Ukraine verklagt Russland vor dem IGH
Die Ukraine dürfte nicht wirklich die Hoffnung haben, mithilfe eines Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag den von Russland geführten Krieg gegen die Ukraine zu stoppen. Das von der Ukraine eingeleitete Verfahren hat vielmehr das erklärte Ziel, den von der russischen Regierung geführten Angriff vor der Welt als inhuman und völkerrechtswidrig zu brandmarken. Auch vor anderen internationalen Gerichten hat die juristische Aufarbeitung des Ukraine-Konflikts bereits begonnen.
Zuständigkeit des IGH muss von Parteien anerkannt werden
Der IGH in Den Haag ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Das Gericht ist gemäß Art IX der IGH-Statuten zuständig, wenn zwei Staaten über die Auslegung internationalen Rechts streiten. Voraussetzung ist allerdings, dass beide Staaten im konkreten Fall die Zuständigkeit des IGH anerkennen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht dann, wenn die Zuständigkeit des IGH in einem von beiden Beteiligten unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrag bereits anerkannt wurde.
Putin selbst hat für die Zuständigkeit des IGH gesorgt
Hierzu verweist die ukrainische Seite auf die von Russland unterzeichnete Völkermordkonvention von 1948, für deren Auslegung und Anwendung die Zuständigkeit des IGH vereinbart wurde. Putin selbst habe den Krieg mit der (falschen) Behauptung begonnen, dass die Ukraine nach den Regelungen der Völkermordkonvention von 1948 in den östlichen Gebieten Luhansk und Donezk einen Völkermord gegenüber der dort lebenden russischen Bevölkerung begeht. Nach dieser Argumentation Putins für den Krieg folge die Entscheidungsbefugnis des IGH über die Richtigkeit der Kriegsbegründung unmittelbar aus der Völkermordkonvention von 1948.
Richtergremium um Richter der Ukraine erweitert
Die Ukraine hat von Art. 31 der IGH-Statuten Gebrauch gemacht und das Richtergremium um einen ehemaligen Professor für Völkerrecht an der Universität Paris erweitern lassen. Russland hat von dieser Option der Entsendung eines eigenen Richters zum IGH keinen Gebrauch gemacht.
IGH soll Ende der Kriegshandlungen anordnen
Der Eilantrag der Ukrainer zielt auf vorläufige Maßnahmen des Gerichts, um die Angriffe Russlands auf die Zivilbevölkerung zu stoppen. Entscheidungen des IGH sind für alle Staaten bindend. Eine Entscheidung des Gerichts nach Art. 41 des IGH-Statuts, den militärischen Vormarsch Russlands in der Ukraine wegen drohender, nicht mehr rückgängig zu machender Schäden sofort zu stoppen, wäre damit für Russland bindend.
IGH-Anordnung wäre nicht durchsetzbar
Die Ukraine hat in dem Verfahren beim IGH materiellrechtlich grundsätzlich keine schlechten Karten – es sei denn, der IGH stuft den „Zuständigkeitstrick“ der Ukraine als ein Konstrukt zur Umgehung der Zuständigkeitsregeln ein und erklärt sich für unzuständig. Im Ergebnis wäre eine stattgebende Entscheidung dennoch ein stumpfes Schwert: Dem IGH selbst stehen keinerlei Möglichkeiten zur Durchsetzung einer solchen Entscheidung zur Verfügung. Er hätte bei Nichtbefolgung lediglich die Möglichkeit, den UN-Sicherheitsrat anzurufen. Dieser könnte Sanktionen verhängen, wird dies aber nicht tun, da Russland im Sicherheitsrat ein Vetorecht besitzt. Allerdings könnte der Sicherheitsrat zumindest den diplomatischen Druck auf Russland erhöhen.
Anhörung der ukrainischen Seite erfolgt
Am 7.3.2022 hat der IGH die ukrainische Seite angehört. Dort hat der Vertreter der Ukraine Russland der Planung eines systematischen Völkermords in der Ukraine bezichtigt. Russland verletze in der Ukraine durch gezielte Kampfmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung und Zerstörung der zur Versorgung der Bevölkerung notwendigen Infrastruktur die Völkermordkonvention von 1948 und verübe Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Ukraine beantragte den Erlass eines Gerichtsbeschlusses, der Russland zum sofortigen Einstellen der Kampfhandlungen auffordert.
Die russische Seite glänzte durch Abwesenheit
Der 8.3.2022 war für die Anhörung der russischen Seite reserviert. Der russische Botschafter in den Niederlanden, Alexander Schulgin, hat dem Gericht mitgeteilt, seine Regierung werde an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen.
Entscheidung innerhalb weniger Tage erwartet
Das Gericht hat eine kurzfristige Entscheidung innerhalb weniger Tage angekündigt. Mit der Entscheidung im Eilverfahren ist das Verfahren insgesamt vor dem IGH nicht beendet. In dem sich anschließenden Hauptverfahren möchte die Ukraine eine noch weitergehende Verurteilung des russischen Überfalls auf die Ukraine sowie die Verurteilung zu Entschädigungsleistungen erreichen.
HintergrundDer IGH wurde 1945 mit der Gründungscharta der Vereinten Nationen in Den Haag eingerichtet. Der Spruchkörper ist mit 15 Richterinnen und Richtern unterschiedlicher Nationen besetzt. Klagen und verklagt werden können vor dem IGH grundsätzlich nur Staaten, nicht Einzelpersonen. IStGH ermittelt bereits gegen russische RegierungsmitgliederSollte der IGH im Hauptverfahren zu dem Ergebnis kommen, dass Russland einen Völkermord in der Ukraine begonnen hat, so könnte auf dieser Grundlage auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) tätig werden. Bei dem ebenfalls in Den Haag ansässigen IStGH hat der dortige Chefankläger allerdings bereits in der vergangenen Woche Ermittlungen gegen Mitglieder der russischen Regierung wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine eingeleitet. Ermittlungen beim IStGH richten sich gegen konkrete PersonenAnders als der IGH verurteilt das Weltstrafgericht IStGH keine Staaten, sondern gegebenenfalls Individualpersonen. Ein Verfahren gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wäre dort also denkbar, ebenso der Erlass eines internationalen Haftbefehls gegen einzelne Regierungsmitglieder. Ein Haftbefehl könnte zwar in Russland nicht vollstreckt werden aber in vielen anderen Teilen der Erde. Die Bewegungsfreiheit der betroffenen Regierungsmitglieder würde also erheblich eingeschränkt werden. EGMR hat bereits über Maßnahmen entschiedenDer EGMR in Straßburg hat bereits im Eilverfahren vorläufige Maßnahmen erlassen und Russland angewiesen, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Ziele zu unterlassen. Der EGMR hat ein „reales und andauerndes Risiko ernster Rechtsverletzungen der zivilen Bevölkerung“ in der Ukraine konstatiert (EGMR, Maßnahmenbeschluss v. 2.3.2022, 11055/22). Auch diese Entscheidung dürfte den russischen Präsidenten wenig beeindrucken. Die russische Regierung bestreitet ohnehin, zivile Ziele anzugreifen. Sie bezeichnet ihren militärischen Überfall auf die Ukraine weiterhin als Friedensmission zum Schutz russischer Bevölkerungsgruppen in der Ukraine. |
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