Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 17.12.2008; Aktenzeichen 20 B 1433/08) |
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 11.11.2008; Aktenzeichen 20 E 1254/08) |
VG Köln (Beschluss vom 08.09.2008; Aktenzeichen 13 L 1123/08) |
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Aussicht auf Erfolg ist.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin begehrt mit ihrem Eilantrag, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, gegen eine Versuchsreihe der Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung einzuschreiten. Ihre Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage nach einer staatlichen Verantwortung, öffentlich diskutierte Warnungen vor Großschadensereignissen empirisch zu widerlegen.
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Zürich. Etwa 220 km südwestlich, im Kanton Genf, befindet sich der Sitz der Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung (Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire – CERN). Die Organisation betreibt dort Anlagen und technische Einrichtungen, die der physikalischen Grundlagenforschung dienen.
a) Die durch Abkommen vom 1. Juli 1953 (BGBl 1954 II S. 1013) errichtete internationale Forschungseinrichtung wird von der Bundesrepublik Deutschland und 19 weiteren Mitgliedstaaten getragen. Ziel der Organisation ist die Zusammenarbeit europäischer Staaten bei der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Kernphysik (Art. 2 Abs. 1 des Abkommens). Die Organisation besitzt Völkerrechtspersönlichkeit sowie Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats (Art. 9 des Abkommens; Art. 2 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Organisation für Kernforschung vom 18. März 2004 ≪BGBl 2006 II S. 970≫). In Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit genießt die Organisation Immunität von der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten (Art. 5 des Protokolls). Ihre Organe sind ein Rat und ein Direktor (Art. 4 des Abkommens). Die Grundzüge der Tätigkeit der Organisation werden vom Rat festgelegt, der sich aus Delegierten der Mitgliedstaaten zusammensetzt und grundsätzlich mit einfacher Mehrheit entscheidet (Art. 5 des Abkommens). Zu der von der Organisation betriebenen Anlage gehört ein neu errichtetes Synchrotron (Large Hadron Collider – LHC). Dieser etwa 100 Meter unterhalb der Erdoberfläche errichtete Teilchenbeschleuniger erstreckt sich in einem ringförmigen Tunnel mit einem Umfang von ungefähr 27 km über das Gebiet der Organisation hinaus bis auf französisches Staatsgebiet. Während der für die nachfolgenden Monate geplanten Versuchsreihen sollen im Inneren des LHC-Röhrensystems zwei gegenläufige Protonenstrahlen durch Einsatz von Magneten annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Die beschleunigten Teilchen werden dazu verwendet, Kollisionsexperimente durchzuführen. Der neue Beschleuniger wurde zunächst probeweise mit einer Energie von rund 2 Billionen Elektronenvolt (Tera-Elektronenvolt – TeV) in Betrieb genommen, die bei künftigen Versuchsreihen bis auf 14 TeV gesteigert werden soll. Ziel der Versuche ist es, physikalische Theorien zu prüfen sowie verschiedene theoretisch vorhergesagte, bislang aber noch nicht experimentell nachgewiesene Elementarteilchen zu erzeugen.
b) Nach einer in der kernphysikalischen Wissenschaft diskutierten Gravitationstheorie besteht bei Durchführung der Versuche ab einer bislang in Laborexperimenten noch nicht erreichten Energiemenge die Möglichkeit, sogenannte Miniatur-Schwarze-Löcher zu erzeugen. Dabei handelt es sich um stark komprimierte Materie, die unter bestimmten Bedingungen prinzipiell die Eigenschaft hat, durch Schwerkraft die sie umgebende Materie zu akkretieren, das heißt anzuziehen, dadurch weiter zu wachsen und dergestalt immer größere Bereiche ihrer Umwelt zu absorbieren. Nach überwiegender wissenschaftlicher Meinung birgt jedoch der Versuchsaufbau am CERN kein Gefahrenpotential. Einschlägige Fachpublikationen schließen insbesondere die Möglichkeit unkontrolliert wachsender Miniatur-Schwarze-Löcher aus. Bereits deren Erzeugung während der Versuchsreihen sei wegen der im LHC verwendeten Energiemenge nicht sicher, wenn auch erwünscht. Jedenfalls würden etwaig entstehende Miniatur-Schwarze-Löcher nach den Gesetzen des sogenannten Hawking'schen Strahlungstheorems sofort wieder verdampfen. Selbst wenn sie stabil wären, das Hawking'sche Theorem also widerlegt würde, zeitige dies keine nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt, weil der Teilchenbeschleuniger lediglich unter Laborbedingungen natürliche Prozesse reproduziere, die seit jeher unkontrolliert in der Erdatmosphäre abliefen, wenn kosmische Strahlung dort auf Luftmoleküle treffe. Diese natürlichen Prozesse hätten bislang keinerlei negativen Auswirkungen auf die Umwelt gehabt, was Rückschlüsse auf den Versuchsaufbau zulasse. Von alledem abgesehen, gebe es jedenfalls stellare Objekte, sogenannte Weiße Zwerge und Neutronensterne, die nicht existieren könnten, falls Miniatur-Schwarze-Löcher in der Lage wären, Himmelskörper zu zerstören.
2. Die Beschwerdeführerin hält diese Sicherheitsanalyse für unzutreffend. Vielmehr hält sie eine Zerstörung der Erde durch die geplante Versuchsreihe nicht für ausgeschlossen. Schlimmstenfalls sei von einer Restlebenszeit des Planeten von weniger als fünf Jahren auszugehen. Sie beantragte daher vor dem Verwaltungsgericht Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung, verbunden mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Sie begehrte, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, mit den Mitteln, die dieser völkerrechtlich zur Verfügung stehen, eine Beschränkung der bei den Versuchen eingesetzten Energie auf ein Maß zu erreichen, das bereits in andernorts betriebenen Teilchenbeschleunigern älterer Bauart verwendet wurde und daher unbedenklich sei. Die Anträge blieben erfolglos, ebenso die gegen die Ablehnung eingelegten Beschwerden zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen. Zur Begründung verweisen die angegriffenen Entscheidungen im Wesentlichen darauf, dass eine Gefahr für die Rechtsgüter der Beschwerdeführerin nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Angesichts des wissenschaftlich äußerst komplexen Sachverhalts habe die Bundesregierung durch Risikoermittlung und -bewertung alles ihrerseits Erforderliche getan und sich schließlich innerhalb des ihr eröffneten Beurteilungsspielraums gegen ein Einschreiten entschieden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei der vorgenommenen Risikoabschätzung relevante Risiko- oder Schadensszenarien von vornherein unberücksichtigt geblieben wären, seien weder dargetan worden noch sonst ersichtlich.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Hierzu macht sie sich die von einigen Wissenschaftlern geäußerte und von Teilen der Öffentlichkeit diskutierte Warnung zu eigen, potentiell katastrophale Entwicklungen seien im Anschluss an die mögliche Erzeugung Schwarzer Löcher im LHC möglich. Die Bundesregierung sei von Verfassungs wegen verpflichtet, auf die Organisation einzuwirken, um die bei der Versuchsreihe eingesetzte Energie auf ein nach Auffassung der Beschwerdeführerin unbedenkliches Maß zu beschränken. Dies gelte jedenfalls solange, wie die von ihr geäußerte Warnung nicht empirisch widerlegt sei. Soweit die Bundesregierung und ihr folgend die Gerichte zu dem Ergebnis gekommen seien, die Versuche seien ungefährlich, macht die Beschwerdeführerin eine aus ihrer Sicht ungenügende Gefahrenabschätzung geltend.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben sind geklärt (vgl. BVerfGE 49, 89 ff.; 53, 30 ff.). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht zwar nicht bereits der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser Grundsatz verlangt vorliegend nicht, über den – erschöpften – Rechtsweg im vorläufigen Rechtsschutz hinaus auch das Hauptsacheverfahren zu durchlaufen. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, soweit sie eine selbständige Beschwer enthält, die sich nicht mit jener der späteren Hauptsacheentscheidung deckt (BVerfGE 77, 381 ≪400 f.≫; 79, 69 ≪73≫; vgl. auch BVerfGE 53, 30 ≪52 ff.≫ m.w.N.). Eine solche selbständige Beschwer macht die Beschwerdeführerin geltend. Sie greift gerade die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Abschätzung der Erfolgsaussichten ihres Antrags an. Zudem ist mit einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung nicht vor Erreichen der von der Beschwerdeführerin als kritisch angesehenen Energie im Teilchenbeschleuniger zu rechnen, der gegenwärtig – nach zwischenzeitlich eingestellten Versuchen – wieder angefahren wird. Träte der befürchtete Erfolg ein, bedeutete dies einen endgültigen Rechtsverlust.
2. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde jedoch, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG rügt. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn ein Beschwerdeführer geltend macht, durch den angegriffenen Hoheitsakt in einem verfassungsbeschwerdefähigen Recht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG) unmittelbar und gegenwärtig verletzt zu sein. Ein Beschwerdeführer muss hinreichend substantiiert darlegen, dass eine solche Verletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19≫; 52, 303 ≪327≫; 65, 227 ≪232 f.≫; 89, 155 ≪171≫). Der Vortrag der Beschwerdeführerin genügt diesen Anforderungen nicht; denn sie legt nicht dar, dass die angegriffenen Entscheidungen ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen können.
a) Zwar sind alle Stellen, die öffentliche Gewalt ausüben, prinzipiell verpflichtet, sich schützend vor das durch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgte Rechtsgut zu stellen. Dieses Grundrecht gewährleistet aber keinen Anspruch auf Ausschluss jedes vorstellbaren Risikos, jedenfalls nicht in Gestalt einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur empirischen Widerlegung jeglicher Warnungen vor denkbaren Schadensereignissen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aus dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe abzuleiten. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1 ≪41≫; 46, 160 ≪164≫; 49, 89 ≪141 f.≫; 53, 30 ≪57≫; 56, 54 ≪78≫). Eine Verletzung dieser Pflicht kann unter der Voraussetzung festgestellt werden, dass die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückbleiben (vgl. BVerfGE 56, 54 ≪81≫; 77, 381 ≪405≫; 79, 174 ≪202≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2002 – 1 BvR 1676/01 –, NJW 2002, S. 1638 ≪1639≫; BVerfGK 10, 208 ≪211≫; stRspr). Danach obliegt dem Bundesverfassungsgericht keine umfassende Kontrolle der im Einzelfall vorgenommenen Einschätzungen durch die Legislative oder die Exekutive. Die staatliche Schutzpflicht verlangt bei komplexen Sachverhalten, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, auch von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Theorien zur Durchsetzung zu verhelfen (vgl. BVerfGK 10, 208 ≪211≫); im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten obliegt aber allen Stellen, die öffentliche Gewalt ausüben, eine gesteigerte Verantwortung, wenn sie Entscheidungen treffen, die auf ungewissen Folgenabschätzungen beruhen. Dies gilt gerade dann, wenn wissenschaftlich und praktisch noch unerschlossenes Neuland betreten wird. Hier kommt es darauf an, sich eine möglichst breite Informationsgrundlage für eine möglichst rationale Risikoabschätzung zu verschaffen, wobei die unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen eines gewaltenteiligen Systems berücksichtigt werden müssen. Dem liegt eine Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer, wissenschaftlich umstrittener Sachverhalte zwischen Exekutive und Gerichten zugrunde, die den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung trägt (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2002, a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 61, 82 ≪114 f.≫; 84, 34 ≪50≫; 95, 1 ≪15≫).
bb) Eine nur theoretisch herleitbare Gefährdung von Leben oder Gesundheit kann ausnahmsweise als Grundrechtseingriff angesehen werden. Dabei gilt: Je größer das Risikopotential für Leben oder Gesundheit ist, desto niedriger liegt die Schwelle der Wahrscheinlichkeit für die Prognose eines Schadenseintritts, bei deren Überschreitung wirksame staatliche Schutzmaßnahmen geboten sind. Hinsichtlich schwerer Schäden an Leben oder Gesundheit einer Vielzahl von Grundrechtsträgern genügt prinzipiell bereits eine im Vorfeld erkannte Realisierungstendenz, um Schutzpflichten des Staates auszulösen (vgl. BVerfGE 66, 39 ≪58≫). Ein Schadensereignis apokalyptischen Ausmaßes – wie vorliegend von der Beschwerdeführerin befürchtet – muss als mögliche Konsequenz eines wissenschaftlichen Vorhabens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen sein (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪142 f.≫, dort zu Gefahren, deren Realisierbarkeit sich der Gesetzgeber bewusst war).
Soweit im Rahmen der derzeit als gesichert geltenden wissenschaftlichen Prämissen vernünftige Zweifel darüber möglich sind, ob Schäden an Rechtsgütern eintreten oder ausbleiben werden, verlangt die verfassungsrechtliche Schutzpflicht, dass staatliche Organe alle Anstrengungen unternehmen, um mögliche Gefahren jedenfalls möglichst frühzeitig zu erkennen, um diesen mit den erforderlichen Mitteln begegnen zu können. Soweit bei Schäden mit katastrophalen oder gar apokalyptischen Ausmaßen nachvollziehbare, wissenschaftlich entweder diskutierte oder jedenfalls fachlich nicht vollständig ausschließbare Möglichkeiten des Eintritts bestehen, ist die öffentliche Gewalt zu geeigneten Vorkehrungen oder bei eigener Beteiligung am risikosetzenden Verhalten zum Unterlassen verpflichtet. Demgegenüber begründet der bloße Verweis auf hypothetische Kausalverläufe jenseits derartiger vernünftiger Zweifel lediglich Restrisiken in dem Sinne, dass der Eintritt künftiger Schadensereignisse nie mit absoluter Sicherheit ausschließbar ist, weil hier Grenzen der empirisch überprüfbaren und theoretischer Argumentation zugänglichen Erkenntnisfähigkeit bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2002, a.a.O., dort zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen). Denn letzte Ungewissheiten jenseits der gegenwärtigen Erkenntnisfähigkeit sind in einer wissenschaftlich-technisch orientierten Gesellschaft grundsätzlich unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪143≫).
Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herzuleitende Schutzpflicht hindert die öffentliche Gewalt nicht, mit der Förderung wissenschaftlicher Forschungstätigkeit (Art. 5 Abs. 3 GG) insofern unentrinnbare Restrisiken in Kauf zu nehmen. Ansonsten wäre großexperimentelle Grundlagenforschung kaum möglich, weil sich im zu erforschenden Grenzbereich überraschende physikalische Wirkungen auslösende Ergebnisse nicht völlig ausschließen lassen. Allerdings trifft die Träger öffentlicher Gewalt eine Pflicht, Erkenntnisquellen auszuschöpfen und eine Risikoanalyse mit fachlicher Bewertung vorzunehmen. Diese Anforderungen dürfen aber nicht zu Lasten der Forschungsfreiheit überspannt werden; sie dienen vielmehr dazu, den wissenschaftlichen Diskurs offen zu halten und seine Erkenntnisse nachzuvollziehen. Soweit die dafür zuständigen Verfassungsorgane oder entsprechende Stellen öffentlicher Verwaltung die fachlichen Abschätzungen verantwortlich vorgenommen haben, fehlt es den Gerichten an Maßstäben, ihre eigene Beurteilung jenseits praktischer Vernunfterwägungen an die Stelle des legislativen oder exekutiven Sachverstandes zu setzen (vgl. BVerfGE 66, 39 ≪61≫).
cc) Die Vernachlässigung einer Schutzpflicht des Staates und seiner Organe für das geschützte Rechtsgut kann von dem Betroffenen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 77, 170 ≪214≫; 79, 174 ≪201 f.≫). Um den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu entsprechen, die auf die Verletzung der sich aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht gestützt wird, muss ein Beschwerdeführer jedoch schlüssig dartun, dass die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder dass offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 15, 256 ≪261 f.≫; 77, 170 ≪215≫). Hierzu ist vorweg darzulegen, dass überhaupt eine Gefahr existiert. Dieses Schlüssigkeitserfordernis gilt auch, soweit eine Verantwortung staatlicher Stellen zur empirischen Widerlegung von Warnungen vor Schadensereignissen in Rede steht. Der bloße Hinweis auf vereinzelt bleibende Warnungen genügt nicht, um eine gesteigerte staatliche Untersuchungs- oder gar Widerlegungspflicht anzunehmen.
Was experimentelle Forschungsansätze betrifft, die im Wesentlichen auf theoretischen Erwägungen zu zentralen Grundfragen der modernen Physik aufbauen, sind jedenfalls solche Behauptungen unzureichend substantiiert, die lediglich eine Verantwortung staatlicher Stellen zur vorherigen, empirischen Widerlegung sämtlicher in der Öffentlichkeit diskutierter Warnungen vor (Groß-)Schadensereignissen einfordern. Die Substantiierung einer Verletzung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten verlangt für Warnungen, die weitreichende Schutzpflichten auslösen sollen, die Einhaltung gewisser Mindeststandards, jedenfalls die Beachtung des Schlüssigkeitserfordernisses (vgl. BVerfGE 77, 170 ≪215≫). Darauf zu verzichten, hieße, es staatlichen Stellen unmöglich zu machen, relevante Warnungen, denen sie prinzipiell nachzugehen haben, von irrelevanten hypothetischen Prophezeiungen zu unterscheiden.
b) Diesen Anforderungen an die Substantiierung genügen die Darlegungen der Beschwerdeführerin nicht. Sie hat mit dem Hinweis auf die ihrer Ansicht nach ungenügende und verharmlosende Gefahrenabschätzung durch Bundesregierung und Fachgerichte keinen Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht dargetan (aa). Darüber hinaus hat sie lediglich ihren bereits von den Fachgerichten beschiedenen Vortrag wiederholt, die Bundesrepublik Deutschland sei verpflichtet, gegen die von der Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung durchgeführten Versuche einzuschreiten. Die hierfür herangezogene möglicherweise aus Fachkreisen stammende Warnung vor der avisierten Versuchsreihe ist jedenfalls unschlüssig; denn sie genügt nicht den Substantiierungsanforderungen hinsichtlich der Verletzung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (bb).
aa) Die Rüge, die Bundesregierung habe sich nicht hinreichend mit dem wissenschaftlichen Meinungsstand auseinandergesetzt, sondern lediglich eine in der Wissenschaft überwiegend vertretene, nach Einschätzung der Beschwerdeführerin jedoch verharmlosende Risikobewertung ungeprüft übernommen, ist unzulässig. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts wird damit nicht dargelegt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 101, 361 ≪388≫; 106, 28 ≪45≫). Davon abgesehen ist das Oberverwaltungsgericht jedenfalls den grundrechtlichen Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle der von der Exekutive durchzuführenden Schadensprognose gerecht geworden. Die angegriffenen Entscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Das Oberverwaltungsgericht konnte sich darauf beschränken, die von der Bundesregierung vorgenommene Einschätzung des Gefährdungspotentials zu kontrollieren, da diese Bewertung der Exekutive obliegt. Es ist nicht Sache der gerichtlichen Kontrolle, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen (für die Rechtslage unter dem Atomgesetz BVerfGE 61, 82 ≪114 f.≫; vgl. auch BVerfGE 49, 89 ≪136≫).
Der Staat muss bei der Risikoermittlung zwar alle vertretbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse in Erwägung ziehen, er muss dabei jedoch nicht jeder Meinungsäußerung auch entsprechen (vgl. BVerfGK 10, 208 ≪211≫). Die hier vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Ansichten ist aufgrund der bestehenden Verteilung der Verantwortung zwischen den Gewalten der Exekutive zugewiesen, nicht aber den diese Abwägung nur kontrollierenden Gerichten, die eine wissenschaftliche Kontroverse nicht selbst entscheiden können. Objektive Zweifel, die das kontrollierende Gericht möglicherweise zu einer Beanstandung der von der Exekutive vorgenommenen Einschätzung veranlassen könnten, liegen nicht schon dann vor, wenn die in der Wissenschaft vorherrschende Meinung nicht in der Lage ist, eine auf rein theoretischen Überlegungen basierende Gegenauffassung zu falsifizieren, die vorliegend allein darauf hinweist, dass eine von ihr aufgezeigte Möglichkeit nicht empirisch widerlegt sei. Andernfalls läge nicht nur ein Einbruch in den Kompetenzbereich der Exekutive vor; angesichts der auf dem Gebiet der Kernphysik herrschenden ständigen Kontroverse wäre die Durchführung wissenschaftlicher Versuche schlechthin unmöglich (vgl. auch BVerwGE 72, 300 ≪316 ff.≫).
(2) Die danach durch die Exekutive pflichtgemäß vorzunehmende Bewertung ist vorliegend erfolgt. Nach den Feststellungen der Fachgerichte hält die Bundesregierung ein Gefährdungspotential des LHC nach dem Stand der Wissenschaft für ausgeschlossen. Der wissenschaftliche Meinungsstand zur Gefährlichkeit der von der Organisation betriebenen Versuche lässt sich – soweit aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich – dahingehend zusammenfassen, dass selbst die Vertreter der Minderheit, die ein Schadensszenario für möglich halten, lediglich behaupten, dass die von ihnen aufgezeigten theoretischen Denkmodelle, die von einer Vielzahl unwägbarer Prämissen abhängen, bisher nicht widerlegt worden seien. Demgegenüber schließt die Mehrheit der mit dieser Frage befassten Wissenschaftler schon die Möglichkeit des Eintritts dieser Prämissen aus. Entsprechende Szenarien sehen sie sogar als widerlegt an.
(3) Das Oberverwaltungsgericht ist aufgrund des ihm im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Tatsachenmaterials verfassungsrechtlich unbedenklich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einschätzung der Bundesregierung nicht angreifbar sei. Die Exekutive darf sich auf das jeweils als wissenschaftlich bewährt geltende Wissen verlassen. Sie muss keine Ansprüche auf darüber hinausgehende Gewissheiten erfüllen. Denn auch der Forschungsprozess erzeugt lediglich Wissen, das erfahrungsgestützt nur Annäherungswissen und ansonsten von konstruktiven Paradigmen abhängiges Wissen ist. Dieses Wissen vermittelt keine volle Gewissheit, sondern ist prinzipiell durch jede neue Erfahrung oder den Nachweis widersprüchlicher Theoriebildung korrigierbar und befindet sich insofern immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪143≫). Grundsatzentscheidungen über die Fortentwicklung dieses Wissens und die Zulassung von Forschung einschließlich der dadurch bedingten Unwägbarkeiten obliegen – allerdings unter Beachtung der von Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Freiheiten – auch im kernphysikalischen Bereich der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung. Soweit sie im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für geboten erachteten Entscheidungen getroffen haben, ist es nicht Aufgabe der Gerichte, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪131≫).
bb) Die Rüge der Beschwerdeführerin, sie werde in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dadurch verletzt, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden völkerrechtlichen Mitteln eine Beschlussfassung im CERN-Rat mit dem Ziel einer Begrenzung der Energie im Teilchenbeschleuniger herbeiführt, ist unzulässig. Die in der Verfassungsbeschwerdeschrift erneuerte Warnung vor der Versuchsreihe genügt nicht den Anforderungen an die Substantiierung einer Verletzung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Obliegenheit, eine Warnung zu substantiieren, kann nicht damit nachgekommen werden, staatliche Stellen aufzufordern, die jeweilige Warnung zu widerlegen.
(1) Zur schlüssigen Darlegung möglicher Schadensereignisse, die eine Reaktion staatlicher Stellen erzwingen könnten, genügt es insbesondere nicht, Warnungen auf ein generelles Misstrauen gegenüber physikalischen Gesetzen, also gegenüber theoretischen Aussagen der modernen Naturwissenschaft zu stützen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2002, a.a.O., dort zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen). Praktisch vernünftige Zweifel setzen – wenigstens – die Auseinandersetzung mit Gegenbeispielen, also Widerlegungsversuchen der jeweiligen Aussagen voraus. Namentlich im Bereich der theoretisch weit fortgeschrittenen Naturwissenschaften erfordern vernünftige Zweifel zudem ein hinreichendes fachliches Argumentationsniveau. Die schlüssige Darlegung einer Warnung kann jedenfalls nicht auf solche Hilfserwägungen abstellen, die ihrerseits mit dem bewährten, anerkannten Hintergrundwissen des jeweiligen Faches in Widerspruch stehen. Die Beschwerdeführerin unterschreitet diese Anforderung, soweit sie neben einem Theorem, auf welches es für die Sicherheit des LHC nicht ankommt, diverse Hilfserwägungen („Atto-Quasar”, „Superfluidität”) vorträgt, von denen die „Weltgefahr” zwar ausgehen könnte, die aber – jedenfalls was diese Ergänzungen angeht – nach ihrem eigenen Vortrag bislang weder wissenschaftlich publiziert noch auch nur in Umrissenen theoretisch ausgearbeitet sind.
(2) Den Mindestanforderungen an Schlüssigkeit genügt es auch nicht, ad hoc situationsspezifische Kausalverläufe darzulegen, die prinzipiell nicht unabhängig überprüfbar sind. Danach reicht es nicht aus, dass die Beschwerdeführerin Schadensereignisse als mögliche Folge der Versuchsreihe ankündigt und diese Ankündigung damit zu begründen sucht, dass sich die Gefährlichkeit der Versuchsreihe eben in den von ihr für möglich gehaltenen Schadensereignissen manifestiere. Ein solches Vorgehen hinzunehmen hieße, Strategien zu ermöglichen, beliebige Forschungsanliegen durch entsprechend projektspezifische Warnungen zu Fall zu bringen.
(3) Auch das vermeintliche Ausmaß des von der Beschwerdeführerin für möglich gehaltenen Schadensereignisses rechtfertigt keinen Verzicht auf die Schlüssigkeit der Warnung. Auch die (vermeintliche) Größe eines Schadens – hier die Vernichtung der Erde – erlaubt keinen Verzicht auf diese Mindestsubstantiierung, ob ein wenigstens hypothetisch denkbarer Zusammenhang zwischen der Versuchsreihe und dem Schadensereignis besteht. Das Ausmaß möglicher Schäden zwingt staatliche Stellen lediglich zum Einschreiten, falls substantiierte Warnungen vorliegen. Dieser Aspekt unterscheidet die vorliegende Konstellation von den beiden atomrechtlichen Senatsentscheidungen, die jeweils mit der Einhegung von Gefahrenpotentialen befasst waren, über deren Existenz weder tatsächlich noch theoretisch Dissens herrschte (vgl. BVerfGE 49, 89 ff.; 53, 30 ff.). Während jene Entscheidungen die Frage betrafen, ob unstreitig vorhandene, tödliche Radioaktivität technologisch hinreichend beherrschbar war, ist der Vortrag der Beschwerdeführerin anders gelagert. Begehrt sie doch die Beseitigung eines von ihr nicht schlüssig dargelegten Gefahrenpotentials, von dessen Nichtexistenz die Bundesregierung nach Feststellung der Fachgerichte ausgeht.
cc) Ob und inwiefern eine staatliche Schutzpflicht zugunsten Grundrechtsberechtigter auch in den Fällen besteht, in denen – wie vorliegend – die behauptete Gefahr von einer internationalen Organisation ausgeht, an der Deutschland beteiligt ist, bedarf danach keiner Entscheidung.
IV.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommen ebenfalls nicht in Betracht (§ 114, § 121 ZPO).
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2316465 |
NVwZ 2010, 6 |
NVwZ 2010, 702 |
ZAP 2010, 364 |
DÖV 2010, 485 |
JuS 2010, 12 |
WissR 2010, 204 |
GuT 2010, 157 |
UPR 2010, 225 |