Zustimmung nachträglich zu revidieren. So liegt es in seinem politischen Ermessen, ob er infolge veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Rahmenbedingungen die erteilte Zustimmung widerrufen und dadurch den Rückruf deutscher Soldaten verfügen will. Der Deutsche Bundestag ist dabei in Fällen nachträglicher Lageänderungen – anders als bei der ersten Streitkräfteentsendung – nicht auf einen Antrag der Bundesregierung auf Neumandatierung angewiesen, sondern er kann selbst initiativ werden und auf diese Weise seine Mitverantwortung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte wahrnehmen. Denn die Regelung des § 8 ParlBG macht den Deutschen Bundestag zum Herrn über seine Zustimmungsentscheidungen, indem sie deren jederzeitige Widerruflichkeit festlegt. Insoweit ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Zustimmungsbeschlüsse im Fall der Veränderung tatsächlicher oder rechtlicher Umstände grundsätzlich nicht eo ipso entfallen. Seine Regelung drückt vielmehr aus, dass der Deutsche Bundestag erteilte Zustimmungen grundsätzlich durch einen actus contrarius aufheben muss (vgl. auch Hummel, a.a.O., S. 226 ff.; Nolte, ZaöRV 1994, S. 652 ≪682≫; Wolfrum, VVDStRL 1997, S. 38 ≪53≫). Entbehrlich ist dies nur, wenn Voraussetzungen, an die die Zustimmung nach dem Wortlaut des Zustimmungsbeschlusses oder des Regierungsbeschlusses, auf den er sich bezieht, ausdrücklich geknüpft ist, offensichtlich entfallen. Nur ein solcher Evidenzmaßstab vermeidet, dass die Bundesregierung von Verfassungs wegen fortwährend dem Dilemma ausgesetzt ist, bei jeder Veränderung von Umständen nach Erteilung der parlamentarischen Zustimmung entweder vorsorglich eine – von Verfassungs wegen möglicherweise gar nicht nötige – neue Zustimmung des Deutschen Bundestages zu beantragen oder sich bei Unterlassung eines neuen Antrags dem Vorwurf der Verfassungsverletzung ausgesetzt zu sehen. Bindet der Deutsche Bundestag seine Zustimmung an ein Mandat des UN-Sicherheitsrats, so muss dessen Beendigung evident sein, sei es dass eine Befristung oder eine ausdrückliche sachliche auflösende Bedingung ausgesprochen wurde, sei es dass der Beschluss ausdrücklich aufgehoben oder ersetzt wird. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages entfällt danach eo ipso grundsätzlich nur mit Zeitablauf, wenn das Mandat des Sicherheitsrats befristet war, mit dem Eintritt eines Umstands, an den das Mandat ausdrücklich seine Beendigung – im Sinne einer auflösenden Bedingung – knüpft, oder mit einem Beschluss des Sicherheitsrats, durch den das Mandat ausdrücklich aufgehoben oder ersetzt wird.
3. Im vorliegenden Fall ist weder in einer evidenten Weise das völkerrechtliche Mandat für den Einsatz im Kosovo entfallen, noch ist erkennbar, dass der Deutsche Bundestag die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo als auflösende Bedingung seiner Zustimmung ausdrücklich erklärt hätte.
a) Die Resolution Nr. 1244 (1999) ist als völkerrechtliche Grundlage der KFOR-Mission nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weder aufgehoben noch durch eine neue Resolution ersetzt worden. Sie ist vielmehr mit ihrem unbefristeten Mandat für die internationale Sicherheitspräsenz im Kosovo – jedenfalls formal – weiterhin in Kraft, nachdem im Sicherheitsrat kein Konsens über den Ahtisaari-Plan für die Zukunft des Kosovo erzielt werden konnte. Sowohl die Regierung des Kosovo als auch die an der KFOR-Mission beteiligten Staaten gehen von der Fortwirkung der Resolution Nr. 1244 (1999) aus. Denn die formale Fortgeltung der – nicht ausdrücklich mit auflösenden Bedingungen verknüpften – Resolution Nr. 1244 (1999) stellt bereits ein hinreichend starkes Indiz für den Fortbestand desjenigen völkerrechtlichen Mandats des Sicherheitsrats dar, an den der Deutsche Bundestag seine Zustimmungsentscheidung vom 21. Juni 2007 gebunden hat (vgl. näher zur Diskussion über den Fortbestand des Sicherheitsratsmandats, Parameswaran, AVR 2008, S. 172 ≪182 ff.≫; Schaller, AVR 2008, S. 131 ≪145 ff.≫).
Eine nähere Auseinandersetzung mit den Erwägungen der Antragstellerin, die mit völkerrechtlichen Argumenten herzuleiten versucht, dass die fragliche Resolution bei materieller Betrachtung nicht als fortgeltend angesehen werden dürfe, muss hier bei Anlegung des gebotenen Evidenzmaßstabs unterbleiben. Zwar hat die Antragstellerin erkennen lassen, dass es ihr gerade auf die Klärung dieser völkerrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht ankommt. Das Organstreitverfahren dient aber dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander und eröffnet keine hiervon losgelöste Kontrolle außenpolitischer Maßnahmen der Bundesregierung im Sinne einer allgemeinen Verfassungs- oder gar Völkerrechtsaufsicht (vgl. BVerfGE 68, 1 ≪69 ff.≫; 100, 266 ≪268≫; 104, 151 ≪193 f.≫; 118, 244 ≪257 f.≫).
b) Der Deutsche Bundestag hat keine anderen wesentlichen Bedingungen für die Zustimmung formuliert als die Fortgeltung des Mandats des Sicherheitsrats. Der Zustimmungsbeschluss vom 21. Juni 2007 enthält insbesondere keine Ausführungen, aus denen hervorgeht, dass die Zustimmung nur bis zur Lösung der Statusfrage des Kosovo gelten sollte. In dem Zustimmungsantrag der Bundesregierung vom 13. Juni 2007, der als völkerrechtliche Grundlage auf die Resolution Nr. 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen verweist, heißt es (BTDrucks 16/5600, S. 1):
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stimmt der von der Bundesregierung am 13. Juni 2007 beschlossenen unveränderten Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo […] zu. […] Die Kräfte können eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluss des NATO-Rates sowie die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorliegen.
Durch die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu diesem Antrag bestand eine unbefristete parlamentarische Zustimmung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo, die lediglich an das Fortbestehen eines Mandats der Vereinten Nationen in Form der Resolution Nr. 1244 (1999) des Sicherheitsrats geknüpft war. Den Verbleib des Kosovo im Staatsverband Serbiens oder allgemeiner das Ausbleiben einer bestimmten Lösung der Statusfrage thematisierte der Beschluss dagegen nicht. In der Begründung ihres Zustimmungsantrags hat die Bundesregierung vielmehr die Hoffnung ausgedrückt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen möglichst bald eine Resolution verabschieden möge, die das Statuspaket zur Zukunft des Kosovo billige und die bisherige Resolution Nr. 1244 (1999) ablöse; eine solche Folgeresolution werde dann unter Berücksichtigung etwaiger Übergangsfristen eine Neumandatierung des Einsatzes durch den Deutschen Bundestag erforderlich machen (vgl. BTDrucks 16/5600, S. 2).
Dabei ist letztlich unerheblich, ob dem Deutschen Bundestag, wie die Antragsgegnerin unter Verweis auf die parlamentarischen Debatten geltend macht (vgl. BTPlenprot 16/105, Stenografischer Bericht, S. 10767), bei seiner Zustimmung am 21. Juni 2007 auch die Option einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung konkret bewusst war. Jedenfalls fehlt es an hinreichend klaren Anhaltspunkten dafür, dass der Deutsche Bundestag seine Zustimmung nur für den Fall erteilen wollte, dass eine einvernehmliche Lösung der Kosovo-Frage erreicht werden würde. Deutliche Indizien sprechen vielmehr gegen die Annahme eines Willens des Deutschen Bundestages, das Ausbleiben einer einseitigen Loslösung des Kosovo als wesentliche Einsatzbedingung aufzufassen. Ausweislich des Zustimmungsantrags der Bundesregierung vom 13. Juni 2007 wurde davon ausgegangen, dass sich der schwierige Statusprozess „in einer entscheidenden Phase” befinde und dass „insbesondere in dieser sensiblen wie kritischen Phase” die internationale Militärpräsenz „zur Aufrechterhaltung eines sicheren und stabilen Umfelds dringend erforderlich” bleibe (vgl. BTDrucks 16/5600, S. 2). Es wurde damit gerechnet, dass sich die Zukunft des Kosovo alsbald klären werde, ohne dass angesichts der erheblichen internationalen Differenzen zu dieser Frage (vgl. etwa Wirth, ZaöRV 2007, S. 1065 ≪1067 f.≫; Parameswaran, AVR 2008, S. 172 ≪173 f.≫) seinerzeit klar vorhersehbar gewesen wäre, in welche Richtung sich die Entscheidung entwickeln würde. In dieser Situation hätte es für den Deutschen Bundestag mehr als nahe gelegen, einem etwaigen Willen, dem Bundeswehreinsatz im Kosovo im zukünftigen Geschehensablauf nur nach Maßgabe bestimmter äußerer Umstände zuzustimmen, in seinem Beschluss Ausdruck zu verleihen beziehungsweise – wie in anderen Fällen geschehen (vgl. BTDrucks 16/2900, S. 1; BTDrucks 16/6278, S. 1) – für einen entsprechenden Vorbehalt in dem Zustimmungsantrag der Bundesregierung zu sorgen. Dass dies nicht geschehen ist, spricht dafür, dass ein entsprechender Wille nicht bestand.
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
BVerfGE 2010, 267 |
EuGRZ 2009, 649 |
NVwZ-RR 2010, 41 |
DÖV 2010, 144 |
JuS 2010, 89 |
DVBl. 2010, 856 |
LL 2010, 538 |