Leitsatz

Klärung durch die Fachgerichte!

 

Normenkette

§ 18 WEG, § 19 WEG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG

 

Kommentar

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Nichtannahme-Beschluss wie folgt entschieden:

1. Es ist allein Sache der Fachgerichte (= Wohnungseigentumsgericht), zu klären, ob § 18 WEG nur erlaubt, die Konsequenzen aus einem zurechenbaren Handeln zu ziehen, oder ob diese Bestimmung darüber hinaus einen Schutz gegen schwerwiegende Störungen unabhängig von der Schuld des störenden Eigentümers gewährt.

2. Verletzt ein Eigentümer seine Pflichten gegenüber anderen Wohnungseigentümern nicht schuldhaft schwer und liegt die Wiederholung einer schweren Verletzung auch nicht nahe, müssen besondere Gründe vorliegen, wenn allein aufgrund vergangener Verletzungen eine Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums erfolgen soll.

3. Eine Entscheidung des Gerichts, die diese Grundsätze nicht berücksichtigt, verletzt Art. 14 Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip und ist aufzuheben.

4. Im vorliegenden Fall hatte ein Wohnungseigentümer aufgrund paranoid halluzinatorischer Schizophrenie andere Mitbewohner erheblich gestört. Seit entsprechender medizinischer Behandlungen seien allerdings seither keine Belästigungen mehr aufgetreten. Dennoch wurde miteigentümerseits das Verfahren nach den §§ 18 und 19 WEG eingeleitet.

In der Literatur besteht nun Streit darüber, ob nur schuldhaftes Handeln des Störers Voraussetzung für die Entziehung des Wohnungseigentums sein kann. Ob "schuldig machen" im Sinne des § 18 WEG in der einen oder anderen Weise ausgelegt wird, ist eine Frage des einfachen Rechts, die von den Fachgerichten geklärt werden muß. Soll es nicht auf die Zurechenbarkeit ankommen, liegt jedenfalls dann keine die Grundrechte verletzende Fehlinterpretation seitens der Fachgerichte vor, wenn die Schuldunfähigkeit bei der Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung berücksichtigt wird. Eine Veräußerungsverpflichtung ist jedenfalls zulässig, wenn weitere schwere Verletzungen zu befürchten stehen. Aber auch dann, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht zu erwarten ist, kann eine Verpflichtung zur Veräußerung zulässig sein, wenn die einmalige Verletzung von einer solchen Schwere ist, dass den anderen Wohnungseigentümern das weitere gemeinsame Bewohnen einer Anlage zusammen mit demjenigen, der seine Pflichten ihnen gegenüber verletzt hat, nicht zugemutet werden kann. Dabei spielt auch keine Rolle, inwieweit das Verhalten desjenigen nachwirkt, der seine Verpflichtungen gegenüber den anderen Wohnungseigentümern verletzt hat. Erfolgt eine Verletzung nicht schuldhaft und liegt eine Wiederholung auch nicht nahe, müssen jedenfalls besondere Gründe vorliegen, wenn allein aufgrund vergangener Verletzungen eine Verpflichtung zur Veräußerung des Wohnungseigentums erfolgen soll.

 

Link zur Entscheidung

( BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993, 1 BvR 1523/92= ZMR 11/1993, 503 = NJW 94, 241)

zu Gruppe 7: Gerichtliches Verfahren

Anmerkung:

Ergänzend darf auf eine Entscheidung eines Fachgerichts verwiesen werden und zwar auf das Urteil des AG Reinbek, vom 24.02.1993, 5 C 87/91( = DWE 3/93, 127). Dort entschied das Amtsgericht, dass wiederholte Beschmutzungen und Sachbeschädigungen durch einen Eigentümer eine derart schwere Verletzung der Pflichten darstellen, dass die Entziehung des Wohnungseigentums gerechtfertigt ist; Verschulden sei keine Voraussetzung zur Entziehung des Wohnungseigentums.

Auch ich möchte mich dieser Meinung anschließen, die auch im Kommentar von Bärmann/Pick/Merle in § 18 Rdn. 5, 6 (wohl die Mindermeinung) vertreten wird. In meiner Praxis häufen sich Fälle, in denen geistig gestörte, kranke und an sich bemitleidenswerte Personen (teils bereits entmündigt) ganz erheblich den Frieden in einer Anlage stören, ja sogar Terror betreiben und andere Mitbewohner gefährden und in Angst und Schrecken versetzen. Bevor hier Sach- und ggf. Körperschäden eintreten, müsste an sich eine Gemeinschaft die Möglichkeit haben, über §§ 18 und 19 WEG Schutz zu suchen. Jegliche andere gerichtliche Anträge unter Beugestraf-Vollstreckungszwang dürften ebenfalls an der Verschuldensvoraussetzung scheitern und nicht zu einer Situationsverbesserung führen.

Dieses Ergebnis mag vielleicht hart klingen, doch scheint mir im Rahmen einer Güterabwägung der Schutz der restlichen Bewohner in diesem Fall vorrangig gegenüber den Interesse des kranken Störers, der intensiver Pflege bedarf und ohne Reibungspunkte mit anderen Mitbewohnern unter einem Dach und evtl. Provokationen i.d.R. anderen Ortes besser geheilt werden kann.

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