Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör. isolierte Kostenentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Leitsatz (redaktionell)
Auch für isolierte Kostenentscheidungen gilt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der erfordert, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten. Es muß ihnen grundsätzlich Gelegenheit gegeben werden, auf dem Gericht zur Entscheidung unterbreitete Stellungnahmen zu erwidern.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 137, 138 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Beschluss vom 02.06.1983; Aktenzeichen IV 414/82) |
Hessisches FG (Beschluss vom 18.03.1983; Aktenzeichen VII 124/82) |
Tenor
1. Der Beschluß des Hessischen Finanzgerichts vom 18. März 1983 – VII 124/82 – verletzt Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
2. Der Beschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 2. Juni 1983 – IV 414/82 – verletzt Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei isolierten Kostenentscheidungen.
I.
1. Bei der Einkommensteuerveranlagung des Beschwerdeführers zu 1. und seiner Ehefrau für 1979 versagte das Finanzamt den Abzug von Planungskosten für ein beabsichtigtes, aber nicht durchgeführtes Bauvorhaben als vorweggenommene Werbungskosten, weil die Notwendigkeit der Aufwendungen nicht nachgewiesen sei. Bevor das Finanzamt über den dagegen eingelegten Einspruch entschieden hatte, erhoben der Beschwerdeführer und seine Ehefrau Untätigkeitsklage (§ 46 FGO). Während des Klageverfahrens gab das Finanzamt dem Rechtsbehelf aufgrund einer amtlichen Auskunft statt. Die Kläger erklärten daraufhin die Hauptsache für erledigt und beantragten, dem Finanzamt die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Behörde stellte einen entgegengesetzten Kostenantrag und begründete diesen damit, sie sei während der acht Monate zwischen Einspruchseinlegung und Klageerhebung nicht untätig gewesen. Wegen der notwendigen Ermittlungen sei aber selbst bei sofortiger Bearbeitung eine endgültige Erledigung des Rechtsbehelfs bis zur Klageerhebung nicht möglich gewesen. Im übrigen lasse das Verhalten der Kläger eindeutig den Schluß zu, daß eine gewisse Verzögerung der Einspruchsentscheidung von ihnen in Kauf genommen oder sogar provoziert worden sei.
Das Finanzgericht entschied, daß die Kosten nach billigem Ermessen insbesondere deshalb gegeneinander aufzuheben seien, weil die Erhebung der Untätigkeitsklage noch nicht zwingend geboten gewesen sei. Der Kostenbeschluß wurde den Klägern zusammen mit der Stellungnahme des Finanzamts zugeleitet.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Wenn ihm das Schreiben des Finanzamts vor Erlaß der Kostenentscheidung zugegangen wäre, hätte er den Vorwurf des Finanzamts entkräften können, die Erledigung des Einspruchsverfahrens sei von ihm nicht hinreichend gefördert worden. Er habe sofort geeignete Beweismittel angeboten, so daß es keines Zeitraums von acht Monaten für die Aufklärung des Sachverhalts bedurft hätte.
2. Wegen Nichtabgabe der Steuererklärung schätzte das Finanzamt den Gewinn des Beschwerdeführers zu 2. für 1979. Der Gewinnfeststellungsbescheid wurde an eine unrichtige Adresse abgesandt, unter der zuvor aber der Gewerbesteuermeßbescheid den Beschwerdeführer erreicht hatte. Als der Steuerberater nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist telefonisch von dem Gewinnfeststellungsbescheid Kenntnis erhalten hatte, legte er Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es sei nicht auszuschließen, daß der Beschwerdeführer den Steuerbescheid nicht erhalten habe.
Gegen die negative Einspruchsentscheidung erhob der Beschwerdeführer Klage: Das Finanzamt habe den ihm obliegenden Beweis über den Zugang des Steuerbescheids bisher nicht geführt. Daraufhin hob die Behörde die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Der Beschwerdeführer erklärte die Hauptsache für erledigt und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem Finanzamt aufzuerlegen. Dieses trat dem Kostenantrag mit der Begründung entgegen, der Beschwerdeführer hätte den ihm bekannten Adressenirrtum aufklären und damit die Einspruchsentscheidung vermeidbar machen müssen. Das Finanzgericht schloß sich der Auffassung des Finanzamts an und legte die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer auf (§ 138 Abs. 2 Satz 3, § 137 FGO). Nach Erlaß des Kostenbeschlusses wurde dem Beschwerdeführer der Schriftsatz des Finanzamts übersandt.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Hätte er die Ausführungen des Finanzamts gekannt, so hätte er dargelegt, daß er den Einspruch unter seiner richtigen Adresse eingelegt und den Zugang des Gewinnfeststellungsbescheids angezweifelt habe. Eine falsche Adressierung des Steuerbescheids habe er nicht beanstanden können, weil er den Bescheid nicht erhalten und deshalb auch nicht gewußt habe, welche Anschrift er trage.
3. a) Der Bundesminister der Justiz sowie die Hessische und die Niedersächsische Landesregierung haben von einer Stellungnahme abgesehen.
b) Der Bundesfinanzhof hat sich dahingehend geäußert, daß vor Erlaß der Kostenentscheidungen nach Erledigung der Hauptsache den Verfahrensbeteiligten ausreichend Gelegenheit gegeben werden müsse, auf die Schriftsätze des Prozeßgegners zu erwidern.
c) Das beklagte Finanzamt als Prozeßgegner des Beschwerdeführers zu 1. hält eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG für nicht gegeben; denn die Kostenentscheidung des Finanzgerichts beruhe allein auf seiner Rechtsansicht, daß im Zeitpunkt der Erhebung die Untätigkeitsklage noch nicht zwingend geboten gewesen sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die Entscheidungen der Finanzgerichte beruhen auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten. Es muß ihnen grundsätzlich Gelegenheit gegeben werden, auf dem Gericht zur Entscheidung unterbreitete Stellungnahmen zu erwidern (vgl. BVerfGE 55, 95 (98)). Diese sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebende Verpflichtung der Gerichte wird nicht dadurch eingeschränkt, daß nach Erledigung der Hauptsache nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden ist.
2. Diesen Anforderungen halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand.
Mit ihren Schriftsätzen haben die Finanzämter ihren Antrag begründet, den Beschwerdeführern die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Gerichte hätten daher vor Ergehen der Kostenbeschlüsse den Beschwerdeführern Gelegenheit geben müssen, auf die Ausführungen der Beklagten zu entgegnen. Da sie dieses unterlassen haben, verstoßen ihre Entscheidungen gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Sie beruhen auch auf diesem Verstoß. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Finanzgerichte anders entschieden hätten, wenn sich die Beschwerdeführer vor Erlaß der Kostenbeschlüsse hätten äußern können.
Fundstellen