Leitsatz (amtlich)
Zum Schutz der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) bei der Übernahme von Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis.
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 5. April 1984 – 2 AZR 513/82 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben, soweit es den Hilfsantrag betrifft. In diesem Umfang wird die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu drei Vierteln zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, daß er nach erfolgreicher Beendigung einer Lehre wegen eines von ihm verfaßten Artikels in einer Schülerzeitung nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen worden ist.
I.
1. Der im Jahre 1960 geborene Beschwerdeführer absolvierte bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens eine Ausbildung zum Betriebsschlosser, die er im Januar 1982 erfolgreich abschloß. Im Frühjahr 1981 veröffentlichte er in der Schülerzeitung seiner Berufsschule einen Artikel über seine Eindrücke von einer Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf. In dem Artikel wird unter anderem ausgeführt:
…
Wir haben auch absolut nicht vor, uns von sogenannten militanten Demonstranten zu distanzieren. Die Gewalt, die hier von Staat und Wirtschaft ausgeübt wird, rechtfertigt jede Art von Widerstand. Dies soll kein Aufruf zu Gewalttaten sein, sondern vielmehr klarmachen, daß sich die Atomkraftgegner, genauso wie Hausbesetzer und andere, dem Staat unliebsame Leute, nicht in “gewalttätige” und “gewaltlose” Lager spalten lassen sollen. Der Kampf gegen den Atomtod sollte so langsam jeden beschäftigen, und auch nach dem 28. Februar wird er weitergehen, nicht nur in Brokdorf, sondern überall auf der Welt!
Mit Schreiben vom 15. Oktober 1981 teilte das ausbildende Unternehmen dem Beschwerdeführer mit, daß es nicht in der Lage sei, ihn nach Abschluß seiner Ausbildung in ein ordentliches Arbeitsverhältnis zu übernehmen.
2. Mit seiner Klage hat der Beschwerdeführer beantragt festzustellen, daß zwischen den Parteien seit dem 23. Januar 1982 ein Arbeitsverhältnis besteht, und die Beklagte zu verurteilen, ihn als Betriebsschlosser weiterzubeschäftigen. Hilfsweise hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, mit dem Kläger einen Arbeitsvertrag als Betriebsschlosser abzuschließen. Das Arbeitsgericht entsprach den Hauptanträgen. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht die Klage insgesamt ab. Es verneinte das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, weil es insoweit an einer Einigung fehle und auch kein Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrages gegeben sei.
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Beschwerdeführers zurück: Das Berufsausbildungsverhältnis sei vertragsgemäß mit der Abschlußprüfung des Beschwerdeführers beendet worden. Grundsätzlich bestehe keine rechtliche Verpflichtung zum Abschluß eines Arbeitsvertrages. Die Entscheidung, den Kläger nicht zu übernehmen, habe sich aber nicht im rechtsfreien Raum abgespielt. Die Beklagte müsse es sich gefallen lassen, daß ihre Entscheidung nach dem allgemeinen Willkürverbot gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG überprüft werde. § 75 Abs. 1 BetrVG spreche zwar direkt nur den Arbeitgeber und den Betriebsrat an, räume aber, da es sich nach herrschender Meinung insoweit um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 BGB handele, auch dem einzelnen Arbeitnehmer das Recht ein, nach diesen Grundsätzen behandelt zu werden. Das gelte ebenso für die Entscheidung, ob ein Auszubildender in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden solle. Die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG würden insoweit durch die Auswahlrichtlinien ergänzt, die die Beklagte gemäß § 95 BetrVG mit dem Betriebsrat vereinbart habe. Danach solle der Personalbedarf zunächst durch die bereits im Unternehmen tätigen Mitarbeiter gedeckt werden; die personelle Auswahl bei Einstellungen müsse sachlich begründet sein.
Die Ablehnung des Beschwerdeführers verstoße nicht gegen das allgemeine Willkürverbot. Sie beruhe im Sinne des § 75 Abs. 1 BetrVG und Ziff. 1 und 2 der Auswahlrichtlinien weder auf sachfremden Gesichtspunkten noch auf willkürlichen Erwägungen. Die Beklagte habe die Übernahme des Klägers nicht wegen seiner politischen Einstellung oder wegen seiner gewerkschaftlichen Betätigung abgelehnt. Die Ablehnung sei vielmehr wegen des in dem Artikel der Schülerzeitung dokumentierten Verhältnisses zur Gewalt und Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung von Forderungen erfolgt. Dieses mittelbare Bekenntnis des Beschwerdeführers zur Gewalt habe bei der Beklagten die nicht unberechtigte Befürchtung ausgelöst, der Beschwerdeführer könne beim Vorliegen bestimmter Fallkonstellationen auch im Betrieb die Gewaltanwendung rechtfertigen. Wenn daher die Beklagte wegen dieser Besorgnis den Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdeführer abgelehnt habe, dann habe sie sich nicht von willkürlichen, sondern von sachlich begründeten, die Ablehnung rechtfertigenden Erwägungen leiten lassen, die der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beschwerdeführer jedenfalls nicht widerlegt habe.
Auch aus § 826 BGB ergebe sich kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung, da die Beklagte aus verständlichen, sachlich vertretbaren Gründen die Übernahme abgelehnt habe. Die Ablehnungsgründe verstießen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 GG.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie von Art. 3 Abs. 3 GG. Er trägt vor, bei dem umstrittenen Zeitungsartikel handele es sich um eine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerung. Diese dürfe nicht zu seiner Diskriminierung führen. Sein Artikel werde als Differenzierungskriterium bei der Auslegung von § 75 Abs. 1 BetrVG herangezogen. Damit werde die Bedeutung der Meinungsfreiheit verkannt. Da Schülerzeitungen unter den Schutz der Pressefreiheit fielen, sei auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen zudem gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Er sei ausschließlich wegen seiner politischen Anschauung nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen worden.
2. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die angegriffenen Urteile verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
3. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens tritt der Verfassungsbeschwerde entgegen. Art. 3 Abs. 3 GG schaffe vor allem ein Freiheits- und Abwehrrecht gegen den Staat, begründe aber keinen Rechtfertigungszwang und kein Differenzierungsverbot im Bereich der Privatautonomie. Dasselbe gelte für Art. 5 Abs. 1 GG. Schutzzweck und Ziel der genannten Grundrechte sei es, allen Bürgern gegenüber dem Staat den gleichen Freiheitsraum zu sichern. Dies schließe es aus, daraus auch nur mittelbar einen Kontrahierungszwang abzuleiten. Damit würde in das grundrechtlich verbürgte Recht der Vertragsfreiheit eingegriffen.
Nur wenn eine Abwägung ergebe, daß die Privatautonomie nach den Umständen des Einzelfalles hinter einer bestimmten grundrechtlichen Garantie zugunsten eines Dritten zurückzutreten habe, könnten die Grundrechte im Privatrechtsverkehr wirksam werden. So liege es hier nicht. Der Beschwerdeführer wende sich in Wahrheit gegen die tatsächliche und einfachrechtliche Würdigung durch die Arbeitsgerichte. Diese hätten zutreffend darauf abgestellt, welche Besorgnisse bei der Beklagten aufgrund des Artikels entstanden waren. Auf deren Empfängerhorizont sei es angekommen. Das Bundesarbeitsgericht habe auch nicht übersehen, daß der Beschwerdeführer seine Äußerungen außerhalb des Betriebes gemacht habe. Dies sei zutreffend gewürdigt worden.
4. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände verteidigt die angegriffenen Entscheidungen. Das Grundrecht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung werde nicht verletzt. Die Meinungsfreiheit gehe nicht so weit, daß sie einem anderen verbiete, sich seinerseits eine Meinung zu bilden und dabei im Rahmen der Vertragsfreiheit Konsequenzen aus der geäußerten Meinung zu ziehen.
Art. 3 Abs. 1 und 3 GG seien allenfalls im Rahmen einer Drittwirkung von Grundrechten in Betracht zu ziehen. Danach sei eine gerechte Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten vorzunehmen. Sie führe hier zu dem Ergebnis, daß der Vertragsfreiheit der Beklagten der Vorrang gebühre. Anders als bei der Beendigung von Arbeitsverträgen stehe bei ihrer Begründung die Vertragsfreiheit im Vordergrund. Der Beschwerdeführer habe sich mit gewalttätigen Demonstranten solidarisiert und damit ein indirektes Bekenntnis zur Gewalt abgelegt. Ein solches Bekenntnis gehe über die bloße politische Meinungsäußerung hinaus und sei nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 GG umfaßt.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts richtet. Dessen Begründung stellt nicht auf den Artikel des Beschwerdeführers und die darin geäußerte Meinung ab, sondern beruht auf der Annahme, daß jedes Unternehmen völlig frei sei, ob es die von ihm Ausgebildeten in ein Arbeitsverhältnis übernehmen wolle. Damit setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht auseinander. Sie genügt nicht den Anforderungen, die nach § 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG insoweit an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zu stellen sind.
Unzulässig ist auch der Angriff gegen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts über den in erster Linie gestellten Feststellungsantrag, daß zwischen dem Beschwerdeführer und der Beklagten seit dem 23. Januar 1982 ein Arbeitsverhältnis bestehe. Auch dazu enthält die Beschwerdeschrift keine Ausführungen, die auf einen Verfassungsverstoß hindeuten.
Zulässig ist die Verfassungsbeschwerde hingegen, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts über den hilfsweise gestellten Antrag richtet, die Beklagte zu verurteilen, mit dem Beschwerdeführer einen Arbeitsvertrag zu schließen und ihn als Betriebsschlosser zu beschäftigen.
II.
Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).
1. Der vom Beschwerdeführer verfaßte Artikel genießt als Meinungsäußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Dagegen tritt die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG im vorliegenden Fall zurück. Die gedruckte Meinungsäußerung ist bereits von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Bei der besonderen Garantie der Pressefreiheit geht es demgegenüber um die Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Das Grundrecht schützt vor allem die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozeß erfüllen kann. Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist daher berührt, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse geht. Handelt es sich dagegen – wie hier – um die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung, so ist ungeachtet ihres Verbreitungsmediums Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG maßgeblich (vgl. BVerfG, Beschluß vom 9. Oktober 1991 – 1 BvR 1555/88 –, NJW 1992, S. 1439).
Dieses Grundrecht wird durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts berührt. Zwar bleibt es dem Beschwerdeführer unbenommen, seine Auffassung über die Vorgänge in Brokdorf weiterhin unverändert zu äußern und zu verbreiten. Die Meinungsfreiheit ist aber nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten selber eingeschränkt oder untersagt wird. Es genügt, daß nachteilige Rechtsfolgen daran geknüpft werden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11. Februar 1992 – 1 BvR 1531/90 –, EuGRZ 1992, S. 144). Das ist hier geschehen. Das ausbildende Unternehmen hat allein die Meinungsäußerung des Beschwerdeführers als Grund für seine Nichteinstellung angeführt. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Vorgehen in seinem Urteil als rechtmäßig bestätigt und die Revision des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
2. Berührt eine arbeitsgerichtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so fordert Art. 5 Abs. 1 GG, daß die Gerichte der Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Privatrechts Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪206 ff.≫; st. Rspr.). Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie Auslegung und Anwendung des Zivilrechts bleiben allerdings grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nur zu überprüfen, ob die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das kann bei Urteilen, die die Meinungsfreiheit berühren, bereits dann der Fall sein, wenn das Gericht eine Äußerung unzutreffend erfaßt oder gewürdigt hat. So verstößt es gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn ein Gericht der Würdigung einer Meinungsäußerung eine Aussage zugrunde legt, die so nicht gefallen ist, wenn es der Äußerung einen Sinn gibt, den sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat, oder wenn es sich unter mehreren objektiv möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheidet, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuscheiden (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪280 f.≫m.w.N.).
3. Daran gemessen, ist es nicht zu beanstanden, daß das Bundesarbeitsgericht einen Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrages nach erfolgreich beendeter Berufsausbildung verneint hat. Ebensowenig bestehen Bedenken dagegen, daß es die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Arbeitgebers (nur) danach beurteilt, ob diese auf sachfremden Motiven oder Willkür beruht. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, daß es in der Bereitschaft eines Auszubildenden, betriebliche Konflikte mit Gewalt zu lösen, einen sachlichen Grund dafür gesehen hat, ihn nach Abschluß seiner Ausbildung nicht zu übernehmen.
Geht diese Bereitschaft aus Äußerungen des Auszubildenden hervor, so führt die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zwar zu der Konsequenz, daß eine von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Betätigung nachteilige Rechtsfolgen für den Berufsweg hat. Die Meinungsfreiheit ist aber nicht unbeschränkt, sondern nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet. Bei Konflikten zwischen der Meinungsfreiheit und den Rechtsgütern, die die allgemeinen Gesetze schützen sollen, muß daher eine Abwägung vorgenommen werden. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall dabei den Grundrechten des Arbeitgebers, insbesondere dessen durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützter Privatautonomie, den Vorrang vor der Meinungsfreiheit des Auszubildenden eingeräumt hat. Die Freiheit zum Abschluß von Arbeitsverträgen hat für ein Unternehmen erhebliche Bedeutung. Sein wirtschaftlicher Erfolg hängt weitgehend von der Qualität der Belegschaft und dem Frieden im Betrieb ab. Lassen die Äußerungen eines Auszubildenden darauf schließen, daß er unter bestimmten Umständen Gewaltanwendung auch im Betrieb rechtfertigt, so genießt die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers den Vorrang vor der Meinungsfreiheit des Auszubildenden.
4. Das Bundesarbeitsgericht hat aber dadurch gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen, daß es ohne nähere Prüfung annahm, der Artikel des Beschwerdeführers enthalte ein mittelbares Bekenntnis zur Gewalt und begründe die nicht unberechtigte Befürchtung, der Beschwerdeführer werde in bestimmten Situationen auch im Betrieb Gewaltanwendung rechtfertigen.
Diese Begründung genügt nicht den Anforderungen, die sich aus dem Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung ergeben.
a) Es ist keineswegs eindeutig, daß der Artikel ein Bekenntnis zur Gewalt enthält. Andere Auslegungen sind denkbar, wenn nicht sogar naheliegend. Die inkriminierte Textpassage läßt es als möglich erscheinen, daß der Beschwerdeführer sich gegen die Zuschreibung des Begriffs “Gewalttäter” an die von ihm beobachteten und in dem Artikel beschriebenen Demonstranten verwahren, nicht aber selbst gewalttätiges Vorgehen befürworten wollte. Darüber hätte das Bundesarbeitsgericht sich zunächst aufgrund einer Analyse des Textes vergewissern müssen.
b) Einer Überprüfung hält es auch nicht stand, daß das Bundesarbeitsgericht ohne kritische Würdigung des Artikels über die Beobachtungen und Erlebnisse des Beschwerdeführers auf dessen allgemeine Gewaltbereitschaft geschlossen hat, die auch bei innerbetrieblichen Auseinandersetzungen zum Tragen kommen könne. Selbst wenn sein Artikel als Befürwortung von Gewalt gegen den Bau von Kernkraftanlagen zu deuten wäre, stünde damit noch nicht fest, daß er damit auch die gewaltsame Lösung betrieblicher Konflikte befürworten würde. Schlüsse von einer einmal geäußerten Meinung auf die Persönlichkeit des sich Äußernden sind besonders weittragend. Hier hätte bedacht werden müssen, daß der Beschwerdeführer damals ein Lernender war, von dem noch nicht erwartet werden konnte, daß er seine Auffassung mit der gebotenen Differenziertheit und Abgewogenheit wiedergibt. Überzeichnungen, Kraftsprüche und radikale Ansichten sind zudem bei Äußerungen junger Menschen häufig anzutreffen, ohne daß darin bereits notwendig Charaktereigenschaften oder auch nur eine verfestigte Weltsicht zum Ausdruck kämen. Charakter und Anschauungen formen sich erfahrungsgemäß erst mit zunehmendem Alter und wachsender Lebenserfahrung. Engagierte, überzeichnete und inhaltlich angreifbare Meinungsäußerungen dürfen daher bei Jugendlichen nicht in gleicher Weise auf die Goldwaage gelegt werden wie bei gereiften Menschen. Das gilt vor allem, wenn ihnen eigene, emotional stark bewegende Erlebnisse zugrunde liegen (vgl. auch BVerfGE 39, 334 ≪356 f.≫). Wer befürchten muß, daß seine Äußerungen zu einer negativen Bewertung seines Charakters und einer entsprechenden Einschätzung seines künftigen Verhaltens führen, wird sich besondere Zurückhaltung auferlegen. Eine solche Bewertung ist daher in hohem Maß geeignet, ihn in der Ausübung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu behindern.
Ferner ist zu bedenken, daß es sich im vorliegenden Fall um einen in einer Schülerzeitung veröffentlichten Artikel handelt. Schülerzeitungen sind ein Medium, das von jungen Menschen für ihresgleichen gemacht wird. Sie bilden ein Übungsfeld für die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung. Auch das Äußern von Meinungen und die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden müssen gelernt werden. Schülerzeitungen kommt bei diesem Prozeß eine wichtige Aufgabe zu. Sie können diese nur erfüllen, wenn die Schüler nicht befürchten müssen, durch eine Beteiligung ihren späteren Berufsweg aufs Spiel zu setzen. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß sie auf ihr Recht zur freien Meinungsäußerung verzichten, weil sie nicht durch unbedachte, unausgewogene oder überspitzte Äußerungen Lebenschancen verlieren wollen.
III.
1. Die Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, soweit darin über den hilfsweise gestellten Antrag entschieden worden ist, das beklagte Unternehmen zur Einstellung des Beschwerdeführers zu verurteilen. Ob das Urteil darüber hinaus gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstößt, weil das Bundesarbeitsgericht, wie der Beschwerdeführer meint, die Nichteinstellung mit Rücksicht auf seine politischen Anschauungen über Formen des Widerstandes gegen Atomkraftwerke als gerechtfertigt angesehen hat, bedarf danach keiner Prüfung.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da die Verfassungsbeschwerde im wesentlichen erfolgreich ist, ist eine Erstattung von drei Vierteln der Auslagen des Beschwerdeführers durch die Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt.
Unterschriften
Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling, Seibert
Fundstellen
Haufe-Index 1084308 |
BVerfGE, 122 |
BB 1992, 1792 |
NJW 1992, 2409 |
NVwZ 1992, 972 |