Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufbewahrung von Akten des Häftlings in der Justizvollzugsanstalt
Beteiligte
Verfahrensgang
LG Regensburg (Zwischenurteil vom 24.07.1998; Aktenzeichen 2 StVK 148/95 (4)) |
Tenor
1. Der Beschluß des Landgerichts Regensburg vom 24. Juli 1998 - 2 StVK 148/95 (4) – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Straubing eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags verwahrte er seit drei Jahren diverse Aktenordner mit Verfahrensunterlagen auf seinem Haftraum, ohne daß dies bei einer der regelmäßig stattfindenden Haftraumkontrollen beanstandet wurde.
Zur Herstellung der Übersichtlichkeit des Haftraums und zur Verringerung der Brandgefahr (vgl. § 19 Abs. 2 StVollzG) wurden dann 26 Aktenordner aus dem Haftraum entfernt und in einen gesicherten Raum verbracht. Zwölf Aktenordner wurden dem Beschwerdeführer belassen, wobei ihm die Möglichkeit eingeräumt wurde, diese nach bestimmten Modalitäten auszutauschen.
2. Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 109 StVollzG gerichtliche Entscheidung. Über diesen Antrag ist noch nicht entschieden.
Außerdem beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, ihm jederzeit und auch nach den anstaltsüblichen Einschlußzeiten den Zugang zu den Akten zu gewähren, sowie hilfsweise die Aussetzung der Vollziehung nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG mit dem Inhalt, die Justizvollzugsanstalt anzuweisen, die Aktenordner unverzüglich auf den Haftraum zu verbringen.
Mit dem hier angegriffenen Beschluß vom 24. Juli 1998 verwarf das Landgericht den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unzulässig, weil die begehrte Entscheidung die Hauptsache vorwegnehmen würde. In der Hauptsache begehre der Beschwerdeführer die Herausgabe der Aktenordner. Wenn der Beschwerdeführer jederzeitigen Zugang zu den Akten erlangte, würde die Hauptsacheentscheidung hinfällig werden. Eine solche Entscheidung wäre nur zulässig, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden. Das sei nicht der Fall.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Landgerichts vom 24. Juli 1998. Er rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Zur Begründung trägt er unter anderem vor, zu einer effektiven Vorbereitung der Wiederaufnahme benötige er sämtliche Aktenordner. Deren Austausch werde ihm aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten nur in unzureichendem Umfang ermöglicht, so daß er die Arbeiten an seinem Wiederaufnahmeantrag nicht wirksam weiterführen könne.
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers zur Entscheidung an und gibt ihr gemäß § 93c Abs. 1 BVerfGG statt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
1. Die gegen eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) gebietet keine Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache, weil der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung geltend macht, die nur für das vorläufige Verfahren bedeutsam ist und im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪340≫; 80, 40 ≪45≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die angegriffene Entscheidung verkennt Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den einstweiligen Rechtsschutz (§ 114 Abs. 2 StVollzG).
a) Die Strafvollstreckungskammer hat das Begehren des Beschwerdeführers insgesamt mit der Begründung als unzulässig verworfen, daß die engen Voraussetzungen, unter denen eine die Hauptsache vorwegnehmende Entscheidung ergehen könne, nicht vorlägen. Dies überspannt die Anforderungen an die Zulässigkeit des Eilantrags in einer Weise, die den Rechtsbehelf ineffektiv macht und für den Beschwerdeführer „leerlaufen” läßt (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1993 - 2 BvR 2212/93 –, NJW 1994, S. 717 ff.).
Zumindest der Hilfsantrag mußte im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG als Antrag nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG verstanden werden. Der Antrag war als solcher ausdrücklich bezeichnet. In der Hauptsache richtete sich das Begehren offensichtlich auf die Aufhebung einer belastenden Maßnahme, nämlich des Widerrufs der Erlaubnis, die Akten auf dem Haftraum in Gewahrsam zu haben. Diese war dem Beschwerdeführer, nachdem er die Akten trotz zahlreicher Kontrollen drei Jahre unbeanstandet auf dem Haftraum hatte, zumindest konkludent erteilt worden. Der Antrag hatte damit nicht eine Vorwegnahme der Hauptsache zum Gegenstand. Die nur vorläufige Aussetzung einer Maßnahme nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache stellt für sich genommen keine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Es handelt sich vielmehr gerade um den vom Gesetz für die Anfechtung belastender Maßnahmen vorgesehenen Regelungsgehalt einer Eilentscheidung (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 1989 - 2 BvR 896/89 – Juris; Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1993 - 2 BvR 2212/93 –, NJW 1994, S. 717, 719).
b) Da die Entscheidung schon aus diesen Gründen aufzuheben war, bedurfte es keiner Erörterung mehr, welche Bedeutung dem Umstand zuzumessen war, daß die Aktenordner zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags dienten. Auf die weiteren Rügen kam es ebenfalls nicht an.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Jentsch, Hassemer
Fundstellen
Haufe-Index 543431 |
NStZ 1999, 532 |
StV 1999, 553 |