Verfahrensgang
OLG Bamberg (Beschluss vom 20.01.2009; Aktenzeichen 5 Ausl A 83/2008) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers an das Königreich Spanien zum Zwecke der Strafvollstreckung.
I.
Bei dem Beschwerdeführer wurden im August 1997 24,07 Gramm Marihuana, zehn Tabletten MDEA und neun Tabletten Amphetamin beschlagnahmt, welche teils zum Eigenverbrauch, teils zum Verkauf an Dritte vorgesehen gewesen seien. Der Beschwerdeführer wurde deswegen im April 1999 von einem Gericht in Palma de Mallorca zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und einem Tag verurteilt. Im Oktober 1999 wurde er von demselben Gericht wegen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Laut Angaben des Beschwerdeführers lag der letztgenannten Verurteilung zugrunde, dass bei ihm 17 Tabletten MDEA, fünf Tabletten Amphetamin und „zwei Stück Cannabis” gefunden worden seien. Wegen beider Verurteilungen erließ das mallorquinische Gericht im September respektive November 2008 jeweils einen Europäischen Haftbefehl zum Zwecke der Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafvollstreckung.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. Januar 2009 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung hinsichtlich beider Europäischer Haftbefehle für zulässig. Der Auslieferung stehe insbesondere die Höhe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen nicht entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Strafe unerträglich schwer und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen anzusehen sei. Dabei komme es stets auf den Einzelfall an. Die hier in Rede stehende Strafe von neun Jahren und einem Tag sei zwar streng, eine nach deutschem Verfassungsrecht nicht hinnehmbare Härte liege jedoch nicht vor. Nach dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt habe sich der Beschwerdeführer nicht des bloßen Besitzes, sondern auch des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gemacht. Erschwerend sei hinzugekommen, dass er die Tat im Militärquartier, wo er seinen Wehrdienst ableistete, begangen habe. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt erst 19 Jahre alt gewesen sei, stehe der Auslieferung nicht entgegen. Es könne dahingestellt bleiben, ob er nach spanischem Recht bereits Erwachsener war; denn auch nach deutschem Recht erscheine es zumindest zweifelhaft, ob Jugendstrafrecht hätte angewendet werden können. Davon abgesehen seien sowohl die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers als auch der Umfang der Schuld abschließend in einem förmlichen Strafverfahren geklärt worden. Sie unterlägen daher im Auslieferungsverfahren keiner erneuten Überprüfung. Des Weiteren sei auch der zwischen den Verurteilungen und dem Auslieferungsersuchen liegende Zeitraum nicht als so außergewöhnlich anzusehen, dass die Voraussetzungen einer Verwirkung des Strafanspruchs angenommen werden könnten, zumal es an jeglichem Umstandsmoment fehle. Schließlich sei mit der Generalstaatsanwaltschaft davon auszugehen, dass kein Bewilligungshindernis nach § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG vorliege. Nach dieser Norm bestehe ein Hindernis für die Auslieferung eines Ausländers zur Strafvollstreckung nur, wenn die Vollstreckung im Ausland für den ausländischen Verfolgten die gleiche besondere Härte darstelle, wie für einen Deutschen. Neben persönlichen Bindungen in Deutschland seien dabei auch Schwierigkeiten, die sich aus der Konfrontation mit einer fremden Rechtsordnung und dem Vollzug in einem ausländischen Gefängnis ergeben, zu berücksichtigen. Zwar habe der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, es sei jedoch anzunehmen, dass ihm die Lebensverhältnisse und das Rechtssystem in Spanien zumindest nicht weniger vertraut seien. Die Erschwernisse der Besuchskontakte mit dem in Deutschland lebenden Kind und der Verlobten des Beschwerdeführers würden einen Deutschen, der zur Strafvollstreckung ausgeliefert wird, ebenso treffen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Das Oberlandesgericht habe bei seiner Entscheidung, wonach die spanische Strafe nicht als unerträglich hart anzusehen sei, zwar sämtliche strafverschärfenden Umstände, nicht jedoch strafmildernde oder -ausschließende Gesichtspunkte berücksichtigt. Wenn das Oberlandesgericht schon in eine Strafzumessung „einsteige”, müsse es auch Umstände berücksichtigen, die bei einer Aburteilung in Deutschland zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen gewesen wären. Vergleichsmaßstab für die Frage, ob die spanische Strafe unangemessen hoch sei, müsse gerade eine fiktive Beurteilung der Taten nach deutschem Recht sein. Angesichts des eklatanten Unterschieds zwischen der spanischen Strafe und einer in Deutschland bei den hier in Rede stehenden Delikten zu erwartenden Strafe sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr gewahrt. Eine Verletzung der genannten Grundrechte liege auch in dem langen Zeitraum zwischen den Verurteilungen und dem Auslieferungsersuchen. Zudem sei auch Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, denn die Auffassung des Oberlandesgerichts, wonach ein Auslieferungshindernis nach § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG nur bestehe, wenn die Vollstreckung im Ausland für den ausländischen Verfolgten die gleiche besondere Härte darstelle, wie für einen Deutschen, verkenne den Regelungsgehalt der §§ 80 ff. IRG: nach § 80 Abs. 3 IRG könne ein Deutscher zur Strafvollstreckung nur mit seiner Zustimmung ausgeliefert werden. Das von § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG geforderte schutzwürdige Interesse sei hier in Art. 6 Abs. 1 GG zu finden. Im Übrigen verstoße es gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot sowie gegen Art. 2 GG, dass der Gesetzgeber Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI – Abl. L 190, S. 1 – im Folgenden RbEuHb) für Deutsche und Ausländer in unterschiedlicher Weise umgesetzt habe.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Grundrechten wegen der Höhe der in Spanien zu vollstreckenden Strafen sowie – der Sache nach – die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG rügt, genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht den in § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG normierten Anforderungen (1.). Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet (2.).
1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, so zählt zu diesen Anforderungen auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen beziehungsweise die Wiedergabe von deren wesentlichem Inhalt, da das Bundesverfassungsgericht nur so in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob die Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen (vgl. BVerfGE 88, 40 ≪45≫; 93, 266 ≪288≫). Sofern eine derartige Beurteilung ohne die Kenntnis weiterer Unterlagen aus dem fachgerichtlichen Verfahren nicht möglich ist, gebietet das Begründungserfordernis, auch diese Unterlagen vorzulegen oder aber zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. November 2008 – 2 BvR 2196/08 –, juris).
Im Hinblick auf die Rüge der fehlerhaften Anwendung des § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG und damit der mangelnden Berücksichtigung der familiären und sonstigen Bindungen des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführer es versäumt, die Vorabentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 18. Dezember 2008, mit der diese angekündigt hat, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, vorzulegen. Es kann daher nicht überprüft werden, ob und gegebenenfalls welche weiteren, von dem Oberlandesgericht in dem angegriffenen Beschluss über die Zulässigkeit der Auslieferung, mit dem zugleich die Ermessensentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft überprüft wurde (vgl. § 79 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 IRG), nicht explizit wiedergegebenen Ermessenserwägungen die Generalstaatsanwaltschaft angestellt hat. Daher ist eine umfassende verfassungsgerichtliche Prüfung der Auslegung und Anwendung des § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG durch das Oberlandesgericht nicht möglich. Dies betrifft auch die Rüge des Beschwerdeführers, wonach bereits der rechtliche Ansatz des Oberlandesgerichts, dass nämlich ein Hindernis für die Auslieferung eines Ausländers zur Strafvollstreckung aus § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG nur bestehe, wenn die Vollstreckung im Ausland für den ausländischen Verfolgten die gleiche besondere Härte darstelle, wie für einen Deutschen, verfehlt sei. Im Übrigen verkennt der Beschwerdeführer insoweit, dass die Auslegung und Anwendung der Gesetze auf den konkreten Sachverhalt und dessen Beurteilung grundsätzlich Sache des dafür zuständigen Fachgerichts sind (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; stRspr) und das Bundesverfassungsgericht auch in Auslieferungsverfahren insoweit nur prüft, ob die Rechtsanwendung und das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (BVerfGE 108, 129 ≪137≫; BVerfGK 2, 82 ≪85≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2007 – 2 BvR 1680/07 –, NVwZ 2008, S. 71 ≪72≫). Dass dies hier bezüglich der Anwendung des § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG der Fall wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. In der Gesetzesbegründung zu § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG heißt es (BTDrucks 16/2015, S. 14):
Bei der Auslieferung zur Strafvollstreckung sieht der Gesetzentwurf im Falle eines deutschen Staatsangehörigen vor, dass diese grundsätzlich nur mit seiner Zustimmung erfolgen kann (§ 80 Abs. 3). Der Vorschlag einer neu gefassten Regelung für im Inland lebende Ausländer sieht vor, dass es auf eine Zustimmung des Ausländers nur dann ankommt, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Strafvollstreckung im Inland hat.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen ausländische Verfolgte also nur dann unter den gleichen Voraussetzungen – nämlich abhängig von ihrer Zustimmung – zur Vollstreckung ausgeliefert werden können, wenn die Voraussetzungen des § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG erfüllt sind. Vor diesem Hintergrund ist eine willkürliche Auslegung dieser Norm durch das Oberlandesgericht selbst dann nicht erkennbar, wenn man annehmen wollte, dass aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 17. Juli 2008 – C-66/08, Szymon Kozlowski –, NJW 2008, S. 3201, die Verpflichtung folge, § 83b Abs. 2 Satz 1 lit. b IRG insgesamt und nicht nur das Tatbestandsmerkmal des gewöhnlichen „Aufenthalts” primär im Lichte der Resozialisierungschancen auszulegen (so etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 1 AK 51/07 –, juris; Böhm, NJW 2008, S. 3183).
Sofern der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang schließlich die Umsetzung des Art. 4 Nr. 6 RbEuHb durch den deutschen Gesetzgeber rügt, wird ein möglicher Grundrechtsverstoß nicht dargetan. Eine Verletzung des Art. 2 GG wird – im Übrigen ohne weitere Differenzierung nach den in diesem Artikel versammelten Grundrechten – lediglich behauptet. Schließlich hat sich der Beschwerdeführer insoweit auch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt, wonach das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit nicht umfassend angelegt ist und umgekehrt das Grundgesetz wegen Art. 16 Abs. 2 GG die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger nur unter engeren Voraussetzungen zulässt, als die Auslieferung von Ausländern (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪293 ff.≫).
Insoweit der Beschwerdeführer die Unverhältnismäßigkeit der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen rügt, hat er es versäumt, die spanischen Urteile und den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 12. Dezember 2008, in welchem offenbar über frühere Einwendungen des Beschwerdeführers entschieden worden ist und welcher ausweislich der Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 18. Dezember 2008 auch Ausführungen zum Problem der Strafhöhe enthält, vorzulegen. Es ist daher weder erkennbar, welche Strafzumessungserwägungen das spanische Gericht angestellt hat, noch kann die Beurteilung der Strafhöhe durch das Oberlandesgericht am Maßstab des § 73 IRG einer umfassenden verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterzogen werden.
2. Die Rüge eines Verstoßes gegen die in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards und den deutschen ordre public wegen des zwischen den Verurteilungen und dem Erlass der Europäischen Haftbefehle liegenden Zeitraums ist jedenfalls unbegründet. Ein solcher Verstoß könnte nur dann angenommen werden, wenn der Zeitraum zwischen der Verurteilung und dem Eingang des Auslieferungsersuchens, der Entscheidung hierüber und der Überstellung des Verfolgten unter Berücksichtigung von Art und Höhe der verhängten Strafe so außergewöhnlich wäre, dass er jedes hinnehmbare Maß überschritte. Im Hinblick darauf, dass selbst nach deutschem Strafrecht eine Vollstreckungsverjährung hinsichtlich beider Verurteilungen noch nicht eingetreten ist (§ 79 Abs. 3 Nr. 2 und 3 StGB) ist ein solcher Ausnahmefall nicht ersichtlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. August 1986 – 2 BvR 661/86 –, Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung, 2. Aufl. 1993, Nr. U 134). Aus dem von dem Beschwerdeführer insofern herangezogenen Recht auf eine Verhandlung und Entscheidung in angemessener Frist aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes, da sich diese Norm lediglich auf das Erkenntnisverfahren bis zur rechtskräftigen Verurteilung bezieht (vgl. Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2006, Art. 6 Rn. 76; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, § 24 Rn. 68).
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen