Verfahrensgang
OLG Bamberg (Beschluss vom 18.07.2011; Aktenzeichen 1 U 28/11) |
OLG Bamberg (Beschluss vom 08.06.2011; Aktenzeichen 1 U 28/11) |
OLG Bamberg (Beschluss vom 18.05.2011; Aktenzeichen 1 U 28/11) |
LG Aschaffenburg (Urteil vom 16.02.2011; Aktenzeichen 31 O 357/10) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 8. Juni 2011 – 1 U 28/11 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 18. Juli 2011 – 1 U 28/11 – gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 EUR (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der bis zum 26. Oktober 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) in einem Verfahren, in dem es um die Anwendbarkeit der Vorschriften über Fernabsatzverträge (§§ 312b ff. BGB) auf Maklerverträge ging (§§ 652 ff. BGB).
1. Die Beschwerdeführerin, die ein Immobilien- und Maklerbüro betreibt, übersandte der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) auf deren per E-Mail geäußerte Bitte ein Exposé für eine Doppelhaushälfte. In dem Schreiben heißt es:
Nur bei Ankauf ist die anteilige Courtage gemäß nachfolgendem Einzelangebot von Ihnen zu zahlen. Durch Verhandlungen oder Objektbesichtigung nehmen Sie unsere Dienste in Anspruch und bestätigen den Abschluss des Maklervertrages mit uns.
Anschließend vereinbarten die Parteien wiederum per E-Mail einen Besichtigungstermin. Sechs Monate später kaufte die Beklagte die Doppelhaushälfte. Die Beschwerdeführerin stellte ihre Provision in Rechnung; die Beklagte verweigerte die Zahlung.
2. Im Ausgangsverfahren erklärte die Beklagte unter Verweis auf eine fehlende Belehrung gemäß § 312c Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 246 §§ 1 f. EGBGB den Widerruf des Maklervertrags. Das Landgericht wies die Klage ab. Der Maklervertrag sei mit der Vereinbarung des Besichtigungstermins zustande gekommen, aber wirksam widerrufen worden. Die Berufung wurde vom Oberlandesgericht nach einem Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. sowie weiterer Stellungnahmen der Beschwerdeführerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. zurückgewiesen. Maklerverträge seien vom Anwendungsbereich des § 312b BGB umfasst. Die von der Beschwerdeführerin zitierte gegenteilige Auffassung von Moraht (NZM 2001, S. 883) sei singulär geblieben und mit der gesetzlichen Regelung unvereinbar; es fehle bei einem Maklervertrag nicht an der Schutzbedürftigkeit der gegnerischen Vertragspartei.
Die Beschwerdeführerin wandte sich mit ihrer Anhörungsrüge vergeblich gegen die Anwendung von § 522 Abs. 2 ZPO und die Auffassung der Gerichte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz sowie einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch das Urteil des Landgerichts sowie die Beschlüsse des Oberlandesgerichts.
4. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Beklagte hat sich nicht geäußert. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit die Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gerügt wird, und gibt ihr insoweit statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Der Beschluss über die Zurückweisung der Berufung verletzt den Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin.
a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, das für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten ist (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫; 80, 103 ≪107≫; 85, 337 ≪345≫; 97, 169 ≪185≫; stRspr), beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 69, 381 ≪385≫; 74, 228 ≪234≫; 77, 275 ≪284≫). Dieser verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab gilt auch für die Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. (vgl. BVerfGK 11, 235 ≪238≫; 12, 341 ≪343 f.≫; 14, 238 ≪242 f.≫).
b) Davon ausgehend verletzt die mit der Verfassungsbeschwerde gerügte Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. durch das Oberlandesgericht das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Die Annahme des Gerichts, die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung durch Urteil unter Zulassung der Revision sei mithin nicht erforderlich, ist sachlich nicht zu rechtfertigen.
aa) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO a.F. kommt einer Sache zu, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage setzt die Revisibilität des anzuwendenden Rechts nach § 545 Abs. 1 ZPO voraus. Klärungsbedürftig sind Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BGHZ 151, 221 ≪223≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 –, NJW 2009, S. 572 ≪573≫ m.w.N.).
Danach hatte die vorliegende Sache grundsätzliche Bedeutung, so dass der Zugang zur Revisionsinstanz hätte eröffnet werden müssen. Die Frage der Anwendbarkeit des § 312b BGB auf Maklerverträge stellt zweifelsfrei eine klärungsfähige Rechtsfrage dar. Sie ist entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts auch klärungsbedürftig, denn sie ist höchstrichterlich nicht entschieden und in der Literatur umstritten. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Auffassung ist nicht vereinzelt geblieben, sondern wird unter anderem in einem Großkommentar zum BGB vertreten (so von Reuter, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2010, §§ 652, 653 Rn. 73) und andere Kommentare weisen einen Streit aus (Sprau, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 652 Rn. 7; Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 312b Rn. 33, Fn. 30). Dagegen spricht auch nicht, dass ein Landgericht den Maklervertrag ohne Weiteres als Vertrag im Sinne von § 312b Abs. 1 BGB eingestuft hat (LG Bochum, Urteil vom 9. März 2012 – 2 O 498/11 –, juris, Rn. 31 f.), denn damit ist eine höchstrichterliche Klärung nicht erreicht und der Streit in der Sache nicht beendet. Daher kann auch der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht gefolgt werden, der Wortlaut der Regelung sei eindeutig. Dagegen sprechen die Eigenarten und Besonderheiten des Maklervertrags, der gerade kein „normaler” Dienstvertrag ist, sondern ein Vertrag eigener Art (dazu Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 652 Rn. 3; Kotzian-Marggraf, in: Beck'scher Online-Kommentar BGB, § 652 Rn. 2 ≪Februar 2013≫).
bb) Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die Zurückweisung der Berufung beruht auf diesem Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
cc) Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht kein anderes, für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Allein die Möglichkeit, dass der Bundesgerichtshof in der Revision den materiellrechtlichen Standpunkt des Oberlandesgerichts bestätigen könnte, entbindet das Oberlandesgericht nicht davon, im Zeitpunkt seiner Entscheidung von der prozessrechtlichen Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO a.F. sachgerecht Gebrauch zu machen.
2. Für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen keine Gründe vor, soweit eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch das Urteil des Landgerichts und die Beschlüsse des Oberlandesgerichts gerügt wird. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber, ihrer Rechtsansicht zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1 ≪12≫; 87, 1 ≪33≫). Die Frage nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses wurde hier nicht übergangen, sondern vom Gericht nur rechtlich anders beurteilt.
3. Der Beschluss vom 8. Juni 2011 ist wegen des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht Bamberg zurückzuverweisen. Der Beschluss vom 18. Juli 2011 wird damit gegenstandslos.
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG; die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Masing, Baer
Fundstellen
NJW 2013, 2881 |
NZM 2013, 656 |
WM 2013, 1619 |
ZAP 2013, 927 |
ZfIR 2014, 349 |
Info M 2013, 263 |
Info M 2013, 560 |
MietRB 2013, 295 |
IWR 2013, 88 |