Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 10.11.2005; Aktenzeichen 4 StR 178/05) |
LG Dessau (Urteil vom 20.01.2005; Aktenzeichen 6 KLs 34/04) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫); sie ist unbegründet.
Die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Auslegung des Begriffs “Handeltreiben” verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG.
1. a) Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dies verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen (BVerfGE 73, 206 ≪234≫; 75, 329 ≪340 f.≫; 78, 374 ≪381 f.≫; stRspr). Art. 103 Abs. 2 GG sorgt zugleich dafür, dass im Bereich des Strafrechts nur der Gesetzgeber abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet (BVerfGE 105, 135 ≪153≫). Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt auch für die Strafandrohung, die in einem vom Schuldprinzip geprägten Straftatsystem gerecht auf den Straftatbestand und das in ihm vertypte Unrecht abgestimmt sein muss (BVerfGE 105, 135 ≪153≫; 86, 288 ≪313≫). Die Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Unrecht muss deshalb in Art und Maß durch den parlamentarischen Gesetzgeber normativ bestimmt sein (vgl. BVerfGE 32, 346 ≪362 f.≫).
b) Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG entspricht dem Bestimmtheitsgrundsatz, denn sie regelt in einer Vielzahl von Tatbestandsalternativen den Kern des Betäubungsmittelstrafrechts.
2. a) Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie (BVerfGK 4, 261 ≪265≫). Dabei ist Analogie nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen. Ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (BVerfGE 71, 108 ≪115≫). Der mögliche Wortsinn markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (BVerfGE 64, 389 ≪393 f.≫; 71, 108 ≪114 ff.≫; 92, 1 ≪12≫; BVerfGK 4, 261 ≪265≫).
b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen gerecht. Die in ihnen gefundene Auslegung des Begriffs “Handeltreiben” überschreitet nicht den möglichen Wortsinn als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation im Strafrecht.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Kommentarliteratur zum Betäubungsmittelgesetz umfasst der Begriff des Handeltreibens im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG “jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit” (vgl. Großer Senat für Strafsachen, BGHSt 50, 252 ≪256≫ mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Kommentarliteratur).
bb) Dieses Begriffsverständnis ist zwar weit, hält sich aber noch im Rahmen des möglichen Wortsinns des Begriffs “Handeltreiben” (Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 2229/92 – und vom 24. Oktober 1999 – 2 BvR 1906/99 –). “Handeltreiben” ist der Oberbegriff aller Bestrebungen, die entfaltet werden, um den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern (BGHSt 31, 145 ≪147 f.≫; 34, 124 ≪125≫). Vom Wortsinn (“Treiben” als auf Handel gerichtetes Tun) ist ebenfalls umfasst, dass ein Täter subjektiv das Ziel verfolgt, solche Geschäfte abzuschließen, und dazu Handlungen vornimmt, in denen dieser Wille seinen Niederschlag findet. Der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn es noch nicht zur Anbahnung bestimmter Geschäfte oder zum Abschluss eines Vertrages und dessen Erfüllung gekommen ist. Handeltreiben ist kein Erfolgsdelikt. Die Tat ist deshalb auch dann rechtlich vollendet, wenn der erstrebte Umsatz von Betäubungsmitteln nicht erreicht wird (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Oktober 1999, a.a.O.).
Dem Beschwerdeführer ist darin Recht zu geben, dass diese Definition des Handeltreibens zu einer ausgedehnten Vollendungsstrafbarkeit gemäß dieser Strafvorschrift – auch im Verhältnis zu den anderen Tatbestandsalternativen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG und gleichfalls in Beziehung auf den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (§§ 22, 23; §§ 25 ff. StGB) – führt. Nur ist dies kein Problem der Normbestimmtheit, sondern Ergebnis der Normintention. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist im Zusammenhang einer Gesetzgebung zu sehen, die auf eine möglichst umfassende “Bekämpfung der Drogenkriminalität” gerichtet ist (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität ≪OrgKG≫, BTDrucks 12/989, S. 29 ff.; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze ≪Verbrechensbekämpfungsgesetz≫, BTDrucks 12/6853, S. 41). In diesem Sinne hat bereits das Reichsgericht ausgeführt, der Begriff des Handeltreibens sei “weitest” auszulegen (Urteil vom 25. April 1932 – 3 D 234/32 –, DJZ 1932, Sp. 808).
Art. 103 Abs. 2 GG schützt den Normbetroffenen nicht vor dem Inhalt oder dem Regelungsgehalt eines Strafgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass selbst sachlich missglückte Strafbestimmungen – gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG – verfassungsgemäß sind, wenn sie die Voraussetzungen strafbaren Tuns oder Unterlassens hinreichend deutlich umschreiben (BVerfGE 47, 109 ≪123 f.≫; Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 –, NJW 2006, S. 2684 ≪2685≫, und vom 15. August 2006 – 2 BvR 822/06 –). Dies ist bei der Tatbestandsalternative des “Handeltreibens” in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG der Fall.
cc) Unter diesem Maßstab begegnet die Rechtsanwendung in den angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
(1) Auch wenn noch kein Umsatzgeschäft stattgefunden hat, ergibt sich aus den Umständen des Falles, dass das Handeln des Beschwerdeführers im Sinne der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Begriffs auf ein Handeltreiben gerichtet war. In Verfolgung seines Plans hatte sich der Beschwerdeführer mit einer elektrischen Waage und Folientüten zum Abwiegen und Verpacken der Cannabisprodukte ausgestattet. Er hat Hanfpflanzen in einem Umfang angebaut, dass der Wirkstoffgehalt die Grenze zur geringen Menge um ein Vielfaches überstieg. Die Veräußerung des gewonnenen Cannabis sollte zudem nach der geständigen Einlassung des Beschwerdeführers der Verbesserung seiner finanziellen Verhältnisse dienen.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, ob die Bewertung des Generalbundesanwalts zutrifft, der Beschwerdeführer habe gleichsam eine “invitatio ad offerendum” abgegeben.
(2) Der Beschwerdeführer kann für seine Rechtsansicht auch aus der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 26. Oktober 2005 (BGHSt 50, 252 ff.) nichts herleiten.
Diese Entscheidung hatte angestrebte Umsatzgeschäfte zum Gegenstand. Für diesen Bereich hat der Bundesgerichtshof entschieden, zur Annahme vollendeten Handeltreibens reiche es aus, dass der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintrete. Hierbei handelte es sich jeweils um Handlungen im Vorfeld eines beabsichtigten Güterumsatzes.
Dem Fall des Beschwerdeführers lag hingegen eine auf Umsatz gerichtete “Urproduktion” von Betäubungsmitteln zugrunde. Die zum Umsatz bestimmte Ware befand sich bereits in der Verfügungsgewalt des Beschwerdeführers, so dass das Betäubungsmittel alsbald in den Verkehr gelangt wäre und die spezifische Gefährdungslage für das durch §§ 29 ff. BtMG geschützte Rechtsgut bereits bestand. Nicht zuletzt deshalb fasst die Rechtsprechung die Aufnahme der Drogenherstellung in Verkaufsabsicht als (vollendetes) Handeltreiben auf (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 40 m.w.N.).
(3) Begegnet die Subsumtion des Sachverhalts unter den Begriff des Handeltreibens keinen Bedenken, so ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass die Gerichte die Qualifikation des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auf den Fall des Beschwerdeführers angewendet haben.
Auch mit dem Schuldgrundsatz – dessen Verletzung der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich gerügt hat – gerät diese Rechtsanwendung nicht in Konflikt. Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit sind Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abzustimmen (BVerfGE 50, 205 ≪214 f.≫). Diesem Grundsatz wird nur eine Auslegung gerecht, die es erlaubt, unterschiedlich gewichtige Verhaltensweisen einer abgestuften Strafandrohung zu unterwerfen, was in besonderem Maße für Fälle qualifizierten Handeltreibens nach §§ 29a, 30, 30a BtMG mit erhöhten Mindeststrafen gilt (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Juli 2003 – 3 StR 61/02, 3 StR 243/02 –, StV 2003, S. 503). Das Bereithalten zweier gebrauchsbereiter Schusswaffen begründet genau die Gefahr, die der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG im Blick hatte, dass nämlich die Täter rücksichtslos ihre Interessen beim unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln durchsetzen und dabei die Schusswaffe auch einsetzen (vgl. BTDrucks 12/6853, S. 41). Dies erschließt sich bereits aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Waffen im Eingangsbereich des ausschließlich zum Zwecke der Aufzucht von Hanfpflanzen genutzten Hauses aufbewahrt hat.
Bei Anwendung des Qualifikationstatbestandes haben die Gerichte einen minder schweren Fall im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG angenommen. Gegen die sich im oberen Drittel des hierdurch eröffneten Strafrahmens bewegende Strafe ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall grundsätzlich allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und deshalb in der Regel der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen sind. Das Bundesverfassungsgericht kann nur bei einer hier weder substantiiert vorgetragenen noch sonst – angesichts des Bereithaltens zweier gebrauchsbereiter halbautomatischer Schusswaffen – ersichtlichen Verletzung spezifischen Verfassungsrechts eingreifen (vgl. BVerfGE 1, 418 ≪420≫).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
NJW 2007, 1193 |
NJW-Spezial 2007, 232 |
NPA 2008 |
RÜ 2006, 652 |