Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die nachträgliche Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Rehabilitationsmaßnahme.
I.
1. Die Beschwerdeführerin leidet an einer Berufskrankheit. Noch während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester sprach sie deshalb beim Arbeitsamt wegen einer Umschulung zur Ergotherapeutin vor. Sie stellte diesen Plan zurück, als sie erfuhr, dass auch der gewünschte Beruf möglicherweise ungeeignet sei und ihr Lehrherr von einem Rehabilitationsverfahren erfahren werde. Nach dem Ende ihrer Ausbildung begann sie bei einem privaten Unternehmen im November 1990 ohne vorherige Absprache mit dem Arbeitsamt eine dreijährige Umschulung zur Ergotherapeutin. Erst im Januar 1991 beantragte sie beim zuständigen Unfallversicherungsträger die Übernahme der Umschulungskosten.
a) Gegen die Ablehnung des Antrags beschritt die Beschwerdeführerin den Rechtsweg.
Das Sozialgericht wies die Klage ab. Es stützte sich auf § 556 Abs. 1 Nr. 2 und § 567 Abs. 1 Satz 2 der damals noch geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2261 ≪2358≫). Zum einen sei die Ergotherapie für die Beschwerdeführerin ungeeignet, weil sie wegen ihrer Berufskrankheit nicht alle Tätigkeitsfelder dieses Berufs ausüben könne. Leistungen der Berufshilfe müssten jedoch eine möglichst uneingeschränkte Eingliederung erreichen. Zum anderen könnten höchstens zwei Jahre dauernde Umschulungen gefördert werden. Eine Ausnahme von dieser Grenze nach § 567 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 RVO sei nicht geboten. Zwar habe der 9b-Senat des Bundessozialgerichts in zwei Entscheidungen, auf die sich die Beschwerdeführerin berufen hatte (SozR 3-4100 § 56 AFG Nrn. 1 und 3), unter Orientierung an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG diese Regelung weiter ausgelegt. Dieser Ansicht sei aber nicht zu folgen, da sie mit Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Norm nicht in Einklang zu bringen sei. Die Interessen eines Rehabilitanden an einer neigungsgerechteren, aber längeren Umschulung gingen jenen des Rehabilitationsträgers an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht ohne weiteres vor. Es sei vielmehr eine Abwägung geboten. Dem laufe es auch zuwider, dass die Beschwerdeführerin eine Förderung erst nach Beginn der Maßnahme beantragt und dem Unfallversicherungsträger dadurch jegliche Überprüfungs- und Einflussmöglichkeit genommen habe.
Das Landessozialgericht gab der Berufung der Beschwerdeführerin statt. Diese hatte ihre Umschulung inzwischen beendet und arbeitete ohne Gesundheitsprobleme in ihrem neuen Beruf.
b) Auf die Revision des Unfallversicherungsträgers hob das Bundessozialgericht das Urteil des Landessozialgerichts auf und stellte die erstinstanzliche Klageabweisung wieder her. Es ließ offen, ob die materiellen Voraussetzungen einer Förderung gegeben seien. Jedenfalls stehe der Beschwerdeführerin kein Anspruch auf Kostenerstattung zu. Auch im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gelte das Sachleistungsprinzip. Dieses sei inzwischen in § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII eigens normiert, habe aber schon zuvor gegolten. Ausnahmen für eine Kostenerstattung bei selbstbeschafften Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation seien nur noch analog § 13 Abs. 3 SGB V anzuerkennen, seitdem diese Norm in Kraft sei. Die Voraussetzungen dafür lägen aber nicht vor. Zwischen einer möglicherweise unrechtmäßigen Ablehnung eines Sachleistungsantrags und den Aufwendungen des Versicherten müsse ein Kausalzusammenhang bestehen. Danach müsse ein Versicherter den Versicherungsträger rechtzeitig von der Notwendigkeit einer Maßnahme unterrichten und ihm einen angemessenen Zeitraum einräumen, damit er seine Zuständigkeit und die Geeignetheit in Betracht kommender Maßnahmen vor ihrem Beginn prüfen könne. Für diese Obliegenheit gebe es gute Gründe. Dies habe die Beschwerdeführerin verabsäumt. Ihren ersten Antrag habe sie zurückgestellt. Gründe für die verspätete zweite Antragstellung habe sie nicht angeführt.
2. Die Beschwerdeführerin greift mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Urteile des Sozialgerichts und des Bundessozialgerichts an. Sie rügt eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.
a) Die Beschwerdeführerin hält die beiden Urteile für unvereinbar mit ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufs- und Ausbildungsfreiheit. Sie sei einer wirtschaftlichen Belastung ausgesetzt, die einer Berufswahlbeschränkung nahe komme. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt. Die Ansicht des Sozialgerichts führe dazu, dass jede auch nur theoretische Einschränkung der Eignung zu einem Ausschluss von einer Umschulung führe und dass dreijährige Umschulungen im Regelfall ausgeschlossen seien. Das Bundessozialgericht habe ohne gesetzliche Grundlage einen Kostenerstattungsanspruch verneint. Zumindest hätte es entsprechend seiner früheren Rechtsprechung eine weitere Ausnahme vom Sachleistungsprinzip zulassen müssen.
b) Auch das Urteil des Sozialgerichts beschwere sie und müsse aufgehoben werden. Wenn dies nur für das letztinstanzliche Urteil geschehe, werde das Bundessozialgericht ihr Förderungsbegehren wahrscheinlich erneut, aber aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils abweisen, denn diese entsprächen der Rechtsprechung fast aller seiner Senate. Es sei ihr nicht zuzumuten, auf diese vorhersehbare Entscheidung zu warten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG liegen nicht vor.
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundessozialgerichts richtet, hat sie keine Aussicht auf Erfolg. Das Urteil verletzt die Beschwerdeführerin unter keinem Gesichtspunkt in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG auf die freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte.
a) In seiner Funktion als Abwehrrecht ist das Grundrecht der Beschwerdeführerin schon nicht betroffen. Die von dieser frei gewählte Ausbildung zur Ergotherapeutin hat der Staat weder direkt noch mittelbar behindert. Die Verweigerung der Förderung hatte auch keine berufsregelnde Tendenz, sondern allein individuelle, im Sozialversicherungsrecht liegende Gründe.
Es geht im vorliegenden Fall auch nicht um die Teilhabe an einer Ausbildung, für die ein faktisches oder rechtliches Monopol des Staates besteht und bei der der Zugang aus Kapazitätsgründen beschränkt wird (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 12 Rn. 75 f.). Die Ausbildung fand bei einer Einrichtung in privater Trägerschaft statt.
b) Es bedarf hier keiner grundsätzlichen und abschließenden Klärung der Frage, ob und in welcher Weise das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG auf die Auslegung und Anwendung solcher Vorschriften des Sozialrechts einwirkt, auf Grund deren Versicherungsträger beruflich relevante Leistungen erbringen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass das Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Unfallversicherung für Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation mit diesem Grundrecht unvereinbar ist, soweit bei Maßnahmen der beruflichen Umschulung der Schutzbereich dieses Grundrechts berührt werden kann. Ebenso wenig ist die Anwendung des Sachleistungsprinzips und seiner Ausnahmen in der angegriffenen Entscheidung verfassungsrechtlich zu beanstanden.
aa) Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Entscheidungen der Fachgerichte nicht auf fehlerhafte Rechtsanwendung (vgl. BVerfGE 96, 189 ≪203≫). Werden nicht Auslegungsfehler sichtbar, die auf einer grundsätzlichen unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, ist die fachgerichtliche Entscheidung einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; stRspr).
bb) Einen derartigen Mangel weist das Urteil des Bundessozialgerichts nicht auf. Ob eine andere Entscheidung auf der Grundlage des einfachen Rechts möglich gewesen wäre, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Werden Grundrechte im Rahmen der Auslegung von Vorschriften herangezogen, die einfachrechtlich Leistungsansprüche gewähren, verbleibt den Fachgerichten Spielraum. Diesen hat das Bundessozialgericht nicht überschritten. Die Berufsfreiheit ist nicht verletzt, wenn die Förderung einer Umschulungsmaßnahme davon abhängig gemacht wird, dass der zuständige Versicherungsträger vorher die Möglichkeit hatte zu prüfen, ob die vom Versicherten angestrebte Maßnahme auch geeignet ist. Insbesondere ist die Auslegung des entsprechend angewendeten § 13 Abs. 3 Satz 1 Variante 2 SGB V durch das Bundessozialgericht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Norm verlangt mit dem Begriff „dadurch” einen Kausalzusammenhang zwischen einer unrechtmäßigen Verweigerung der Sachleistung und den zu erstattenden Kosten des Versicherten (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 13 Nr. 15 S. 75). Sie greift daher nur ein, wenn sich der Versicherte die fragliche Leistung nach einer unrechtmäßigen Ablehnung selbst beschafft (vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 13 SGB V Rn. 30 ≪Stand April 2002≫). Ein solcher Kausalzusammenhang fehlt hier.
c) Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Verfassungsbeschwerde nicht gerügt, dass das Bundessozialgericht seine Entscheidung erstmals auf einen Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip gestützt und damit eine andere Begründung gegeben habe als das Sozialgericht. Deswegen ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung auch insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Insbesondere liegt keine Überraschungsentscheidung vor, durch die das Recht auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt sein könnte (vgl. hierzu BVerfGE 98, 218 ≪263≫). Die Frage nach dem Sachleistungsprinzip und der Gewährung einer Ausnahme von diesem Prinzip hatten beide Vorinstanzen in ihren Entscheidungen zumindest aufgegriffen (S. 10 des SG-Urteils; S. 8 des LSG-Urteils).
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Sozialgerichts richtet, ist sie unzulässig. Durch diese Entscheidung ist die Beschwerdeführerin nicht gesondert beschwert (§ 90 Abs. 1 BVerfGG), weil ihre Klage letztinstanzlich insgesamt durch das Bundessozialgericht abgewiesen worden ist. Das Bundesverfassungsgericht muss nicht klären, ob die Beschwerdeführerin erneut auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts verwiesen werden könnte oder ob nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG eine so genannte Vorab-Entscheidung über die Auslegung des § 556 Abs. 1 Nr. 2 und des § 567 Abs. 3 Satz 2 RVO angezeigt wäre, weil diese Auslegung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht (vgl. BVerfGE 99, 202 ≪211≫). Diese Frage wäre nur relevant, wenn die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundessozialgerichts Erfolg gehabt hätte. Dies ist aber nicht der Fall.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1289023 |
www.judicialis.de 2004 |