Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweispflicht nach § 265 StPO; Rechtstaatsprinzip; Sicherungsverwahrung
Beteiligte
Rechtsanwalt Prof. Dr. Gunter Widmaier |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt ihr nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 ≪25, 26≫). Die angegriffenen Entscheidungen sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
1. Die Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe durch Verletzung der Hinweispflicht (§ 265 StPO) seinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, ist nicht zulässig erhoben. Der Beschwerdeführer hat es versäumt darzulegen, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte.
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nur Erfolg haben, wenn die angegriffene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht, d. h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder zu einer anderen rechtlichen Würdigung veranlasst hätte (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19 f.≫). Daher ist der aus § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungspflicht nur genügt, wenn der Begründung der Verfassungsbeschwerde entnommen werden kann, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪20≫; 91, 1 ≪25 f.≫; stRspr).
Daran fehlt es hier. Die Beschwerdeschrift enthält nur den Hinweis auf „weiter gehende Möglichkeiten” der Verteidigung und erwähnt einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sowie den Vortrag „zusätzliche(r) Ausführungen und Argumente”; dies genügt in Ermangelung jeglichen konkreten Sachvortrags nicht, um die Möglichkeit eines Beruhens der gerichtlichen Sachentscheidung auf der behaupteten Gehörsverletzung aufzuzeigen.
2. Die Rüge der Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf ein faires und rechtsstaatliches Strafverfahren, das zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt (vgl. BVerfGE 101, 397 ≪405≫), ist unbegründet.
Über die Grenzen der speziellen Verfahrensgrundrechte hinaus gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG dem Beschuldigten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren (vgl. BVerfGE 26, 66 ≪71≫; 38, 105 ≪111≫; 40, 95 ≪98 f.≫; 57, 250 ≪274 f.≫; 63, 45, ≪60≫; stRspr). Zwar enthält dieses allgemeine Prozessgrundrecht keine ins Einzelne gehenden Gebote und Verbote (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪275 f.≫). Der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch schützt aber das Vertrauen des Beschuldigten, dass das Gericht sich nicht widersprüchlich verhält (vgl. BVerfGE 69, 381 ≪387≫; 78, 123 ≪126≫; BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Dezember 1995 – 2 BvR 2033/95 –, NStZ-RR 1996, S. 138).
Ein solcher Vertrauenstatbestand liegt hier nicht vor.
Der Beschwerdeführer konnte angesichts der Besonderheiten des Einzelfalls in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht trotz fehlenden Hinweises nicht davon ausgehen, dass das Landgericht die Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht ziehen werde. Der Beschwerdeführer hatte eine Serie schwerer Sexualstraftaten an Frauen und Mädchen unterschiedlichen Alters begangen. Für jede dieser Taten drohte ihm eine empfindliche Freiheitsstrafe. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Maßregel der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 2 StGB) lag daher nahe. Die Staatsanwaltschaft hatte noch im Ermittlungsverfahren einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage der Sicherungsverwahrung beauftragt und einen entsprechenden Hinweis in die dem Beschwerdeführer übersandte Anklageschrift aufgenommen. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Schlussvortrag neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren die Sicherungsverwahrung beantragt. Dem Beschwerdeführer und seinem Verteidiger musste damit klar sein, dass das Gericht über diesen Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden werde. Bei dieser Sachlage konnte der Beschwerdeführer nicht darauf vertrauen, dass das Gericht die Maßregel der Sicherungsverwahrung nicht verhängen werde.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen