Orientierungssatz
1. Unabhängig von der Klärung der Frage, ob die Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums gem WoEigG § 18 Abs 1 nur bei schuldhaftem Handeln gegeben ist, verletzt eine Auslegung des Tatbestandsmerkmales “Schuldig-Machen” iS eines schuldunabhängigen Schutzes gegen schwerwiegende Störungen jedenfalls dann keine Grundrechte, wenn die Schuldunfähigkeit des Störers bei der Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung berücksichtigt wird.
2. Grundsätzlich verstößt es auch nicht gegen GG Art 14 Abs 1, wenn der Inhalt des Wohnungseigentums durch WoEigG § 18 Abs 1 dahingehend bestimmt wird, daß die Verpflichtung zur Veräußerung möglich ist, wenn hinsichtlich der Pflichtverletzung durch den Eigentümer eine Wiederholungsgefahr besteht oder wenn eine einmalige Verletzung so schwerwiegend ist, daß den anderen Wohnungseigentümern das weitere gemeinsame Bewohnen einer Wohnungseigentumsanlage mit dem Störer nicht zugemutet werden kann.
3. Kommt es nach erheblichen Störungen des Friedens in einer Wohnungseigentumsanlage durch einen psychisch Kranken über einen längeren Zeitraum zu keinen Störungen, so müssen dann, wenn die vorangegangen Verletzungen nicht schuldhaft waren und eine Wiederholung nicht naheliegt, besondere Gründe für die Annahme einer Verpflichtung zum Verkauf vorliegen. Wird hingegen der Zwang zum Verkauf der Wohnung allein auf das Verhalten in der Vergangenheit gestützt, ohne daß ausreichende Feststellungen zur Frage der Zumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens mit dem Störer getroffen werden, so liegt darin eine Verkennung der Bedeutung des GG Art 14 Abs 1.
4. Da schwierige, erst einer prozessualen Klärung zuzuführende rechtliche sowie tatsächliche Fragen nicht im Prozeßkostenhilfeverfahren entschieden werden dürfen, überschreitet ein Gericht, das bereits im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels bislang nicht hinreichend geklärte Rechts- und Tatfragen beantwortet, seinen Entscheidungsspielraum in einer den Gleichheitsgrundsatz verletzenden Weise.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 21.04.1992; Aktenzeichen 84 S 1/92) |
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Verweigerung von Prozeßkostenhilfe; sie betrifft mittelbar ein Gerichtsurteil, demzufolge die Beschwerdeführerin ihr Wohnungseigentum veräußern muß, weil sie die Mitbewohner aufgrund einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie erheblich gestört hatte. Sie trägt vor, daß sie sich in Behandlung begeben habe und seither keine Belästigungen mehr vorgekommen seien. Das Urteil beruhe auf Vorfällen vor dieser Behandlung und habe die nachfolgende Entwicklung nicht berücksichtigt. Es verletze die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 2, 13 und 14 GG.
I.
1. Die Beschwerdeführerin hat eine Eigentumswohnung in einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Mitbewohner behaupteten, daß die Beschwerdeführerin sie von 1985 an durch lautes Türenknallen, stundenlanges Hämmern an Heizungsrohren, häufiges Betätigen der Toilettenspülung, Stolperdrähte im Treppenhaus und Anrufe beim psychiatrischen Dienst mit der Bitte um Hilfeleistung bei verschiedenen Mitbewohnern belästigt habe. Sie faßten am 21. April 1988 auf einer Wohnungseigentümerversammlung einen Beschluß nach § 18 WEG, mit dem sie von der Beschwerdeführerin die Veräußerung des Wohnungseigentums verlangten. Auf die Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft erging am 24. Mai 1989 ein Versäumnisurteil und am 19. Juli 1989 ein zweites Versäumnisurteil gegen die Beschwerdeführerin.
2. Am 28. November 1990 wurde die Beschwerdeführerin vorläufig in einer Nervenklinik untergebracht. Am 28. Dezember 1990 wurde ein Rechtsanwalt als Gebrechlichkeitspfleger bestellt. Am 18. Juni 1991 wurde die Beschwerdeführerin nach Hause entlassen. Sie befindet sich seither in nervenärztlicher Behandlung. Gemäß einem Attest des behandelnden Arztes vom 23. März 1992 geht es der Beschwerdeführerin seither gut; sie sei in psychisch geordneter Verfassung und ihr Gesundheitszustand bleibe fortdauernd stabil; die Versteigerung des Wohnungseigentums würde den Behandlungserfolg aufs Spiel setzen. Bei Verlust der Wohnung sei mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen.
3. Die Beschwerdeführerin hat eine Nichtigkeitsklage gegen das Urteil vom 19. Juli 1989 erhoben, da sie in dem Vorprozeß geschäftsunfähig gewesen sei. Zur Sache selbst hat sie vorgetragen, daß sie an einer Geisteskrankheit gelitten habe, welche ihre strafrechtliche Verantwortung im Sinne des § 20 StGB ausgeschlossen habe. Da die Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums nach § 18 WEG voraussetze, daß die verpflichtete Person schuldhaft die Rechte der anderen Wohnungseigentümer verletzt habe, könne diese Bestimmung vorliegend keine Anwendung finden. Die Beschwerdeführerin reichte ein ärztliches Attest ein, demzufolge sie an einer nicht nur vorübergehenden Geisteskrankheit leide und mit einer schnellen Besserung ihres Zustandes nicht zu rechnen sei. Das Gericht hat wegen des Geisteszustandes der Beschwerdeführerin Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, daß sich die Beschwerdeführerin seit 1985 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Das Amtsgericht hat die Nichtigkeitsklage der Beschwerdeführerin aufgrund des Sachverständigengutachtens für begründet gehalten, da die Beschwerdeführerin im Vorprozeß prozeßunfähig gewesen sei.
Das Gericht hat die Urteile aus dem Vorprozeß aufgehoben, jedoch im weiteren inhaltlich bestätigt. Die Beschwerdeführerin habe die ihr vorgeworfenen Störungen nicht substantiiert bestritten. Soweit sie rüge, daß die Entziehung des Eigentums nicht auf die Vorfälle aus den Jahren 1985 und 1986 gestützt werden könne, sei dem entgegenzuhalten, daß die Störungen bis in das Jahr 1990 fortgesetzt worden seien und schließlich zur zwangsweisen Einweisung der Beschwerdeführerin in eine Klinik geführt hätten. Das Gericht gehe mit der herrschenden Meinung in der Literatur davon aus, daß der Beschluß nach § 18 Abs. 1 WEG kein schuldhaftes Verhalten voraussetze. Denn das störende Verhalten eines geistig Kranken sei für die Mitbewohner mindestens so unerträglich wie dasjenige eines Gesunden. Das Interesse der Beschwerdeführerin an der Beibehaltung ihrer Wohnung müsse zurücktreten gegenüber dem Interesse der Gemeinschaft, das Eigentum ungestört nutzen zu können.
§ 18 Abs. 1 WEG müsse bereits aufgrund des früheren Verhaltens der Beschwerdeführerin angewendet werden. Es könne darüber hinaus nicht angenommen werden, daß der Zustand der Beschwerdeführerin sich inzwischen so weit gebessert habe, daß Belästigungen in der Zukunft ausgeschlossen werden könnten. Es handele sich um einen chronischen Krankheitsprozeß, bei dem es immer wieder zu akuten Verschlechterungen komme mit auffallenden psychotischen Symptomen, insbesondere auch Aggressionsausbrüchen. Es sei keine sichere Prognose zu stellen, daß die Beschwerdeführerin ihre Behandlung fortsetze und in Zukunft nicht auffällig werde. Es müsse vielmehr auch weiterhin mit Belästigungen gerechnet werden.
Die Veräußerung der Wohnung sei auch für die Beschwerdeführerin eine Chance für einen Neuanfang.
4. Die Beschwerdeführerin stellte einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe für ein Berufungsverfahren. Gleichzeitig reichte sie den Entwurf einer Berufungsbegründungsschrift mit Datum vom 23. März 1992 ein. Darin hat sie dargelegt, daß seit ihrer Entlassung aus der Nervenklinik im Juni 1991 keine neuen Störungen aufgetreten seien; sie gehe im Rahmen einer Arbeitstherapie einer Beschäftigung nach und befinde sich in Behandlung eines Nervenarztes. Die Verbesserung der psychischen Stabilisierung zeige sich in dem guten Verhältnis der Beschwerdeführerin mit den Nachbarn. Dies hätte das Amtsgericht berücksichtigen müssen. Ferner sei in Rechnung zu stellen, daß eine Entziehung des Wohnungseigentums zu einer Verschlechterung führe. Im übrigen habe die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Krankheit keine Aussicht, eine anderweitige Unterkunft zu finden.
Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe wurde mit Beschluß des Landgerichts vom 21. April 1992 zurückgewiesen. Das Landgericht begründete seine Entscheidung mit der mangelnden Erfolgsaussicht der Berufung. Es führte im wesentlichen aus, daß die Entziehung des Wohnungseigentums auch bei nicht schuldhaftem Verhalten möglich sei.
II.
Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die Entscheidung des Landgerichts in ihren Grundrechten aus Art. 2, 13 und 14 GG verletzt. Zum einen verstoße die angegriffene Entscheidung gegen den klaren Wortlaut des § 18 WEG, wenn sie eine Entziehung des Wohnungseigentums auch wegen nicht schuldhafter Verletzungen der Rechte der anderen Wohnungseigentümer zulasse. Das Landgericht habe zudem nicht berücksichtigt, daß die Beschwerdeführerin aufgrund der ärztlichen Behandlung eine Besserung erfahren habe, daß sie regelmäßig ihre Medikamente nehme, sich ihre Depotspritze hole und auch seit ihrer Entlassung aus der Klinik eine dort begonnene Arbeitstherapie fortgeführt habe. Auch sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, daß die Beschwerdeführerin seit ihrer Entlassung die Mitbewohner nicht mehr belästigt habe. Zudem sei in Rechnung zu stellen gewesen, daß sie einen Betreuer habe, der bei einer Verschlechterung ihres Krankheitszustandes sofort ihre Unterbringung in einer Nervenklinik veranlassen könne. Die Verpflichtung zum Verkauf ihrer Wohnung stelle den schlimmstmöglichen Eingriff in ihr Eigentum dar. Durch die Versteigerung ihrer Wohnung würde der Beschwerdeführerin ein immenser finanzieller Schaden entstehen. Ihr werde es zudem unmöglich, eine neue Wohnung zu finden.
Die Beschwerdeführerin hat Antrag auf Prozeßkostenhilfe sowie auf Beiordnung eines Anwalts gestellt.
III.
Der Justizsenatorin des Landes Berlin sowie der Gegnerin des Ausgangsverfahrens wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Beide haben davon keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
B.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Zwar war bis zum Ablauf der Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 BVerfGG die angegriffene Entscheidung nicht im Wortlaut eingereicht. Doch bedeutet dies nicht, daß die bis dahin erhobene Verfassungsbeschwerde nicht im Sinne des § 92 BVerfGG hinreichend substantiiert war. Denn die Beschwerdeführerin hat in ihrem Schriftsatz die angegriffene Entscheidung in ihren wesentlichen Zügen wiedergegeben. Auch hat sie ausdrücklich die Verletzung der Art. 2 Abs. 1, Art. 13 und Art. 14 GG gerügt und dabei darauf hingewiesen, daß die Verpflichtung zum Verkauf der Wohnung den schlimmstmöglichen Eingriff in ihr Eigentum darstelle und zu einem immensen finanziellen Schaden führe. Die Beschwerdeführerin hat ferner auf ihren labilen Gesundheitszustand hingewiesen, der durch eine Veräußerung der Wohnung sich verschlechtern könne.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93b Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
a) Auslegung und Anwendung einfachen Rechts sind zwar Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht übt aber eine Kontrolle im Hinblick darauf aus, ob die Gerichte bei ihrer Rechtsanwendung die Bedeutung und Reichweite der Grundrechte verkannt haben (BVerfGE 18, 85 ≪92≫).
Das Landgericht hat in der angegriffenen Entscheidung die Bedeutung des Eigentumsgrundrechts nicht dadurch verkannt, daß es die Verpflichtung zur Veräußerung einer Eigentumswohnung gemäß § 18 WEG auch in den Fällen für möglich angesehen hat, in denen die zur Veräußerung verpflichtete Person nicht schuldhaft die Rechte der anderen Wohnungseigentümer verletzt hat. In § 18 Abs. 1 WEG ist bestimmt, daß die anderen Wohnungseigentümer die Veräußerung nur verlangen können, wenn sich ein Wohnungseigentümer einer schweren Verletzung der ihm gegenüber anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen “schuldig” gemacht hat. Dementsprechend geht ein Teil der Lehre davon aus, daß nur bei schuldhaftem Handeln die Voraussetzung für die Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums gegeben sei (Palandt-Bassenge, BGB, 51. Aufl., 1992, WEG § 18 Rdnr. 2; Weitnauer, WEG, 7. Aufl., 1988, § 18 Rdnr. 4a; Henkes/Niedenführ/Schulze, WEG, 1991, § 18 Rdnr. 7; Augustin, WEG, 1983, § 18 Rdnr. 10). Doch findet sich auch die gegenteilige Auffassung (Bärmann/Pick/Merle, WEG, 6. Aufl., 1987, § 18 Rdnrn. 5, 6). Ob “Schuldig-Machen” im Sinne des § 18 WEG im ersten oder zweiten Sinne ausgelegt wird, ist eine Frage des einfachen Rechts. Es kommt allein den Fachgerichten zu, zu klären, ob § 18 WEG nur erlaubt, die Konsequenzen aus einem zurechenbaren Handeln zu ziehen, oder ob er darüber hinaus einen Schutz gegen schwerwiegende Störungen unabhängig von der Schuld des Störenden gewährt. Eine Auslegung des “Schuldig-Machens” in dem letzteren Sinne stellt jedenfalls dann keine die Grundrechte verletzende Fehlinterpretation von seiten der Fachgerichte dar, wenn die Schuldunfähigkeit bei der Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung berücksichtigt wird.
b) Die angegriffene Entscheidung verletzt aber Art. 14 Abs. 1 GG insofern, als sie ein Rechtsmittel der Beschwerdeführerin gegen die Verpflichtung zur Veräußerung für aussichtslos hält, ohne in Rechnung zu stellen, daß die Beschwerdeführerin unwidersprochen vorgetragen hat, sie lebe seit ihrer Entlassung aus der Nervenklinik, d.h. seit über zehn Monaten, in ihrer Wohnung, ohne daß es zu Störungen der anderen Wohnungseigentümer gekommen sei (aa). Darüber hinaus dürfen die schwierigen Tatfragen, um die es hier geht, nicht schon im Prozeßkostenhilfeverfahren gleichsam vorentschieden werden (bb).
aa) Die Verpflichtung, das Wohnungseigentum zu veräußern, gehört zu den schwersten aller möglichen Eingriffe in das Eigentum. Der Eigentümer verliert das wesentliche Eigentumsrecht, nämlich eine Sache innezuhaben, und kann nur noch im Wege der Veräußerung darüber verfügen. Eine derartige Verpflichtung gegen den Willen des Eigentümers ist nur bei Vorliegen enger Voraussetzungen zulässig. Eine solche Voraussetzung kann vorliegen, wenn ein Eigentümer mit seinem Eigentum so verfährt, daß die Rechte anderer Personen, darunter auch Eigentumsrechte, in erheblichem Maße verletzt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie beim Wohnungseigentum – mehrere Personen in einem so engen Verhältnis stehen, daß jede ihr Recht nur dann ungestört ausüben kann, wenn alle anderen eine vorgegebene Ordnung bei der Benutzung ihres Eigentums beachten.
Es verstößt daher grundsätzlich nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG, wenn der Inhalt des Wohnungseigentums durch § 18 Abs. 1 WEG dahin bestimmt wird, daß eine Verpflichtung zur Veräußerung möglich ist, wenn ein Eigentümer seine Pflichten gegenüber anderen Wohnungseigentümern schwer verletzt. Eine solche Verpflichtung ist in jedem Fall zulässig, wenn weitere schwere Verletzungen zu befürchten stehen. Aber auch dann, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht zu erwarten ist, kann eine Verpflichtung zur Veräußerung zulässig sein, wenn die einmalige Verletzung von einer solchen Schwere ist, daß den anderen Wohnungseigentümern das weitere gemeinsame Bewohnen einer Wohnungseigentumsanlage zusammen mit demjenigen, der seine Pflichten ihnen gegenüber verletzt hat, nicht zugemutet werden kann. Dabei spielt auch eine Rolle, inwieweit das Verhalten desjenigen nachwirkt, der seine Verpflichtungen gegenüber den anderen Wohnungseigentümern verletzt hat. Wann die Unzumutbarkeitsgrenze überschritten und eine Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums verfassungsrechtlich möglich ist, wenn jemand schuldhaft seine Verpflichtungen gegenüber den anderen verletzt hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Soweit eine solche Verletzung nicht schuldhaft erfolgt ist und eine Wiederholung nicht naheliegt, müssen jedenfalls besondere Gründe vorliegen, wenn allein aufgrund vergangener Verletzungen eine Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums erfolgen soll. Denn anders als bei schuldhaftem Handeln erlaubt in diesem Fall nicht das Prinzip der Verantwortlichkeit, die Konsequenzen aus vorangegangenem Tun später zuzurechnen. Ohne diese Zurechnung kann aber eine Person wegen früheren Verhaltens nur ausnahmsweise als unzumutbare Belastung in einer Wohnungseigentümergemeinschaft empfunden werden, so daß es gerechtfertigt erscheint, den Verkauf ihrer Wohnung zu erzwingen.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin nach der Überzeugung der Gerichte zwar den Frieden in der Wohnungseigentumsanlage über einen langen Zeitraum in erheblicher Weise gestört. Dies erfolgte jedoch, wie bereits erstinstanzlich festgestellt worden ist, ohne schuldhaftes Handeln, da die Beschwerdeführerin psychisch krank war. Die Beschwerdeführerin hat sich inzwischen in ärztliche Behandlung begeben, und seither, d.h. in den zehn Monaten seit ihrer Entlassung aus der Nervenklinik bis zur landgerichtlichen Entscheidung – und dem Sachverhalt zufolge wohl auch darüber hinaus –, ist es nach ihrem unwidersprochenen Vortrag nicht mehr zu Störungen innerhalb der Wohnungseigentumsanlage gekommen. Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht von einer Aussichtslosigkeit einer Berufung gegen die Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums nur ausgehen dürfen, wenn entweder weitere Verletzungen der Rechte der anderen Wohnungseigentümer trotz der Behandlung der Beschwerdeführerin zu befürchten waren oder wenn besondere Gründe dafür gegeben waren, daß es den anderen Wohnungseigentümern unzumutbar war, mit der Beschwerdeführerin weiter zusammenzuwohnen. Insoweit fehlen jedoch ausreichende Feststellungen. Wenn das Landgericht in dem vergangenen Verhalten der Beschwerdeführerin, das auf ihre Geisteskrankheit zurückzuführen war, einen hinreichenden Grund für die Erzwingung der Veräußerung des Wohnungseigentums gemäß § 18 WEG gesehen hat, hat es die Bedeutung von Art. 14 Abs. 1 GG verkannt. Denn wenn dieses Verhalten – wie etwa die Lärmbelästigung, das Spannen von Stolperdrähten oder das Messer im Briefschlitz – auch eine nicht unerhebliche Belästigung der Miteigentümer dargestellt hat, reicht es für sich genommen – d.h. ohne den deutlichen Nachweis einer Wiederholungsgefahr – doch nicht für die Feststellung aus, daß den Miteigentümern nicht zugemutet werden könne, weiterhin mit der Beschwerdeführerin in einer Wohnungseigentumsgemeinschaft zu stehen, und die Beschwerdeführerin damit zu zwingen, ihr Eigentum zu veräußern. Solche Formen der in schuldunfähigem Zustand durchgeführten Belästigungen vermögen einen so schweren Eingriff in das Eigentum nicht zu rechtfertigen. Insofern verletzt die Entscheidung des Landgerichts Art. 14 Abs. 1 GG.
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dem dient die Prozeßkostenhilfe. Das Prozeßkostenhilfeverfahren will aber den grundrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Deshalb dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannen und auf diese Weise den Zweck der Prozeßkostenhilfe vereiteln (BVerfGE 81, 347 ≪358 f.≫). Schwierige, bislang nicht hinreichend geklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozeßkostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können.
Das hat das Landgericht nicht beachtet. Vielmehr hat es schon im Rahmen des Prozeßkostenhilfeverfahrens bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels die schwierigen Rechts- und Tatfragen beantwortet, deren Klärung die Beschwerdeführerin anstrebt. Damit hat es seinen Entscheidungsspielraum im Prozeßkostenhilfeverfahren überschritten und die Rechtsschutzgewährleistung für Unbemittelte grundsätzlich verkannt.
cc) Da das angegriffene Urteil bereits aus diesen beiden Gründen aufgehoben werden muß, kann dahingestellt bleiben, ob auch Art. 2 Abs. 1 und 2 GG dadurch verletzt worden ist, daß das Gericht die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Verpflichtung zur Veräußerung ihres Wohnungseigentums für aussichtslos erachtete, obwohl die Beschwerdeführerin unwidersprochen dargelegt hat, daß ihr dadurch gesundheitliche Nachteile drohen. Auch braucht nicht untersucht zu werden, ob Art. 13 GG verletzt worden ist.
3. Einer Entscheidung über den Antrag auf Prozeßkostenhilfe und auf Beiordnung eines Anwalts bedarf es nicht mehr.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1775782 |
NJW 1994, 241 |