Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft im Wesentlichen eine unterbliebene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (Europäischer Gerichtshof – EuGH) hinsichtlich der Auslegung des Doppelbestrafungsverbotes nach Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta – GrCh).
A.
I.
1. Der 90-jährige Beschwerdeführer war während der deutschen Besatzung der Niederlande in den 1940er Jahren Mitglied eines Sonderkommandos der Waffen-SS in den Niederlanden. Sein Vater war Niederländer, seine Mutter Deutsche. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei der SS beging er in den Niederlanden drei Morde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte der Beschwerdeführer in niederländische Kriegsgefangenschaft, bis ihm im Juni 1947 die Flucht gelang. Er hielt sich in den Niederlanden verborgen, bis er 1954 nach Deutschland kam.
Wegen der Morde verhängte das Sondergericht Amsterdam gegen den Beschwerdeführer mit Urteil vom 18. Oktober 1949 die Todesstrafe. Der Beschwerdeführer war bei der Hauptverhandlung nicht anwesend und nicht durch einen Verteidiger verteidigt. Fünf Jahre nach der Urteilsverkündung wandelte sich die Strafe qua Gesetz in eine lebenslange Freiheitsstrafe um. Das Urteil ist bis zum heutigen Tage – bis auf einen Teil anzurechnender Untersuchungshaft – nicht vollstreckt worden.
Im Jahre 1955 wurde dem Beschwerdeführer die niederländische Staatsangehörigkeit entzogen. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, er habe durch den Eintritt in die Waffen-SS und die dortige Ableistung einer 2-jährigen Dienstzeit die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Im Jahre 1980 beantragten die Niederlande die Auslieferung des Beschwerdeführers, um das Urteil aus dem Jahre 1949 zu vollstrecken. Die Auslieferung hielt das Oberlandesgericht Köln im Jahre 1983 für unzulässig. Der Auslieferung stehe Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG entgegen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer gemäß dem Führererlass vom 19. Mai 1943 (RGBl I S. 315) die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe.
Ebenfalls im Jahre 1983 leitete die Staatsanwaltschaft Dortmund – Zentralstelle für die Verfolgung nationalsozialistischer Massenverbrechen – ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer ein. Dieses stellte sie allerdings am 15. Februar 1984 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, da sie die Taten des Beschwerdeführers als gerechtfertigte Kriegsrepressalien einstufte.
Im Juni 2003 stellten die Niederlande ein Vollstreckungsübernahmeersuchen zur Vollstreckung des Urteils aus dem Jahre 1949. Dies lehnte das Oberlandesgericht Köln im Jahre 2007 ab, da die Vollstreckung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG unzulässig sei. Das Urteil und das Verfahren vor dem Sondergericht Amsterdam hätten völkerrechtliche Mindestmaßstäbe nicht eingehalten.
2. Im Zuge dieses Vollstreckungsübernahmeersuchens nahm die Staatsanwaltschaft Dortmund ihre Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer wieder auf und erhob im April 2008 Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen dreifachen Mordes.
Das Landgericht Aachen beschloss zunächst, das Hauptverfahren wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers nicht zu eröffnen. Diesen Beschluss hob das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 1. Juli 2009 auf und eröffnete das Hauptverfahren. Die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1724/09 nahm die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 6. Oktober 2009 nicht zur Entscheidung an; der Beschwerdeführer sei nicht in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.
Während der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Aachen von Oktober 2009 bis März 2010 legte der Beschwerdeführer ein umfassendes Geständnis ab. An den 20 Verhandlungstagen, die mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers täglich maximal drei Stunden dauerten, musste der Beschwerdeführer laufend medizinisch überwacht werden. Am 1. Dezember 2009 beantragte der Beschwerdeführer die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon (ABl EU 2007, C 306/01) an diesem Tag gelte nunmehr gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV die Grundrechtecharta als bindendes Recht. Art. 50 Grundrechtecharta lautet:
Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden.
Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.
Der Beschwerdeführer trug vor, die Grundrechtecharta enthalte in ihrem Artikel 50 ein europäisches Doppelbestrafungsverbot. Da der Beschwerdeführer wegen der begangenen Morde bereits durch das Sondergericht Amsterdam verurteilt worden sei, dürfe er dafür gemäß Art. 50 GrCh nicht erneut von einem deutschen Gericht verurteilt werden. Für die Anwendbarkeit des Art. 50 GrCh komme es – anders als bei Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) vom 19. Juni 1990 (BGBl 1993 II S. 1010 ff.) – nicht darauf an, ob das Urteil des Sondergerichts in den Niederlanden bereits vollstreckt sei beziehungsweise nicht mehr vollstreckt werden könne. Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen lautet:
Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
Den Antrag auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO lehnte das Landgericht Aachen ab. Mit angegriffenem Urteil vom 23. März 2010 verurteilte es den Beschwerdeführer wegen dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Hinsichtlich der Verurteilung durch das Sondergericht Amsterdam führte das Landgericht aus, diese habe keine strafklageverbrauchende Wirkung im Sinne von § 260 Abs. 3 StPO. Art. 50 GrCh enthalte zwar ein grenzüberschreitendes Doppelbestrafungsverbot. Ein solches transnationales Doppelbestrafungsverbot gelte indes für die Mitgliedstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens bereits seit längerem, und zwar gemäß Art. 54 SDÜ. Art. 54 SDÜ stehe aber einer nochmaligen Verfolgung und doppelten Bestrafung dann nicht entgegen, wenn die Strafe aus dem Ersturteil noch vollstreckt werden könne. Eine solche eindeutige Vollstreckungsklausel enthalte Art. 50 GrCh zwar seinem Wortlaut nach nicht. Jedoch sei weder der Grundrechtecharta noch dem Vertrag von Lissabon oder anderen Normen zu entnehmen, dass der den Normgebern bekannte Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GrCh verdrängt oder modifiziert werden sollte. Daher besitze Art. 54 SDÜ nach wie vor Gültigkeit und sei als zulässige Einschränkung von Art. 50 GrCh zu werten. Auch die Voraussetzungen der Einschränkungsmöglichkeit gemäß Art. 52 GrCh lägen vor. Der Wesensgehalt von Art. 50 GrCh werde nicht angetastet, da der grundsätzliche Schutz vor Doppelbestrafung bestehen bleibe und nur eine sachlich gerechtfertigte Eingrenzung durch das Kriterium der Vollstreckung oder Vollstreckbarkeit erfolge. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde gewahrt. Art. 54 SDÜ verfolge das legitime Ziel der Effektivität der Rechtspflege sowie das Interesse der Allgemeinheit und der Opfer an einer Strafverfolgung. Die Wertung erscheine in einem Fall wie dem vorliegenden als zwingend, in dem die Vollstreckung des Ersturteils rechtlich nicht zu befürchten sei: Die rechtskräftige Erstverurteilung sei in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckbar, die Auslieferung sei abgelehnt worden und bisher sei keine Vollstreckung erfolgt, zugleich sei im Staat, in dem die Erstverurteilung erfolgte, eine Vollstreckung möglich und zulässig. Das Urteil des Sondergerichts Amsterdam sei rechtskräftig und nicht mehr anfechtbar. Es sei weder bereits vollstreckt noch werde es vollstreckt, zudem sei es noch vollstreckbar. Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedürfe es angesichts der dargelegten Rechtsauffassung nicht.
Mit seiner Revision beantragte der Beschwerdeführer erneut, das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Hilfsweise beantragte er eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß § 1 Abs. 2 EuGHG, um im Wege der Vorabentscheidung zu klären, ob Art. 50 GrCh einschränkungslos den Fall erfasse, dass es eine Erstverurteilung wegen desselben Sachverhalts gebe oder ob Art. 50 GrCh durch Art. 54 SDÜ eingeschränkt werde.
3. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 1. Dezember 2010 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet. Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 50 GrCh sei nicht begründet, und eine Vorlagepflicht habe nicht bestanden. Im angegriffenen Beschluss machte der Bundesgerichtshof zu diesen beiden Aspekten keine weiteren Ausführungen, sondern schloss sich den diesbezüglichen Ausführungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in dessen Beschluss vom 25. Oktober 2010 (1 StR 57/10) an.
Jenem Beschluss lag ein ähnlich gearteter Ausgangsfall zugrunde: Ein italienisches Militärgericht hatte im Jahre 2006 einen deutschen Anführer des Gebirgspionierbataillons 818 in seiner Abwesenheit wegen Tötung von Unbeteiligten in Italien im Zweiten Weltkrieg als Rache für einen Partisanenangriff zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil war rechtskräftig und bisher nicht vollstreckt worden, könnte aber in Italien noch vollstreckt werden. Im August 2009 verurteilte das Landgericht München I den Angeklagten aufgrund dieser Taten wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe.
Die dagegen eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof und verneinte eine Verletzung des Doppelbestrafungsverbots aus Art. 50 GrCh. Zwar sei das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 50 GrCh, anders als das entsprechende Verbot des Art. 54 SDÜ, nicht ausdrücklich durch Vollstreckungsbedingungen modifiziert. Jedoch könnten gemäß Art. 52 Abs. 1 GrCh die in der Charta anerkannten Rechte durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt werden, die den Wesensgehalt der Charta achteten. Art. 54 SDÜ sei eine solche einschränkende Regelung. Dies ergebe sich aus den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl EU 2007, C 303/17), die ausweislich der Präambel der Charta bei der Auslegung der Bestimmungen der Charta zu berücksichtigen seien. In den Erläuterungen heißt es zu Art. 50 GrCh:
Nach Art. 50 findet der Grundsatz ‚ne bis in idem’ nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten Anwendung. Dies entspricht dem Rechtsbesitzstand der Union; siehe die Artikel 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens und Urteil des Gerichtshofes vom 11. Februar 2003, Rechtssache C-187/01 Gözütok (Slg. 2003, I-1345), Artikel 7 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie Artikel 10 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung. Die klar eingegrenzten Ausnahmen, in denen die Mitgliedstaaten nach diesen Übereinkommen von der Regel ‚ne bis in idem’ abweichen können, sind von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt. (…).
Danach bestehe kein Zweifel, so der Bundesgerichtshof, dass Art. 50 GrCh nur nach Maßgabe von Art. 54 SDÜ gelte, dementsprechend in der vorliegenden Konstellation nicht eingreife.
Für eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof sah der Bundesgerichtshof keinen Raum. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts sei angesichts der dargelegten Erläuterungen offenkundig und zweifelsfrei.
II.
Der Beschwerdeführer rügt sinngemäß eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 25 Satz 1 GG sowie ausdrücklich eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.
1. Der Grundsatz ‚ne bis in idem’ sei mittlerweile eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 Satz 1 GG. Das Doppelbestrafungsverbot sei völkerrechtlich mittlerweile nicht mehr nur für jeweils in einem Staat erfolgende gerichtliche Aburteilungen anerkannt – wie etwa durch Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) –, sondern auch für grenzüberschreitende Sachverhalte. Das zeigten Art. 54 SDÜ und Art. 50 GrCh.
2. Art. 103 Abs. 3 GG sei bereits durch die Einleitung eines erneuten Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer verletzt. Zwar erfasse Art. 103 Abs. 3 GG in der bisherigen Auslegung nur Erstverurteilungen oder Freisprüche deutscher Gerichte (so BVerfGE 75, 1 ≪15 f.≫). Im internationalen Bereich habe sich die Rechtslage jedoch maßgeblich verändert. Gemäß Art. 54 SDÜ und Art. 50 GrCh gelte das Doppelbestrafungsverbot nunmehr auch für grenzüberschreitende Sachverhalte. Zudem enthalte Art. 50 GrCh nach seinem Wortsinn kein einschränkendes Vollstreckungselement mehr. Daher liege es mehr als nahe, Art. 103 Abs. 3 GG im Lichte dieser Entwicklungen auszulegen und nunmehr auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwenden. Da der Beschwerdeführer wegen der drei Morde bereits im Jahre 1949 in den Niederlanden verurteilt worden sei, verstoße die erneute Verurteilung durch das Landgericht Aachen gegen Art. 103 Abs. 3 GG.
3. Darüber hinaus verstoße der Beschluss des Bundesgerichtshofs gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, da der Bundesgerichtshof die Frage nach der Auslegung von Art. 50 GrCh gemäß § 1 Abs. 2 EuGHG dem Europäischen Gerichtshof habe vorlegen müssen.
a) Im Falle des Beschwerdeführers sei – neben dem Parallelfall, den der Bundesgerichtshof am 25. Oktober 2010 entschieden hatte –, zum ersten Mal über die Reichweite von Art. 50 GrCh zu entscheiden gewesen. Der Bundesgerichtshof habe eine im Einzelnen schwierig zu beantwortende Frage des Unionsrechts entschieden und unter Heranziehung der der Charta angefügten Erläuterungen eine Auslegung der Grundrechtecharta vorgenommen, die alleine Sache des Europäischen Gerichtshofs sei.
b) Die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung von Art. 50 GrCh sei keinesfalls offenkundig und zweifelsfrei. Die Literatur habe die vorliegende Fallkonstellation bisher nur teilweise aufgearbeitet, die einschlägigen Erläuterungswerke zur Grundrechtecharta äußerten sich zu der Frage der Einschränkbarkeit von Art. 50 GrCh durch Art. 54 SDÜ überhaupt nicht. Beachtliche Stimmen in der Literatur würden die Gegenauffassung vertreten. So nehme Reichling (StV 2010, S. 237 ff.) an, die Grundrechtecharta einerseits und das SDÜ seien unterschiedliche Regelungskomplexe mit eigenständigen Anwendungsbereichen. Burchard/Brodowski (StraFo 2010, S. 179 ff.) nähmen an, angesichts der ungeklärten Auslegungsfragen dürfe keinesfalls von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof abgesehen werden.
c) Schließlich habe der Bundesgerichtshof eine Lösung vertreten, ohne die im Ergebnis vorzugswürdige Gegenauffassung zu erwägen. Es sei überzeugender, Art. 54 SDÜ nicht als Einschränkung von Art. 50 GrCh zu qualifizieren. Im innerstaatlichen Recht würden Regelungen, die das Doppelbestrafungsverbot einschränkten, etwa die Regelung über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, vom Wortsinn her ihren Charakter als einschränkende Normen deutlich ausdrücken. Art. 54 SDÜ sei demgegenüber nicht als Einschränkung für ein Grundrecht wie Art. 50 GrCh konzipiert. Vielmehr habe Art. 54 SDÜ den ‚ne bis in idem’-Grundsatz auf internationale Sachverhalte ausweiten wollen. Systematisch sei daher aus der Bestimmung keine Einschränkung herauszulesen. Zudem hätten die Beratungen zur Grundrechtecharta auf Art. 54 SDÜ Bezug genommen, jedoch nicht das Vollstreckungselement übernommen. Daher sei Art. 54 SDÜ als Vorgängerregelung zu Art. 50 GrCh zu begreifen. Überzeugender sei es daher, Einschränkungen von Art. 50 GrCh allein durch die innerstaatlichen Regelungen über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuzulassen.
4. Darüber hinaus rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Freiheit der Person gemäß Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen ließen, so dass die absolut angedrohte Freiheitsstrafe nach § 49 StGB zu mildern gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei schwer erkrankt und habe – auch ausweislich der Feststellungen des Landgerichts – nur noch eine sehr geringe Lebenserwartung. Zudem sei er als 22-jähriger zum Tatzeitpunkt indoktriniert gewesen und habe die Aufforderungen zum Töten als Befehle betrachtet. Schließlich sei es dem Beschwerdeführer deshalb verwehrt, jemals im Leben wieder seine Freiheit zu erlangen, weil der Beschwerdeführer über einen langen Zeitraum nur deshalb nicht verurteilt worden sei, da die Staatsanwaltschaft Dortmund zu Unrecht das Ermittlungsverfahren eingestellt habe. Wäre die rechtswidrige Einstellung nicht erfolgt, hätte bereits Mitte der 1980er Jahre eine Verurteilung stattfinden können und der Beschwerdeführer hätte die Chance gehabt, nach § 57a StGB nach 15 Jahren den Rest seiner lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt zu erhalten. Durch Verschulden der Behörden und aufgrund des Lebensalters des Beschwerdeführers könne es hierzu nunmehr nicht mehr kommen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer vorträgt, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 Satz 1 GG, nach der niemand wegen desselben Sachverhalts, dessentwegen er bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen ist, von einem anderen Staat, dessen Strafgewalt ebenfalls gegeben ist, erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Der Beschwerdeführer vermag die Möglichkeit einer Rechtsverletzung entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht hinreichend darzulegen. Denn nach dem Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2007 (BVerfGK 13, 7 ≪13 ff.≫; zuvor bereits BVerfGE 75, 1 ≪18 ff.≫) ist eine solche allgemeine Regel des Völkerrechts, wie sie der Beschwerdeführer annimmt, gegenwärtig nicht feststellbar. Der Beschwerdeführer hätte insofern darlegen müssen, dass seit dieser Entscheidung, die auch Art. 54 SDÜ einbezogen hat (BVerfGK 13, 7 ≪17 ff.≫), Entwicklungen stattgefunden hätten, die zur Annahme einer allgemeinen Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 Satz 1 GG geführt hätten. Hierzu sind Ausführungen seitens des Beschwerdeführers unterblieben; insbesondere fehlt es an Ausführungen zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht (vgl. BVerfGK 13, 7 ≪13≫ m.w.N.).
II.
1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 103 Abs. 3 GG rügt, ist seine Verfassungsbeschwerde unbegründet. Art. 103 Abs. 3 GG gilt für das Verhältnis zwischen deutschen Gerichten, das heißt die Norm setzt eine Entscheidung durch ein deutsches Gericht voraus (stRspr, BVerfGE 12, 62 ≪66≫; 75, 1 ≪15 f.≫; BVerfGK 13, 7 ≪11 f.≫). Eine solche liegt hier nicht vor, vielmehr wurde die Erstverurteilung von einem anderen Staat, nämlich den Niederlanden, ausgesprochen.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Beschwerdeführers, wonach auf internationaler Ebene Entwicklungen hin zu einem grenzüberschreitenden Verbot der Mehrfachbestrafung stattgefunden hätten, die bei der Auslegung von Art. 103 Abs. 3 GG zu berücksichtigen seien. Hierfür bestehen bereits deshalb keine Anhaltspunkte, da die vom Beschwerdeführer genannten völkerrechtlichen Verträge selbst die konzeptionelle Beschränkung des Verbots der Mehrfachbestrafung auf innerstaatliche Aburteilungen vorsehen. So verhält es sich etwa mit der Regelung des Art. 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl 1973 II S. 1533 ff.; s. UN-Ausschuss für Menschenrechte, Entscheidung vom 2. November 1987, Beschwerde Nr. 204/1986, A.P. ./. Italien, § 7.3., EuGRZ 1990, S. 15 f.; Kadelbach, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, 2006, Kap. 29 Rn. 22). Ebenso gilt das Doppelbestrafungsverbot aus Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention – das die Bundesrepublik Deutschland ohnehin nicht ratifiziert hat – allein für innerstaatliche Aburteilungen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 28. Juni 2001, Beschwerde-Nr. 56811/00, Amrollahi ./. Dänemark, § 1; s. auch bereits Europäische Kommission für Menschenrechte, Entscheidung vom 21. Oktober 1993, Beschwerde-Nr. 17265/90, Baragiola ./. Schweiz, § 3; BVerfGE 75, 1 ≪23≫; BVerfGK 13, 7 ≪15≫; Kadelbach, in: Grote/Marauhn, a.a.O., Kap. 29 Rn. 22; Sinner, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Art. 4 ZP VII Rn. 6).
2. Auch bezüglich der Rüge des Beschwerdeführers, wonach der Bundesgerichtshof gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen habe, indem er eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung von Art. 50 GrCh abgelehnt hat, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Unterlässt es ein deutsches Gericht, ein Vorabentscheidungsgesuch an den Europäischen Gerichtshof zu richten, obwohl es unionsrechtlich dazu verpflichtet ist, werden die Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsverfahrens ihrem gesetzlichen Richter entzogen (BVerfGE 73, 339 ≪366 ff.≫; 75, 223 ≪233 ff.≫; 82, 159 ≪192 ff.≫; 126, 286 ≪315 ff.≫). Allerdings stellt nicht jede Verletzung der sich aus Art. 267 Abs. 3 AEUV ergebenden Vorlagepflicht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen oder offensichtlich unhaltbar sind. Dieser Willkürmaßstab wird auch angelegt, wenn eine Verletzung von Art. 267 Abs. 3 AEUV in Rede steht (BVerfGE 82, 159 ≪194 f.≫; 126, 286 ≪316≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 1741/09 –, NJW 2011, S. 1427 ≪1431≫).
Im Rahmen dieser Willkürkontrolle haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, in denen die Vorlagepflichtverletzung zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führt. Die Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV wird danach insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt. Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt.
Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; 126, 286 ≪316 f.≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 1741/09 –, a.a.O.). Letzteres kann nach der ständigen Rechtsprechung des Zweiten Senats (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪196≫; 126, 286 ≪317≫) insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind. Zu verneinen ist in Fällen der Unvollständigkeit der Rechtsprechung ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG deshalb bereits dann, wenn das Gericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat.
b) In Betracht kommt im vorliegenden Fall allein die Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung. Denn die Fachgerichte haben selbst keine Zweifel an der richtigen Beantwortung der Frage gehegt. Der Bundesgerichtshof ist in seiner Entscheidung auch nicht bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen, denn eine solche Rechtsprechung zum Vollstreckungselement bei Art. 50 GrCh ist bisher soweit ersichtlich nicht ergangen.
Die Voraussetzungen der Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung sind – entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers – im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Bundesgerichtshof ist zwar davon ausgegangen, dass eine entscheidungserhebliche Frage nach der Auslegung von Art. 50 GrCh besteht (aa). Allerdings hat der Bundesgerichtshof seinen ihm im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zukommenden Beurteilungsrahmen nicht in unvertretbarer Weise überschritten (bb).
aa) Der Bundesgerichtshof ist zwar davon ausgegangen, dass eine für das Strafverfahren entscheidungserhebliche Vorlagefrage nach der Auslegung von Art. 50 GrCh besteht. Denn würde Art. 50 GrCh im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers in den Niederlanden eine strafklageverbrauchende Wirkung zeitigen, wäre das hiesige Strafverfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen gewesen. Die Fachgerichte sind nicht willkürlich davon ausgegangen, dass die Grundrechtecharta im vorliegenden Fall Anwendung findet. Dies kann sich allerdings nicht allein – wie die Fachgerichte meinen – aus dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 und der Bezugnahme von Art. 6 Abs. 1 EUV auf die Grundrechtecharta ergeben. Vielmehr muss zusätzlich gemäß Art. 51 GrCh der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eröffnet sein. Die Grundrechtecharta bindet nämlich in erster Linie die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GrCh. Eine Bindung der Mitgliedstaaten sieht die Grundrechtecharta „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union” vor, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 GrCh. Die Bestimmungen der Charta für sich genommen sind daher nicht tauglich, als „Recht der Union” mitgliedstaatliches Handeln der Charta zu unterwerfen, das nicht in Durchführung anderweitigen Unionsrechts ergangen ist. Dies wäre ein unzulässiger Zirkelschluss (Ladenburger, in: Tettinger/Stern ≪Hrsg.≫, Kölner Gemeinschafts-Kommentar zur Europäischen Grundrechtecharta, 2006, Art. 51 GrCh Rn. 34). Indes war es jedenfalls nicht unvertretbar, die für die Anwendung der Charta erforderliche „Durchführung des Rechts der Union” ungeachtet der mit diesem Tatbestandsmerkmal verbundenen Auslegungsfragen darin zu sehen, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte die Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens, hier Art. 54 SDÜ, prüfen müssen. Denn das Schengener Recht entfaltet seit seiner Einbeziehung in den EU-Rahmen aufgrund des Protokolls zum Vertrag von Amsterdam dieselben Rechtswirkungen wie sekundäres Unionsrecht (Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim ≪Hrsg.≫, Das Recht der EU, Stand: September 2010, Art. 77 AEUV Rn. 15; vgl. auch die deklaratorische Festlegung der Rechtsgrundlagen, ABl EU 1999, L 176/17).
bb) (1) Die Voraussetzungen der Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung sind allerdings – entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers – nicht gegeben. Der Bundesgerichtshof hat seinen ihm im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zukommenden Beurteilungsrahmen nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Für eine willkürliche Handhabe der Vorlagepflicht reicht es nicht aus, dass die gegenteilige Rechtsansicht etwa durch Stimmen in der Literatur bekräftigt wird (so z.B. Eser, in: Meyer ≪Hrsg.≫, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl., 2006, Art. 50 GrCh Rn. 14). Vielmehr muss diese Auffassung eindeutig vorzuziehen sein. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Fachgerichte die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet haben (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪196≫; 126, 286 ≪317≫).
(2) So liegt der Fall hier. Der Bundesgerichtshof hat argumentiert, das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 50 GrCh sei zwar, anders als das entsprechende Verbot des Art. 54 SDÜ, nicht ausdrücklich durch Vollstreckungsbedingungen modifiziert. Jedoch könnten gemäß Art. 52 Abs. 1 GrCh die in der Charta anerkannten Rechte durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt werden, die den Wesensgehalt der Charta achteten. Art. 54 SDÜ sei eine solche einschränkende Regelung. Weder der Grundrechtecharta noch dem Vertrag von Lissabon oder anderen Normen sei zu entnehmen, dass der den Normgebern bekannte Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GrCh verdrängt oder modifiziert werden sollte. Daher besitze Art. 54 SDÜ nach wie vor Gültigkeit und sei als zulässige Einschränkung von Art. 50 GrCh zu werten. Auch die Voraussetzungen der Einschränkungsmöglichkeit gemäß Art. 52 Abs. 1 GrCh lägen vor. Diese Auslegung stützt der Bundesgerichtshof maßgeblich auf die der Grundrechtecharta angefügten Erläuterungen (ABl EU 2007, C 303/17). Die Erläuterungen zu Art. 50 GrCh ließen keinen Zweifel daran, dass das Doppelbestrafungsverbot der Grundrechtecharta nur nach Maßgabe von Art. 54 SDÜ gelte.
Diese Auslegung des Bundesgerichtshofs erscheint vertretbar, so dass die vom Beschwerdeführer vertretene Gegenauffassung nicht eindeutig vorzuziehen ist. Zum einen werden die Bestimmungen der Charta unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen ausgelegt (Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV) und sind die Erläuterungen von den Gerichten der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen (Art. 52 Abs. 7 GrCh und Präambel der Grundrechtecharta). Ausweislich der Präambel der Erläuterungen selbst stellen diese eine nützliche Interpretationshilfe dar, die dazu dient, die Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen. Insofern erscheint es nicht willkürlich, wenn der Bundesgerichtshof diese Erläuterungen zur Auslegung einer Chartabestimmung heranzieht. Überdies ist es auch vertretbar, die Erläuterungen zu Art. 50 GrCh im Sinne der Auslegung des Bundesgerichtshofs zu verstehen, wonach das Vollstreckungselement des Art. 54 SDÜ eine zulässige Einschränkung von Art. 50 GrCh darstellt. Denn in den Erläuterungen heißt es zuerst, der Grundsatz ‚ne bis in idem’ finde nach Art. 50 GrCh „zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten seine Anwendung”. Im Anschluss daran stellen die Erläuterungen fest: „Dies entspricht dem Rechtsbesitzstand der Union; siehe Artikel 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens und Urteil des Gerichtshofs vom 11. Februar 2003, Rechtssache C-187/01 Gözütok (Slg. 2003, I-1345), Artikel 7 des Übereinkommens zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie Artikel 10 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung”. Wiederum direkt darauf folgend heißt es, „Die klar eingegrenzten Ausnahmen, in denen die Mitgliedstaaten nach diesen Übereinkommen [Hervorhebung hinzugefügt] von der Regel ‚ne bis in idem’ abweichen können, sind von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt”.
Nach dem Wortlaut und dem Aufbau der Erläuterungen bezieht sich die Formulierung „Die klar eingegrenzten Ausnahmen […] nach diesen Übereinkommen” auf die drei Übereinkommen beziehungsweise deren Ausnahmebestimmungen, die in dem Satz zuvor aufgezählt werden. Damit sind die Art. 54 bis 58 SDÜ erfasst. Denn es ist schon sprachlich nicht ersichtlich, dass sich die „klar eingegrenzten Ausnahmen […] nach diesen Übereinkommen” auf andere Bestimmungen solcher Übereinkommen beziehen könnten, die in den Erläuterungen zu Art. 50 GrCh nicht genannt sind. Ansonsten wäre der Verweis auf „Ausnahmen […] nach diesen Übereinkommen” bezugslos. Die Ausnahmen sind, so die Erläuterungen wörtlich „von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt”. Schließlich enthalten darüber hinaus die Bestimmungen aller genannten Übereinkommen (Art. 54 SDÜ, Art. 7 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ≪ABl EG 1995, C 316/49≫ und Art. 10 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind ≪ABl EG 1997, C 195/2≫) ein Doppelbestrafungsverbot, das voraussetzt, dass die Sanktion bereits vollstreckt worden ist oder derzeit vollstreckt wird oder nach dem Recht des verurteilenden Staates nicht mehr vollstreckt werden kann. Insofern erscheint es naheliegend, die genannten Bestimmungen – so wie der Bundesgerichtshof – als Einschränkungen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GrCh aufzufassen.
III.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
IV.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Di Fabio, Gerhardt, Hermanns
Fundstellen
Haufe-Index 2909321 |
NJW 2012, 1202 |