Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung.
1. Die Antragstellerin verlegt das wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazin „Der Spiegel”, in dessen Ausgabe 28/2004 unter der Überschrift „Schatz im Keller” ein Artikel über eine zivilgerichtliche Verurteilung der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens zur Rückzahlung von Lastenausgleichsgeldern in Höhe von 35,7 Mio. EUR veröffentlicht ist. In dem Artikel wird dargestellt, dass die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens und ihre Familie die Zahlungen mittels Vorlage gefälschter Urkunden und anderer Manipulationen erwirkt hätten.
Auf Antrag der Gegnerin des Ausgangsverfahrens gab das Landgericht der Antragstellerin mit Beschluss vom 22. September 2004 im Wege der einstweiligen Verfügung auf, in dem gleichen Teil der Zeitschrift „Der Spiegel”, in dem der Artikel „Schatz im Keller” erschienen ist, und mit gleicher Schrift unter Hervorhebung des Wortes Gegendarstellung als Überschrift durch drucktechnische Anordnung und Schriftgröße in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer unter gleichzeitiger Erwähnung im Inhaltsverzeichnis folgende Gegendarstellung zu veröffentlichen:
Gegendarstellung
Im Spiegel vom 5. Juli 2004 heißt es auf S. 38 ff. unter der Überschrift „Schatz im Keller” in Bezug auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, mit dem ich zur Zahlung von mehr als 35 Mio. Euro verurteilt wurde:
„≪…≫ 1963 gab die zuständige Prüfstelle bei der Deutschen Bank ein positives Votum ab; schon ein paar Monate später erhielten die B. Aktien der IG-Farben-Nachfolgegesellschaften BASF, Bayer, Höchst und Casella ≪…≫” und an anderer Stelle: „Als sie ≪die B.≫ Ende September 1972 weitere Daimler-Benz-Aktien ≪…≫ anmeldeten, schaltete die Behörde auf stur. Am 2. März 1973 wurde erstmals ein Antrag der B. abgelehnt.”
Hierzu stelle ich fest:
Die im Beitrag erwähnten Aktien der IG-Farben-Nachfolgegesellschaften wurden meinem Ehemann und mir durch Beschlüsse des Landgerichts Frankfurt aus dem Jahre 1963 und 1969 zuerkannt, nachdem 1963 die Prüfstelle bei der Deutschen Bank trotz ihres positiven Votums den Entschädigungsantrag dem Gericht vorgelegt hatte und nachdem 1969 das Bundesausgleichsamt keine Anerkennung ausgesprochen hatte.
Des Weiteren heißt es, F. B. senior habe zu Lebzeiten Lastenausgleich beantragt und für Immobilien und Sparguthaben auch bekommen; über angeblich verlorene Aktien habe er dabei nie geklagt.
Dazu stelle ist fest:
F. B. senior hat zwar nicht im Lastenausgleichsverfahren, wohl aber seiner Bank gegenüber über verlorene Aktien geklagt.
Des Weiteren wird berichtet, Hinweise auf Aktien u.a. des Automobilkonzerns Daimler-Benz hätten sich in einem Schiffskoffer im Keller gefunden.
Hierzu stelle ich fest:
Hinweise auf die Daimler-Benz-Aktien, um deren Entschädigung es in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ging, fanden sich nicht in einem Koffer, sondern in den Akten des Lastenausgleichsamtes Augsburg, das sie meiner Schwiegermutter übersandt hatte.
Sie berichten über einen ehemaligen Bankangestellten, der einen „Beleg für den vermeintlichen Aktienbesitz gefunden haben wollte ≪…≫: Die Durchschrift eines Schreibens von B. senior ≪…≫ A. B. hatte die Recherchen des Mannes initiiert.”
Soweit hierdurch der Eindruck erweckt wird, ich hätte Recherchen dieses Bankangestellten nach Belegen für verlorene Aktien initiiert, stelle ich fest:
Der Beleg wurde von dem Bankangestellten bei seiner von mir initiierten Suche nach Unterlagen über die Geschichte der Stadt Brieg entdeckt, die mir Anknüpfungspunkte für weitere Recherchen liefern sollten.
Sie berichten: „Bei einer Durchsuchung ≪…≫ stellten die Ermittler einen Schmierzettel sicher, auf dem ≪…≫ Geldbeträge aufgelistet waren. Die Namen der mutmaßlichen Empfänger ≪…≫ waren die Namen von Beamten des Bundesausgleichsamts ≪…≫. Sie alle hatten über die Millionen-Entschädigungen befunden.”
Hierzu stelle ich fest:
Die aufgelisteten, aber tatsächlich nicht gezahlten Geldbeträge waren für Gutachten und Recherchedienste bestimmt, die die aufgelisteten Beamten im Rahmen der Rechtsverfolgung für mich und meinen Ehemann erbringen sollten. Lediglich einem Beamten haben wir in der zweiten Hälfte der 70er Jahre Spesen in Höhe von wenigen Tausend DM erstattet.
Im Folgenden heißt es in Bezug auf eine „ominöse Liste”: „Immer zu Weihnachten bedachte A. B. danach mit allem möglichen Nippes (Bayernkerzen, Porzellanfiguren) jene Menschen, die ihre Version der Aktengeschichte in den diversen Prozessen gestützt hatten.”
Hierzu stelle ich fest:
Die genannte Liste weist etwa hundert Personen aus, die zu Feiertagen von mir mit Nippes bedacht worden sind. Die meisten davon waren an meinen Prozessen in keiner Weise beteiligt.
Dann schreiben Sie: „Besonders dienstbare Geister sollen nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft ≪… u.a. …≫ auch schon mal ≪…≫ einen Sportwagen ≪…≫ erhalten haben.”
Hierzu stelle ich fest:
Es hat von mir oder meinem Ehemann nie jemand einen Sportwagen erhalten.
A. B.
Auf den Widerspruch der Antragstellerin bestätigte das Landgericht seine einstweilige Verfügung mit Urteil vom 22. Oktober 2004.
Die Antragstellerin legte Berufung ein; seitens der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Antragstellerin beantragt. Den auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gerichteten Antrag der Antragstellerin wies das Oberlandesgericht durch Beschluss vom 9. November 2004 zurück, da die Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.
2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin, die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts vom 22. September 2004 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin auszusetzen.
Sie rügt eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG. Sobald das Oberlandesgericht über die Berufung entschieden habe, werde sie Verfassungsbeschwerde erheben. Sie ist der Ansicht, das Landgericht habe ihr Tatsachenbehauptungen unterstellt, die sie bei objektiver Sicht nicht verbreitet habe. Dies gelte zum einen für den Komplex „Schiffskoffer”, hinsichtlich dessen sich aus dem Artikel ergebe, dass zwei unterschiedliche Tranchen von Daimler-Benz Aktien Gegenstand der Erstattungsanträge gewesen seien; der Artikel erwecke auch nicht den Eindruck, die erste Tranche sei Gegenstand des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Frankfurt gewesen. Auch die Auffassung der Fachgerichte zum Komplex „Recherchen eines Bankangestellten” halte einer Überprüfung auf der Basis der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht stand. Der Artikel äußere sich mit keinem Wort zum genauen Umfang des Rechercheauftrags oder zu den genauen Motiven der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens für seine Erteilung. Die Erstmitteilung sei insoweit offen gewesen. Bei Lichte betrachtet enthalte sie zudem eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung, da sie den Inhalt des Auftrags bewerte.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, sind die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nur insoweit erheblich, als diese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts angeführt werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht muss die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 80, 360 ≪363 f.≫; 85, 94 ≪95 f.≫; 88, 185 ≪186≫; 91, 252 ≪257 f.≫; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ≪111≫);stRspr).
2. Die angekündigte Verfassungsbeschwerde ist nach dem derzeitigen Verfahrensstand weder als von vornherein unzulässig noch als offensichtlich unbegründet anzusehen, da eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist. Das vorgelegte Urteil des Landgerichts enthält noch keine Begründung, die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts steht noch aus.
3. Die demnach gebotene Beurteilung und Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs des Antrags einträten, führt im vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.
a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als begründet, hätte die Antragstellerin in der Zeitschrift „Der Spiegel” eine Gegendarstellung abgedruckt, die ihr in dieser Form nicht hätte auferlegt werden dürfen.
Dadurch würden die redaktionellen Auswahlmöglichkeiten der Antragstellerin beeinträchtigt. Außerdem könnte durch die Gegendarstellung ein gewisser Imageschaden eintreten. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Gegendarstellung nicht den Kern der im „Spiegel” gegen die Beschwerdeführerin erhobenen Vorwürfe betrifft. Bei einem etwaigen Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde hätte es die Antragstellerin, die unmittelbar die Möglichkeit publizistischer Äußerungen hat, im Übrigen in der Hand, diesen zum gegebenen Zeitpunkt öffentlich wirksam herauszustellen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. August 2000 – 1 BvQ 22/00 –, NJW-RR 2000, S. 1713).
b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, würde die Antragstellerin vorläufig keine Gegendarstellung abdrucken. Diese Verzögerung kann unter Umständen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde dauern. Eine Gegendarstellung ist aber auf Zeitnähe zur Erstmitteilung angewiesen. Erscheint sie erheblich später, hat sie eher gegenteilige Wirkung, indem sie an die Erstmitteilung erinnert und das Thema erneut aktualisiert. Für den Gegner des Ausgangsverfahrens bedeutete dies, dass eine Gegendarstellung ihren Sinn nicht mehr erfüllen könnte. Der Effekt der Gegendarstellung ginge damit verloren oder würde sogar konterkariert (vgl. die Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 1993 – 1 BvR 1861/93 –, NJW 1994, S. 1948 ≪1949≫ und vom 7. Mai 1996 – 1 BvQ 4/96 –, NJW-RR 1996, S. 980 sowie vom 11. August 2000 – 1 BvQ 22/00 –, NJW-RR 2000, S. 1713).
c) Beurteilt man die Folgen, wiegen die Nachteile, die der Antragstellerin im Falle der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die für den Gegner des Ausgangsverfahrens im Falle eines Anordnungserlasses entstünden.
Die Einschätzung der Beschwerdeführerin, der mit der Gegendarstellung bekämpfte, von dem Artikel ausgehende Eindruck stelle sich bei dem Leser nicht, jedenfalls nicht zwingend ein, ändert nichts an dem Ergebnis der Folgenabwägung. Ein Gegendarstellungsinteresse entfällt nicht schon deshalb, weil die Aussage in dem betroffenen Zeitschriftenartikel mehrdeutig ist, aber durchaus so gedeutet werden kann, wie sie der Betroffene in der Gegendarstellung verstanden hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Hoffmann-Riem
Fundstellen