Verfahrensgang
LG Darmstadt (Beschluss vom 08.01.2007; Aktenzeichen 2a StVK 16/07) |
Tenor
- Der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 8. Januar 2007 – 2a StVK 16/07 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Darmstadt zur Entscheidung über die Kosten zurückverwiesen.
- Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Damit erledigen sich die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Peter Weitzdörfer aus München.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer befand sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Darmstadt. Nachdem die Staatsanwaltschaft auf die weitere Strafvollstreckung verzichtet hatte, wurde er Anfang Mai 2005 in seine Heimat Marokko abgeschoben. Nach Wiedereinreise wurde er am 19. März 2006 festgenommen und der Justizvollzugsanstalt Darmstadt am 22. März 2006 zur Verbüßung der Restfreiheitsstrafe zugeführt. Inzwischen bestand Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2006 – als Überhaft notiert – wegen des Verdachts der Begehung zweier Vergewaltigungen in besonders schwerem Fall. Die Überhaft sollte ab dem 5. März 2007 vollstreckt werden.
2. Ende März 2006 wurde der Beschwerdeführer gegen seinen Willen in die Justizvollzugsanstalt Kassel I verlegt. Hiergegen wandte er sich Anfang April 2006 mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung an das zuständige Landgericht. Er machte geltend, die Aufrechterhaltung seiner sozialen Kontakte werde ebenso erschwert wie die Vorbereitung seiner Verteidigung. Die Justizvollzugsanstalt führte demgegenüber aus, eine Verlegung sei nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG möglich, wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich sei. Hier sei zum Aufnahmezeitpunkt nicht bekannt gewesen, dass gegen den Beschwerdeführer Haftbefehl bestanden habe. Die Justizvollzugsanstalt Darmstadt sei als Anstalt der Sicherheitsstufe II lediglich zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zuständig. Aufgrund des Haftbefehls sei von einer wesentlich höheren Freiheitsstrafe auszugehen, so dass die Verlegung in eine Anstalt der Sicherheitsstufe I erforderlich sei. Darüber hinaus habe die Anstalt vertrauliche Hinweise erhalten, dass der Beschwerdeführer kurz vor seiner Abschiebung erhebliche Schulden gemacht habe, die nun von verschiedenen Gefangenen eingetrieben werden sollten. Der Beschwerdeführer selbst habe auch darum gebeten, ihn zu verlegen, insbesondere in die Justizvollzugsanstalt Butzbach.
Der Beschwerdeführer erwiderte, ausweislich der Gefangenenpersonalakte sei der Justizvollzugsanstalt der Haftbefehl bekannt gewesen. Seine Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Butzbach habe er lediglich wegen der günstigeren Besuchszeiten beantragt. Die Vorwürfe in dem Haftbefehl bestreite er ebenso nachdrücklich wie die behaupteten Schulden.
3. Das Landgericht Darmstadt hob mit (nicht angegriffenem) Beschluss vom 6. Juli 2006 die Verlegungsanordnung auf und wies die weitergehenden – auf Rückverlegung und auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichteten – Anträge zurück. Zur Begründung führte es aus: Die Verlegungsanordnung sei rechtswidrig. Es könne offenbleiben, ob dies wegen der nur mündlichen Bekanntgabe, die zudem ohne Begründung erfolgt sei, schon aus formellen Gründen der Fall sei. Jedenfalls rechtfertigten die vorgetragenen Gründe die Verlegung nicht. Wichtige Gründe im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG seien nicht solche, die auf das individuelle Verhalten eines Gefangenen oder dessen persönliche Situation bezogen seien. Es gebe “keinen generalklauselartigen Verlegungsgrund aus wichtigem Anlass”. Daher komme die “rein spekulative Erwartung einer Verurteilung zu einer hohen Strafe in einem neuen Ermittlungsverfahren” nicht als wichtiger Grund in Betracht. Ob die befürchteten Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen von einer die Belange des Gesamtvollzugs betreffenden Qualität seien, könne anhand des Vortrags der Justizvollzugsanstalt nicht entschieden werden. Derartiges spreche aber eher für eine im Einzelnen zu begründende Verlegung aus Behandlungsgründen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG. Ob eine Verlegung nach § 85 StVollzG in Betracht komme, könne dahinstehen, da die Justizvollzugsanstalt sich auf diese Vorschrift nicht berufen habe.
4. Während seiner Haftzeit in der Justizvollzugsanstalt Kassel I fühlte der Beschwerdeführer sich von anderen Gefangenen bedroht, woraufhin am 22. Juni 2006 gegen ihn besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet wurden. Das daraufhin vom Beschwerdeführer angerufene Landgericht Kassel hielt mit Beschluss vom 31. Juli 2006 die Sicherungsmaßnahmen – im Rahmen einer Kostenentscheidung – für rechtswidrig, weil Sicherungsmaßnahmen nach § 88 Abs. 3 StVollzG eine konkrete, von dem Gefangenen selbst ausgehende Gefahr voraussetzten.
5. Im Juli 2006 wurde der Beschwerdeführer in die Justizvollzugsanstalt Darmstadt zurückverlegt. Seiner eigenen Einschätzung zufolge verlief der weitere Aufenthalt zunächst “problemlos und unauffällig”; er habe versprochen, keine Anträge nach § 109 StVollzG mehr zu stellen, wenn er Arbeit bekomme und sein Besuch am Wochenende genehmigt würde. Nachdem der Abteilungsleiter der Justizvollzugsanstalt allerdings “sein Vertrauen missbraucht” habe, sei er – der Beschwerdeführer – “nicht mehr kooperativ” gewesen und habe erneut Anträge auf gerichtliche Entscheidung beim Landgericht Darmstadt gestellt.
6. Am 22. Dezember 2006 wurde der Beschwerdeführer erneut in die Justizvollzugsanstalt Kassel I verlegt, diesmal unter Hinweis auf die inzwischen bei der großen Strafkammer des Landgerichts erhobene Anklage vom 7. Dezember 2006. Die zu erwartende hohe Freiheitsstrafe mache eine Unterbringung in einer Anstalt der Sicherheitsstufe I erforderlich. Der Beschwerdeführer wies darauf hin, dass die Verlegung aus den sich aus dem Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 6. Juli 2006 ergebenden Gründen rechtswidrig sei; außerdem werde er in der Justizvollzugsanstalt Kassel I bedroht.
7. Unter dem 29. Dezember 2006 stellte der Beschwerdeführer beim Landgericht Darmstadt Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung machte er geltend, durch die Zwangsverlegung werde seine Verteidigung erschwert, er sei von der Arbeit abgelöst worden und seine Familie könne ihn nun nicht mehr besuchen. Aus früheren – von ihm genauer bezeichneten – Gerichtsverfahren ergebe sich, dass er in der Justizvollzugsanstalt Kassel I erhebliche Probleme mit Mitgefangenen habe und dort gefährdet sei. Diese Probleme rührten daher, dass er in Kassel fälschlich für einen Kinderschänder gehalten werde. Wegen der Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit begehre er die unverzügliche Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Darmstadt. Zur Glaubhaftmachung fügte er seinem Antrag die Antragserwiderung der Justizvollzugsanstalt Kassel I vom 30. Juni 2006 im Verfahren vor dem Landgericht Kassel betreffend die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bei. In dieser Antragserwiderung rechtfertigte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Kassel I die angeordneten Maßnahmen mit der vom Beschwerdeführer geschilderten Bedrohungssituation.
8. Das Landgericht Darmstadt wies den Eilantrag mit angegriffenem Beschluss vom 8. Januar 2007 als unzulässig zurück: Die vom Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren angegriffene Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Kassel I sei bereits vollzogen, so dass eine Aussetzung der Vollziehung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG bis zur Hauptsacheentscheidung nicht mehr in Betracht komme. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG scheide ebenfalls aus, da Eilentscheidungen im Sinne dieser Vorschrift ihrer Natur nach vorläufigen Charakter trügen und die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen dürften. Eine “einstweilige Rückverlegung” sei danach unzulässig.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner rechtzeitig eingelegten Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, in seinen Rechten aus Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein. Durch den weiten Anfahrtsweg sei die Aufrechterhaltung der sozialen und familiären Bindungen gefährdet. Auch seine Verteidigung werde unzulässig beschränkt. Er fühle sich in der Justizvollzugsanstalt Kassel I erheblich bedroht; seine körperliche Unversehrtheit sei gefährdet. Seit seiner Verlegung befinde er sich in einem besonders gesicherten Haftraum; er wage es nicht, den Haftraum zu verlassen, weil die Bedrohungssituation weiterhin bestehe. In Darmstadt sei er sicher untergebracht gewesen; er habe an der Freistunde und am Sport teilnehmen und arbeiten können.
2. Das Hessische Ministerium der Justiz hat mit Schreiben vom 19. Februar 2007 Stellung genommen. Es hat darauf hingewiesen, der Gesichtspunkt der sicheren Unterbringung habe gegenüber Resozialisierungsgesichtspunkten Vorrang erhalten, da man davon habe ausgehen müssen, dass der Beschwerdeführer Anfang März 2007 – nach vollständiger Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe – zur Vollstreckung der im Anschluss notierten Untersuchungshaft ohnehin in die Untersuchungshaftanstalt in Weiterstadt verlegt werden würde. Darüber hinaus sei damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer wieder in sein Heimatland Marokko abgeschoben werde. Für eine Beschränkung der Verteidigung des Beschwerdeführers in der Justizvollzugsanstalt Kassel I lägen ebenso wenig konkrete Anhaltspunkte vor wie für eine Bedrohung.
3. In seiner Erwiderung hat der Beschwerdeführer daran festgehalten, dass die Verlegung nicht auf die Anklage gestützt werden könne, da sich der Vorwurf in der Hauptverhandlung als haltlos erweisen werde. Die Verbüßung des Strafrestes sei auf den 4. März 2007 datiert, so dass sich die im Dezember 2006 erfolgte Verlegung auch hiermit nicht begründen lasse. Durch die geplante weitere Verlegung erledige sich die Verfassungsbeschwerde nicht; er habe ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit.
4. Der Beschwerdeführer ist – nach Zustellung der Verfassungsbeschwerde – am 1./2. März 2007 in die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt verlegt worden. Dort befindet er sich, nachdem er am 7. März 2007 durch das Landgericht Frankfurt am Main wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, derzeit in Strafhaft.
5. Das Hessische Ministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (s. unter 2.). Nach diesen Grundsätzen ist die – zulässige – Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer Anfang März 2007 zur Vollstreckung der als Überhaft notierten Untersuchungshaft in die Untersuchungshaftanstalt Weiterstadt verlegt wurde, wo er sich nun – nach zwischenzeitlicher Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten – erneut in Strafhaft befindet. Zwar hat sich hierdurch sein früheres Rechtsschutzziel, das auf Rückgängigmachung der auf § 8 StVollzG gestützten Verlegung und Rückverlegung nach Darmstadt gerichtet war, erledigt. Denn sein derzeitiger Aufenthalt in Weiterstadt beruht nicht mehr auf der vom Beschwerdeführer angegriffenen Verlegungsentscheidung, sondern auf der zwischenzeitlich erfolgten weiteren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren. Das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers, die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts Darmstadt festgestellt zu sehen, ist hierdurch aber nicht entfallen.
In Fällen tiefgreifender Grundrechtsverstöße besteht das Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels fort, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen kann; der Grundrechtsschutz der Betroffenen würde sonst in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪180≫; 110, 77 ≪86≫; stRspr). Danach ist im vorliegenden Fall ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, da ein schwerwiegender Grundrechtseingriff in Rede steht und das erledigende Ereignis – die erneute Verlegung – in einem Zeitraum herbeigeführt wurde, in dem nach dem regelmäßigen Gang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens eine Entscheidung nicht zu erlangen war. Rügt ein Beschwerdeführer, ihm sei vorläufiger Rechtsschutz zu Unrecht verweigert worden, so macht er einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff jedenfalls dann geltend, wenn die Maßnahme, gegen die vorläufiger Rechtsschutz begehrt wurde, ihrerseits entsprechend gewichtig ist (BVerfGK 1, 201 ≪203 f.≫). Dies ist hier der Fall, denn die gegen den Willen des betroffenen Strafgefangenen erfolgende Verlegung eines Strafgefangenen stellt einen schwerwiegenden Eingriff dar (vgl. BVerfGK 6, 260 ≪264≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 2006 – 2 BvR 1295/05 –, NJW 2006, S. 2683).
b) Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erschöpft. Der Beschluss des Landgerichts ist unanfechtbar (§ 114 Abs. 2 Satz 3 StVollzG). Die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache ist nicht geboten, da der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung geltend macht, die gerade in der Behandlung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz liegt und im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪340≫; 80, 40 ≪45≫; 104, 65 ≪70 f.≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Für die Gerichte ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Anforderungen auch für den vorläufigen Rechtsschutz. Die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. BVerfGE 49, 220 ≪226≫; 77, 275 ≪284≫; BVerfGK 1, 201 ≪204 f.≫).
b) Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 2 StVollzG in dem angegriffenen Beschluss verfehlt diese verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bei belastenden Maßnahmen.
Das Landgericht verneint die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG mit der Begründung, die angegriffene Verlegung sei bereits vollzogen. Den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG lehnt es ebenfalls ab, da Eilentscheidungen ihrer Natur nach vorläufigen Charakter trügen und die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen dürften. Damit wird § 114 Abs. 2 StVollzG unzutreffend und in einer Weise ausgelegt, die wirksamen vorläufigen Rechtsschutz gegen Verlegungen unmöglich macht.
Nach § 114 Abs. 2 StVollzG kann das Gericht den Vollzug einer angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht (Satz 1); unter den Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (Satz 2). Mit dieser Regelung differenziert der Gesetzgeber bei der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Strafvollzug – ähnlich wie in § 80 und § 123 VwGO – nach dem Gegenstand der Hauptsache. Wendet sich der Antragsteller gegen eine ihn belastende Maßnahme, so kann das Gericht den Vollzug dieser Maßnahme schon unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG aussetzen. Begehrt der Antragsteller dagegen die Verpflichtung zum Erlass einer von der Anstalt abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme, so kommt vorläufiger Rechtsschutz nur unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG in Verbindung mit § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht.
Ein Eilantrag, der sich gegen eine belastende Maßnahme, hier die Verlegung, richtet und demgemäß als Aussetzungsantrag nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG zu behandeln ist, wird dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht dadurch entzogen, dass die Maßnahme bereits vollzogen ist. Das gilt auch dann, wenn der Antragsteller im Eilverfahren ausdrücklich zugleich das Rückgängigmachen des Vollzuges der Maßnahme beantragt. Insbesondere wird der Antrag dadurch nicht zu einem Vornahmeantrag, der nach § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG in Verbindung mit § 123 VwGO zu beurteilen wäre (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Mai 2006 – 2 BvR 860/06 –, JURIS, und vom 15. März 2006 – 2 BvR 917/05 u.a. –, EuGRZ 2006, S. 294 ≪296≫). Begehrt ein Gefangener, der gegen seinen Willen verlegt wurde, im Wege des Eilrechtsschutzes die Rückverlegung, handelt es sich daher um einen auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung gerichteten Antrag (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 1989 – 2 BvR 896/89 –, Orientierungssätze in JURIS).
Die vorläufige Aussetzung einer belastenden Maßnahme nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache stellt keine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung nicht zu einer faktisch endgültigen. Die vorläufige Aussetzung ist vielmehr, sofern die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung im Übrigen vorliegen, gerade der typische, vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsgehalt des vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1993 – 2 BvR 2212/93 –, NJW 1994, S. 717 ≪718 f.≫, vom 17. Juni 1999 – 2 BvR 1454/98 –, NStZ 1999, S. 532, vom 31. März 2003 – 2 BvR 1779/02 –, NVwZ 2003, S. 1112 f., vom 11. Juni 2003 – 2 BvR 1724/02 –, BVerfGK 1, 201 ≪206≫, und vom 15. März 2006 – 2 BvR 917/05 u.a. –, EuGRZ 2006, S. 294 ≪296≫). All dies gilt auch für ein mit der Aussetzung verbundenes vorläufiges Rückgängigmachen von Vollzugsfolgen, einschließlich einer Rückverlegung (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 1989 – 2 BvR 896/89 –, Orientierungssätze in JURIS).
Das Gericht hätte daher, ohne insoweit durch den Gesichtspunkt einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache gebunden zu sein, gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Beschwerdeführers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ob der Aussetzung ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob nach einer summarischen Prüfung der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2006 – 2 BvR 917/05 u.a. –, EuGRZ 2006, S. 294 ≪296≫). Indem das Gericht die gesetzlichen Vorschriften in einer Weise ausgelegt hat, die für die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Einzelnen an einer Aussetzung keinen Raum lässt, ist es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz nicht gerecht geworden.
Da der angegriffene Beschluss auf dem festgestellten Verfassungsverstoß beruht, ist er nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache – im Hinblick auf die Erledigung nur noch zur Entscheidung über die Kosten – an das Landgericht zurückzuverweisen.
3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Insoweit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen