Verfahrensgang
LG Mannheim (Beschluss vom 22.02.2005; Aktenzeichen 25 AR 3/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
I.
1. Die Staatsanwaltschaft führt gegen den ehemaligen Finanzvorstand und den früheren Abteilungsleiter der Darlehensabteilung der Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren. Die Beschuldigten sind verdächtig, sich Vergehen des Betrugs zum Nachteil von Kunden der Beschwerdeführerin sowie der Untreue schuldig gemacht zu haben.
Nachdem die Staatsanwaltschaft bei einer Durchsuchung in den Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt hatte, beantragte ein von mehreren Geschädigten beauftragter Rechtsanwalt Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft erhielt er (ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin) kurzfristig neben einer Ablichtung des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses auch die Kopie eines Gutachtens einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ausgehändigt. Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim Landgericht, u.a. folgendes festzustellen:
“Die Einsichtnahme in die Ermittlungsakten und Asservate wird versagt, soweit die bei der Antragstellerin am 21. September 2004 sicher gestellten Unterlagen davon betroffen sind und so lange die Antragstellerin nicht hierzu zuvor gehört und ihr Gelegenheit zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über das jeweilige Akteneinsichtsgesuch gewährt wurde.”
Diesen Antrag wies das Landgericht als unzulässig zurück, weil die Beschwerdeführerin über kein Rechtsschutzbedürfnis verfüge. Dessen ungeachtet habe die Staatsanwaltschaft – regelmäßig nach Anhörung des Betroffenen – für jedes Dokument einzeln die Voraussetzungen für die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e StPO zu prüfen und dabei auch zu berücksichtigen, dass mit dem Vollzug der Akteneinsicht vollendete Tatsachen geschaffen würden.
2. Mit der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes sei hier davon abhängig, dass die Staatsanwaltschaft vor Vollziehung der Akteneinsicht dem Betroffenen die Möglichkeit gebe, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 406e Abs. 4 Satz 2 StPO zu stellen. Art. 19 Abs. 4 GG verlange, dass die Gerichte dem Grundrechtsschutz tatsächlich Wirksamkeit verschafften; insbesondere seien irreparable Folgen vor Erlass einer Gerichtsentscheidung soweit wie möglich zu vermeiden. Dies könne hier nur durch die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes erreicht werden.
Da sie sich auf Grund der Entscheidung des Landgerichts gegen die Preisgabe geschützter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nicht angemessen zur Wehr setzen könne, würden zudem ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit ihr sozialer Geltungsanspruch als Wirtschaftsunternehmen beeinträchtigt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geltend macht, fehlt es ihr an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
Nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung haben zunächst die Fachgerichte die Aufgabe, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen (BVerfGE 107, 395 ≪414≫). Ein Rechtsschutzbedürfnis für den außergewöhnlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde besteht erst dann, wenn im fachgerichtlichen Verfahren (zumutbar) kein Grundrechtsschutz mehr zu erlangen ist.
Hier kann die Staatsanwaltschaft das Recht der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz in künftigen Fällen noch in vollem Umfang gewährleisten, so dass es eines Eingreifens des Bundesverfassungsgerichts nicht bedarf. Denn die Staatsanwaltschaft wird über vorliegende oder später eingehende Gesuche um Akteneinsicht erst noch im Einzelnen konkret zu befinden haben, wobei sie die grundrechtlich geschützten Belange der Beschwerdeführerin einschließlich ihres Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz vollständig berücksichtigen kann. Dabei ist sie jedenfalls dann regelmäßig zu einer Anhörung der von einem Einsichtsersuchen betroffenen Beschuldigten oder Dritten verpflichtet, wenn mit der Gewährung von Akteneinsicht ein Eingriff in Grundrechtspositionen des Betroffenen, hier der Beschwerdeführerin, verbunden wäre (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Stand: 2001, § 406e Rn. 16; Riedel/Wallau, NStZ 2003, S. 393 ≪397≫; Otto, GA 1989, S. 289 ≪305/306≫; Schäfer, Wistra 1988, S. 216 ≪219/220≫, der in diesen Fällen eine Ermessensreduzierung annimmt; Schlothauer, StV 1987, S. 356 ≪358≫; Grandel, Die Strafakteneinsicht durch Verletzte und nichtverfahrensbeteiligte Dritte im Lichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, 1989, S. 238 ff.). Kommt die Staatsanwaltschaft, die an Gesetz und Recht gebunden ist, dem nach, kann die Beschwerdeführerin ihre Bedenken darlegen und vorsorglich für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft dennoch (teilweise) Akteneinsicht gewähren oder Auskünfte an Dritte erteilen will, eine gerichtliche Entscheidung beantragen. Hatte die Staatsanwaltschaft nicht bereits mit der Anhörung die beabsichtigte Gewährung von Akteneinsicht angekündigt, hätte sie die Sache jedenfalls auf einen solchen Antrag hin vor dem Vollzug der Akteneinsicht zunächst dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Verwerfung des (nicht auf bestimmte Ersuchen Verletzter bezogenen) Feststellungsantrags steht einer solchen Behandlung konkreter Anträge auf Akteneinsicht nicht entgegen. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft im Wissen um die Auffassung des Landgerichts künftig Verfahrensrechte der Beschwerdeführerin verletzen wird. Die angegriffene Entscheidung begründet daher nicht die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin effektiven Rechtsschutz hier erst nach Eintritt irreparabler Folgen erlangen kann.
2. Ebenso fehlt es der Beschwerdeführerin an einem Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG rügt.
Auch insoweit hat die angegriffene Entscheidung die Rechtsposition der Beschwerdeführerin nicht geschmälert. Sachlich nicht gerechtfertigte Eingriffe in diese Grundrechte wären hier zudem erst dann zu besorgen, wenn die Staatsanwaltschaft unter Missachtung des dargelegten Verfahrens Dritten eine Einsichtnahme in bestimmte Unterlagen der Beschwerdeführerin gewähren würde. Hierin läge indes ein neuer, eigenständiger Hoheitsakt, der mit dem jetzt angegriffenen Beschluss des Landgerichts in keinem unmittelbaren Zusammenhang stünde, sondern von der Beschwerdeführerin selbstständig anzufechten wäre.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
ZAP 2005, 1229 |
NStZ-RR 2005, 242 |
NJW-Spezial 2005, 376 |