Verfahrensgang
LG Potsdam (Vorlegungsbeschluss vom 29.03.2006; Aktenzeichen 3 T 120/05) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
Die Richtervorlage betrifft das Verfahren der Honorarfestsetzung für einen gerichtlich bestellten Sachverständigen.
I.
1. Im Rahmen des zum 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG; vgl. BGBl I, S. 718) wurde als dessen Artikel 2 auch das Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz – JVEG) erlassen. Eines der Kernstücke der Reform der Vergütung von Sachverständigen und Dolmetschern sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 181) neben der Umstellung vom Entschädigungs- auf das Vergütungsprinzip der § 9 JVEG sein. Dessen Absatz 1 ordnet die Leistungen von Sachverständigen bestimmten Honorargruppen mit festen Stundensätzen zwischen 50 und 95 Euro zu (Sätze 1 und 2). Wird die Leistung auf einem Sachgebiet erbracht, das in keiner Honorargruppe genannt wird, ist sie unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarten Stundensätze einer Honorargruppe nach billigem Ermessen zuzuordnen (Satz 3). Erfolgt die Leistung auf mehreren Sachgebieten oder betrifft das medizinische oder psychologische Gutachten mehrere Gegenstände und sind die Sachgebiete oder Gegenstände verschiedenen Honorargruppen zugeordnet, bemisst sich das Honorar einheitlich nach der höchsten Honorargruppe; jedoch gilt Satz 3 entsprechend, wenn dies mit Rücksicht auf den Schwerpunkt der Leistung zu einem unbilligen Ergebnis führen würde (Satz 4).
§ 9 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JVEG lauten:
§ 4 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Beschwerde auch zulässig ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro nicht übersteigt. Die Beschwerde ist nur zulässig, solange der Anspruch auf Vergütung noch nicht geltend gemacht worden ist.
§ 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG sieht als Vorschrift des allgemeinen Teils die Festsetzung einer Vergütung, Entschädigung oder eines Vorschusses vor, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält. Nach § 4 Abs. 3 JVEG können der Berechtigte und die Staatskasse gegen einen Beschluss nach Absatz 1 Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder wenn das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die weitere Beschwerde zulässig (§ 4 Abs. 5 JVEG).
2. Im Ausgangsverfahren nahm die Klägerin die Beklagten auf Zahlung von Werklohn für die Verlegung einer Abwasserleitung in Anspruch. Das Amtsgericht beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zur streitigen Frage einer fachgerechten Verlegung der Leitung. Dieser reichte mit dem Gutachten auch eine Kostenrechnung ein, in der er einen Stundensatz von 70 Euro nach Honorargruppe 5 gemäß § 9 JVEG in Ansatz brachte.
Der erkennende Richter des Amtsgerichts ordnete dagegen die Leistung des Sachverständigen dem Sachgebiet Wasserversorgung und Abwässer und damit gemäß Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG der Honorargruppe 3 zu und setzte entsprechend dem dafür maßgeblichen Stundensatz von 60 Euro, einen um gut 230 Euro reduzierten Erstattungsbetrag fest.
Auf die dagegen erhobene Beschwerde des Sachverständigen hat das Landgericht das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG mit Art. 3 Abs. 2 (gemeint ist offenbar Abs. 1) und Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Es halte den § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG für verfassungswidrig, wonach die Beschwerde nur zulässig sei, solange der Anspruch auf Vergütung noch nicht geltend gemacht worden sei. Dem gehe die Regelung voraus, dass § 4 JVEG mit der Maßgabe entsprechend gelte, dass eine Beschwerde auch zulässig sei, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro nicht übersteige. Daraus folge zunächst, dass gegen die Festsetzung des Vergütungsanspruchs die Beschwerde möglich sei. Aus § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG ergebe sich aber, dass die hier eingelegte Beschwerde unzulässig sei, weil der Sachverständige seinen Anspruch auf Vergütung bereits geltend gemacht habe. Die Regelung bedeute, dass eine Beschwerde nur in Betracht komme, wenn entweder der Kostenbeamte oder der Richter die Vergütung von Amts wegen und ohne entsprechenden Antrag berechnet oder festgesetzt hätten. Dies sei hier nicht geschehen. Vielmehr habe der Sachverständige mit seiner Rechnung einen Vergütungsantrag gestellt. Auf diesen Antrag hin sei eine Festsetzung erfolgt. In einem solchen Falle sehe § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG die Unzulässigkeit der Beschwerde vor.
Daraus folge eine unzulässige Verkürzung der Vergütungsansprüche des Berechtigten und des Rechtswegs. Der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit für den Fall, dass der Vergütungsanspruch bereits geltend gemacht worden sei, stelle eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung desjenigen Berechtigten dar, der so verfahre. Es widerspreche dem allgemeinen Gleichheitssatz, dass diese formale Regelung, die der üblichen Praxis und Handhabung widerspreche, Vergütungsansprüche, die möglicherweise berechtigt seien, ausschließe. Allgemeiner Handhabung entspreche es, dass ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger mit der Erstattung seines Gutachtens seine Rechnung vorlege, in welcher er seine Vergütungsansprüche geltend mache. Bei konsequenter Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG müsse der Berechtigte mit seinem Vergütungsantrag warten, bis der Kostenbeamte oder der Richter die Vergütung von Amts wegen und ohne entsprechenden Antrag festsetze. Abgesehen davon, dass es nach Auffassung des Gerichts für diese Regelung keinen sachlichen Grund gebe, stelle sie auch eine unzulässige Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes insofern dar, als der Berechtigte von einer Leistung ausgeschlossen werde, die ihm möglicherweise zustehe.
Darüber hinaus folge aus der Regelung auch eine verfassungswidrige Rechtswegbeeinträchtigung unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Praktisch werde dem Berechtigten die Möglichkeit der Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung genommen. Dagegen könne auch nicht eingewandt werden, dass ein Sachverständiger oder anderer Berechtigter nur die Festsetzung seiner Vergütung anregen, aber noch nicht beantragen solle. Vielmehr entspreche es der üblichen und auch sachgerechten Verhaltensweise eines Sachverständigen, der eine ihm in Auftrag gegebene Dienstleistung erbracht habe, mit Abschluss derselben seine Vergütung in Rechnung zu stellen. Dass hierin ein Antrag liege, könne nicht in Abrede gestellt werden. Darin möglicherweise nur eine Anregung zu sehen, bedeute eine unzulässige Verdrehung dessen, was ein Sachverständiger mit der Übersendung seiner Rechnung rechtlich bewirken wolle.
Die Bedenklichkeit der Regelung werde auch in der Rechtsprechung gesehen. Auf die vorgelegte Frage komme es für den zu entscheidenden Fall an. Es gebe keine andere Entscheidungsmöglichkeit, für die diese Frage nicht erheblich wäre. Denn bei Anwendung der für verfassungswidrig angesehenen Regelung wäre die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, ohne dass eine Sachentscheidung getroffen werden könnte.
II.
Die Vorlage ist unzulässig. Der Vorlagebeschluss ist nicht hinreichend begründet.
1. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein vorlegendes Gericht nur, wenn im Vorlagebeschluss nicht nur der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab genannt, sondern auch die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm näher begründet wird (vgl. BVerfGE 86, 52 ≪57≫). Dabei bedarf es der Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 88, 198 ≪201≫; 94, 315 ≪325≫). Es kann insbesondere auch erforderlich sein, im Rahmen der Begründung eines Vorlagebeschlusses auf die Gründe einzugehen, die im Gesetzgebungsverfahren für eine bestimmte gesetzliche Regelung maßgeblich waren (vgl. BVerfGE 92, 277 ≪312≫; 88, 70 ≪74≫; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 8. Januar 1999 – 1 BvL 14/98 –, NJW 1999, S. 1098 ≪1098 f.≫). Zudem ist auszuführen, weshalb das Gericht von der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung überzeugt ist (vgl. BVerfGE 76, 100 ≪105≫; 90, 145 ≪170≫; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 12. Januar 2006 – 1 BvL 12/05 –, juris Rn. 8).
2. Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss des Landgerichts nicht gerecht.
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG nicht hinreichend begründet. Es hat sich weder mit der zu dieser Norm ergangenen und veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 22. Juni 2005 – 4 Ws 115/05 –, juris) noch mit der Literatur (vgl. etwa Bach, in: Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, Kommentar, 23. Aufl. 2005, § 9 Rz. 9.6; Zimmermann, JVEG, Kommentar, 2005, § 9 Rn. 16 ff.) auseinander gesetzt, sondern zum Beleg seiner Auffassung einzig eine singuläre Kommentarstelle angeführt, die ihrerseits die Vorschrift lediglich allgemein als “wenig verständliche Rechtswegverkürzung” ansieht und bezweifelt, ob sie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Im Übrigen hat das Landgericht auf die mit der Bestimmung nach seiner Auffassung unvereinbare bisher übliche Praxis verwiesen.
Namentlich hat es der Norm jede sachliche Rechtfertigung abgesprochen, ohne sich mit den Gesetzesmaterialien und dem vom Gesetzgeber mit der Gesamtregelung verfolgten Zweck befasst zu haben. So heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs:
Satz 5 bestimmt, dass in den Fällen nach Satz 3 oder 4 die gerichtliche Festsetzung beantragt werden kann, solange der Sachverständige seinen Anspruch auf Vergütung noch nicht abgerechnet hat. Die Regelung soll es dem Sachverständigen ermöglichen, schon sehr frühzeitig – unter Umständen sogleich nach seiner Ernennung und damit schon vor Aufnahme der ihm übertragenen Aufgaben – Klarheit über die kostenmäßige Bewertung der von ihm erwarteten Leistungen und damit gleichzeitig über einen für seinen Gesamtanspruch wesentlichen Bemessungsfaktor zu erlangen. Liegt Abrechnungsreife vor, kann der Sachverständige dagegen das Verfahren nach § 4 Abs. 1 und 2 JVEG-E auf Festsetzung der (gesamten) von ihm zu beanspruchenden Vergütung betreiben. Die gerichtliche Festsetzung des von dem Sachverständigen zu beanspruchenden Stundensatzes soll stets der Beschwerde unterworfen sein, solange der Sachverständige noch keine Abrechnung seiner Vergütung vorgenommen hat, weil sich in diesen Fällen noch kein Wert der Beschwer beziffern lässt. Die Regelung dient zudem der Rechtsfortbildung, weil sie in der besonders wichtigen Frage der Qualifizierung einzelner Sachverständigenleistungen nach dem neuen Recht obergerichtliche Entscheidungen unabhängig vom Beschwerdewert ermöglichen würde, solange der Sachverständige noch nicht abgerechnet hat (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 182 f.).
Zu diesen auch für die verfassungsrechtliche Bewertung der Vorschrift jedenfalls nicht von vorneherein unbeachtlichen Erwägungen des Gesetzgebers hat das vorlegende Gericht in keiner Weise Stellung genommen.
Das Landgericht hat auch nicht näher begründet, weshalb der von ihm der Vorschrift entnommene generelle Beschwerdeausschluss bei einem vom Sachverständigen geltend gemachten Vergütungsanspruch zu einer unzulässigen Verkürzung dieses Anspruchs führen sollte, obwohl auch nach seiner Auffassung jedenfalls die gerichtliche Festsetzung dieses Anspruchs vorgesehen ist. Auch für die Annahme einer gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßenden Rechtswegverkürzung durch den Beschwerdeausschluss fehlt insbesondere vor dem Hintergrund der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Voraussetzungen und Reichweite der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie jede Begründung.
b) Zur Möglichkeit einer – die verfassungsrechtlichen Bedenken des Landgerichts insoweit als zutreffend unterstellt – verfassungskonformen Auslegung von § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG enthält der Vorlagebeschluss ebenfalls keine Ausführungen.
Im Hinblick auf den zitierten, in Wortlaut und Systematik des Gesetzes hinreichend zum Ausdruck kommenden Gesetzeszweck erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, den § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG dahin auszulegen, dass er sich nur auf die von § 9 Abs. 1 Satz 5 JVEG erfassten Fälle bezieht (vgl. insoweit Zimmermann, a.a.O.) und damit durch die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 4 JVEG nur eine zusätzliche, vorgezogene und isolierte Klärung des für den Gesamtvergütungsanspruch des Sachverständigen “wesentlichen Bemessungsfaktors” der Honorargruppenzuordnung nach den beauftragten Leistungen ermöglichen, eine umfassende Klärungsmöglichkeit des Vergütungsanspruchs gemäß § 4 Abs. 1 und 3 JVEG (vgl. Bach, a.a.O., § 4 Rz. 4.12c und 4.18) nach Eintritt von Abrechnungsreife und Geltendmachung des Anspruchs aber nicht zugleich ausschließen soll (so auch Bach, a.a.O., § 9 Rz. 9.6).
Demgegenüber geht das Landgericht ohne nähere Begründung offensichtlich entgegen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, a.a.O.; Oberlandesgericht Frankfurt/Main, NStZ-RR 2005, S. 392; Oberlandesgericht Dresden, DS 2006, S. 77) davon aus, dass § 9 Abs. 1 Satz 6 JVEG auch einer (späteren) Überprüfung der Honorargruppenzuordnung im Rahmen von § 4 Abs. 3 JVEG entgegensteht.
Unterschriften
Haas, Bryde, Eichberger
Fundstellen
Haufe-Index 1548647 |
NJW-RR 2006, 1500 |
DS 2006, 353 |