Verfahrensgang
SG Gießen (Beschluss vom 18.10.2010; Aktenzeichen S 14 AL 207/07) |
Tenor
1. Der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 18. Oktober 2010 – S 14 AL 207/07 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit der Beschwerdeführer über das Auftreten in der Verhandlung hinaus als Prozessbevollmächtigter der Kläger zurückgewiesen wird. Insoweit wird der Beschluss aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Gießen zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Vertretung eines Beteiligten in einem sozialgerichtlichen Verfahren durch einen Rechtsbeistand.
1. Der Beschwerdeführer ist registrierter Rechtsbeistand und im Besitz einer so genannten Vollerlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Ausweislich der Eintragung im Rechtsdienstleistungsregister erstreckt sich die Erlaubnis „auch auf die Prozessvertretung außerhalb der Verhandlung”.
Im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Gießen vertrat der Beschwerdeführer zwei Kläger. Im August 2007 teilte er dem Gericht mit, er sei zur mündlichen Verhandlung nicht förmlich zugelassen, stelle jedoch „anheim, die nach dortigem Landesrecht erforderlichen Schritte einzuleiten oder ggf. selbst die Zulassung für den vorliegenden Rechtsstreit auszusprechen”. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2010 wies das Gericht ihn als Prozessbevollmächtigten „in dem Klageverfahren” zurück. Es stützte seine Entscheidung auf § 73 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Im Begleitschreiben wies der Vorsitzende den Beschwerdeführer im Hinblick auf einen anberaumten Erörterungstermin darauf hin, dass er über keine Zulassung zur mündlichen Verhandlung für die hessische Sozialgerichtsbarkeit verfüge, weshalb sein Erscheinen zum Termin ein Ausbleiben des Klägers nicht rechtfertigen würde.
Gegen den Beschluss erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung und machte geltend, als Erlaubnisinhaber stehe er gemäß § 3 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz (RDGEG) im Sinne von § 73 SGG einem Rechtsanwalt gleich. Dies reiche für die Wahrnehmung eines Erörterungstermins vollkommen aus. Später übersandte er eine vom Präsidenten des Landessozialgerichts B. am 19. Oktober 2007 ausgestellte Urkunde über die Erlaubnis, „vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit des Landes B., dem Sozialgericht B. und dem Landessozialgericht B. im Rahmen seiner Vollzulassung vom 29. Oktober 1970 als Rechtsbeistand mündlich zu verhandeln”.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2010 wies das Gericht die Gegenvorstellung zurück. Die vom Präsidenten des Landessozialgerichts B. erteilte Erlaubnis reiche nicht aus; allein der Präsident des Hessischen Landessozialgerichts sei dafür zuständig, Personen nach § 157 Abs. 3 Satz 1 ZPO (a.F.) in Verbindung mit § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG (a.F.) das mündliche Verhandeln vor den hessischen Sozialgerichten zu gestatten. Die vom Beschwerdeführer übersandte Urkunde beziehe sich nur auf das Landessozialgericht B. und die Sozialgerichte in B. und B.; der weitere Schriftverkehr werde künftig unmittelbar mit den Klägern erfolgen.
Mit einem weiteren Schreiben verwies der Beschwerdeführer abermals auf seine Zulassung nach dem Rechtsberatungsgesetz und bat den Vorsitzenden darum, ihn zum Erörterungstermin zuzulassen, weil es sich dabei nicht um eine mündliche Verhandlung handele. Anderenfalls möge der Beschluss vom 18. Oktober 2010 zumindest dahingehend korrigiert werden, dass er sich nur auf die mündliche Verhandlung beziehe. Dies lehnte der Vorsitzende ab.
2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 und Art. 12 GG. Das Gericht hätte ihn – selbst bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung – nur von der mündlichen Verhandlung ausschließen dürfen, nicht aber umfassend von der Prozessvertretung. Er sei auch befugt, in einem Erörterungstermin aufzutreten, denn ein solcher Erörterungstermin sei keine mündliche Verhandlung. Selbst wenn man die Erörterung als mündliche Verhandlung ansehen würde, wäre er als registrierter Rechtsbeistand nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RDGEG zur Vertretung im sozialgerichtlichen Verfahren befugt; darüber hinaus erfülle er die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RDGEG. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Rechts der Rechtsberatung gegen das Übermaßverbot verstoßen habe, weil die Anfechtung von Zurückweisungsbeschlüssen ausgeschlossen worden sei. Die vom Sozialgericht für gerechtfertigt gehaltene örtliche Beschränkung des Tätigwerdens auf die Länder B. und B. stelle ebenfalls einen ungerechtfertigten Verstoß gegen Art. 12 GG dar.
3. Zur Verfassungsbeschwerde haben die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein e.V. Stellung genommen. Das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Die Bundesrechtsanwaltskammer vertritt die Auffassung, für eine generelle Zurückweisung des Beschwerdeführers als Prozessbevollmächtigter gebe es keine gesetzliche Grundlage, so dass eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG vorliege. Die Befugnis des Beschwerdeführers, im Verfahren vor dem Sozialgericht auch in der mündlichen Verhandlung aufzutreten, scheitere dagegen wohl an der fehlenden Registrierung dieser Befugnis im Rechtsdienstleistungsregister. Deshalb könne offen bleiben, ob der Beschwerdeführer aufgrund der vom Präsidenten des Landessozialgerichts B. erteilten Erlaubnis einen Anspruch darauf habe, mit einer Befugnis zum Auftreten vor den Sozialgerichten bundesweit registriert zu werden.
Auch der Deutsche Anwaltverein e.V. hält die Verfassungsbeschwerde für teilweise begründet. Die Zurückweisung des Beschwerdeführers als Prozessbevollmächtigter außerhalb der mündlichen Verhandlung verstoße gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit der Beschwerdeführer die Zurückweisung als Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung rüge, sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. § 73 SGG und § 3 RDGEG seien mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Unanfechtbarkeit der Zurückweisung verstoße auch nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Akte des Ausgangsverfahrens ist beigezogen worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zur Entscheidung anzunehmen.
1. Soweit der Beschwerdeführer seine Zurückweisung als Vertreter des Klägers in der mündlichen Verhandlung und die Unanfechtbarkeit des angegriffenen Beschlusses rügt, liegen die Voraussetzungen für eine Annahme nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit unzulässig.
Soweit es um die Vertretung in der mündlichen Verhandlung geht, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Danach sind über die Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle bestehenden Möglichkeiten zu nutzen, um die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten zu beseitigen. Dies hat der Beschwerdeführer nicht beachtet. Er beruft sich zwar auf § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 RDGEG und den Inhalt der ihm erteilten Erlaubnisse. Die ihm nach dem Rechtsberatungsgesetz erteilte Erlaubnis umfasst aber ausdrücklich nur die Prozessvertretung außerhalb der Verhandlung; die Erlaubnis nach § 73 Abs. 6 SGG a.F. in Verbindung mit § 157 Abs. 3 ZPO a.F. betrifft nur die Vertretung vor Sozialgerichten in den Ländern B. und B.. Um eine Erlaubnis, die auch das mündliche Verhandeln vor hessischen Sozialgerichten umfasst, hat der Beschwerdeführer sich offenbar nicht in geeigneter Weise bemüht. Auch auf eine entsprechende Registrierung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 3 RDGEG hat er nicht hingewirkt.
Außerdem ist die Verfassungsbeschwerde, soweit es um das mündliche Verhandeln vor Gericht geht, nicht hinreichend substantiiert begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Es fehlt insbesondere an der notwendigen Auseinandersetzung mit den maßgeblichen Bestimmungen. Der Beschwerdeführer geht weder auf Inhalt, Sinn und Zweck von § 73 Abs. 6 SGG a.F. in Verbindung mit § 157 ZPO a.F. noch auf die nunmehr unmittelbar maßgebliche Regelung in § 3 RDGEG ausreichend ein. Vor allen Dingen setzt er sich nicht damit auseinander, dass § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RDGEG eine Übergangsvorschrift darstellt, die den bisherigen Erlaubnisinhabern lediglich aus Gründen des Bestandsschutzes den Rechtsstatus sichern soll, den sie bei der Änderung des Vertretungsrechts innehatten (vgl. BTDrucks 16/3655, S. 79; zur Vertretungsbeschränkung vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2010 – 1 BvR 1632/10 –, NJW 2010, S. 3291). Weshalb sich aus Verfassungsrecht ein Anspruch auf Ausweitung des bisherigen Tätigkeitsfeldes ergeben soll, lässt die Verfassungsbeschwerde offen. Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass das Sozialgericht seinen Ausschluss von der Vertretung in der Verhandlung auch auf Erörterungstermine im Sinne von § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG erstreckt, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nichts für eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht entnehmen.
Soweit der Beschwerdeführer die Unanfechtbarkeit des angegriffenen Beschlusses rügt, fehlt es ebenfalls an einer hinreichend substantiierten Begründung.
2. Soweit der Beschwerdeführer seine generelle, über das Auftreten in der Verhandlung hinausgehende Zurückweisung als Prozessbevollmächtigter der Kläger angreift, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung seiner Grundrechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
a) Insoweit liegt eine Verletzung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit vor.
Die Zurückweisung als Bevollmächtigter greift in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers ein. Ein solcher Eingriff setzt nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG eine gesetzliche Grundlage voraus. Das Sozialgericht hat den Ausschluss des Beschwerdeführers zunächst auf § 73 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 SGG gestützt, später in seiner Entscheidung über die Gegenvorstellung der Sache nach auch auf § 3 Abs. 3 Satz 1 RDGEG. Dies hält einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Auslegung und Anwendung des Gesetzes sind Aufgabe der Fachgerichte und werden vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung einer Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪257 f.≫ m.w.N.). Dazu kann es im Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 GG insbesondere dann kommen, wenn bei Auslegung und Anwendung der entscheidungserheblichen Norm die typischen Merkmale einer Berufstätigkeit nicht gewürdigt oder die grundrechtlichen Belange mit den entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen nicht in ein angemessenes Verhältnis gebracht worden sind (vgl. BVerfGE 97, 12 ≪27≫).
bb) So liegt es hier. Bei der Prüfung der Voraussetzungen von § 3 Abs. 2 RDGEG hat das Sozialgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer als Rechtsbeistand im Besitz einer Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz ist, die ausdrücklich die Prozessvertretung außerhalb der Verhandlung erfasst und die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RDGEG weiterhin Wirkung entfaltet. Auch hat es übersehen, dass bei der Anwendung des § 3 Abs. 2 RDGEG zwischen der gerichtlichen Vertretung im Allgemeinen und dem Auftreten in der Verhandlung zu unterscheiden ist.
Der Beschwerdeführer übt den Beruf eines Vollrechtsbeistands aus. Den Neuzugang zu diesem Beruf hat der Gesetzgeber zwar bereits im Jahr 1980 geschlossen (vgl. dazu BVerfGE 75, 246), nach altem Recht erteilte Vollerlaubnisse sind davon aber unberührt geblieben. Auch nach der neuerlichen Reform mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl I S. 2840) haben ihre Inhaber die Möglichkeit behalten, im Umfang ihrer bisherigen Erlaubnis tätig zu werden (§ 1 Abs. 3 RDGEG). Dass eine solche Erlaubnis grundsätzlich auch die Vertretung in einem gerichtlichen Verfahren umfassen kann, bringt § 3 Abs. 2 RDGEG deutlich zum Ausdruck.
Mit der Unterscheidung zwischen der gerichtlichen Vertretung im Allgemeinen und dem Auftreten in der Verhandlung knüpft § 3 Abs. 2 RDGEG an den bis zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts geltenden Rechtszustand an. Mit § 157 ZPO a.F. hatte der Gesetzgeber die Vertretung in der mündlichen Verhandlung durch Personen, die die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vor Gericht geschäftsmäßig betrieben, von einer besonderen Erlaubnis abhängig gemacht. Diese Regelung bezog sich aber nur auf die mündliche Verhandlung. Von einer Ausweitung der Vertretungsbeschränkung auf das gerichtliche Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung hatte der Gesetzgeber bewusst abgesehen, weil keine Unsicherheit über Wirksamkeit von Prozesshandlungen und Zustellungen entstehen sollte (vgl. Begründung zu § 255 des Entwurfs einer Zivilprozeßordnung, Berlin 1931, S. 318 ff.; BTDrucks 16/3655, S. 85 f.). Deshalb wurde die Vorschrift allgemein so verstanden, dass Rechtsbeistände auch ohne gesonderte Erlaubnis nach § 157 Abs. 3 ZPO a.F. im gerichtlichen Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung vertreten durften (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 157 Rn. 5; Smid, in: Wieczorek/Schütze, Zivilprozessordnung und Nebengesetze, Zweiter Band, 1. Teilband, 3. Aufl. 2007, § 157 Rn. 2; Roth, in: Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, Bd. 3, 22. Aufl. 2005; § 157 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 66. Aufl. 2008, § 157 Rn. 15; Reichold, in: Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 28. Aufl. 2007, § 157 Rn. 2). § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG a.F. ordnete für die Zurückweisung von Bevollmächtigten und Beiständen die entsprechende Geltung von § 157 ZPO a.F. an. Auch das Bundessozialgericht ging in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Rechtsbeistand, dem das mündliche Verhandeln vor Gericht nicht eigens gestattet war, deshalb nicht auch von der Vertretung beim Schriftverkehr mit dem Gericht ausgeschlossen wurde (vgl. BSG, Beschluss vom 27. November 1957 – 3 RJ 56/55 –, juris; Beschluss vom 30. Dezember 1959 – 3 RJ 248/59 –, juris; Urteil vom 28. November 1975 – 4 RJ 85/75 –, SGb. 1977, S. 200 m.w.N.; vgl. auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. 2005, VI. Kap. Rn. 42; Keller/Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 73 Rn. 11; Rennen/Caliebe, Rechtsberatungsgesetz, 3. Aufl. 2001, Art. 1 § 1 Rn. 182 f.). Zustellungen seien in diesem Fall weiter an den Bevollmächtigten zu richten (vgl. BSG, Beschluss vom 30. Dezember 1959, a.a.O.). Soweit dagegen vereinzelt eingewandt wurde, die in § 157 ZPO a.F. angelegte Differenzierung zwischen der Vertretung in der Verhandlung und der Vertretung im Übrigen sollte nicht auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragen werden, weil dort – anders als im Zivilprozess – dem schriftlichen Vorbringen eine deutlich größere und eigenständigere Bedeutung zukomme (vgl. Farnsteiner, SGb. 1977, S. 202), lässt diese Auffassung außer Acht, dass die Beschränkung des § 157 ZPO a.F. auf die mündliche Verhandlung gerade nicht auf deren herausgehobener Bedeutung gegenüber dem schriftlichen Vorbringen beruhte und dass der Gesetzgeber aus den oben genannten Gründen bewusst von einer Ausweitung der Vertretungsbeschränkung auf das gerichtliche Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung abgesehen hatte. Soweit die Annahme, § 73 Abs. 6 SGG a.F. in Verbindung mit § 157 ZPO a.F. habe auch den schriftlichen Vortrag im sozialgerichtlichen Verfahren erfasst, mit der Streichung des Wortes „mündlichen” in § 157 Abs. 1 ZPO a.F. durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses begründet wurde (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Aufl. 2002, § 73 Rn. 10d; Littmann, in: Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2006, § 73 Rn. 16), wird übersehen, dass es sich insoweit um eine Folgeänderung wegen der Einführung der Güteverhandlung im Zivilprozess handelte, die lediglich der Klarstellung diente, dass § 157 Abs. 1 ZPO a.F. auch für die Güteverhandlung gelten sollte (vgl. BRDrucks 536/00, S. 202 f.).
Im Fall des Beschwerdeführers kommt hinzu, dass sich seine nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RDGEG maßgebliche Rechtsberatungserlaubnis ausdrücklich „auf die Prozessvertretung außerhalb der Verhandlung” erstreckt. Vor diesem Hintergrund ist es mit der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht vereinbar, dass das Sozialgericht ihm nicht nur das mündliche Verhandeln verweigert, sondern ihn darüber hinaus insgesamt von der Vertretung ausgeschlossen hat.
b) Für eine Prüfung am Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit bleibt kein Raum; Art. 2 Abs. 1 GG ist gegenüber Art. 12 Abs. 1 GG subsidiär (vgl. BVerfGE 9, 73 ≪77≫; 105, 252 ≪279≫; stRspr).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG und berücksichtigt den teilweisen Erfolg der Verfassungsbeschwerde.
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen
NJW 2011, 3285 |
NZS 2012, 102 |
SGb 2011, 513 |