Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 06.05.2008; Aktenzeichen 3 Ws 182/08) |
LG Bielefeld (Beschluss vom 08.04.2008; Aktenzeichen 9 KLs 6 Js 141/03 - 5/05) |
LG Bielefeld (Beschluss vom 03.04.2008; Aktenzeichen 9 KLs 6 Js 141/03 - 5/05) |
OLG Hamm (Beschluss vom 26.02.2008; Aktenzeichen 3 Ws 77/08) |
LG Bielefeld (Beschluss vom 01.02.2008; Aktenzeichen 9 KLs 6 Js 141/03 - 5/05) |
LG Bielefeld (Beschluss vom 29.01.2008; Aktenzeichen 9 KLs 6 Js 141/03 - 5/05) |
Tenor
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit und die Reichweite des Auskunftsverweigerungsrechts aus § 55 Abs. 1 StPO.
I.
1. Der Beschwerdeführer – ein Immobiliensachverständiger – war vor dem Landgericht Krefeld angeklagt, sich in den Jahren 1998 und 1999 an Betrugstaten seines Mitangeklagten S. beteiligt zu haben. Nach dem Anklagevorwurf hatte S. die V.-Versicherung unter anderem durch die Vorlage unzutreffender, vom Beschwerdeführer erstellter Wertgutachten über Immobilien in Krefeld und Umgebung zur Auskehrung überhöhter Darlehensbeträge veranlasst. Das Landgericht hatte das Hauptverfahren eröffnet.
2. Der vor dem Landgericht Krefeld mitangeklagte S. war auch vor dem Landgericht Bielefeld angeklagt. Ihm lag dort ein weiterer Betrug zum Nachteil der V.-Versicherung zur Last, in diesem Falle im Zusammenhang mit einer Immobilienfinanzierung in S. im Jahre 1998. Auch gegen den Beschwerdeführer war in diesem Komplex ermittelt worden, ohne dass es indes zu einer Anklageerhebung gekommen war.
3. Das Landgericht Bielefeld lud den Beschwerdeführer in dem dortigen Strafverfahren gegen den Angeklagten S. als Zeugen. In der Hauptverhandlung vom 7. Januar 2008 wurde dem Beschwerdeführer einleitend erläutert, seine Vernehmung solle Fragen zur Begutachtung einer Immobilie des Angeklagten S. und der V.-Versicherung in S. zum Gegenstand haben. Daraufhin machte der Beschwerdeführer lediglich Angaben zur Person, verweigerte jedoch unter Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 Abs. 1 StPO alle Angaben zur Sache. Die Staatsanwaltschaft vertrat die Auffassung, dass dem Beschwerdeführer ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zustehe. Die Vernehmung wurde abgebrochen und der Beschwerdeführer erneut zur Hauptverhandlung am 29. Januar 2008 als Zeuge geladen.
4. Auch in der Hauptverhandlung vom 29. Januar 2008 verweigerte der Beschwerdeführer alle Angaben zur Sache, nachdem ihn der Vorsitzende gefragt hatte, ob er eine Immobilienbegutachtung in S. vorgenommen habe. Die Kammer verhängte daraufhin ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft gegen den Beschwerdeführer. Außerdem wurden dem Beschwerdeführer die durch seine Auskunftsverweigerung verursachten Kosten auferlegt.
5. Der hiergegen erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers half das Landgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2008 nicht ab. Dem Beschwerdeführer stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO nicht zu, da hierfür Voraussetzung sei, dass der Zeuge „bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht i.S. des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden”. Im Hinblick auf den Komplex S., der in Bielefeld allein Gegenstand des Verfahrens sei, habe bereits die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlussvermerk einen Anfangsverdacht verneint und auch nach dem bisherigen Ergebnis der Hauptverhandlung bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich in dem Komplex S. strafbar gemacht haben könnte. Auch im Hinblick auf die Immobilienfinanzierungen, wegen derer in Krefeld gegen den Beschwerdeführer verhandelt werde, komme jedenfalls ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht in Betracht. Zwar könne nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO auch im Hinblick auf solche Fragen bestehen, deren Beantwortung geeignet sei, mittelbar einen Tatverdacht gegen den Zeugen zu begründen, sei es auch nur „als Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude”. Indes bestünden nach der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Beurteilung der Kammer keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich mit Aussagen zum Komplex S. der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung wegen der Immobilienbewertung in Krefeld aussetzen könnte.
6. Mit Beschluss vom 26. Februar 2008 verwarf das Oberlandesgericht Hamm die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers im Wesentlichen aus den Gründen der landgerichtlichen Nichtabhilfeentscheidung als unbegründet.
7. Gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld vom 29. Januar und 1. Februar 2008 und den Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Februar 2008 hat der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 504/08 Verfassungsbeschwerde erhoben. Darüber hinaus hat er beantragt, die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 29. Januar 2008 im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Später hat er darum gebeten, die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bis auf weiteres zurückzustellen.
II.
1. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde wurde der Beschwerdeführer in dem Strafverfahren vor dem Landgericht Bielefeld erneut zeugenschaftlich vernommen. Wiederum verweigerte der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 55 Abs. 1 StPO alle Angaben zur Sache. Daraufhin wurden ihm mit Beschluss vom 3. April 2008 auch die durch diese Aussageverweigerung verursachten Kosten auferlegt.
2. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers half das Landgericht Bielefeld mit Beschluss vom 8. April 2008 nicht ab. Von der Anordnung einer Beugehaft sah das Gericht indes aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ab.
3. Das Oberlandesgericht Hamm verwarf die Beschwerde des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 6. Mai 2008 als unbegründet.
4. Gegen die Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld vom 3. und 8. April 2008 und den Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Mai 2008 hat der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1193/08 Verfassungsbeschwerde erhoben.
III.
1. Der Beschwerdeführer rügt Verstöße gegen die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Er sei gemäß § 55 Abs. 1 StPO zur umfassenden Verweigerung des Zeugnisses zu seinem Verhältnis zu dem Angeklagten S. und namentlich zu seiner Tätigkeit als Gutachter im Komplex S. berechtigt gewesen. Denn durch jede Angabe zu dieser Sache setze er sich der Gefahr aus, ein „Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude” zu seiner eigenen Verurteilung in dem Strafverfahren vor dem Landgericht Krefeld zu liefern. In dem Verfahren vor dem Landgericht Krefeld müsse gerade noch aufgeklärt werden, ob er – der Beschwerdeführer – den in Bielefeld angeklagten S. kenne und von ihm beauftragt worden sei, Immobilien zu bewerten. Daher sei es ihm unzumutbar, in einem Strafverfahren Angaben zur Sache zu machen, in dem ein in vielerlei Hinsicht paralleler Tatvorwurf in Rede stehe.
2. Die Kammer hat dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs und dem Angeklagten S. in dem Verfahren 2 BvR 504/08 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
1. Die Verfassungsbeschwerden haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, weil die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind (vgl. etwa BVerfGE 38, 105 ≪113≫; 55, 144 ≪150≫; 56, 37 ≪43≫; BVerfG-K NJW 1999, S. 779; StV 2001, S. 257 f.; NJW 2002, S. 1411).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt. Die Verfassungsbeschwerden haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; sie sind unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), gehört zu den anerkannten Prinzipien des deutschen Strafverfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪113≫; 55, 144 ≪150≫; 56, 37 ≪43≫; BGHSt 14, 358 ≪364 f.≫; 38, 214 ≪220≫ mit weiteren Nachweisen). Als Folge dieses rechtsstaatlichen Grundsatzes gewährt § 55 Abs. 1 StPO dem Zeugen das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪113≫; BVerfG-K StV 2001, 257 ≪258≫; NJW 2002, S. 1411 ≪1412≫).
Eine Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn eine Ermittlungsbehörde aus einer wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen Tatsachen entnehmen könnte, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 152 StPO) oder auch zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts veranlassen könnte (vgl. Ignor/Bertheau, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Band 2, 26. Aufl. 2008, § 55 Rn. 10; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 55 Rn. 7). Hierfür genügt es bereits, wenn der Zeuge bestimmte Tatsachen angeben müsste, die mittelbar den Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit begründen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zwar allein eine Strafverfolgung nicht auslösen könnte, jedoch „als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude” zu einer Belastung des Zeugen beitragen könnte (vgl. BVerfG-K, NJW 2002, S. 1411 ≪1412≫; BGH, NJW 1999, S. 1413). Für die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung muss es konkrete tatsächliche Anhaltspunkte geben; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus (BGH NJW 1994, S. 2839 ≪2840≫; BGH NStZ 1999, S. 415 ≪416≫). Ob eine Verfolgungsgefahr besteht, unterliegt der tatsächlichen Beurteilung durch den Tatrichter, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. BVerfG-K, NJW 1999, S. 779; BGH, Beschluss vom 6. August 2002 – 5 StR 314/02 – juris). Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls (vgl. BGHSt 1, 39 ≪40≫; 10, 104 ≪105≫; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 55 Rn. 10).
Ist danach von einer Verfolgungsgefahr auszugehen, so ist der Zeuge gemäß § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur berechtigt, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern. Nur ausnahmsweise ist er zu einer umfassenden Verweigerung der Auskunft befugt, wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte (vgl. BGH, NStZ 2002, S. 607; NStZ-RR 2005, S. 316).
b) Hiervon ausgehend begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Auffassung der Gerichte, dem Beschwerdeführer stehe im Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Abs. 1 StPO zu, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Die Gerichte haben die dargelegten Maßstäbe zu § 55 Abs. 1 StPO zutreffend erkannt. Das Landgericht Bielefeld hat in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 1. Februar 2008 zutreffend festgestellt, dass es nach § 55 StPO für das Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts darauf ankomme, ob der Beschwerdeführer bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden. Des Weiteren hat das Landgericht Bielefeld unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs ausgeführt, dass zur Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO zwar auch eine mittelbare Selbstbelastungsgefahr ausreiche, es für die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung indes konkrete tatsächliche Anhaltspunkte geben müsse, was der tatsächlichen Beurteilung durch das Tatgericht unterliege. Hiervon ausgehend hat das Landgericht Bielefeld angenommen, dass die Verweigerung der Aussage durch den Beschwerdeführer kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht begründe, sondern der Kammer nur verbiete, weitere Fragen zu stellen, bei deren Beantwortung die Verfolgungsgefahr nicht ausgeschlossen sei. Hiermit hat das Gericht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers den Vorgaben des § 55 Abs. 1 StPO entsprechend respektiert.
bb) Auch die tatsächliche Würdigung der Verfolgungsgefahr durch die Fachgerichte begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Das Landgericht Bielefeld ist in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 1. Februar 2008 davon ausgegangen, dass im Hinblick auf den Komplex S., zu dem der Beschwerdeführer vor dem Landgericht Bielefeld befragt werden sollte, keine Selbstbelastungsgefahr bestehe, da die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer im Hinblick auf diesen Komplex schon in der Abschlussverfügung verneint habe und auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung keinerlei Anhaltspunkte für eine Straftatbegehung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Immobilienfinanzierung S. bestünden.
Der Beschwerdeführer ist dieser tatsächlichen Würdigung nicht entgegengetreten. Er befürchtet vielmehr, dass er sich mit wahrheitsgemäßen Aussagen zu dem vor dem Landgericht Bielefeld anhängigen Komplex S. – mittelbar – im Hinblick auf diejenigen Taten, die vor dem Landgericht Krefeld verhandelt werden, (weiter) belasten könnte.
Auch insoweit hat das Landgericht Bielefeld in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 1. Februar 2008 eine Selbstbelastungsgefahr indes in vertretbarer Weise verneint. Zwar macht der Beschwerdeführer zu Recht geltend, zwischen dem Komplex S. und den vor dem Landgericht Krefeld verhandelten Taten bestehe ein sachlicher, persönlicher und zeitlicher Zusammenhang. Dennoch mussten die Gerichte nicht davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Abs. 1 StPO zusteht. Denn es sind durchaus Fragen zum Komplex S. denkbar, deren wahrheitsgemäße Beantwortung durch den Beschwerdeführer nicht notwendigerweise zu einer Verstärkung des gegen ihn bestehenden Tatverdachts wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld und Umgebung führen muss.
So ist zum Beispiel nicht ersichtlich, dass eine wahrheitsgemäße Beantwortung der vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vom 29. Januar 2008 gestellten Frage, ob der Beschwerdeführer eine Immobilienbegutachtung in S. vorgenommen habe, den wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld bestehenden Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer hätte verstärken können. Dem Landgericht Bielefeld lag ein vom Beschwerdeführer erstelltes, schriftliches Wertgutachten über die Immobilien in S. bereits vor. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer eine Immobilienbegutachtung in S. vorgenommen hatte, dürfte daher wohl auch ohne eine Aussage des Beschwerdeführers hierzu klar auf der Hand gelegen haben. Vor diesem Hintergrund durfte es den Gerichten als rein denktheoretische Möglichkeit erscheinen, dass der Beschwerdeführer sich durch eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage des Vorsitzenden zur Vornahme einer Begutachtung in S. im Hinblick auf die Immobilienbewertungen in Krefeld weiter belasten könnte. Auch der Beschwerdeführer selbst hat nicht substantiiert aufgezeigt, inwieweit die Beantwortung der Frage des Vorsitzenden den gegen ihn bestehenden Tatverdacht wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld hätte verstärken können.
Auch im Übrigen erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer Fragen zum Komplex S. wahrheitsgemäß beantworten kann, ohne sich hierdurch wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld zu belasten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit etwa Angaben des Beschwerdeführers zum Zustand der Immobilien in S. oder auch zum Ablauf der Begutachtung notwendigerweise zu einer Verstärkung des Tatverdachts wegen der Immobilienbewertungen in Krefeld führen müssten.
Insgesamt ist der Zusammenhang zwischen dem Komplex S. und den Immobilienbewertungen in Krefeld nicht derart eng, dass die Fachgerichte ausnahmsweise von einem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Abs. 1 StPO hätten ausgehen müssen. Vielmehr ist es mit Blick auf die verfassungsrechtliche Selbstbelastungsfreiheit nicht zu beanstanden, dass die Gerichte den Beschwerdeführer – der Regelungskonzeption des § 55 Abs. 1 StPO entsprechend – auf die Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts gegenüber einzelnen Fragen verwiesen und ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht abgelehnt haben.
II.
Durch die Nichtannahmeentscheidung wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. § 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2337129 |
wistra 2010, 2 |
wistra 2010, 299 |
DSB 2010, 20 |
Kriminalistik 2011, 94 |
NPA 2011 |