Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Tenor
Die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. Mai 2006 – 616 Kls 23/05 – über den Antragsteller verhängten Freiheitsstrafe wird, soweit er zum Strafantritt im geschlossenen Vollzug geladen worden ist, bis zur Entscheidung über dessen Verfassungsbeschwerde – längstens für die Dauer von sechs Monaten (§ 32 Abs. 6 BVerfGG) – ausgesetzt.
Gründe
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfGE 88, 25 ≪35≫; stRspr), liegen hier nicht vor.
Es sind daher die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die zugehörige Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 ≪74 f.≫; 92, 126 ≪129 f.≫; 93, 181 ≪186 f.≫; stRspr). Eine einstweilige Anordnung kann nur ergehen, wenn in dieser Abwägung die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe deutlich überwiegen. Das ist hier der Fall.
Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde jedoch später als begründet, so würde der Antragsteller, der sich gegenwärtig in Freiheit und in einem Arbeitsverhältnis befindet, unmittelbar bevorstehend gezwungen, seine Strafe im geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, also einer Anstalt mit einer sicheren Unterbringung (§ 141 Abs. 2 1. Halbsatz StVollzG) anzutreten. Darin läge, verglichen mit der Unterbringung im offenen Vollzug, die ihm unter anderem die Aufrechterhaltung seines bestehenden Arbeitsverhältnisses ermöglichen könnte, eine schwere Belastung, die dem Antragsteller – wie hier voraussetzungsgemäß hypothetisch zu unterstellen ist – unter Verstoß gegen seine Grundrechte zugefügt würde. Zwar ist die Erhaltung des Arbeitsplatzes auch mit der Unterbringung im offenen Vollzug noch nicht automatisch sichergestellt. Sie hängt von einer positiven Entscheidung über die erforderlichen Vollzugslockerungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG ab. Insoweit hat der Antragsteller aber Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. Arloth, in: Arloth/Lückemann, StVollzG, 2004, § 11 Rn. 3, m.w.N.) sowie auf eine Verfahrensgestaltung, die seine grundrechtlich geschützten Belange auch in zeitlicher Hinsicht angemessen berücksichtigt (zur Bedeutung der Grundrechte für die Verfahrensgestaltung allgemein BVerfGE 52, 380 ≪389 f.≫; stRspr).
Die Nachteile, die sich ergeben, wenn die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde aber später ohne Erfolg bleibt, wiegen weniger schwer. Die Freiheitsstrafe kann in diesem Fall bis auf weiteres nicht im geschlossenen Vollzug vollstreckt werden, obwohl, wie in dieser Abwägungsvariante hypothetisch zu unterstellen ist, die Ladung zum Strafantritt im geschlossenen Vollzug ohne Grundrechtsverstoß als rechtmäßig bestätigt wurde. Damit verbundene Nachteile von erheblichem Gewicht sind nicht erkennbar. Insbesondere ist weder in den angegriffenen Entscheidungen noch seitens der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, der kurzfristig Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde und die sich bislang nicht geäußert hat, geltend gemacht worden, dass der Strafantritt des Antragstellers im geschlossenen Vollzug aus Sicherheitsgründen geboten wäre.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Eine Abänderung bei veränderten Umständen bleibt vorbehalten.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen