Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 11.05.2009; Aktenzeichen 10 S 17.09/OVG 10 M 25.09) |
VG Berlin (Beschluss vom 05.05.2009; Aktenzeichen 34 L 152.09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die erfolgte Abschiebung beziehungsweise Überstellung des Beschwerdeführers aus den USA an die Bundesrepublik Deutschland.
I.
1. Der in der Ukraine geborene und zurzeit staatenlose Beschwerdeführer befindet sich seit dem 12. Mai 2009 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 10. März 2009 in Untersuchungshaft in der Münchener Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Dem Beschwerdeführer, der am Tage seiner Inhaftierung von den USA nach Deutschland abgeschoben beziehungsweise überstellt wurde, wird vorgeworfen, sich im Jahre 1943 im deutschen Vernichtungslager Sobibor im damals besetzten Polen in mindestens 29.000 Fällen der Beihilfe zum Mord gemäß § 211, § 27, § 52 StGB strafbar gemacht zu haben, indem er als Aufseher die Menschen in die Gaskammern getrieben habe.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wanderte der Beschwerdeführer in die USA aus, wo er im weiteren Verlauf die amerikanische Staatsangehörigkeit verliehen bekam. Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde gegen ihn der Vorwurf erhoben, er habe in seinem Antrag auf Einreise in die USA falsche Angaben im Hinblick auf seine Mitwirkung im Zusammenhang mit der Ermordung von Juden in deutschen Konzentrationslagern gemacht. Dem Beschwerdeführer wurde die amerikanische Staatsangehörigkeit aberkannt und er wurde von den USA nach Israel ausgeliefert. In Israel wurde er angeklagt, in mehreren deutschen Konzentrationslagern an der Ermordung von Juden teilgenommen zu haben. In erster Instanz wurde er zum Tode verurteilt. Der israelische Supreme-Court sprach ihn schließlich im Jahre 1993 von allen gegen ihn in Israel erhobenen Vorwürfen frei.
Der Beschwerdeführer kehrte in die USA zurück, wobei er wiederum die amerikanische Staatsangehörigkeit verliehen bekam. In der Folgezeit wurde ihm jedoch erneut durch ein Bundesgericht die amerikanische Staatsangehörigkeit aberkannt, da er bei der Einreise seine Mitwirkung an der Ermordung von 29.000 Juden im Vernichtungslager Sobibor verschwiegen habe. Darüber hinaus erklärte ein amerikanisches Bundesgericht die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine, nach Polen oder nach Deutschland für zulässig. Gegen diese Entscheidungen eingelegte Rechtsmittel hatten sämtlich keinen Erfolg. Während sowohl Polen als auch die Ukraine eine Aufnahme des Beschwerdeführers im Rahmen der von den USA geplanten Abschiebung jeweils ablehnten, erklärte sich die Bundesrepublik Deutschland zu seiner Aufnahme bereit.
2. Mit angegriffenem Beschluss vom 5. Mai 2009 lehnte das Verwaltungsgericht Berlin den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, die Bundesrepublik Deutschland als Antragsgegnerin zu verpflichten, bis zum Ergehen einer Entscheidung der Kammer in der Hauptsache die Überstellung des Beschwerdeführers aus den USA in die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern, ab.
3. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit gleichfalls angegriffenem Beschluss vom 11. Mai 2009 zurück.
Die Beschwerde sei jedenfalls unbegründet. Die geltend gemachten Rechtsverluste seien ausschließlich Folge der Entscheidung der amerikanischen Behörden, den staatenlosen Beschwerdeführer abzuschieben; diese Entscheidung werde in der alleinigen Verantwortung der amerikanischen Behörden getroffen. Eine Erklärung der Bundesregierung gegenüber den zuständigen Behörden in den USA, sie sei bereit, den Beschwerdeführer aufzunehmen, sei nicht zwingende Voraussetzung einer Abschiebung. Diese könne vielmehr auch ohne Erteilung einer vorherigen sogenannten Aufnahmeerklärung erfolgen. Da die alleinige Zuständigkeit für die Anordnung und die Durchführung der Abschiebung bei den amerikanischen Behörden liege, sei es nicht die Aufgabe der deutschen Behörden und Gerichte, die Entscheidung der amerikanischen Behörden, den Beschwerdeführer abzuschieben, einer Überprüfung im Hinblick darauf zu unterziehen, ob dieser dadurch in erheblichem Umfang gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt oder sogar in Lebensgefahr gebracht werde. Der weitere Vortrag des Beschwerdeführers, durch die Erteilung einer sogenannten Aufnahmeerklärung umgehe die Bundesrepublik Deutschland die Vorschriften nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl I S. 1537 – im Folgenden: IRG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Juni 2008 (BGBl I S. 996), und die Regelungen des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978 in der Fassung des Zusatzvertrages vom 21. Oktober 1986 (BGBl 1980 II S. 646; BGBl 1988 II S. 1086 – im Folgenden: Auslieferungsvertrag), die unter Gewährung von Schutzrechten für die Betroffenen abschließend regelten, wie sich der Rechtshilfeverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA gestalte, überzeuge nicht. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers sei weder dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen noch dem Auslieferungsvertrag eine Bestimmung zu entnehmen, nach der bei einer beabsichtigten Strafverfolgung ausschließlich auf das in diesen Bestimmungen geregelte Auslieferungsverfahren zurückzugreifen sei. Ein Rechtshilfebeziehungsweise Auslieferungsersuchen der deutschen Behörden an amerikanische Stellen sei bisher weder erfolgt noch beabsichtigt. Es bestehe auch keine Pflicht, in jedem Fall, in dem von deutschen Strafverfolgungsbehörden die Strafverfolgung einer Person beabsichtigt sei, die sich im Ausland aufhalte, ein Auslieferungsersuchen an den Aufenthaltsstaat zu richten. Es könne hiervon insbesondere abgesehen werden, wenn bereits voraussehbar sei, dass sich ein Auslieferungsverfahren erübrigen werde, weil die deutschen Stellen den mit Haftbefehl Gesuchten in absehbarer Zeit auf andere Weise festsetzen könnten. Im Übrigen würde der Beschwerdeführer auch im Fall eines Auslieferungsverfahrens Rechtsschutz gegen die Bewilligung und Durchführung der Auslieferung allein durch amerikanische Gerichte erlangen können.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Entscheidungen in seinen Rechten aus Art. 2, Art. 3, Art. 6, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 GG sowie aus Art. 3 und Art. 6 EMRK verletzt.
Bei den in Rede stehenden Vorgängen handele es sich rechtlich um eine von der Bundesrepublik Deutschland – durch die abgegebene Bereitschaftserklärung zur Aufnahme – ermöglichte Abschiebung des Beschwerdeführers aus den USA zum Zwecke der Strafverfolgung. Bei einer derartigen Abschiebung zum Zwecke der Strafverfolgung handele es sich gemäß § 1 IRG materiell um Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten. Der Vorgang sei gleichzeitig auch als Rechtshilfe im Sinne des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA geschlossenen Auslieferungsvertrages zu qualifizieren. Materiellrechtlich müsse der Vorgang daher als „verschleierte Auslieferung” eingeordnet werden.
Er habe einen Anspruch auf Einhaltung des Auslieferungsverfahrens. Die Bundesrepublik Deutschland dürfe ihre diesbezüglichen Gesetze nicht umgehen. Das Institut der Zustimmung zur Abschiebung zum Zwecke der Strafverfolgung, welches die Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Fall für sich in Anspruch nehme, stehe ihr gesetzlich nicht zu. Es handele sich um eine ebenso eindeutige wie klare Umgehung des exklusiv und ausschließlich zur Verfügung stehenden Auslieferungsverfahrensrechts. Die erteilte Zustimmung zur Abschiebung zum Zwecke der Strafverfolgung stelle sich als Missbrauch der Zustimmungsbefugnis zur Ausschaltung von Schutzrechten des Beschwerdeführers dar. Dies verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG. Die Erteilung der Zustimmung durch die Bundesrepublik Deutschland sei danach verfassungswidrig nach Art. 1, Art. 2, Art. 6 und Art. 20 GG und europarechtswidrig nach Art. 3 und Art. 8 EMRK.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Es fehlt bereits an einer den Begründungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden hinreichend substantiierten Darlegung der Verletzung in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten. Voraussetzung ist insoweit, dass sich der Beschwerdeführer mit den angegriffenen Entscheidungen auseinandersetzt und ihre Verfassungswidrigkeit im Einzelnen darlegt. Hierzu zählt auch die Darlegung, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 ≪87≫). In Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsfrage bereits entschieden hat, ist diese Darlegung auf Grundlage der entsprechenden Rechtsprechung und der darin gebildeten Maßstäbe vorzunehmen (vgl. BVerfGE 77, 170 ≪214 ff.≫; 79, 292 ≪301≫; 99, 84 ≪87≫; stRspr).
1. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, sein ihm gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zustehender Anspruch auf Einhaltung und Durchführung eines seine Person betreffenden Auslieferungsverfahrens sei vorliegend verletzt worden, legt er weder dar, woraus sich ein derartiger individueller Anspruch dem Grunde nach ergeben soll, noch, in welchen konkreten Grundrechten er im Einzelnen verletzt worden ist. Dies gilt auch für seine pauschale Behauptung, dass durch die streitgegenständliche Vorgehensweise der USA und der Bundesrepublik Deutschland seine ihm durch das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und den zwischen diesen beiden Staaten bestehenden Auslieferungsvertrag gewährten Schutzrechte ausgeschaltet würden. Eine substantiierte Darlegung, um welche konkreten Schutzrechte es sich handelt und aus welchen einfachgesetzlichen Vorschriften beziehungsweise vertraglichen Regelungen sich diese ergeben, erfolgt nicht.
Der Beschwerdeführer verkennt insoweit, dass Rechte und Pflichten aus einem völkerrechtlich wirksamen Auslieferungsvertrag – soweit, wie hier, in ihm nichts anderes vereinbart ist – nur den Vertragsstaaten erwachsen. Der Beschwerdeführer kann sich deshalb als natürliche Person nicht auf den Auslieferungsvertrag, dessen Verletzung und Umgehung berufen (vgl. allgemein hierzu: RGSt 42, 309 ff.; BGHSt 18, 218 ≪220≫; Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 31. Mai 1983 – 2 Ss 193/83 – 103/83 III –, NJW 1984, S. 2050 ≪2052≫; Vogler, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, 1969, S. 329).
2. Der darüber hinaus erhobene Einwand des Beschwerdeführers, die USA hätten ihm zu keinem Zeitpunkt die im Auslieferungsvertrag garantierten Rechte gewährt, genügt ebenfalls nicht den genannten Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Der Beschwerdeführer legt weder dar, welche konkreten, ihn individuell schützenden Rechte vorliegend umgangen worden sind, noch auf welche Art und Weise er sich hiergegen vor amerikanischen Gerichten zur Wehr gesetzt hat. Sein Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen in einer pauschalen Kritik an der Vorgehensweise insbesondere der amerikanischen Behörden.
Akte ausländischer Staaten sind mit der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar. Den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde gewährt Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 BVerfGG nur gegen ein Verhalten der staatlichen, deutschen, an das Grundgesetz gebundenen öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 1, 10 ≪11≫; 58, 1 ≪27≫; 66, 39 ≪56 f.≫; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 90 Rn. 326 ff. ≪Februar 2007≫). Die vom Beschwerdeführer im Schwerpunkt geltend gemachten Rechtsverluste sind jedoch ausschließlich unmittelbare Folge der Entscheidung der amerikanischen Behörden; insbesondere die Anordnung und Durchführung der erfolgten Abschiebung beziehungsweise Überstellung des Beschwerdeführers wurde in dortiger alleiniger Zuständigkeit und Verantwortung getroffen. Die von der Bundesrepublik Deutschland hierzu erklärte Einverständniserklärung zur anschließenden Aufnahme des Beschwerdeführers enthielt – ebenso wie ein Einlieferungsersuchen in einem förmlichen Auslieferungsverfahren – für den Beschwerdeführer hingegen keine unmittelbaren Rechtswirkungen. Sie bewirkte weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Beschwerdeführers (vgl. zum Rechtsschutz im Zusammenhang mit Einlieferungsbeziehungsweise Auslieferungsersuchen: BVerfGE 57, 9 ff.; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 18. Oktober 1974 – 1 V As 67/74 –, NJW 1975, S. 509 ff.; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 1988 – 17 A 2618/85 –, StV 1989, S. 446 ≪447≫; Vogler, a.a.O., S. 328 f.).
Eine Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes wäre vorliegend allenfalls für die Absicht der deutschen Behörden in Betracht gekommen, den Beschwerdeführer sobald er in den räumlichen Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland überantwortet worden ist, in Haft zu nehmen; hierfür aber bestand als Rechtsgrundlage der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 10. März 2009, gegen den der Rechtsweg eröffnet ist und der vom Beschwerdeführer mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen worden ist.
3. Soweit der Beschwerdeführer ferner geltend macht, die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, dass das Auslieferungsrecht keine exklusive und abschließende Regelung enthalte, sei objektiv „sachwillkürlich”, erschöpft sich sein Vortrag im Wesentlichen wiederum in der pauschalen Behauptung der inhaltlichen Sachwidrigkeit der angegriffenen Entscheidung. Der Beschwerdeführer belässt es letztlich dabei, seine von derjenigen des Oberverwaltungsgerichts abweichende Auffassung darzulegen, ohne einen konkreten Grundrechtsverstoß näher darzulegen. Im Hinblick auf die von ihm zudem gerügte Verletzung von Art. 2 und Art. 6 GG fehlt es an jeglichem Vortrag. Der Beschwerdeführer hat schließlich einige der für die verfassungsrechtliche Beurteilung wesentlichen und unverzichtbaren Unterlagen weder vorgelegt noch ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben (vgl. BVerfGE 88, 40 ≪45≫; 93, 266 ≪288≫). So hat er weder den Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 10. März 2009 noch die Einverständniserklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme des Beschwerdeführers nach erfolgter Abschiebung beziehungsweise Überstellung vorgelegt. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine umfassende verfassungsrechtliche Prüfung der angegriffenen Entscheidungen nicht möglich.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der zugleich gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen