Verfahrensgang
OLG Rostock (Beschluss vom 01.03.2011; Aktenzeichen I Ws 14/11) |
LG Stralsund (Beschluss vom 17.11.2010; Aktenzeichen 21 Ks 2/10) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Stralsund vom 17. November 2010 – 21 Ks 2/10 – und des Oberlandesgerichts Rostock vom 1. März 2011 – I Ws 14/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben, und die Sache wird an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind die Einschlusszeiten im Vollzug der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stralsund.
1. Der Beschwerdeführer befand sich vom 27. Februar 2010 bis zum 12. April 2011 in der Justizvollzugsanstalt Stralsund in Untersuchungshaft; am 12. April 2011 wurde er zur Verbüßung der Strafhaft in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt.
2. Unter dem 28. Oktober 2010 stellte der Beschwerdeführer einen „Antrag auf einstweiligen Rechtschutz” beim Landgericht Stralsund, mit dem er unter anderem beantragte, festzustellen, dass der Tagesablauf in der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stralsund rechtswidrig sei, und die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, einen gesetzeskonformen Tagesablauf, bestehend aus Arbeits-, Frei- und Ruhezeiten, zu gewähren. Ihm sei entgegen § 7 Abs. 1 UVollzG M-V keine gültige Hausordnung übergeben worden. Diese solle nach § 84 UVollzG M-V Auskunft über die Arbeits-, Frei- und Ruhezeiten geben. Er habe bereits mehrfach erfolglos versucht, hierüber Auskunft zu erhalten. Der Landtagsdrucksache 5/2764 sei zu entnehmen, dass die Freizeit neben den Arbeits- und Ruhezeiten ein eigenständiger Teil des Tagesablaufs sein solle und dass den Untersuchungsgefangenen mit Blick auf die besonderen Belastungen in der Untersuchungshaft Gelegenheit zu geben sei, diese Zeit sinnvoll zu gestalten. Nach mehrmaligem Schriftverkehr mit dem Justizministerium habe sich die Leitung der Justizvollzugsanstalt vor einigen Wochen erstmals genötigt gesehen, die Zeit von 16.00 bis 19.00 Uhr als Freizeit zu bezeichnen, allerdings mit der Einschränkung, dass es deshalb keine offenen Haftraumtüren gebe. Auch Umschluss werde ihm trotz mehrmaliger Gesuche nicht gestattet. Außer der täglichen Freistunde, wöchentlich ein- bis zweimal Sport für eineinhalb Stunden, am Wochenende jeweils einer Stunde Umschluss sowie in regelmäßigen Abständen einem Kurs für ein bis zwei Stunden gebe es für Untersuchungsgefangene keine Freizeit. Montags, mittwochs und freitags sei zwar von 14.15 bis 15.45 Uhr Aufschluss. Allerdings sei diese Zeit in erster Linie der Reinigung der Hafträume und der persönlichen Körperhygiene vorbehalten. Damit seien die Untersuchungsgefangenen im Durchschnitt täglich 21,5 Stunden beziehungsweise wöchentlich 150 von 168 Stunden auf ihrem Haftraum eingeschlossen. Nach „hartem Kampf” sei es den Untersuchungsgefangenen nunmehr am Wochenende nach der morgendlichen Essensausgabe für 45 Minuten erlaubt, die Küche zu nutzen. Warum das nicht täglich oder auch nach der abendlichen Essensausgabe möglich sei, sei nicht ersichtlich.
3. Zu dem Antrag nahm die Justizvollzugsanstalt Stellung. Der Tagesablauf sei für Untersuchungsgefangene grundsätzlich ebenso wie für Strafgefangene in Arbeits-, Frei- und Ruhezeiten gegliedert. Arbeitende Untersuchungsgefangene arbeiteten von 7.15 bis 15.30 Uhr. Nach dem Abendbrot werde der Aufenthalt auf dem Freistundenhof angeboten; darüber hinaus könnten sie das interne Sportangebot oder die Aufschlusszeit am Abend auf der Station nutzen. Allerdings würden aufgrund eines geringen Arbeitsplatzangebotes vor allem Strafgefangene zur Arbeit eingesetzt. Durch eine Warteliste werde sichergestellt, dass bei freiwerdenden Arbeitsplätzen auch der Einsatz von Untersuchungsgefangenen regelmäßig geprüft werde. Den Untersuchungsgefangenen, die nicht zur Arbeit eingesetzt seien, werde am Vormittag der Aufenthalt auf dem Freistundenhof angeboten. Zur effektiven Tätertrennung würden getrennte Freistunden durchgeführt, somit entfalle vormittags der Aufschluss auf den Stationen. Nur wenn die Freistunde früher beendet werde, werde für die verbleibende Zeit ein Aufschluss gewährt. Im weiteren Tagesverlauf werde Untersuchungsgefangenen an den Wochentagen Montag, Mittwoch und Freitag jeweils von 14.15 bis 15.45 Uhr Aufschluss gewährt. Ein längerer Aufschluss könne nicht gewährt werden, da in der Zeit von 17.00 bis 19.00 Uhr die Möglichkeit von Telefonaten vorgehalten werden müsse, die von den Stationsbediensteten zu kontrollieren und gegebenenfalls mitzuhören seien. Die Nutzung der Küche und die Vorbereitung des Abendessens mit eigenen Lebensmitteln falle in die Zeit von 14.15 bis 15.45 Uhr. Da sehr zeitnah das Abendessen ausgeteilt werde, seien die Gefangenen nicht wesentlich in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Weiterhin gebe es die Möglichkeit der Teilnahme an Freizeitmaßnahmen.
4. Mit angegriffenem Beschluss vom 17. November 2010 wies das Landgericht den Antrag als unbegründet zurück. Das Begehren des Beschwerdeführers sei als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 119a StPO auszulegen. Es sei bereits zweifelhaft, inwieweit die Aufteilung des Tagesablaufs eine Vollzugsmaßnahme im Sinne des § 119a StPO sei; allerdings sei der Begriff der Vollzugsmaßnahme weit auszulegen. Es liege aber weder ein Verstoß gegen vollzugsrechtliche Normen noch ein Verstoß gegen Grundrechte des Beschwerdeführers vor. Der Beschwerdeführer zähle in seiner Antragsbegründung selbstständig von der Justizvollzugsanstalt bereitgestellte Maßnahmen der Freizeitgestaltung auf, rüge aber letztlich, dass diese nicht ausreichten und die Einschlusszeit zu viele Stunden einnehme. Die Vollzugsgestaltung obliege grundsätzlich der Justizvollzugsanstalt in eigener Zuständigkeit; einer Überprüfung durch den Haftrichter seien insoweit Grenzen gesetzt. Verstöße seitens der Justizvollzugsanstalt seien nicht festzustellen. Für den Beschwerdeführer als Untersuchungsgefangenen behielten die Grundrechte ihre Gültigkeit; sie unterlägen aber aufgrund der Untersuchungshaft und der ihr innewohnenden Beschränkung der Lebensführung gewissen Eingrenzungen. § 5 UVollzG M-V schreibe zwar vor, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen sei; dies gelte aber nur, soweit die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzuges und die Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens in der Anstalt dies zuließen. Arbeitsplätze könnten innerhalb der Justizvollzugsanstalt nicht für jeden Gefangenen gestellt werden. Es sei ausreichend, dass auch Untersuchungsgefangene grundsätzlich in die Prüfung der Verteilung einbezogen würden.
5. Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde zum Oberlandesgericht. Jede Beschränkung, die ihm auferlegt werde, müsse eine gesetzliche Grundlage haben. Es sei nicht ersichtlich, woher die Justizvollzugsanstalt ihr Recht ableite, unschuldige Untersuchungsgefangene, für die es außer den im gerichtlichen Haftbeschluss festgelegten freiheitseinschränkenden und verfahrenssichernden Maßnahmen keine weiteren gesetzlichen An- oder Verordnungen gebe, bis zu 23 Stunden am Tag wegzuschließen. Insbesondere fehle es an einer gültigen, gesetzeskonformen und von der Aufsichtsbehörde genehmigten Hausordnung. Der derzeitige Tagesablauf mit durchschnittlichen Einschlusszeiten von täglich über 20 Stunden sei rechtswidrig. § 4 UVollzG M-V schreibe vor, dass der Anschein zu vermeiden sei, dass die Untersuchungsgefangenen zur Strafverbüßung festgehalten würden, was in der Justizvollzugsanstalt aber der Fall sei, da Untersuchungsgefangene hinsichtlich der Einschlusszeiten schlechter behandelt würden als Strafgefangene. In § 5 UVollzG M-V heiße es, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen sei. Hiergegen werde verstoßen, wenn den Untersuchungsgefangenen nicht gestattet werde, zu den Essensmahlzeiten die Küche zu nutzen. Es werde ihm verweigert, sich in seiner Freizeit täglich mit anderen Untersuchungsgefangenen aufzuhalten, obwohl dies in § 12 Abs. 2 UVollzG M-V ausdrücklich vorgesehen sei. Er dürfe nur dreimal in der Woche duschen, die Strafgefangenen hingegen täglich, was einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstelle. Ihrer Begründungspflicht für einschränkende Maßnahmen komme die Justizvollzugsanstalt nicht nach; es sei nicht nachvollziehbar, ob und wie die Justizvollzugsanstalt eine Ermessensprüfung hinsichtlich der von ihr angeordneten Beschränkungen und Maßnahmen vorgenommen habe. § 119 StPO sehe keine allgemein anzuordnenden Beschränkungen vor. Das Gesetz kenne keinen Unterschied zwischen einem arbeitenden und einem nichtarbeitenden Untersuchungsgefangenen; die Privilegierung der wenigen arbeitenden Untersuchungsgefangenen hinsichtlich der Aufschlusszeiten sei nicht nachvollziehbar. Wenn die arbeitenden Untersuchungsgefangenen in ihrer täglichen Freizeit offene Hafttüren hätten und alle anderen Untersuchungsgefangenen nicht, liege offensichtlich eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung vor.
Der Rechtsbeschwerde fügte der Beschwerdeführer eine Auflistung bei, in der er die Einschlusszeiten für den Monat Oktober 2010 auf 89,6 Prozent und für den Monat November 2011 auf 89,3 Prozent bezifferte.
6. Mit angegriffenem Beschluss vom 1. März 2011 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde „aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses” als unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner am 1. April 2011 rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts. Er rügt einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 3 und Art. 6 Abs. 1 EMRK.
Es gehe ihm darum, in der Untersuchungshaft einen gesetzeskonformen Tagesablauf, der auch tatsächlich aus Arbeits-, Frei- und Ruhezeiten bestehe, herzustellen. Seit über einem Jahr würden ihm ungerechtfertigte, durch gesetzliche Vorschriften nicht gedeckte Beschränkungen seiner körperlichen Bewegungsfreiheit auferlegt. Die Gerichte hätten den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt; seine Ausführungen seien nicht zur Kenntnis genommen worden. Es gehe um die tägliche Freizeit am Abend nach dem Abendessen, von 16.00 bis 19.00 Uhr, die den arbeitenden Untersuchungsgefangenen und den Strafgefangenen auf der Station erlaubt, dagegen ihm, dem Beschwerdeführer, und den anderen nichtarbeitenden Untersuchungsgefangenen ohne ersichtlichen Grund vorenthalten werde. Es gebe Tage, an denen er, abgesehen von der täglichen Freistunde auf dem Hof, 23 Stunden in seinem Haftraum eingeschlossen sei. Damit sei er schlechter gestellt als die Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt.
2. Das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hat auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts Auskünfte zu den Aufschlusszeiten in den Justizvollzugsanstalten des Erwachsenenvollzugs des Landes Mecklenburg-Vorpommern gegeben.
In der Justizvollzugsanstalt Stralsund, in der der Beschwerdeführer untergebracht war, ist Aufschluss für Strafgefangene – arbeitende wie nicht arbeitende – werktags von 16.30 bis 19.15 Uhr sowie wochenends von 7.30 bis 9.00 Uhr und von 14.45 bis 16.00 Uhr, für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene montags, mittwochs und freitags von 14.15 bis 15.45 Uhr vorgesehen (arbeitende Untersuchungsgefangene: keine Angabe). Wochenends von 10.00 bis 11.00 Uhr besteht für die nicht arbeitenden Untersuchungsgefangenen die Möglichkeit des Umschlusses (arbeitende Untersuchungsgefangene: keine Angabe). Im Vollzug der Untersuchungshaft seien vormittags zur effektiven Tätertrennung mehrere getrennte Freistunden auf dem Hof nötig. Da diese Freistunden von den Stationsbediensteten überwacht würden, entfalle deren ständige Präsenz auf den Stationen, weshalb dort ein Aufschluss am Vormittag entfallen müsse. Nur wenn die Freistunde früher beendet werde, sei für die verbleibende Zeit ein Aufschluss möglich, der dann auch gewährt werde. An den Wochentagen außer Montag, Mittwoch und Freitag seien die Stationsbediensteten regelmäßig mit der Haftraumzuweisung und der Zuführung von Gefangenen (Umlauf) beschäftigt. Ein weiterer Aufschluss habe bisher nicht realisiert werden können, da in der Zeit von 17.00 bis 19.00 Uhr die Möglichkeit für Telefonate vorgehalten werden müsse.
In der Justizvollzugsanstalt Waldeck wird arbeitenden und behandlungswilligen sowie nicht arbeitenden, aber arbeits- und behandlungswilligen Strafgefangenen werktags von 9.00 bis 11.00 Uhr und von 14.00 Uhr beziehungsweise ab Arbeitsende bis 20.00 Uhr und wochenends sowie an Feiertagen von 9.00 bis 11.00 und von 14.00 bis 18.00 Uhr Aufschluss gewährt. Für nicht behandlungswillige arbeitende Strafgefangene erfolgt der Aufschluss werktags nach Arbeitsende bis 19.00 Uhr, wochenends und feiertags von 16.00 bis 18.00 Uhr. Behandlungs- und arbeitsunwillige Strafgefangene erhalten Aufschluss täglich von 14.30 bis 15.30 Uhr. Für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene erfolgt Aufschluss an vier Wochentagen jeweils von 17.00 bis 20.00 Uhr, wochenends und an Feiertagen von 16.00 bis 18.00 Uhr. Arbeitende Untersuchungsgefangene erhalten Aufschluss an denselben Wochentagen in der Zeit nach Arbeitsende bis 20.00 Uhr sowie wochenends und an Feiertagen von 14.00 bis 18.00 Uhr.
Nach den Angaben für die Justizvollzugsanstalt Bützow sind dort für Untersuchungsgefangene über den Aufenthalt im Freien hinaus keine Aufschlusszeiten vorgesehen; im Übrigen reichen die nach Gefangenengruppen und Abteilungen stark differenzierten Aufschlusszeiten von werktäglich einer Stunde, zuzüglich einer weiteren Stunde vor dem Nachteinschluss in den Monaten Juni bis September, in einer der Abteilungen für männliche nicht arbeitende Strafgefangene bis zu täglich insgesamt sieben Stunden bei Abschiebungsgefangenen.
Die Aufstellung für die Justizvollzugsanstalt Neubrandenburg weist ebenfalls differenzierte Aufschlusszeiten – unter anderem für nicht arbeitende Strafgefangene über die tägliche Freistunde hinaus täglichen Aufschluss von 15.30 bis 19.45 Uhr – aus. Für Untersuchungsgefangene ist neben der Freistunde kein Aufschluss vorgesehen.
Die Unterschiede zwischen den Aufschlusszeiten in den Justizvollzugsanstalten des Landes seien abhängig von den teilweise stark voneinander abweichenden räumlichen Bedingungen, den unterschiedlichen Zuständigkeiten mit entsprechend zu beachtendem Sicherheitsstandard und dem nicht kontinuierlich zur Verfügung stehenden Personalbestand.
Neben den genannten Aufschlusszeiten gebe es zahlreiche Freizeitmaßnahmen. Die Teilnahme an diesen sei ebenso wie die Durchführung von Besuchen, das Telefonieren oder das Duschen mit einem Aufschluss verbunden, der in der Darstellung nicht berücksichtigt sei.
3. Der Beschwerdeführer erwiderte, dass die Darstellung der Aufschlusszeiten in der Justizvollzugsanstalt Stralsund weitgehend zutreffend sei; soweit das Justizministerium aber ausführe, dass an den Tagen außer Montag, Mittwoch und Freitag die Stationsbediensteten regelmäßig mit der Haftraumzuweisung und der Zuführung von Gefangenen (Umlauf) beschäftigt seien, sei dies unzutreffend, denn die Zuführung neuer Untersuchungsgefangener geschehe fast täglich zu jeder Tageszeit, und Verlegungen und Umlauf erfolgten in der Regel stets am frühen Vormittag, so dass hierin kein Grund für den kompletten Tageseinschluss zu sehen sei. Die abendlichen Telefonzeiten lägen zwischen 18.00 und 19.00 Uhr, würden aber nur von wenigen Gefangenen in Anspruch genommen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Der Zulässigkeit der fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich in eine andere Justizvollzugsanstalt zur Verbüßung einer Haftstrafe verlegt worden ist.
Bei gewichtigen Grundrechtseingriffen ist vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch dann auszugehen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (vgl. BVerfGE 117, 244 ≪268≫; BVerfGK 11, 54 ≪59≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 2008 – 2 BvR 1661/06 –, juris). Gewichtig im hier maßgeblichen Sinne können neben Grundrechtseingriffen, die das Grundgesetz unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪40≫; 104, 220 ≪233≫; 117, 244 ≪269≫), auch Eingriffe in andere Grundrechte sein (vgl. nur BVerfGE 110, 77 ≪86≫; BVerfGK 11, 54 ≪59≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 2012 – 2 BvR 988/10 –, NJW 2012, S. 2790 ≪2791≫, m.w.N.).
Danach kann dem Beschwerdeführer ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden. Wegen der typischerweise kurzen Dauer der Untersuchungshaft kann ein Untersuchungsgefangener nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine stattgebende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Maßnahmen in deren Vollzug nicht erlangen, während die Untersuchungshaft noch andauert. Entfiele das Rechtsschutzbedürfnis für Verfassungsbeschwerden, die Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft betreffen, jeweils mit dem Übergang des Betroffenen in die Strafhaft oder mit einer aufgrunddessen erfolgenden Verlegung, so fiele ein wirksamer verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz in diesem Bereich weitgehend aus (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2010 – 2 BvR 1183/09 –, juris). Angesichts der erheblichen Verschärfung, die der Freiheitsentzug in dem Maße erfährt, in dem der Gefangene über begrenzte Teile des Tages hinaus unfreiwillig auf seinen Haftraum beschränkt und an der Kontaktaufnahme mit anderen Gefangenen gehindert ist (vgl. für den Arrest BVerfGK 2, 318 ≪323≫), entfällt das Rechtsschutzinteresse auch nicht deshalb, weil der gerügte Grundrechtseingriff nicht die erforderliche Schwere erreichte.
2. a) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Die Auslegung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts hat dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfGE 15, 288 ≪295≫; 34, 369 ≪379≫; 42, 95 ≪100≫; BVerfGK 13, 163 ≪165≫). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss daher den Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße prägen (vgl. BVerfGE 34, 369 ≪380≫; 35, 5 ≪9≫; 35, 307 ≪309≫; BVerfGK, a.a.O.). Auch Untersuchungsgefangene können zwar nicht verlangen, dass unbegrenzt personelle und sonstige Mittel aufgewendet werden, um zu vermeiden, dass wegen anderenfalls drohender Gefährdung des Zwecks der Untersuchungshaft eine Beschränkung ihrer grundrechtlichen Freiheiten erforderlich wird (vgl. BVerfGE 34, 369 ≪380 f.≫; 34, 384 ≪402≫; 42, 95 ≪100 f.≫; BVerfGK, a.a.O.). Andererseits können aber nicht beliebige Einschränkungen allein damit gerechtfertigt werden, dass die gegebene personelle oder sonstige Ausstattung der Justizvollzugsanstalt nichts anderes zulasse; denn Grundrechte gelten nicht nach Maßgabe dessen, was an Verwaltungseinrichtungen im konkreten Fall oder üblicherweise vorhanden ist (vgl. BVerfGE 15, 288 ≪296≫; 34, 369 ≪380 f.≫; 35, 307 ≪310≫; BVerfGK 13, 163 ≪166≫, m.w.N.). Es ist Sache des Staates, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, um Verkürzungen der Rechte von Untersuchungsgefangenen zu vermeiden; die dafür erforderlichen sächlichen und personellen Mittel hat er aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen (vgl. BVerfGE 36, 264 ≪275≫; 42, 95 ≪101 f.≫; BVerfGK, a.a.O., m.w.N.). Bei der abwägenden Bestimmung dessen, was einerseits dem Gefangenen an Beschränkungen, andererseits der Anstalt und dem für ihre angemessene Ausstattung verantwortlichen Staat an Aufwand zumutbar ist, muss der Umstand berücksichtigt werden, dass der Untersuchungsgefangene nicht rechtskräftig verurteilt ist (vgl. BVerfGE 15, 288 ≪295≫; 34, 369 ≪379≫; 42, 95 ≪100≫), für die Zumutbarkeit der Haftbedingungen also der Gesichtspunkt keine Rolle spielen kann, dass der Betroffene sich durch strafbares Verhalten selbst unter diese Bedingungen versetzt habe (vgl. BVerfGK, a.a.O.).
Bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Haftbedingungen ist die Indizwirkung internationaler Standards mit Menschenrechtsbezug (vgl. BVerfGE 116, 69 ≪90≫) zu berücksichtigen. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, die auch für Untersuchungsgefangene gelten (Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates, Rec(2006)2, Nr. 10.1; s. auch Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates zur Untersuchungshaft, Rec(2006)13, Nr. 5), sehen vor, dass Gefangene so viele Stunden täglich außerhalb ihrer Hafträume verbringen können, wie es für ein angemessenes Maß an menschlicher und sozialer Interaktion notwendig ist (Rec(2006)2, Nr. 25.2). Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) nimmt in seinem 2. Jahresbericht (2nd General Report on the CPT's activities covering the period 1 January to 31 December 1991, CPT/Inf (92) 3 [EN], Ziff. 47) an, dass es das Ziel sein sollte, sicherzustellen, dass Untersuchungsgefangene eine angemessene Zeit des Tages – acht Stunden oder mehr – außerhalb ihrer Hafträume verbringen und dort sinnvollen Aktivitäten nachgehen können.
Die besonderen Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für den Vollzug der Untersuchungshaft ergeben, begrenzen auch die Möglichkeiten der Verallgemeinerung von Beschränkungen. Bei der Anwendung generalklauselartiger Vorschriften ist grundsätzlich die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles geboten (vgl. zur Anwendung des § 119 Abs. 3 StPO a.F. BVerfGE 15, 288 ≪297≫; 35, 5 ≪11≫; 35, 307 ≪309≫; BVerfGK 12, 378 ≪380≫; 13, 163 ≪165≫). Dies schließt zwar, wo eine Gefährdung gesetzlicher Haftzwecke oder der Anstaltsordnung nicht durch jeweils einzelne Maßnahmen hinreichend abgewehrt werden kann, Beschränkungen allgemeiner Art nicht aus (vgl. BVerfGE 34, 369 ≪380≫; 34, 384 ≪399 f.≫; s. auch, für Regelungen durch Allgemeinverfügung, BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2011 – 2 BvR 722/11 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 17. März 2006 – 1 Ws 42/06 (StrVollz) –, NStZ 2006, S. 582 f.); dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insoweit jedoch dadurch Rechnung zu tragen, dass Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne konkrete Gefährdung der genannten Belange möglich ist (vgl. BVerfGE 15, 288 ≪294 f.≫; 34, 384 ≪398, 400≫; 42, 95 ≪102≫; BVerfGK 13, 163 ≪165≫).
Diese Grundsätze gelten auch, soweit gesetzliche Vorschriften das Ausmaß der Beschränkungen, denen Untersuchungsgefangene unterliegen, in das Ermessen der Vollzugsbehörden stellen. Sie sind daher der behördlichen Ermessensausübung zugrundezulegen, und auf ihre Berücksichtigung hat sich die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Ermessensausübung zu erstrecken. Soweit Entscheidungen, die rechtlich geschützte Belange des Einzelnen berühren, in das Ermessen der Behörden gestellt sind, hat der Betroffene zwar keinen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch auf eine bestimmte behördliche Entscheidung, wohl aber einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Insoweit greift die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGE 96, 100 ≪115≫; für den Strafvollzug BVerfGK 14, 381 ≪386≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 – 2 BvR 309/10 – juris; stRspr). Diese gewährleistet auch die notwendige Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (vgl. BVerfGE 101, 275 ≪294 f.≫; BVerfGK 4, 119 ≪127 f.≫; 9, 390 ≪395≫; 9, 460 ≪462 f.≫, jew. m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss des Landgerichts den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Die behördliche Ausübung des der Justizvollzugsanstalt durch § 12 Abs. 2 Satz 1 UVollzG M-V eingeräumten Ermessens sowie des Ermessens, das den zuständigen staatlichen Organen hinsichtlich der Ausstattung der Justizvollzugsanstalten mit dem für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Personal zukommt, wurde nicht in einer den grundrechtlichen Anforderungen entsprechenden Weise gerichtlich überprüft.
Die begründenden Ausführungen des Landgerichts, wonach die Grundrechte des Beschwerdeführers haftbedingten Beschränkungen unterliegen und der Angleichungsgrundsatz des § 5 UVollzG M-V nur in den durch die Aufgaben des Untersuchungshaftvollzuges und die Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens in der Anstalt gezogenen Grenzen gilt, enthalten keine Antwort auf die entscheidende Frage, ob die Justizvollzugsanstalt ihr Ermessen hinsichtlich der Festlegung der Aufschlusszeiten fehlerfrei ausgeübt hat. An einer solchen Überprüfung fehlt es auch, wenn unterstellt wird, dass das Landgericht sich der Sache nach stillschweigend die von der Justizvollzugsanstalt angegebenen Gründe für die Regelung der Aufschlusszeiten zu eigen gemacht hat. Darin liegt keine Überprüfung dieser Gründe daraufhin, ob sie die behördliche Entscheidung von Rechts wegen zu tragen vermögen.
(1) Es fehlt bereits an der notwendigen Auseinandersetzung mit der Frage, ob unter Haftbedingungen wie den vom Beschwerdeführer geschilderten der notwendige Abstand zu einer grundrechtswidrigen voraussetzungslosen Einzelhaft unterschritten ist.
Die unausgesetzte Absonderung eines Untersuchungsgefangenen (Einzelhaft) ist nach § 50 UVollzG M-V nur aus in dessen Person liegenden Gründen unter engen Voraussetzungen zulässig. Arrest darf als besonders schwere, gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 UVollzG M-V in Einzelhaft zu vollziehende Disziplinarmaßnahme, auch wenn von über den Einschluss in Einzelhaft hinausgehenden Beschränkungen gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 UVollzG M-V abgesehen wird, nur für einen Zeitraum von höchstens vier Wochen (§ 61 Abs. 1 Nr. 7 UVollzG M-V) und nur wegen schwerer oder wiederholter Verfehlungen verhängt werden (§ 61 Abs. 3 UVollzG M-V). Die engen gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung dieser mit besonders weitreichendem Einschluss verbundenen Maßnahmen tragen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung, der hier besonders strikte Beachtung erfordert (vgl. für die Einzelhaft BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. April 1999 – 2 BvR 827/98 –, NStZ 1999, S. 428 ≪429≫). Diesem Grundsatz läuft es jedenfalls zuwider, wenn bereits das normale Haftregime die Gefangenen Bedingungen unterwirft, die sich von denen der Einzelhaft kaum unterscheiden. In diesem Zusammenhang fällt es nicht ins Gewicht, wenn der ganztägige Einschluss durch den gesetzlich vorgesehenen – nicht primär der Kontaktpflege, sondern in erster Linie der körperlichen Gesunderhaltung dienenden – einstündigen Aufenthalt an der frischen Luft unterbrochen, also nicht zugleich auch noch von Nr. 27.1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und Nr. 42 Satz 2 der Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates zur Untersuchungshaft abgewichen wird. Die Einräumung der täglichen Freistunde trägt zur Sicherung des hinsichtlich der Einschlusszeiten notwendigen Abstandes zur Vollzugssituation des Arrests oder der als besondere Sicherungsmaßnahme angeordneten Einzelhaft nicht bei. Denn der insoweit nicht eingeschränkte Anspruch auf einstündigen Aufenthalt an der frischen Luft (§ 20 Abs. 2; § 62 Abs. 3 Satz 3 UVollzG M-V) bleibt dem Gefangenen – wenn auch nicht als ein Anspruch, der die Möglichkeit sozialer Kontakte einschließt – in Übereinstimmung mit den genannten internationalen Standards auch im Vollzug von Arrest oder sonstiger Einzelhaft erhalten (vgl. zum Strafvollzugsrecht i.e.S. § 89 Abs. 2 Satz 2 StVollzG; Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 89 Rn. 1; HansOLG, Beschluss vom 15. August 2008 – 3 Vollz (Ws) 44/08 –, juris).
Danach war in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht klärungsbedürftig, ob die Haftbedingungen des Beschwerdeführers sich, was die Einschlusszeiten angeht, von der Situation des Arrests oder sonstiger Einzelhaft hinreichend unterschieden. Nach der vom Beschwerdeführer in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegebenen Darstellung bestanden für die nicht arbeitenden Untersuchungsgefangenen über die tägliche Freistunde hinaus nur äußerst geringfügige Möglichkeiten des Aufenthalts außerhalb ihres Haftraums und der Kontaktaufnahme mit Anderen, wobei ungeklärt geblieben ist, ob diese Möglichkeiten sich auf die Wochentage so verteilten, dass eine über die Freistunde hinausgehende Möglichkeit, sich außerhalb des Haftraums aufzuhalten, für jeden Wochentag eröffnet war.
(2) Unabhängig davon hat das Landgericht die beanstandeten Haftbedingungen nicht in der notwendigen Weise auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft und insoweit einschlägige internationale Standards mit Menschenrechtsbezug (s.o. III.2.a)aa)) nicht berücksichtigt.
Der Feststellung des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, dass für Untersuchungsgefangene die Möglichkeit angestrebt werden sollte, täglich acht Stunden oder mehr außerhalb ihrer Hafträume zu verbringen und dort sinnvollen Aktivitäten nachzugehen (CPT, 2nd General Report on the CPT's activities covering the period 1 January to 31 December 1991, CPT/Inf (92) 3 [EN])), kommt zwar eine indizielle Bedeutung (vgl. BVerfGE 116, 69 ≪90≫) dahingehend, dass bei jeder Unterschreitung dieses Wertes die Annahme einer Grundrechtsverletzung naheläge, schon deshalb nicht zu, weil es sich hier bereits der Formulierung nach nicht um einen menschenrechtlichen Mindeststandard, sondern um die Angabe eines anzustrebenden Ziels handelt. Nicht zuletzt angesichts des enormen Ausmaßes der Entfernung der Haftbedingungen des Beschwerdeführers von diesem Zielwert hätte jedoch Anlass zu näherer Prüfung der Zumutbarkeit dieser Haftbedingungen in der besonderen Konstellation der Untersuchungshaft bestanden.
Diese Prüfung hätte unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Untersuchungshaft auch die vorgesehenen Unterschiede zwischen verschiedenen Gefangenengruppen in den Blick zu nehmen gehabt.
Insbesondere wären die erheblichen Unterschiede zwischen den für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene und den für arbeitende Untersuchungsgefangene sowie Strafgefangene geltenden Aufschlusszeiten einer näheren Prüfung zu unterziehen gewesen. Das Landgericht hat sich der Sache nach mit den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt dazu, dass die Personallage weitergehende Aufschlusszeiten für nicht arbeitende Untersuchungsgefangene nicht erlaube, zufriedengegeben, ohne der Frage nachzugehen, ob die Anstalt ihr Ermessen hinsichtlich der Verteilung der personellen Ressourcen im Verhältnis der genannten Gefangenengruppen fehlerfrei ausgeübt hat.
Eine vollzugliche Schlechterstellung von Untersuchungsgefangenen gegenüber Strafgefangenen ist in verschiedenen Bereichen wegen der besonderen Beschränkungen, die zur Sicherung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich sein können, nicht durchgängig vermeidbar. Aus der gebotenen Rücksicht darauf, dass der Untersuchungsgefangene nicht rechtskräftig verurteilt ist (s. unter III.2.a)aa)), und aus der gebotenen Rücksicht auf die besonderen mit der Untersuchungshaft verbundenen psychischen Belastungen (vgl. BVerfGK 13, 163 ≪169 f.≫) folgt auch nicht, dass eine solche Schlechterstellung ohne weiteres immer bereits dann unzulässig ist, wenn sie durch Umschichtungen im Personaleinsatz vermeidbar wäre. Soweit etwa angesichts gegebener Unterschiede im Aufsichtsbedarf bereits geringfügige Verbesserungen bei den Untersuchungsgefangenen mit erheblichen Einschränkungen bei den Strafgefangenen erkauft werden müssten, ist es nicht zu beanstanden, wenn von einer Angleichung der Vollzugssituation durch Veränderungen in der Verteilung des Personaleinsatzes abgesehen wird. Andererseits entspräche es aber, auch soweit absolute Mindeststandards noch gewahrt sind, nicht der verfassungsrechtlich gebotenen Rücksicht auf die Besonderheit der Situation des Untersuchungsgefangenen, eine beliebige gegebene Verteilung personeller Ressourcen im Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Gefangenengruppen zum feststehenden Ausgangspunkt der Prüfung zu nehmen und die Verhältnismäßigkeit der für Untersuchungsgefangene vorgesehenen Beschränkungen allein danach zu beurteilen, ob sie angesichts dieser gegebenen Ressourcenverteilung unvermeidbar sind. Vielmehr kann angesichts der Bedeutung, die ihr für das Ausmaß der hinzunehmenden Beschränkungen zukommt, auch die Verteilung der personellen Ressourcen selbst nicht der Prüfung daraufhin entzogen sein, ob ihr vertretbare, die besondere Situation der Untersuchungsgefangenen angemessen berücksichtigende sachliche Gründe zugrundeliegen. Eine solche Prüfung ist nicht erfolgt, obwohl angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen den Aufschlusszeiten für die verschiedenen Gefangenengruppen und der erheblichen Schlechterstellung gerade der nicht arbeitenden und insofern auf anderweitige Kontaktmöglichkeiten besonders angewiesenen Untersuchungsgefangenen die Möglichkeit einer Fehlgewichtung nicht fernlag.
Auch soweit allein die Situation unterschiedlicher Gruppen von Untersuchungsgefangenen und die gegebene Personalausstattung in diesem Bereich in den Blick genommen wird, fehlt jede weitere Aufklärung dazu, warum ein Aufschluss am Abend auf der Station trotz der erforderlichen Telefonkontrolle zwar für arbeitende Untersuchungsgefangene, nicht aber für nichtarbeitende Untersuchungsgefangene möglich sein soll, ob der tatsächliche Anfall von Überwachungsbedarf für Telefongespräche es erfordert, hierfür den gesamten dafür vorgesehenen Zeitraum von 17.00 bis 19.00 Uhr – auf Kosten von Möglichkeiten des Aufschlusses und des Umschlusses während dieser Zeit – vorzuhalten, und warum der nachmittägliche Aufschluss für nichtarbeitende Untersuchungsgefangene nur an drei Wochentagen stattfindet. Auch insoweit finden sich in dem Beschluss des Landgerichts keinerlei konkrete Ausführungen zu dem mit der Einräumung von Aufschlusszeiten und mit entgegenstehenden anderen Aufgaben verbundenen Zeit- und Personalaufwand, die eine Beurteilung der Erforderlichkeit der Einschlusszeiten erlauben würden.
Dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Einräumung erweiterter Aufschlusszeiten im Wege der individuellen Ausnahme für den Beschwerdeführer (vgl. BVerfGE 15, 288 ≪294 f.≫; 34, 384 ≪398, 400≫; 42, 95 ≪102≫; BVerfGK 13, 163 ≪165≫) erforderlich gewesen wäre, ist zwar im Hinblick darauf hinnehmbar, dass der Beschwerdeführer keinerlei für ihn persönlich sprechende Ausnahmegründe angeführt hatte. Das Landgericht hat jedoch, obwohl hierzu ein weiterführender Vortrag vom Beschwerdeführer nicht erwartet werden konnte, auch nicht überprüft, ob erweiterte Aufschlusszeiten, von denen auch der Beschwerdeführer profitieren könnte, im Wege der Differenzierung zugunsten von – etwa nach Haftgründen, Art der vorgeworfenen Delikte, Angewiesenheit auf zusätzliche Kontaktmöglichkeiten gebildeten – Untergruppen hätten zugelassen werden können und müssen.
b) Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts, der sich auf die Beschlussbegründung des Landgerichts stützt, verstößt damit ebenfalls gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.
c) Ob durch die angegriffenen Entscheidungen weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden sind, kann angesichts der bereits festgestellten Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG offenbleiben.
IV.
1. Die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts beruhen auf den festgestellten Grundrechtsverstößen. Sie sind daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Huber, Kessal-Wulf
Fundstellen
StV 2013, 521 |
ZfStrVo 2013, 56 |