Strafanzeige gegen Brasiliens Staatschef Bolsonaro beim IStGH
Seit einiger Zeit werden Klimaklagen immer konkreter und auch erfolgreicher. Diesen Trend setzte das BVerfG mit einer Meilenstein-Entscheidung fort. Erstmals setzt es der oft beschworenen Freiheit zu fliegen, zu roden, Geld zu verdienen, Fleisch zu essen und Energie zu verbrauchen die Freiheitsrechte künftiger Generationen entgegen.
Regierungschef soll strafrechtliche Verantwortung tragen
Jetzt hat die österreichische Umweltinitiative „AllRise“ den brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro aufs Korn genommen: Neu an der Vorgehensweise ist, dass ein Staatsoberhaupt für die unter seiner Regierung angerichteten Umwelt- und Klimaschäden vor dem IStGH in Den Haag strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden soll.
Wegen der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes und den daraus entstehenden Klimafolgen wird Bolsonaro des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschuldigt. In ihrer 300-seitigen Anklageschrift führt AllRise mit Unterstützung namhafter Umweltwissenschaftler aus, dass die Zerstörung des Regenwaldes zur
- Vernichtung der Lebensgrundlagen insbesondere der indigenen Bevölkerung,
- zur Verwüstung von Regionen
- mit der Folge von Hungersnöten, Flucht und Vertreibung führt.
Regenwaldabholzung bedroht 180.000 Menschen mit Hitzetod
In der Klageschrift wird Bolsonaro vorgeworfen, allein durch die Abholzung des Regenwaldes bis zum Jahr 2100 den Hitzetod von über 180.000 Personen zu verursachen. Diese Schätzung beruht auf den weltweit anerkannten Forschungen der Klimatologen der Universität Oxford, darunter der Klimatologe Rupert Stuart-Smith. Der Wissenschaftler betont, dass die Schätzungen auf offiziellen brasilianischen Daten zur Regenwaldabholzung beruhen. AllRise rechnet in der Klageschrift penibel vor, die Regenwaldabholzung sei während der Präsidentschaft Bolsonaros monatlich um 88 % gestiegen.
Für den Präsidenten ist es nicht die erste Anklage in Den Haag. Auch der Stammesführer und Umweltaktivist Raoni Metuktire hat den brasilianischen Präsidenten wegen Verbrechen gegen die indigene Bevölkerung Brasiliens und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Den Haag verklagt.
Auch weitere Regierungsmitglieder verklagt
Die Klage richtet sich nicht gegen den Präsidenten allein, sondern auch gegen weitere ranghohe Regierungsmitglieder. Der Regierung wird insgesamt vorgeworfen, systematisch die Umweltkontrollen durch die Behörden geschwächt und damit die Gesetze zum Umweltschutz in Brasilien verletzt zu haben. Die Regierung betreibe gezielt und bewusst den Bruch des Umweltvölkerrechts und der Menschenrechte durch Verwüstung ganzer Regionen. Allein die durch das Abbrennen in den Regenwaldgebieten Brasiliens erzeugten CO2-Emissionen überstiegen mittlerweile die jährlichen Gesamtemissionen von Ländern wie Großbritannien, Italien oder Spanien.
Die österreichische Umweltorganisation AllRise wird bei ihrer Klage weltweit von anderen NGOs unterstützt, darunter eine Reihe von Umweltorganisationen in Brasilien sowie in Deutschland vom BUND (Bund Umwelt und Naturschutz).
Erfolgsaussichten ungewiss - lebenslange Haft droht
Die Erfolgsaussichten der Klage werden von den verschiedenen Umweltorganisationen als ungewiss eingeschätzt. Es gehe darum, die Effektivität bestehender Umweltgesetze zu erproben und diese neu und kreativ zu interpretieren statt auf unabsehbare Zeit auf neue, effektivere Gesetze zu warten. Scheitert die Klage, so wollten die Umweltaktivisten dafür kämpfen, das Römische Statut des IStGH um den Straftatbestand des Ökozids zu erweitern. Sie wollen damit den Ökozid auf eine Stufe mit Kriegsverbrechen und Genoziden stellen. Die Erreichung dieses Zieles ist allerdings mit hohen Hürden verbunden, da sämtliche beteiligten Staaten zustimmen müssten.
Lässt der IStGH die Klage zu, so droht dem brasilianischen Präsidenten eine lebenslange Haftstrafe. Das Verfahren bis dahin - wenn denn die Klage zugelassen wird - dürfte allerdings noch viele Jahre dauern. Brasilien ist Vertragspartei des römischen Statuts des IStGH. Bei Verhängung einer Haftstrafe müsste Brasilien Bolsonaro ausliefern.
Auftakt im Kontext weiterer (inter-)nationaler Klimaklagen
Brasiliens Staatschef ist nicht der einzige Regierungschef, der ins Visier der Umweltschützer geraten ist. Nach Auskunft von AllRise ist die Klage gegen Brasiliens Staatschef nur der erste Schritt. Die Organisation will alle Staatschefs zur Rechenschaft ziehen, die persönliche Verantwortung für eine übermäßige Zerstörung der Erde tragen.
Ein Erfolg der Umweltschützer vor dem IStGH erscheint nach bisherigen Erfahrungen nicht völlig ausgeschlossen. Auch die von Umweltschützern eingereichten Umweltklagen, auf nationaler Ebene vor dem BVerfG, auf internationale Ebene vor dem EGMR wurden von Juristen im Vorfeld kritisch gesehen, führten aber dann zu überraschenden Ergebnissen.
Erste Klimaklage vor dem BVerfG teilweise erfolgreich
Mit einer wegweisenden Entscheidung zwang das höchste deutsche Gericht Ende März den Gesetzgeber zu einer deutlichen Nachbesserung des Klimaschutzes in Deutschland mithilfe zeitlich definierter Vorgaben und einer konkreten Benennung von Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Klimaziele innerhalb definierter Zeiträume (BVerfG, Beschluss v. 24.3.2021, 1 BvR 2656/18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20 u.a.).
Klimaschutzgesetz wurde im Rekordtempo verschärft
Mit einer Änderung des Klimaschutzgesetzes (KSG) hat die Bundesregierung im Rekordtempo noch im Juni reagiert und eine Gesetzesnovelle vorgelegt, die inzwischen vom Bundestag verabschiedet wurde und den Bundesrat passiert hat. Danach sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 % (bislang 55 %) und bis 2040 um 88 % gesenkt werden. Klimaneutralität soll statt bisher bis 2050 nun schon bis zum Jahr 2045 erreicht werden.
Deutsche Umwelthilfe verklagt Bundesländer vor dem BVerfG
Anknüpfend an diese Entscheidung gehen Klimaaktivisten in Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen unter Führung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen diese Bundesländer nun ebenfalls vor dem BVerfG vor. Sie klagen auf Einführung konkreter gesetzlicher Regelungen zur Erreichung der Klimaschutzziele in den jeweiligen Bundesländern. Sie fordern eine
- gesetzliche Konkretisierung der zu ergreifenden Maßnahmen auch in den Ländern,
- eine Benennung der Zeiträume, in denen diese Maßnahmen zu ergreifen sind sowie
- definierte Zeiträume, in denen bestimmte Klimaziele erreicht werden müssen.
Klagen auch beim bayerischen VerfGH sowie beim bayerischen VGH
In Bayern haben zehn in Bayern lebende Kinder und junge Erwachsene zusätzlich eine Popularklage beim Bayerischen VerfGH eingereicht. In der Popularklage wird gerügt, dass das bayerische Klimaschutzgesetz überhaupt keine Fristen und keinerlei konkrete Maßnahmen für die Erreichung bestimmter Klimaschutzziele enthält. Mit einer weiteren Klage vor dem Bayerischen VGH soll das Bundesland darüber hinaus gezwungen werden, ein Klimaschutzprogramm mit konkreten Klimaschutzmaßnahmen zu erstellen. Bisher - so die Argumentation - habe die bayerische Staatsregierung eher gegen als für den Klimaschutz gearbeitet, indem sie beispielsweise durch verschärfte Abstandsregeln zu Wohngebieten den Neubau von Windrädern in Bayern nahezu gestoppt habe.
Brandenburg bisher ohne Klimaschutzgesetz
Im Land Brandenburg existiert überhaupt kein Klimaschutzgesetz. Eine junge Klimaaktivistin aus Neuruppin hat deshalb gemeinsam mit der DUH Verfassungsbeschwerde beim BVerfG eingereicht mit dem Ziel, das Land zur Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes - ebenfalls mit konkreten Zielen und Zeitvorgaben zum Klimaschutz - zu zwingen.
Klage gegen Klimaschutznovelle in NRW die Klimaschutz teilweise entschärft
Gegen das Land NRW haben vier Kinder und junge Erwachsene gemeinsam mit der DUH Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG eingelegt. Sie beanstanden, dass mit der zum 1. Juli beschlossenen Verschärfung der Klimaschutzziele im Klimaschutzgesetz des Landes gleichzeitig eine ganze Reihe von zeitlich definierten Instrumenten aus dem Klimaschutzgesetz gestrichen worden seien und damit die Mechanismen zur Sicherstellung der Erreichung der Klimaschutzziele deutlich entschärft worden sind.
Ähnlich dem Bundesgesetz zum Klimaschutz habe die schwarz-gelbe Regierung in NRW zwar die Einsparziele für Treibhausgase für die Jahre 2030-2045 angehoben. Ähnlich der vom BVerfG beanstandeten bisherigen Fassung des KSG des Bundes fehle auch hier die Implementierung konkreter Maßnahmen, auf welche Weise der CO2 Ausstoß reduziert werden soll.
Weitgehende Klimaschutzkompetenzen der Bundesländer
In sämtlichen Verfahren steht die Zuständigkeit der Länder für die Erreichung der Klimaschutzziele im Fokus der Argumentation. Zwar habe der Bund auf die Entscheidung des BVerfG hinsichtlich des KSG des Bundes relativ zügig reagiert, jedoch lägen viele Maßnahmen für den Klimaschutz in der Entscheidungskompetenz der Länder. Dies betreffe beispielsweise
- den Ausbau des ÖPNV,
- die Verpflichtung zur Anbringung von Fotovoltaikanlagen bei Neubauten
- sowie die Zuständigkeit zur Regelung der Vorschriften für die Errichtung von Windkraftanlagen.
Defizite beim ÖPNV und beim Radwegeausbau
Immer noch würden umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Bahn- und auch der Radverkehr in den Ländern stiefmütterlich behandelt. Insbesondere eine bessere Anbindung der ländlichen Räume an den ÖPNV sowie die Planung eines umfassenden Fahrradwegenetzes lägen in der Entscheidungskompetenz der Länder sowie teilweise auch der Kommunen.
Bayerische Regierung will aktiv werden
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will noch im Juli eine Regierungserklärung zum Klimaschutz abzugeben. Der Beschwerdeführer der bayerischen Verfassungsbeschwerde sieht dieser Absicht allerdings eher mit Misstrauen entgegen und verweist darauf, dass der bayerische Ministerpräsident in der Vergangenheit zwar Bäume umarmt habe, passiert in Richtung Umweltschutz sei in Bayern aber wenig.
Was genau hat das BVerfG zum Bundesumweltschutz entschieden?
Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der nun eingereichten Länderklagen ist die Kenntnis der den Bund betreffenden Klimaentscheidung des BVerfG und deren Begründung nicht uninteressant. Beschwerdeführer waren u.a. die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, junge Klimaaktivisten aus Bangladesch und Nepal sowie zwei Umweltorganisationen, die das Gericht im Gegensatz zu den natürlichen Personen als nicht beschwerdebefugt angesehen hat.
Beschwerdegegner war die Bundesrepublik Deutschland. Diese hat - so die Entscheidung der Richter - ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Die wesentliche Beanstandung des Gerichts besteht darin, dass die Regelungen des KSG zu kurz greifen.
- Indem das Gesetz klare Vorgaben für die Treibhausgasemissionen lediglich bis zum Jahr 2030 definiere,
- bürde es den jüngeren Generationen mögliche unabsehbare drastische Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ab dem Jahr 2031 auf.
- Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität habe das Gesetz nicht getroffen.
Dies sei ein Verstoß gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer.
KSG dient dem Erreichen der Klimaschutzziele und soll den Temperaturanstieg drosseln
Das KSG ist in Deutschland im Dezember 2019 in Kraft getreten. Das Gesetz dient der Umsetzung der nationalen Klimaschutzziele sowie der Einhaltung der europäischen Zielvorgaben.
Nach dem Pariser Klimaabkommen soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2°, möglichst auf 1,5 °C begrenzt werden, um so die Folgen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten. Hierzu enthält das KSG u.a. Regeln für den Verkehr, die Landwirtschaft und Gebäude über die Höhe des zulässigen Treibhausgasausstoßes.
Beschwerdeführer rügten Grundrechtsverletzungen
Die Beschwerdeführer haben geltend gemacht, der Staat habe mit dem KSG keine ausreichenden Regelungen zur alsbaldigen Reduktion von Treibhausgasen vor allem von Kohlendioxid unternommen, um die selbst gesetzten Klimaziele tatsächlich einzuhalten. Der Staat gefährde durch diese Versäumnisse die Zukunft der Beschwerdeführer, insbesondere
- ihr Grundrecht auf eine menschenwürdige Zukunft gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG,
- ihr Recht auf ein ökologisches Existenzminimum gemäß Art. 2 Abs. 1, 20 a GG.
- Das KSG verletze ihren Anspruch auf Erreichung der Klimaneutralität gemäß Art. 20a GG sowie
- auf Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen.
BVerfG bestätigte Grundrechtsrelevanz des Klimawandels
Das BVerfG stellte grundsätzlich hierzu fest, dass der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen, vor Gefahren des Klimawandels, vor klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wald- und Flächenbränden, Wirbelstürmen, Starkregen, Überschwemmungen, Lawinenabgängen oder Erdrutschen einschließt. Da aufgrund des Klimawandels, etwa bei steigendem Meeresspiegel und bei Dürren auch landwirtschaftlich genutzte Flächen und Immobilien Schaden nehmen können, sei auch das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht aus Art. 14 GG betroffen.
Regelungen des KSG bis 2030 sind verfassungsgemäß
Hinsichtlich der im KSG getroffenen Regelungen bis zum Jahr 2030 konnten die Verfassungsrichter eine Verletzung dieser staatlichen Schutzpflichten nicht feststellen. Die Verpflichtung des Staates zum Klimaschutz gemäß Art. 20a GG genieße keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern sei im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung stehe dem Staat ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu, den er im Rahmen der Konkretisierung der Klimaschutzziele des § 1 Satz 3 KSG in hinreichend definierter Weise ausgefüllt habe. Die in § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit der Anlage 2 geregelten Emissionsmengen seien grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
KSG gefährdet Freiheitsrechte der jüngeren Generation
Das BVerfG beanstandete jedoch die Regelungen der §§ 3 Abs. 1 Satz 2 und 4 Abs. 1 Satz 3 KSG a. F.. Diese gestatteten es, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2- Budgets bis zum Jahr 2030 zu verbrauchen. Damit würden nachfolgende Generationen der Gefahr gravierender Freiheitseinbußen ab 2031 ausgesetzt, wenn bis zum Jahr 2050 die nach dem Gesetz vorgeschriebene Klimaneutralität erreicht werden soll. Die Weichen für diese künftigen Freiheitsbelastungen würden durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen bis zum Jahr 2030 bereits jetzt gestellt.
Orientierungspunkte über das Jahr 2030 hinaus erforderlich
Die alte Regelung war nach der Wertung des BVerfG so ausgestaltet, dass die Treibhausminderungslast nach dem Jahr 2030 erheblich sein wird. Ob dies mit unzumutbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen verbunden sein wird, lässt sich nach Auffassung des Gerichts aus heutiger Sicht noch nicht eindeutig feststellen.
Das Risiko gravierender Belastungen sei jedoch hoch. Deshalb müssten frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, um ein hinreichendes Maß an Planungssicherheit zu vermitteln. Verfassungsrechtlich sei unerlässlich, dass Reduktionsmaßgaben über das Jahr 2030 hinaus rechtzeitig festgelegt würden. Dies müsse so differenziert erfolgen, dass hinreichend konkrete Orientierungspunkte entstehen.
Treibhausgasreduktionspfad muss klarer definiert sein
Vor diesem Hintergrund bewertete das BVerfG den in § 4 Abs. 6 Satz 1 KSG a. F. festgelegten Treibhausgasreduktionspfad als verfassungsrechtlich unzureichend. Die Werte der Emissionsmengen könnten derzeit zwar noch nicht bis zum Jahr 2050 abschließend bestimmt werden, jedoch müsse schon jetzt definiert werden, in welchen Zeitabständen weitere Festlegungen transparent zu treffen sind.
Der Gesetzgeber müsse gegebenenfalls dem Verordnungsgeber weitere Festlegungen aufgeben, insbesondere müsse er ihn schon vor dem Jahr 2025 zu einer ersten weiteren Festlegung verpflichten. Der Gesetzgeber könne aber auch die Fortschreibung des Reduktionspfades vollständig selbst übernehmen und die entsprechenden Eckpunkte umgehend regeln.
Gesetzgeber sollte das Klimaschutzgesetz bis Ende 2022 nachbessern
Im Ergebnis bewertete das BVerfG die Gestaltung des § 4 Abs. 6 KSG als nicht verfassungsgemäß. Die Richter verpflichteten den Gesetzgeber daher, bis Ende des Jahres 2022 die Minderungsziele der Treibhausgasemissionen nach dem Jahr 2030 klarer und definierter zu regeln. Die bis zum Jahr 2030 festgelegten Klimaschutzziele beanstandete das höchste deutsche Gericht nicht. Tatsächlich hat der Gesetzgeber mit der oben aufgezeigten Gesetzesnovelle innerhalb weniger Wochen reagiert.
EGMR und EuGH behandeln Umweltklagen unterschiedlich
Die Entscheidung des BVerfG steht nicht allein im Raum: Schon Ende 2020 haben portugiesische Kinder und Jugendliche mit einer Klage vor dem EGMR spektakulär Fahrt für den Umweltschutz aufgenommen. Die danach deutlich gestiegene Hoffnung von zehn für strengerer Klimaziele in der EU vor dem EuGH klagenden Familien wurde anschließend allerdings enttäuscht. Der EuGH wies deren Klage als unzulässig zurück, weil er die individuelle Klagebefugnis enger auslegte als der EGMR.
Die Klage der portugiesischen Kinder richtet sich, wegen Mitverursachung des Klimawandels, gegen Deutschland und 32 weitere Staaten. Juristen in 33 Ländern hat es kalt erwischt, dass der EGMR Verfahrensgrundsätze beachtlich zugunsten der Kläger auslegte.
10 Familien klagen auf mehr Klimaschutz
Anders erging es zehn Kläger-Familien vor dem EuGH, als sie die Erfahrung machen mussten, dass das Gericht ihnen kein Individualrecht auf besseren Klimaschutz in Europa zuerkannte. Die Familien aus der EU, aus Kenia und Fidschi, darunter eine Familie aus Deutschland von der Nordseeinsel Langeoog, hatten zunächst gegen das Europäische Parlament und den Rat der EU vor dem EuG in Luxemburg auf strengere Maßnahmen zum Klimaschutz geklagt.
Kläger machen unmittelbare Betroffenheit durch Erderwärmung geltend
Die Familien, die sämtlich in der Landwirtschaft und im Tourismus tätig sind, machten geltend, infolge von durch die Erderwärmung bedingten Dürren und Überschwemmungen in ihren individuellen Rechten betroffen zu sein. Weil der Klimawandel sich unmittelbar negativ auf ihre jeweilige berufliche Situation in der Landwirtschaft und im Tourismus auswirke, stehe ihnen gegen die EU ein Anspruch auf möglichst weitreichende Klimaschutzmaßnahmen zu, denn sonst könnten sie ihren Beruf in absehbarer Zeit nicht mehr ausüben.
Senkung der Treibhausgase um 50-60% bis 2030
Vor diesem Hintergrund wollten die Kläger erreichen, dass die EU für das Jahr 2030 als Klimaziel nicht eine Senkung der Treibhausgase um 40 % im Verhältnis zum Ausstoß des Jahres 1990, sondern mindestens eine Senkung um 50-60 % festschreibt. Die Kläger wurden von mehreren Umweltorganisationen, darunter „Germanwatch“, unterstützt.
EuGH: Klimaziele sind keine Individualrechte
Schon vor dem EuG hatten sie mit ihrer Klage keinen Erfolg. Wie schon erstinstanzlich das EuG argumentierte auch der EuGH, dass die Klimapolitik der EU auf die Gesamtbevölkerung der EU ausgerichtet sei. Die Klimabeschlüsse der EU gewährten Einzelpersonen keine Individualrechte, die sie vor den Gerichten einklagen können. Es sei zwar richtig, dass die Folgen der Erderwärmung sich für einzelne Personengruppen wie Landwirte oder die Tourismusbranche stärker auswirken könnten als für nicht so stark vom Klima abhängige Personengruppen. Dennoch hätten auch die besonders vom Klima abhängigen Personengruppen keine einklagbare Rechtsposition inne, die eine Klage gegen Gesetze mit allgemeiner Geltung für alle rechtfertigen könne.
Klagebefugnis gegen Klimawandel fehlt auch stärker Betroffenen
Die in dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegten Regeln zur Klagebefugnis setzen nach Auffassung des Gerichts für die Zulässigkeit einer Klage die Geltendmachung einer individuellen Rechtsposition voraus. Ein Kläger müsse durch einen Akt der EU individuell in seinen Rechten betroffen sein. Nur dann habe er die erforderliche Klagebefugnis. Alles andere würde nach Auffassung des EuGH zu einer Aushöhlung des AEUV führen und im Endeffekt ein Klagerecht für jedermann gegen jeden Rechtsakt der EU schaffen.
Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht verletzt
Der EuGH vertrat die Auffassung, dass diese Begrenzung der Klagebefugnis nicht gegen die Charta der Grundrechte der EU verstößt. Das dort niedergelegte Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beinhalte einen Rechtsanspruch auf Eröffnung des Rechtsweges lediglich in den Fällen, in denen durch einen Akt der EU eine individuelle Rechtsposition verletzt werde. Dies sei bei einem die Allgemeinheit als solche betreffenden Rechtsakt wie der Verabredung des Klimaziels „Absenkung der Treibhausgase bis 2030 um 40 % gegenüber 1990“, nicht der Fall.
Rechtsmittel gegen EuG-Beschluss zurückgewiesen
Mit dieser wiederholten Argumentation der mangelnden Betroffenheit von Individualrechten, beißt sich die Katze zwar etwas in den Schwanz, dennoch hat der EuGH mit diesen Argumenten das von den Klägern eingelegte Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Abweisungsbeschluss des Luxemburger EuG zurückgewiesen.EuGH, Urteil v. 25.3.2021, C-565/19).
Paukenschlag des EGMR bei Klimaklage
In der ebenfalls gegen die Erderwärmung geführten Klage der portugiesischen Kinder hat der EGMR die Klagebefugnis deutlich weniger eng als der EuGH ausgelegt. Die Entscheidung des EGMR wurde in der Fachwelt allerdings als kleine Sensation gewertet. Der EGMR in Straßburg hatte unter Abweichung von bisherigen Verfahrensgrundsätzen entschieden, die unkonventionell eingereichte Klimaschutzklage fortzuführen. Was hat es mit dem Kreuzzug der Kinder auf sich und warum hat der Menschenrechtsgerichtshof seine Zuständigkeit bejaht?
Verheerende Waldbrände in Portugal waren Auslöser der Klimaschutzklage
Anlass der Klage sind Waldbrände, die im Jahr 2017 in Portugal in der Region „Pedrogao Grande“ 110 Menschen das Leben kosteten. Nicht wenige der Opfer waren mit dem Auto auf einer Landstraße unterwegs, wurden dort von den Flammen eingeschlossen und verbrannten in ihren Autos. Insofern unterscheidet sich allerdings auch die Rechtsposition der Kläger von derjenigen der Kläger vor dem EuGH. Die portugiesischen Kläger berufen sich auf Art. 2 und Art. 8 der EMRK, also auf das Recht auf Leben und das Recht auf Achtung des Privat- und des Familienlebens.
EMRK-Unterzeichnerstaaten wird Mitschuld am Klimawandel vorgeworfen
Geklagt wird vor dem EGMR gegen die Staaten, die die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unterzeichnet haben. Warum? Für die Waldbrände und insbesondere für deren dramatisches Ausmaß machen die Kläger den weltweiten Klimawandel mitverantwortlich. Durch die Waldbrände sei das Leben einzelner und das ganzer Familien zerstört worden. Die Kläger im Alter zwischen 8 und 21 Jahren verweisen auf Äußerungen maßgeblicher Wissenschaftler und Klimaforscher, die bestätigt hätten, dass der weltweite Klimawandel zumindest für das Ausmaß der verheerenden Waldbrände eine Rolle gespielt habe.
Die Nichtregierungsorganisation „GLAN“ (Global Legal Action Network) hat die Klageschrift maßgeblich mit verfasst.
Wer wird vor dem Menschenrechtsgerichtshof verklagt und warum?
In der Klagschrift wird sämtlichen EU-Staaten sowie darüber hinaus den Ländern Norwegen, Russland, Großbritannien, der Türkei, der Schweiz und der Ukraine vorgeworfen, bei der Gestaltung und Verfolgung ihrer nationalen Klimaziele bisher zu zögerlich und zimperlich vorgegangen zu sein und weiterhin – u.a. aus Rücksicht insbesondere auf die Industrie - zu wenig gegen den Klimawandel zu tun. Damit verstoßen sie nach Ansicht der Kläger gegen ihre Menschenrechte.
Klageziel: Ambitioniertere Klimapolitik
Nach Vorstellung der Kläger soll der EGMR die verklagten Staaten verurteilen, die selbst gesteckten
- Klimaziele und nicht zuletzt auch das Klimaziel von Paris ambitionierter zu verfolgen
- und international tätigen Konzernen eine deutlichere Reduktion ihrer Emissionen vorzuschreiben.
Mit ihrer derzeitigen zurückhaltenden Klimapolitik trügen die Staaten zur Verschärfung des Klimawandels bei. Damit werde die Zukunft der Generation der Kläger gefährdet. Ziel müsse eine Senkung der klimaschädlichen Emissionen um mindestens 65 % sein.
Die Klage der Kinder setzt 33 Länder unter Druck
Mit ihrer Klage haben die Kläger gleich in verschiedenen Punkten juristisch Mut bewiesen. Normalerweise wird vor dem EGMR ein einzelnes Land verklagt. Eine solche Klage vor dem EGMR setzt in der Regel die Ausschöpfung des Rechtsweges in den einzelnen Ländern voraus. Der EGMR bejahte im aktuellen Fall dennoch seine Zuständigkeit.
Darum bejahte der EGMR seine Zuständigkeit
Für die Kläger sei es als Kinder und Heranwachsende praktisch nicht möglich, den grenzübergreifenden Klimawandel vor nationalen Gerichten in 33 verschiedenen Ländern anzugreifen und ihr Klagebegehren dort zunächst bis in die höchsten Instanzen zu verfolgen, um dann nach vielen Jahren schließlich vor dem EGMR zu landen. Dies sei den Klägern auch wegen der Dringlichkeit des Klagebegehrens schon aus Zeitgründen nicht zumutbar. Mit dieser Begründung des EGMR könnten perspektivisch einige der betroffenen Länder erheblich unter Handlungsdruck geraten.
Klimaschutz-Verfahren mit einer ganzen Reihe juristischer Überraschungen
Mit der Entscheidung des EGMR über die Fortführung der Klage haben die Kinder und Jugendlichen aus Portugal entgegen den Erwartungen der Fachjuristen ein wichtiges juristisches Zwischenziel erreicht und dabei gleich eine ganze Reihe juristischer Überraschungscoups gelandet:
- Die Bündelung von gegen 33 Staaten gerichteter Klagebegehren in einem einzelnen Verfahren vor dem EGMR ist äußerst ungewöhnlich.
- Ebenso ungewöhnlich ist die Tatsache, dass der EGMR nicht auf der vorherigen Ausschöpfung der jeweils nationalen Rechtswege besteht.
- On top hat der EGMR die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Klagebegehrens bestätigt und
- den verklagten Ländern eine für EGMR- Verhältnisse äußerst kurze Frist eingeräumt, um sich zu den aufgeworfenen Fragen zu äußern.
Damit nicht genug hat der EGMR signalisiert, der Klage wegen der Dringlichkeit Priorität vor anderen anhängigen Verfahren einzuräumen.
Etappensieg der Kinder vor dem EGMR mit hohem Zukunftspotenzial
Die portugiesischen Kinder und Jugendlichen haben mit diesem juristischen Teilerfolg etwas geschafft, was selbst die „Fridays for Future“-Bewegung um Greta Thunberg bisher nicht gewagt hat, nämlich eine Klage wegen des Klimawandels gegen maßgebliche Industriestaaten vor dem EGMR in Gang zu setzen und den EGMR zu einer Modifizierung von bisher scheinbar unüberwindlichen Rechts- und Verfahrensgrundsätzen zu bewegen. Der Fortgang des Verfahrens nach Eingang der Stellungnahmen der Länder dürfte äußerst spannend werden und könnte großes Potenzial für die Zukunft der Klimapolitik der betroffenen Staaten haben. Der Weg dorthin ist allerdings noch steinig. Die 33 beklagten Staaten einschließlich Deutschland argumentieren einheitlich, die Klage sei als unzulässig abzuweisen. Unterm Strich ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Druck auf die Regierungen innerhalb der EU, den Klimaschutz durch konkrete Maßnahmen zu forcieren, auch seitens der Justiz kontinuierlich wächst.
Mit einer Annahme der Anklage gegen den brasilianischen Regierungschef Bolsonaro vor dem IStGH in Den Haag würde der Druck, insbesondere gegenüber den dem römischen Statut angeschlossenen autoritären Regimen, weiter steigen.
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