Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Beschluss vom 22.12.2010; Aktenzeichen 1 Ws 192/10) |
LG Saarbrücken (Beschluss vom 06.10.2010; Aktenzeichen I StVK 80/09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte noch aus anderen Gründen gemäß § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie zumindest unbegründet ist.
Eine Verletzung des Gebots der bestmöglichen Sachaufklärung liegt nicht vor.
1. Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden darf (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Neben einer gesetzlichen Grundlage fordert die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪275≫). Diese Voraussetzungen sind nicht nur im strafprozessualen Hauptverfahren, sondern auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪222≫) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2010 – 2 BvR 1081/10 –, juris).
2. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe verbüßt sind, der Verurteilte einwilligt und dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der danach anstehenden Prüfung, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, namentlich seine Persönlichkeit, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Damit ist den Vollstreckungsgerichten eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt, die keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraussetzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2003 – 2 BvR 1661/03 –, juris), es also mit einschließt, dass ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ≪2203≫ im Rahmen einer Entscheidung nach § 57a StGB), dabei jedoch dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit in angemessener Weise Rechnung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪101 f.≫).
3. Bei der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich um die Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht, die Sache der Strafgerichte ist. Sie wird vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin nachgeprüft, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts – hier insbesondere des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 und 2 GG verbürgten Freiheitsrechts – verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 72, 105 ≪113 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2009 – 2 BvR 2549/08 –, juris).
Die aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen richten sich insbesondere an die Prognoseentscheidung. Für deren tatsächliche Grundlagen gilt von Verfassungs wegen das Gebot effektiver Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Es verlangt, dass der Richter die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewertet, verbietet mithin, dass er die Bewertung einer anderen Stelle überlässt. Darüber hinaus fordert es vom Richter, dass er sich um eine möglichst breite Tatsachenbasis bemüht und sich so ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪310 f.≫; ferner jüngst BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. März 2009 2 BvR 2543/08 –, juris; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2009 – 2 BvR 2009/08 –, NJW 2009, S. 1941 ≪1942≫).
4. Diesen Anforderungen halten die angegriffenen Entscheidungen stand. Das Landgericht wie auch das Oberlandesgericht waren nach dem Gesamtverlauf der bisherigen Vollstreckung insbesondere nicht gehalten, über die gutachterliche Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen zur Therapiefähigkeit hinaus ein weitergehendes Gutachten über die konkreten Auswirkungen der HIV- und Hepatitis-C-Infektion einzuholen. Im bisherigen Vollstreckungsverlauf sind keinerlei Anhaltspunkte dafür zutage getreten, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Infektionen unter einer besonderen physischen oder psychischen Beeinträchtigung zu leiden habe. Vielmehr ist die HIV-Infektion vom Beschwerdeführer ganz überwiegend als Argument gegen eine Teilnahme an der ihm dringend empfohlenen Sozialtherapie angeführt worden, weil er Kenntnisnahme der anderen Anstaltsinsassen befürchtet. Auch hat sich der Beschwerdeführer gegenüber der ihn behandelnden Anstaltsärztin nicht mit einer Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht einverstanden erklärt und erst im Zusammenhang mit einer ergänzenden psychologischen Begutachtung für den Fall der Erforderlichkeit einer Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen der Begutachtung bezüglich seiner HIV-Infektion zugestimmt.
Soweit das Landgericht in seinem die Begutachtung anordnenden Beschluss den psychologischen Sachverständigen ermächtigt hat, erforderlichenfalls einen weiteren Sachverständigen zur Einschätzung der HIV- und Hepatitis-C-Infektion hinzuzuziehen, liegt hierin keine Verletzung des Gebots der effektiven Sachaufklärung. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht belastbar und stabil erscheine. In der mündlichen Anhörung des Sachverständigen sind hierzu weder vom Beschwerdeführer noch von seinem Verteidiger weitergehende Fragen oder Stellungnahmen abgegeben worden. Vielmehr beschränkte sich die Stellungnahme insoweit darauf, dass die vorhandene HIV-Infektion den Beschwerdeführer an der Teilnahme an einer offenen Gruppentherapie hindere. Vor diesem Hintergrund konnte sich die Vollstreckungskammer auf das ihr vorliegende Gutachten verlassen, ohne eine weitergehende Aufklärung betreiben zu müssen. Ebenso wenig zu beanstanden ist, dass das Gericht das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers und seine besondere Fixierung auf eine extramurale Therapie bei einem anderen Therapeuten berücksichtigt hat. Der Einwand des Beschwerdeführers, das Landgericht habe zu Unrecht eine bei ihm bestehende Fluchtgefahr angenommen, ist insoweit unzutreffend, als das Landgericht lediglich ein vom Gutachter angenommenes Fluchtrisiko, welches sich durch hinzutretende Umstände verstärken könnte, dargelegt hat, ohne dasselbe mit besonderer Gewichtung zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Der weitergehende Einwand, dass die diesbezüglichen Ausführungen des Gutachters auch noch in der mündlichen Anhörung nicht nachvollziehbar oder überzeugend gewesen seien, ist angesichts der Teilnahme des Beschwerdeführers an dieser Anhörung und der offensichtlich unterbliebenen Erhebung von Einwendungen ohne Bedeutung.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Huber
Fundstellen