Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebot weitgehender Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Zwischenurteil vom 28.03.2000; Aktenzeichen 2 StVK 76/00) |
LG Karlsruhe (Zwischenurteil vom 28.03.2000; Aktenzeichen 2 StVK 11/00) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 28. März 2000 – 2 StVK 76/00 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Die Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen.
Der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 28. März 2000 – 2 StVK 11/00 – verletzt den Beschwerdeführer, soweit mit ihm über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 13. Januar 2000 entschieden wurde, in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. In diesem Umfang wird die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 849/00 nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer drei Viertel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden betreffen das Gebot weitgehender Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).
I.
1. a) Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener. Er beantragte die Zulassung einer Brieffreundin zum Besuch. Die Justizvollzugsanstalt gab dem Antrag mit der Maßgabe statt, dass der Besuch optisch und akustisch zu überwachen sei.
b) Mit Schreiben vom 13. Januar 2000 beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen noch zu stellenden Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Einen Eilantrag stellte der Beschwerdeführer damals nicht.
c) Mit Bescheid vom 22. Februar 2000, dem Beschwerdeführer zugestellt am 29. Februar 2000, wurde im Verwaltungsvorverfahren die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Verfügung der Vollzugsanstalt durch das Justizministerium zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 6. März 2000, beim Landgericht eingegangen am 10. März 2000, beantragte der Beschwerdeführer nunmehr auch Prozesskostenhilfe für die Hauptsache, also für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG gegen die akustische Besuchsüberwachung. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung selbst stellte er nicht.
d) Mit den angegriffenen Entscheidungen lehnte die Strafvollstreckungskammer die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren sowie ein weiteres, zu 2 StVK 11/00 verbundenes Verfahren 2 StVK 44/00, und für das Hauptsacheverfahren ab. Der Beschwerdeführer habe nicht innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen (vgl. § 112 Abs. 1 Satz 2 StVollzG) nach Zustellung des Beschwerdebescheids einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Deswegen habe ein solcher Antrag keine Aussicht auf Erfolg mehr. Er sei nunmehr wegen Verfristung unzulässig. Da ein Verfahren in der Hauptsache nicht mehr durchgeführt werden könne, komme auch vorläufiger Rechtsschutz nicht mehr in Betracht, weshalb sein diesbezüglicher Prozesskostenhilfeantrag ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg mehr habe.
e) Der Beschwerdeführer hat nach seinen Angaben die betroffene Besucherin im Laufe der Verfassungsbeschwerde-Verfahren geheiratet, und die Vollzugsanstalt hat auch unter Berücksichtigung dieser geänderten Sachlage erneut zu Ungunsten des Beschwerdeführers über die Besuchsüberwachung entschieden.
II.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 668/00 wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens, mit der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 849/00 gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Eilverfahrens sowie gegen die Ablehnung eines weiteren Prozesskostenhilfeantrags. Er rügt jeweils eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie von Art. 19 Abs. 4 GG.
2. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat davon abgesehen, zu den Verfassungsbeschwerden Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers zur Entscheidung an und gibt ihnen gemäß § 93c Abs. 1 BVerfGG statt. Die Verfassungsbeschwerden sind insoweit zulässig und offensichtlich begründet. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
1. Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie zur Entscheidung angenommen werden, zulässig. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht deswegen entfallen, weil die Vollzugsanstalt zwischenzeitlich auf der Grundlage eines neuen Sachverhalts über die Frage der Besuchsüberwachung erneut in der Sache entschieden hat. Ob sich damit die angegriffenen Entscheidungen zur Prozesskostenhilfe erledigt haben, kann hier dahin stehen. Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich jedenfalls daraus, dass eine Wiederholung der gerügten Verfassungsverstöße in künftigen Entscheidungen über Prozesskostenhilfeanträge zu besorgen ist (vgl. BVerfGE 81, 138 ≪140≫; 96, 27 ≪40≫).
2. Die Verfassungsbeschwerden sind in dem bezeichneten Umfang offensichtlich begründet i. S. v. § 93c BVerfGG.
a) Das Grundgesetz gebietet eine weit gehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz). Das Institut der Prozesskostenhilfe soll verhindern, dass eine Partei lediglich aus wirtschaftlichen Gründen daran gehindert wird, ihr Recht vor Gericht zu suchen. Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (BVerfGE 81, 347 ≪356 f.≫ m. w. N.; 92, 122 ≪124≫).
Dabei sind Bedeutung und Tragweite der in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit bei der Auslegung und Anwendung des gesetzlichen Merkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht zu beachten. Die Fachgerichte verlassen den ihnen insoweit durch die Verfassung gezogenen Entscheidungsraum, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird.
Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt werden und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, der unbemittelten Person den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (BVerfGE 81, 347 ≪358≫).
b) So liegt es hier. Die Strafvollstreckungskammer hat die Prozesskostenhilfeanträge mit der Begründung abgelehnt, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg, weil der Beschwerdeführer es versäumt habe, innerhalb der Antragsfrist des § 112 Abs. 1 StVollzG den Antrag in der Hauptsache zu stellen. Diese Begründung verfehlt den verfassungsgebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe.
Nach der gefestigten Rechtsprechung der Fachgerichte wird ein Kläger oder Rechtsmittelführer, der innerhalb der Antragsfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, jedenfalls so lange als ohne sein Verschulden an der Einlegung des verfahrenseinleitenden Antrags gehindert angesehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bildet dann die Grundlage für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. die Nachweise im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1992 – 2 BvR 871/92 –, NJW 1993, S. 720; speziell zu § 120 Abs. 2 StVollzG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO: OLG Koblenz, NStZ-RR 1997, S. 187; Schuler, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 120 Rn. 6; Volckart, in: Feest, AK-StVollzG, 4. Aufl. 2000, § 120 Rn. 16). Soweit die Fachgerichte davon teilweise eine Ausnahme machen, wenn die Verfahrenseinleitung für den Betroffenen ohne Kostenrisiko ist, weil für das beabsichtigte Hauptverfahren keine Gerichtsgebühren erhoben werden (vgl. OVG Hamburg, NJW 1998, S. 2547, 2548, m. w. N.), liegt ein solcher Fall hier ersichtlich nicht vor (Nrn. 8000 und 8020 des Kostenverzeichnisses zu § 11 Abs. 1 GKG).
In welchem Umfang die Wiedereinsetzung bei rechtzeitigen Prozesskostenhilfeanträgen von Verfassungs wegen gefordert ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls sind die Fachgerichte aus Gründen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes daran gehindert, von der genannten Rechtsprechung im Einzelfall zu Lasten des Betroffenen abzuweichen, wenn dieser mit einer solchen Änderung der Rechtsprechung nicht rechnen musste (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1992 – 2 BvR 871/92 –, NJW 1993, S. 720).
Deswegen war bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der vom Beschwerdeführer beabsichtigten Rechtsverfolgung – entsprechend der allgemeinen Praxis der Gerichte – die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzustellen. Dass dem Beschwerdeführer im konkreten Fall eine Wiedereinsetzung verschlossen wäre, ist nicht erkennbar.
Er hat seine Anträge auf Prozesskostenhilfe unter Beifügung der Formblatterklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen innerhalb der Antragsfrist gestellt.
Anhaltspunkte dafür, dass ihm Wiedereinsetzung aus anderen Gründen nicht gewährt werden könnte, sind den angegriffenen Entscheidungen nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich. Indem die Strafvollstreckungskammer diese Möglichkeit der Wiedereinsetzung außer Betracht lässt, überspannt sie die Anforderungen an die Antragstellung einer unbemittelten Partei und verletzt damit die in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gewährleistete Rechtsschutzgleichheit.
3. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 849/00 wird im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird insoweit nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Di Fabio
Fundstellen
Haufe-Index 565388 |
StV 2002, 272 |