Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verweigerung der nachträglichen Förderung einer Umschulung im Arbeitsförderungsrecht.
I.
1. a) Nach § 77 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch in der Fassung vom 24. März 1997 (BGBl I S. 594; im Folgenden: SGB III a.F.) konnte das Arbeitsamt zur Förderung einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung die Weiterbildungskosten übernehmen und Unterhaltsgeld gewähren.
Eine Voraussetzung hierfür war nach § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F., dass das Arbeitsamt vor Beginn der Maßnahme den Arbeitslosen beraten und seiner Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme zugestimmt hatte. Die Zustimmung setzte voraus, dass der Arbeitslose für die Maßnahme geeignet war und eine Eingliederung in Arbeit erwartet werden konnte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Förderung der beruflichen Weiterbildung ≪AFbW≫ vom 23. Oktober 1997, Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit 1997, S. 1687). Zu § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. ist in der Gesetzesbegründung ausgeführt, das Zustimmungserfordernis liege im Interesse einer wirtschaftlichen Mittelverwendung und entspreche dem früheren Recht (vgl. BTDrucks 13/4941, S. 168). In der Literatur wurde dagegen darauf hingewiesen, dass das frühere Arbeitsförderungsrecht eine vorherige Zustimmung nicht vorgeschrieben habe (vgl. Niewald, in Gagel, SGB III, § 77 Rn. 69, Stand März 2000; Menard, in Niesel, SGB III, 1. Aufl. 1998, § 77 Rn. 23). Gleichwohl war anerkannt, dass § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. die nachträgliche Förderung einer Maßnahme ausschließe, die sich der Arbeitslose ohne vorherige Zustimmung des Arbeitsamtes selbst besorgt hatte (vgl. Schmalz, in Hauck/Noftz, SGB III, K § 77 Rn. 11, Stand IV/01). Das Arbeitsamt müsse prüfen können, welche Maßnahme im Einzelfall am zweckmäßigsten sei (vgl. Menard, a.a.O., Rn. 22). Außerdem könnten die zuständigen Mitarbeiter einer „normativen Kraft des Faktischen” unterliegen, wenn der Arbeitslose eine Maßnahme bereits begonnen habe (vgl. Niewald, a.a.O., Rn. 70).
Weiterhin konnte die Förderung nur gewährt werden, wenn das Arbeitsamt die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung nach § 77 Abs. 1 Nr. 4 SGB III a.F. anerkannt hatte. Dies setzte unter anderem bestimmte zeitliche Höchstgrenzen voraus. Eine Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führte, musste nach § 92 Abs. 2 SGB III a.F. gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt sein. Dieser Regelung lag die Erwägung zugrunde, Umschüler verfügten über eine größere Lebens- und Berufserfahrung; sie könnten das Bildungsziel im Allgemeinen schneller und zielstrebiger erreichen als Auszubildende (vgl. BTDrucks 13/4941, S. 171 f.). Allerdings konnte das Arbeitsamt nach § 417 SGB III a.F. bis zum 31. Dezember 1999 auch eine ungekürzte Umschulungsmaßnahme in einem anerkannten Ausbildungsberuf fördern, wenn in bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen eine längere Dauer als die um ein Drittel gekürzte Regeldauer vorgeschrieben war. Damit trug der Gesetzgeber bestimmten Berufen im Sozial- und Gesundheitswesen Rechnung (vgl. BTDrucks 13/4941, S. 226).
b) Seit der durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4607) erfolgten Änderung des SGB III setzt eine Förderung der beruflichen Weiterbildung nur noch eine vorherige Beratung durch die Agentur für Arbeit, aber keine Zustimmung mehr voraus. Im Zusammenhang damit wurde durch § 77 Abs. 3 SGB III n.F. der so genannte Bildungsgutschein eingeführt, mit dem sich ein Arbeitsloser selbst eine Maßnahme suchen kann.
2. Der Beschwerdeführer beabsichtigte eine Umschulung zum Rechtsanwalts- und Notargehilfen. Bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer beantragte er, die Ausbildung von drei auf zwei Jahre zu verkürzen. Dies wurde abgelehnt. Eine Verkürzung sei zwar grundsätzlich möglich; dem Beschwerdeführer fehlten jedoch dafür die individuellen Voraussetzungen. Aus diesem Grunde lehnte das Arbeitsamt im Juli 1998 auch seinen Antrag auf Förderung ab. Gleichwohl trat der Beschwerdeführer die Umschulung an.
Mit seiner Klage hatte der Beschwerdeführer keinen Erfolg. Die Gerichte des Ausgangsverfahrens stützten sich darauf, dass die nach § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. notwendige Zustimmung des Arbeitsamtes vor Beginn der Maßnahme nicht vorgelegen habe. Das Bundessozialgericht wies die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurück. Es halte an seiner Auffassung fest, wonach die Zustimmung nicht nachträglich erteilt werden könne, es sei denn, dem Arbeitslosen stehe der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zur Seite (vgl. SozR 4-4300 § 77 Nr. 1).
3. In seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Auslegung und Anwendung des § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens verletze seine Rechte aus Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG. Es sei verfassungsrechtlich geboten, dass die Verweigerung der Zustimmung nachträglich überprüft und gegebenenfalls durch die Gerichte ersetzt werden könne. Konkludent rügt er auch die Auslegung des § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. als willkürlich. Außerdem verletze die Auslegung von § 77 Abs. 1 Nr. 4, § 92 Abs. 2 und § 417 Nr. 2 SGB III a.F. im Ausgangsverfahren seine Rechte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
Zweifel bestehen zunächst, ob sich der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerde-Verfahren gegen die Auslegung und Anwendung von § 77 Abs. 1 Nr. 4, § 92 Abs. 2 und § 417 Nr. 1 SGB III a.F. über die Höchstdauer einer Umschulung wenden kann. Möglicherweise beschweren diese Regelungen den Beschwerdeführer nicht, weil die Gerichte des Ausgangsverfahrens allein auf das Fehlen der Zustimmung nach § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. abgestellt haben. Diesen Zweifeln muss jedoch nicht nachgegangen werden, denn eine Verletzung von Verfassungsrechten des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.
1. Die Auslegung und Anwendung des § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verletzt nicht die Grundrechte des Beschwerdeführers.
a) Ein Verstoß der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Die Anwendung eines Gesetzes ist nicht schon dann objektiv willkürlich, wenn sie unzutreffend ist. Hinzukommen muss vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 81, 132 ≪137≫). Sie muss eine krasse Fehlentscheidung darstellen, die im geltenden Recht keine Grundlage findet (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪14≫).
Ein solch schwerwiegender Mangel liegt hier nicht vor. Die Auslegung des § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens entspricht anerkannten Methoden. Der Wortlaut der Norm trägt sie. Auch die historische Auslegung spricht im Ergebnis nicht zwingend gegen die der Vorschrift gegebene Auslegung. Es wird zwar vertreten, der Gesetzgeber habe sich geirrt, als er davon ausging, die Regelung entspreche dem früheren Recht (vgl. Niewald, in Gagel, a.a.O.). Die in Frage stehende Auslegung der Vorschrift wird davon aber nicht berührt. Wenn die Gerichte des Ausgangsverfahrens argumentieren, der Vorbehalt einer vorherigen Überprüfung der Eignung und Wirtschaftlichkeit der Maßnahme diene der Verwirklichung des Gesetzeszwecks, so ist dies ohne weiteres nachvollziehbar. Diese Ansicht wird von der Literatur einhellig gestützt (vgl. Menard, a.a.O., § 77 Rn. 22 f.; Schmalz, a.a.O.).
b) Die Auslegung des § 77 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. verstößt auch nicht gegen das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz garantiert eine tatsächlich wirksame umfassende Kontrolle exekutiven Handelns durch die Gerichte (vgl. BVerfGE 84, 34 ≪49≫). Jedoch unterliegt dieses Recht der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪123≫). Mittel der Ausgestaltung sind typischerweise verfahrensrechtliche Normen (vgl. BVerfGE 97, 298 ≪315≫). Materiellrechtliche Regelungen gehören dazu nur, wenn sie die Kontrolldichte durch die Gerichte verringern, zum Beispiel, indem sie der Exekutive Gestaltungs-, Beurteilungs- oder Ermessensspielräume einräumen (vgl. BVerfGE 61, 82 ≪111≫; 103, 142 ≪157≫). Eine solche Ausgestaltung muss sich immer am Ziel der Gewährleistung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG orientieren und im Hinblick darauf grundsätzlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪269≫). Diese Anforderungen gelten auch für die Anwendung einfachen Rechts durch die Gerichte selbst (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erkennbar. Es verkürzt nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz, dass sich die Gerichte auf die Prüfung konzentriert haben, ob es rechtmäßig war, die Aufnahme einer Umschulung von der vorausgegangenen Bewilligung der Maßnahme durch das zuständige Arbeitsamt abhängig zu machen. Der Zustimmungsvorbehalt sollte sicherstellen, dass der Arbeitslose eine geeignete Umschulung wählt, dass die Mittel hierfür effizient eingesetzt werden und dass die Mitarbeiter, die für die Bewilligung zuständig sind, keinem Druck durch eine schon begonnene Maßnahme unterliegen. Diese Ziele können die Regelung rechtfertigen. Die Gerichte durften auch die Erwägung berücksichtigen, dass ein Arbeitsloser, der sich selbst eine bestimmte Umschulungsmaßnahme beschafft, anderen, womöglich besser geeigneten Angeboten des Arbeitsamts nicht mehr offen gegenüber steht. Außerdem belastete das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung den Beschwerdeführer nicht besonders. Es war ihm zumutbar, eine Entscheidung über die Zustimmung herbeizuführen und im Falle der Ablehnung dagegen Rechtsschutz zu suchen, notfalls auch Eilrechtsschutz bei den zuständigen Sozialgerichten (vgl. hierzu BVerfGE 93, 1 ≪14≫), bevor er eigenmächtig mit der gewünschten Umschulung begann.
c) Das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht beeinträchtigt. Das Gehörsrecht gewährleistet nur, dass sich die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens zu allen relevanten Punkten äußern können (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪129≫) und dass das Gericht diese Äußerungen grundsätzlich berücksichtigt (vgl. BVerfGE 83, 24 ≪35≫). Dies haben die Ausgangsgerichte getan. Dass sie den Vortrag des Beschwerdeführers nicht für überzeugend hielten und die Rechtslage anders bewerteten als er, verletzt nicht das Gebot des rechtlichen Gehörs.
2. Auch die Auslegung und Anwendung von § 77 Abs. 1 Nr. 4, § 92 Abs. 2 und § 417 Nr. 1 SGB III a.F. durch das Arbeitsamt ist mit den Grundrechten des Beschwerdeführers vereinbar.
a) Das Grundrecht auf freie Wahl von Beruf und Ausbildung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ist nicht verletzt.
aa) In seiner Funktion als Abwehrrecht ist dieses Grundrecht schon nicht beeinträchtigt. Die vom Beschwerdeführer frei gewählte Ausbildung hat der Staat weder direkt noch indirekt behindert. Der Verweigerung der Förderung lag auch keine berufsregelnde Tendenz bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes zugrunde; allein individuelle, im Arbeitsförderungsrecht liegende Gründe waren entscheidend (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 765/00 vom 16. Dezember 2004 ≪JURIS≫). Es geht im vorliegenden Fall auch nicht um das Recht auf Teilhabe an einer Ausbildung, für die ein faktisches oder rechtliches Monopol des Staates besteht (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 12 Rn. 75 f.). Die Umschulung fand bei einem privaten Ausbilder statt.
bb) Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in § 92 Abs. 2 SGB III a.F. die Förderung auf solche Umschulungen beschränkt hat, die gegenüber der Regelausbildung um ein Drittel verkürzt sind. Seine Erwägung, dass Umschüler eine Ausbildung schneller absolvieren könnten als Lehrlinge, ist nachvollziehbar. Umschüler sind typischerweise älter und haben bereits einen anderen Beruf erlernt. Dass der Staat Umschulungen nicht im vollen Umfang einer Ausbildung fördert, ist auch deshalb gerechtfertigt, weil Lehrlinge während ihrer Erstausbildung allenfalls bedürftigkeitsabhängige BAföG-Leistungen erhalten können. Die Regelung ist auch zumutbar. Für Härtefälle sah § 417 SGB III eine Ausnahme vor. Dass der Beschwerdeführer diese Regelung nicht in Anspruch nehmen konnte, lag allein an individuellen Umständen. Grundsätzlich war eine Verkürzung der Umschulung zu dem von ihm gewählten Beruf möglich. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass Umschulungen oft nur dann gefördert werden, wenn sie auf eine bereits vorhandene Ausbildung oder Berufserfahrung des Umschülers aufbauen können. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass grundsätzlich nur Erfolg versprechende Umschulungen gefördert werden.
b) Auch das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Soweit er durch die Versagung der Förderung anders behandelt wurde als jene, die ihre Umschulung mit Zustimmung des Arbeitsamtes begonnen hatten, weil ihre Umschulung entweder ausreichend verkürzt war oder unter die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 417 SGB III a.F. fiel, war dies aus den oben genannten Gründen gerechtfertigt.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen