Leitsatz (amtlich)
Die indirekte Wahl der Bundesverfassungsrichter durch den Deutschen Bundestag gemäß § 6 BVerfGG ist verfassungsgemäß.
Verfahrensgang
Tenor
1. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ist ordnungsgemäß besetzt.
2. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Beschwerdeführer die Wahlprüfungsbeschwerde im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht durch das Urteil vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u.a. – ausgesprochene Nichtigerklärung von § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 1994 (Bundesgesetzblatt I Seite 424, bereinigt Bundesgesetzblatt I Seite 555), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 394), für erledigt erklärt hat.
3. Im Übrigen wird die Wahlprüfungsbeschwerde zurückgewiesen.
4. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen des Verfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten.
5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 80.000 EUR (in Worten: achtzigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wandte sich ursprünglich gegen die für die Wahl der Abgeordneten aus der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Parlament geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel und die Gültigkeit der Europawahl 2009. Seinen Einspruch wies der Deutsche Bundestag nach Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses zurück. Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer Beschwerde erhoben. Die Sperrklausel verstoße gegen den wahlrechtlichen Grundsatz der Erfolgswertgleichheit der Stimmen. Ohne sie hätten mehrere kleinere Parteien aus der Bundesrepublik Abgeordnetensitze errungen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Sperrklausel festgestellt hat (Urteil vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u.a. –, EuGRZ 2011, S. 621), erstrebt der Beschwerdeführer nunmehr noch die Wiederholung der Wahl in der Bundesrepublik Deutschland, hilfsweise die Neuverteilung der Sitze des auf die Bundesrepublik entfallenden Abgeordnetenkontingents unter Einbeziehung der bisher wegen der Sperrklausel nicht berücksichtigten Wahlvorschläge. Das Demokratieprinzip verlange und rechtfertige keinen Bestandsschutz für Volksvertretungen, die unter grober Verletzung tragender Wahlrechtsgrundsätze gebildet worden seien. Die Wiederholungswahl beträfe allein das deutsche Abgeordnetenkontingent und beeinträchtigte die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht nennenswert. Zumindest aber müssten die Sitze neu verteilt werden; hierauf zu verzichten sei angesichts des festgestellten Wahlfehlers unlogisch. Ohne Neuwahl oder Neuverteilung der Abgeordnetensitze bleibe das nachgängige Wahlprüfungsverfahren faktisch wirkungslos.
Der Beschwerdeführer beanstandet überdies die Mitwirkung des Abgeordneten Grosse-Brömer im Wahlprüfungsausschuss. Der Abgeordnete sei weder zum ordentlichen noch zum stellvertretenden Ausschussmitglied gewählt worden und hätte nicht an den Beratungen und Beschlussfassungen des Ausschusses teilnehmen dürfen. Seine Teilnahme daran habe zur Rechtswidrigkeit der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses und des darauf aufbauenden Beschlusses des Deutschen Bundestages geführt.
Des Weiteren rügt der Beschwerdeführer die Wahl der vom Deutschen Bundestag zu wählenden Bundesverfassungsrichter durch den hierfür vom Bundestag eingerichteten Wahlausschuss. Die indirekte Wahl verstoße gegen Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach die Hälfte der Richter vom Bundestag zu wählen sei, und betreffe die dem Senat angehörenden Richterinnen und Richter Prof. Dr. Lübbe-Wolff, Dr. Gerhardt, Prof. Dr. Huber und Hermanns. Der Beschwerdeführer lehnt sie ab. Die Geschäftsordnungsautonomie erlaube dem Bundestag zwar die Einsetzung von Ausschüssen, doch könne er sie nur mit vorbereitenden Tätigkeiten betrauen. Die Beschlussfassung müsse er dem Plenum vorbehalten. Die Richterwahl gehe wegen ihrer Außenwirkung ohnehin über den Bereich hinaus, in dem der Bundestag Befugnisse zur Selbstorganisation habe. Die personelle Besetzung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan erfordere eine gesteigerte demokratische Legitimation.
Der Beschwerdeführer beantragt die Festsetzung des Gegenstandswertes auf 250.000 EUR.
Die Wahlprüfungsbeschwerde ist dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, dem Bundeskanzleramt, den Länderregierungen, den Bundesverbänden der im Bundestag und im Europäischen Parlament vertretenen deutschen Parteien und dem Bundeswahlleiter zugestellt worden. Sie haben, soweit sie sich geäußert haben, von Stellungnahmen abgesehen.
Entscheidungsgründe
B.
Zur Entscheidung ist der Senat einschließlich der vom Deutschen Bundestag gewählten Richter berufen.
I.
Der Beschwerdeführer kleidet seine gegen die personelle Besetzung des Senats gerichtete Rüge in ein Ablehnungsgesuch. Er zweifelt aber nicht die Unparteilichkeit der Richter an und benennt auch keine Umstände, die dahingehende Zweifel begründen könnten. Bei dem Gesuch des Beschwerdeführers handelt es sich daher der Sache nach nicht um einen Befangenheitsantrag, sondern um eine Besetzungsrüge.
II.
1. Der Senat hat seine ordnungsgemäße Besetzung zur Wahrung des Anspruchs aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG von Amts wegen zu prüfen, soweit Anlass hierzu besteht (vgl. BVerfGE 65, 152 ≪154≫ m.w.N.). Die vier vom Deutschen Bundestag berufenen Senatsmitglieder sind von der Teilnahme an der Prüfung nicht ausgeschlossen. Zwar erfolgt die Feststellung der richtigen Besetzung eines erkennenden Gerichts regelmäßig ohne Beteiligung des Richters, dessen Berechtigung zur Mitwirkung zweifelhaft erscheint (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪298≫ m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn die Ordnungsgemäßheit seiner Wahl in Frage gestellt wird (vgl. BVerfGE 40, 356; 65, 152). Indes sind hier mit vier Senatsmitgliedern derart viele Richter betroffen, dass die Beurteilung der vorschriftsmäßigen Senatsbesetzung der Frage nach der ordnungsgemäßen Einrichtung eines Spruchkörpers gleichzusetzen ist, über die dieser selbst befindet (vgl. zur Kammerbesetzung BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. April 1989 – 1 BvR 268/88 –, NJW 1990, S. 39, und der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Juni 1989 – 2 BvR 1484/88 –, NJW 1990, S. 39). Dies findet für die vorliegende Konstellation seine Bestätigung in der Erwägung, dass anderenfalls eine bei divergierenden Auffassungen der Senate herbeizuführende Entscheidung des Plenums nicht ergehen könnte, weil dieses nicht beschlussfähig wäre (§ 16 Abs. 2 BVerfGG).
2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Deutsche Bundestag die von ihm zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts in indirekter Wahl durch einen aus zwölf Abgeordneten bestehenden Wahlausschuss (§ 6 BVerfGG) wählt.
a) Nach Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG werden die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Die Vorschrift gibt den Wahlmodus nicht vor, sondern ist – wie dies bei den Bestimmungen über die Judikative (Art. 92 ff. GG) insgesamt der Fall ist – auf Ausgestaltung durch den Gesetzgeber hin angelegt. Der Wahlregelung des § 6 BVerfGG, nach der die vom Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts mit Zweidrittelmehrheit (§ 6 Abs. 5 BVerfGG) von einem Ausschuss des Bundestages (§ 6 Abs. 1, 2 BVerfGG) gewählt werden, liegt die Auslegung zugrunde, dass Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG für eine gesetzliche Gestaltung des Wahlverfahrens auch insofern offen ist, als die Wahlentscheidung nicht notwendigerweise im Plenum zu treffen ist. Diese Auslegung ist durch den verfassungsändernden Gesetzgeber bestätigt worden. Dieser hat die immer wieder geübte Kritik an der Zulässigkeit der indirekten Wahl (vgl. Pieper, Verfassungsrichterwahlen, 1998, S. 29 ff., m.w.N.) nicht zum Anlass genommen, bei den mehrfach erfolgten Änderungen der Artikel 92 bis 94 GG und insbesondere bei der Einfügung der Verfassungsbeschwerde in das Grundgesetz (BGBl I 1969 S. 97) eine Korrektur herbeizuführen.
b) Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits früh in seinen Bemerkungen zu dem Rechtsgutachten von Professor Richard Thoma (JöR n.F. Bd. 6, 1957, S. 194 ≪202 Fn. 26≫) zur Offenheit des Gestaltungsauftrages aus Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG ausgesprochen und die vom Gesetzgeber vorgesehene mittelbare Wahl als verfassungsgemäß erachtet. Diese Auffassung liegt der Rechtsprechung beider Senate durchgehend zugrunde. Etwaigen Zweifeln hätte das Bundesverfassungsgericht jedenfalls in der Entscheidung des Zweiten Senats vom 3. Dezember 1975 (BVerfGE 40, 356) zur Wiederwahl des Bundesverfassungsrichters Dr. Zeidler, der vom Bundestag berufen worden war, Ausdruck verleihen müssen. Auch wenn die Frage nach der Zulässigkeit der Wiederwahl Dr. Zeidlers im Vordergrund stand, so hätte das Verfahren dem Senat ausreichend Anlass geboten, die Verfassungsmäßigkeit der mittelbaren Wahl neu zu beurteilen, wenn er der zuvor geäußerten Rechtsansicht des Gerichts nicht mehr hätte folgen wollen. Gleiches gilt im Hinblick auf die Entscheidung des Ersten Senats zur Wahl des Bundesverfassungsrichters Dr. Henschel (BVerfGE 65, 152). Dr. Henschel war zwar vom Bundesrat gewählt worden, doch äußerte der Erste Senat keine Bedenken gegenüber der Berechtigung seiner vier vom Bundestag gewählten Mitglieder zur Mitwirkung an der Entscheidungsfindung.
c) aa) Die Übertragung der Richterwahl auf den Ausschuss gemäß § 6 BVerfGG verstößt auch nicht gegen die Repräsentationsfunktion des Deutschen Bundestages. Die Repräsentationsfunktion nimmt der Deutsche Bundestag grundsätzlich in seiner Gesamtheit wahr, durch die Mitwirkung aller seiner Mitglieder. Dies setzt gleiche Mitwirkungsbefugnisse aller Abgeordneten voraus, zu denen das Recht zählt, sich an den vom Parlament vorzunehmenden Wahlen zu beteiligen (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, NVwZ 2012, S. 495, 496 f. ≪Rn. 102 ff.≫ m.w.N.). Durch die indirekte Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts sind all diejenigen Abgeordneten in ihren Mitwirkungsrechten eingeschränkt, die nicht dem Wahlausschuss angehören.
bb) Soweit Abgeordnete durch die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf einen beschließenden Ausschuss von der Mitwirkung an der parlamentarischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden, ist dies nur zum Schutz anderer Rechtsgüter mit Verfassungsrang und unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Es bedarf eines besonderen Grundes, der durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht ist, das der Gleichheit der Abgeordneten die Waage halten kann. Einen derartigen Grund kann die Wahrung der Vertraulichkeit einer Angelegenheit bilden (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2012, a.a.O., S. 499 f., 501 f. ≪Rn. 124, 143≫). Ferner muss der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gewahrt werden, der verlangt, dass der Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten Gestalt abbildet. Zudem dürfen die Informations- und Unterrichtungsmöglichkeiten für die nicht beteiligten Abgeordneten nicht über das unabdingbar notwendige Maß hinaus beschränkt werden (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2012, a.a.O., S. 499 f., 503 ≪Rn. 125 f., 154≫).
cc) Die Übertragung der Wahl der Bundesverfassungsrichter auf einen Wahlausschuss, dessen Mitglieder der Verschwiegenheitspflicht unterliegen (§ 6 Abs. 4 BVerfGG), findet ihre Rechtfertigung in dem erkennbaren gesetzgeberischen Ziel, das Ansehen des Gerichts und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit zu festigen und damit seine Funktionsfähigkeit zu sichern. Die Einschätzung, dass das Bundesverfassungsgericht Funktionseinbußen erleiden könnte, wenn die Wahl seiner Mitglieder im Bundestag nicht in einer Vertraulichkeit wahrenden Weise stattfände, mag nicht in dem Sinne geboten sein, dass sie den Gesetzgeber hinderte, andere Modalitäten der Richterwahl zu bestimmen. Das vom Gesetzgeber verfolgte Anliegen ist aber von hinreichendem verfassungsrechtlichen Gewicht, um den Verzicht auf eine Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts im Plenum zugunsten eines Wahlmännergremiums, das mit Zwei-Drittel-Mehrheit entscheidet (vgl. § 6 Abs. 5 BVerfGG) und dessen Erörterungen der Vertraulichkeit unterliegen, zu legitimieren.
dd) Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch nicht gegenüber dem in § 6 Abs. 2 BVerfGG geregelten Verfahren zur Besetzung des Wahlausschusses. Vorgesehen ist die Anwendung des Höchstzahlverfahrens nach d'Hondt. Auf dieses Verfahren darf der Gesetzgeber zur Sicherung der Spiegelbildlichkeit grundsätzlich zurückgreifen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2012, a.a.O., S. 500 ≪Rn. 129≫), und es ist nicht ersichtlich, warum hier anderes gelten könnte.
C.
Über die Beschwerde ist, soweit der Beschwerdeführer sie für erledigt erklärt hat, nicht mehr zu befinden. Mit der Nichtigerklärung der Sperrklausel ist insoweit das objektive Interesse an der Fortführung des Verfahrens (vgl. hierzu BVerfGE 122, 304 ≪306≫) entfallen.
D.
Soweit der Beschwerdeführer an der Beschwerde festhält, ist sie zulässig, aber nicht begründet.
I.
Der Beschwerdeführer rügt zu Unrecht die Mitwirkung des Abgeordneten Grosse-Brömer im Wahlprüfungsausschuss. Der Wahlprüfungsausschuss wird vom Deutschen Bundestag für die Dauer der Wahlperiode gewählt und besteht aus neun ordentlichen Mitgliedern (§ 3 Abs. 2 Sätze 1 und 3 WahlPrüfG). Der Abgeordnete Grosse-Brömer wurde als Nachfolger für ein ausgeschiedenes Mitglied durch den Deutschen Bundestag am 23. April 2010 zum ordentlichen Mitglied gewählt (BT-PlenProt. 17/38, S. 3663 B) und gehörte dem Ausschuss an, als dieser in der Sitzung am 10. Juni 2010 die Beschlussempfehlung aussprach, den Wahleinspruch des Beschwerdeführers zurückzuweisen (BTDrucks 17/2200, S. 5).
II.
Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers keinen Anlass, abweichend vom Urteil vom 9. November 2011 die Wiederholung der Wahl (1.) oder die Neuverteilung der Sitze (2.) anzuordnen.
1. Im Urteil vom 9. November 2011 (a.a.O., S. 633 f. ≪Rn. 137 ff.≫) hat der Senat ausgeführt, die Ungültigerklärung einer Wahl und ihre Wiederholung kämen nur in Betracht, wenn ein erheblicher Wahlfehler von solchem Gewicht vorliege, dass der Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erschiene. Den auf die Anwendung der für verfassungswidrig erachteten Sperrklausel zurückzuführenden Wahlfehler hat der Senat als nicht derart schwerwiegend bewertet. Er betreffe nur einen geringen Teil der Abgeordneten des deutschen Kontingents und stelle die Legitimation der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments in ihrer Gesamtheit nicht in Frage. Hieran hält der Senat fest.
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass eine unter Verstoß gegen Wahlrechtsgrundsätze gewählte Volksvertretung keinen Bestandsschutz beanspruchen könne, lässt er außer Acht, dass es bei der Entscheidung darüber, welche Folgerungen aus einem Wahlfehler zu ziehen sind, nicht allein darum geht, eine den Wahlrechtsgrundsätzen entsprechende Zusammensetzung der Volksvertretung herbeizuführen, sondern auch um die Erhaltung der Funktions- und Handlungsfähigkeit des Parlaments (vgl. BVerfGE 103, 111 ≪134≫). Eine Neuwahl in Deutschland wirkte sich entgegen der Einschätzung des Beschwerdeführers mehr als nur in unerheblichem Maße störend auf die laufende Parlamentsarbeit aus. Betroffen wäre insbesondere die Zusammenarbeit der Abgeordneten in den Fraktionen und Ausschüssen (Urteil vom 9. November 2011, a.a.O., S. 634 ≪Rn. 143≫). Insoweit hat der Beschwerdeführer keine weiterführenden Gesichtspunkte aufgezeigt.
2. Eine Neuverteilung der Sitze des auf die Bundesrepublik entfallenden Abgeordnetenkontingents wäre zwar mit einem geringeren Eingriff in das Bestandserhaltungsinteresse des Parlaments verbunden. Doch kommt sie nicht in Betracht, weil die Geltung der Sperrklausel zu strategischem Wahlverhalten geführt und sich daher auf das Gesamtwahlergebnis in nicht bestimmbarem Umfang ausgewirkt haben kann (BVerfG, Urteil vom 9. November 2011, a.a.O., S. 633 f. ≪Rn. 140 f.≫). Aufgrund derartiger den Wählerwillen verzerrender Effekte der Sperrklausel könnte die Neufeststellung der Sitzverteilung den Wahlfehler nicht adäquat beheben. Dies ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht unlogisch. Er blendet die Möglichkeit aus, dass Wähler in Kenntnis der Sperrklausel kleinen Parteien ihre Stimme als „Proteststimme” gegeben haben, ohne Sperrklausel und in Kenntnis der Verhältnisse im Europäischen Parlament ihre Stimme aber einer anderen Partei gegeben hätten.
E.
Dem Beschwerdeführer sind, soweit er die Verfassungswidrigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel geltend gemacht und das Verfahren nach dem Urteil des Senats vom 9. November 2011 für erledigt erklärt hat, gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Der Senat hat festgestellt, dass die Sperrklausel gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erfolgswertgleichheit der Stimmen und der Chancengleichheit der Parteien verstoßen hat und nichtig ist. Insoweit liegt der vom Beschwerdeführer gerügte Wahlfehler vor. Er war auch mandatsrelevant. Soweit der Beschwerdeführer die Beschwerde im Übrigen aufrechterhalten hat, ist sie unbegründet. Deswegen ist ihm die Auslagenerstattung nur zum Teil zuzusprechen.
F.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Voßkuhle, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau, Huber, Hermanns, Müller, Kessal-Wulf
Fundstellen
BVerfGE 2013, 230 |
EuGRZ 2012, 456 |
NVwZ 2012, 7 |
NVwZ 2012, 967 |
DÖV 2012, 733 |
JuS 2012, 9 |
JuS 2013, 285 |
BayVBl. 2013, 49 |
LL 2012, 750 |