Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 23.10.2008; Aktenzeichen 1 StR 516/08) |
LG Karlsruhe (Urteil vom 06.06.2008; Aktenzeichen 4 KLs 650 Js 43304/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, inwieweit das Grundgesetz Beschuldigte vor der Verwertung der Ergebnisse heimlicher Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren schützt, soweit diese Ermittlungsmaßnahmen sich gegen Angehörige des Beschuldigten richten, denen das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO zusteht.
Der Beschwerdeführer ist mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 6. Juni 2008 unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Dem Beschwerdeführer liegt zur Last, im Januar 1993 gemeinsam mit einem Mittäter in B. eine Sparkasse überfallen zu haben. Von der Tatbeteiligung des Beschwerdeführers – der zu den Vorwürfen keine Angaben gemacht hatte – überzeugte sich das Gericht maßgeblich anhand mehrerer Gespräche zwischen dem Mittäter und dem Bruder des Beschwerdeführers, die im Dezember 2007 im Pkw des Bruders des Beschwerdeführers geführt und aufgrund einer prozessual ordnungsgemäßen richterlichen Anordnung nach § 100f Abs. 2, 3 StPO im Rahmen eines anderweitigen Ermittlungsverfahrens von der Kriminalpolizei überwacht und protokolliert wurden. Den dort gefallenen Äußerungen des Bruders des Beschwerdeführers entnahm die Strafkammer, dass der Beschwerdeführer seinerzeit an der Tat beteiligt gewesen sei. In der Hauptverhandlung verweigerte der Bruder des Beschwerdeführers das Zeugnis nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Sein Gesprächspartner bestritt eine Tatbeteiligung des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer widersprach der Verwertung der abgehörten Gespräche in der Hauptverhandlung erfolglos.
Im Rahmen der Revision erhob der Beschwerdeführer eine Verfahrensrüge, mit der er die Verwertung der geschilderten Gespräche angriff und die Auffassung vertrat, insofern müsse ein Verwertungsverbot eingreifen. Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Die Verfahrensrüge sei unbegründet. Der Gesetzgeber habe bewusst und in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff vom 3. März 2004 (BVerfGE 109, 279) über die nach § 53 StPO geschützten Berufsgruppen hinaus keine Beweiseinschränkungen für Erkenntnisse, die mittels einer telekommunikativen Überwachung außerhalb des privaten Kernbereichs gewonnen worden seien, vorgenommen. Im Gegensatz zu § 53 StPO schütze § 52 StPO die Zwangslage eines Zeugen, der zur Wahrheit verpflichtet sei, aber befürchten müsse, dadurch einem Angehörigen zu schaden. Nicht hingegen werde die Wahrheitsfindung oder der Angeklagte vor der Verwertung konfliktbehafteter Beweismittel abgeschirmt. Eine Konfliktlage entstehe ausschließlich in einer vernehmungsähnlichen Situation; eines über das in einer solchen Situation eingreifende Zeugnisverweigerungsrecht hinausgehenden Schutzes des Angehörigenverhältnisses bedürfe es nicht. Dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend verwarf der Bundesgerichtshof die Revision mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 ohne weitere Begründung.
3. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung; ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Danach ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
Prüfungsmaßstab ist in erster Linie das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren. Dieses wurzelt im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des Grundgesetzes, insbesondere in dem durch ein Strafverfahren bedrohten Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in Art. 1 Abs. 1 GG, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪274 f.≫), und den Staat zu korrektem und fairem Verfahren verpflichtet (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪111≫). An dem Recht auf ein faires Verfahren sind diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den speziellen Gewährleistungen der grundgesetzlichen Verfahrensgrundrechte nicht erfasst werden (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪274≫; 109, 13 ≪34≫).
Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann – in den vom Gesetz gezogenen Grenzen – den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪276≫; 64, 135 ≪145 f.≫). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 – 2 BvR 2044/07 –, juris, Rn. 72). Insofern ist zu bedenken, dass jedes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt; von Verfassungs wegen stellt ein Beweisverwertungsverbot mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar (vgl. BVerfGE 33, 367 ≪383≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. September 2003 – 2 BvR 1337/03 –, NStZ-RR 2004, S. 18).
Rechtsstaatlich unverzichtbar und daher von Verfassungs wegen erforderlich ist es in Konstellationen der vorliegenden Art weder, ein absolutes Verwertungsverbot hinsichtlich der von einem Angehörigen getätigten Aussagen anzunehmen (a), noch, eine Verwertung nur unter erhöhten Anforderungen zuzulassen, etwa nach einer spezifischen Abwägung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter (relatives Beweisverwertungsverbot; dazu b). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber Beweisverwertungsverbote unterschiedlicher Intensität für Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger in § 160a StPO angeordnet hat (c).
Allerdings gehört der in verschiedenen Vorschriften des Strafverfahrensrechts garantierte Schutz des Angehörigenverhältnisses (vgl. § 52 Abs. 1, Abs. 3, § 97 Abs. 1, § 100c Abs. 6, § 252 StPO) in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94 u.a. –, NStZ 2000, S. 489 ≪490≫).
Dieser Kernbestand wäre möglicherweise berührt, wenn das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO angetastet würde, dessen Zweck nicht nur darin liegt, Loyalitäts- und Gewissenskonflikte des Zeugen zu vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. September 2003 – 2 BvR 1337/03 –, NStZ-RR 2004, S. 18 ≪19≫), sondern das auch Interessen des Angeklagten schützt (vgl. BGHSt 11, 213 ≪216≫); auch die Absicherung dieses Rechts über das (grundsätzliche) Verwertungsverbot des § 252 StPO mag zum Kernbereich zählen. Diese Ausprägung des Angehörigenschutzes setzt jedoch zunächst immer eine Vernehmungssituation voraus, da es sonst an der Konfliktsituation fehlt, bei der das „Zeugnis”-Verweigerungsrecht gerade ansetzt. Fairnessgesichtspunkte sprechen zudem dafür, dem Staat auch eine bewusste Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch eine gezielte Ausforschung zeugnisverweigerungsberechtigter Personen außerhalb von Vernehmungssituationen, etwa durch Vertrauenspersonen, zu verwehren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94 u.a. –, NStZ 2000, S. 489 ≪490≫ sowie BGH, Urteil vom 29. April 2009 – 1 StR 701/08 –, NJW 2009, S. 2463). Die vorliegend interessierenden Äußerungen des Bruders des Beschwerdeführers wurden jedoch weder in einer Vernehmungssituation noch unter Umgehung einer solchen Situation getätigt. Es handelt sich vielmehr um Zufallsergebnisse einer in anderer Sache angeordneten akustischen Überwachung.
Ebenso wenig einschlägig ist vorliegend der vom Beschwerdeführer in den Vordergrund gestellte Gesichtspunkt für einen besonderen Schutz des Angehörigenverhältnisses, nämlich der enge Zusammenhang mit der Menschenwürde des Beschuldigten. Die Menschenwürde schützt einen Kernbereich vertraulicher Kommunikation und deren räumliches Substrat, das insbesondere in der Privatwohnung besteht (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪313 f.≫). Die Anwesenheit von Personen des höchstpersönlichen Vertrauens kann in diesem Zusammenhang einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Menschenwürderelevanz des Gesprächsinhalts darstellen (a.a.O. S. 322). Dieser Gesichtspunkt zielt jedoch auf den Schutz der Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen dem Beschuldigten und seinem Angehörigen, insbesondere – wenn auch möglicherweise nicht ausschließlich – in der Wohnung. Eine besondere Privilegierung von Gesprächen eines Angehörigen mit Dritten – wie hier – besteht von Verfassungs wegen danach nicht.
b) Aus diesem Grund ist es – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – auch nicht geboten, die Abwägungsregelung des § 100c Abs. 6 StPO auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Das dort statuierte relative Beweisverwertungsverbot, das eine Verwertung von Gesprächen mit Angehörigen nur nach besonderer Prüfung der Verhältnismäßigkeit zulässt, rechtfertigt sich aus der Vermutung, das Gespräche, die in der Wohnung des Beschuldigten mit Angehörigen geführt werden, oftmals den Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung des Beschuldigten betreffen werden und daher eines verstärkten – wenn auch nicht absoluten (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪328 f.≫) – Schutzes vor staatlicher Ausforschung bedürfen. Diese Vermutung lässt sich auf die vorliegende Situation – Gespräch eines Angehörigen mit einem Dritten in einem Pkw – nicht übertragen (vgl. auch BGHSt 44, 138 ≪142≫).
c) Auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber durch § 160a Abs. 1 Satz 2 und 5, Abs. 2 Satz 3 StPO die Verwertung von Ermittlungsergebnissen für den Fall beschränkt hat, dass die Ermittlungen sich gegen nach § 53 StPO zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgeheimnisträger richteten oder diese betrafen, verpflichtet die Strafgerichte nicht zur (sinngemäßen) Erstreckung der Regelungen des Abs. 1 oder Abs. 2 auf zeugnisverweigerungsberechtigte Angehörige. Eine solche Verpflichtung käme in Betracht, wenn in der Differenzierung des Gesetzgebers eine nach Art. 3 Abs. 1 GG unzulässige Ungleichbehandlung läge und zu deren Behebung eine Erstreckung der Vergünstigung auf die vom Gesetzgeber nicht berücksichtigten Fälle erforderlich wäre. Es fehlt jedoch schon an einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung.
Wie der Beschwerdeführer selbst einräumt, bestehen zwischen den Gruppen der zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen einerseits und der Berufsgeheimnisträger andererseits neben einigen Gemeinsamkeiten durchaus erhebliche Unterschiede rechtlicher und tatsächlicher Art. Hier ist vor allem zu nennen, dass die Regelungen über die Verschwiegenheit der Berufsgeheimnisträger von vornherein gegenständlich beschränkt, dafür aber in ihrer Intensität umfassender ausgestaltet sind als die die Angehörigen betreffenden Vorschriften: Berufsgeheimnisträger dürfen das Zeugnis aus naheliegenden Gründen verweigern nur über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Geheimnisträger anvertraut ist (§ 53 StPO); insofern müssen sie jedoch auch Verschwiegenheit wahren, und zwar nicht nur gegenüber Ermittlungsbehörden, sondern gegenüber jedermann (§ 203 StGB). Wer also einem Berufsgeheimnisträger als solchem ein Geheimnis anvertraut, behält damit weitgehend die Dispositionsmöglichkeit über die weitergegebenen Informationen; wer einem Angehörigen etwas anvertraut, muss grundsätzlich damit rechnen, dass diese Information auch weitergegeben werden kann. Dieser Unterschied rechtfertigt jedenfalls die unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber. Einer vertieften Auseinandersetzung mit der Regelung des § 160a StPO und deren Verfassungsmäßigkeit bedarf es in diesem Zusammenhang nicht.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2263087 |
NJW 2010, 287 |
wistra 2010, 60 |
DSB 2010, 20 |
Kriminalistik 2010, 81 |
NJW-Spezial 2009, 777 |
NPA 2011 |
StV 2011, 261 |