Verfahrensgang
Tenor
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft gerichtliche Entscheidungen über den Antrag eines Gefangenen, die Vollzugsanstalt zu verpflichten, ihn in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen.
I.
1. Der Beschwerdeführer befindet sich in der Justizvollzugsanstalt Celle zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Zwei Drittel der Strafe werden am 9. Januar 2008 verbüßt sein. Der für den Beschwerdeführer erstellte Vollzugsplan befürwortet seit August 2004, mit Fortschreibungen vom Februar und Juli 2005, die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung gemäß § 9 Abs. 2 StVollzG. Seit Juli 2004 hat der Beschwerdeführer mit Schreiben an sozialtherapeutische Einrichtungen erfolglos versucht, einen Therapieplatz für sich zu finden. In den beiden Vollzugsplanfortschreibungen aus dem Jahr 2005 sind diese Versuche jeweils mit dem Vermerk dokumentiert, der Beschwerdeführer habe sich bereits mehrfach vergeblich um Aufnahme in einer sozialtherapeutischen Anstalt bemüht.
2. Am 19. März 2005 beantragte der Beschwerdeführer bei der Vollzugsanstalt, ihn in eine sozialtherapeutische Anstalt oder Abteilung zu verlegen. Er habe zuerst leichtgläubig den Versicherungen des psychologischen Dienstes vertraut, dass es nicht Pflicht der Justizvollzugsanstalt, sondern allein seine Aufgabe sei, sich um einen Therapieplatz zu kümmern. Die Auffassung, dass er als Betroffener selbst bei allen Abteilungen oder Anstalten, die ihm in Frage zu kommen schienen, eine Aufnahme zu beantragen habe, widerspreche jedoch der gesetzlichen Vorschrift des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG, die derartiges nicht vorsehe. Die nach § 9 Abs. 2 StVollzG notwendige Zustimmung der sozialtherapeutischen Anstalt könne seinem Verlegungsantrag nicht entgegengehalten werden, da die Zustimmung durch die Aufsichtsbehörde ersetzt werden könne. Eine Alternative zur Verlegung in die Sozialtherapie bestehe nicht. Die Einweisungskommission habe festgestellt, dass Maßnahmen des sozialen Trainings innerhalb der Justizvollzugsanstalt keinen Erfolg versprächen. Für die Durchführung sozialtherapeutischer Maßnahmen innerhalb der Justizvollzugsanstalt Celle fehlten nach Mitteilung der Psychologin, Frau P…, die notwendigen Voraussetzungen.
3. Unter dem 15. Juni 2005 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Lüneburg,
1. die Anstalt zu verpflichten, die bereits im Vollzugsplan vom 3. August 2004 festgeschriebene Behandlungsmaßnahme der Sozialtherapie durch die gleichfalls zugesagte Verlegung in eine entsprechende sozialtherapeutische Behandlungseinrichtung ohne weiteren Zeitverzug vorzunehmen, und
2. die Vollzugsbehörde zu verpflichten, seinen am 19. März 2005 in diesem Sinne gestellten Verlegungsantrag, der bislang unbeantwortet geblieben sei, unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer zu bescheiden.
Ihm sei fälschlich mitgeteilt worden, er selbst müsse die Behandlungsvoraussetzungen für die Sozialtherapie schaffen. Dazu sei ihm eine Anschriftenliste der sozialtherapeutischen Anstalten ausgehändigt und erklärt worden, er solle sich zur Dokumentation seiner Therapiemotivation selbst dort bewerben. Diesem Hinweis sei er gefolgt, habe aber feststellen müssen, dass die von ihm angeschriebenen Anstalten entweder nur Sexualstraftäter aufnähmen oder seine Aufnahme mit der Begründung ablehnten, die Mittel und Programme seien für seine Behandlung nicht ausgelegt. Die Vollzugsbehörde habe seit August 2004 keine Anstalten unternommen, die Voraussetzungen für die bei ihm angezeigte Therapie zu schaffen. Der psychologische Dienst habe ihm im November 2004 lediglich mitgeteilt, er könne sich um einen Therapieplatz in Straubing/Bayern bewerben. Dies habe sich als Fehlinformation erwiesen, da in Straubing ausschließlich Sexualstraftäter aufgenommen würden.
Auf einen von ihm gestellten Antrag, sozialtherapeutische Behandlungsmaßnahmen innerhalb der Justizvollzugsanstalt Celle einzuleiten bzw. Alternativen zu prüfen, habe er am 4. März 2005 eine Absage erhalten mit der Begründung, dass die gewünschten Therapiemaßnahmen nur im Rahmen einer sozialtherapeutischen Anstalt durchzuführen und in der Justizvollzugsanstalt Celle die Bedingungen dafür nicht gegeben seien.
Insgesamt sei festzustellen, dass die Justizvollzugsanstalt sich um die Umsetzung der von ihr als notwendig erachteten Maßnahmen nicht bemüht habe. Die Verlegung anzuordnen, obliege dem Leiter der Justizvollzugsanstalt. Eine fehlende Zustimmung der aufnehmenden Einrichtung könne durch die Aufsichtsbehörde ersetzt werden. Dies setze jedoch die Verlegungsanordnung voraus, die nie erfolgt sei. Die an ihn gestellte Anforderung, sich um einen Therapieplatz zu bemühen, habe keine gesetzliche Grundlage. Die Justizvollzugsanstalt habe sich damit dem gesetzlichen Auftrag entzogen, der sie verpflichte, für eine notwendige Behandlungsmaßnahme die Voraussetzungen zu schaffen. Die Umsetzung der Verlegungsmaßnahme sei dringend geboten. Die niedersächsische Ausführungsverordnung zur Sozialtherapie gehe von einer Verlegung spätestens zwei, frühestens vier Jahre vor dem frühestmöglichen Entlassungszeitpunkt aus. In seinem Fall sei der Zweidrittelzeitpunkt am 9. Januar 2008 erreicht. Bedingung für seine Entlassung zu diesem Zeitpunkt sei eine positive Legalprognose, die nur dann erfolgen könne, wenn die notwendigen Persönlichkeitsveränderungen durch eine bis dahin abgeschlossene erfolgreiche Therapie erreicht worden seien.
4. Die Vollzugsanstalt machte geltend, eine Verlegung könne nicht erfolgen, weil es an der nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG erforderlichen Zustimmungserklärung des Leiters einer aufnahmebereiten sozialtherapeutischen Einrichtung fehle. In Niedersachsen gebe es keine übergeordnete Stelle, die zwangsweise eine Einweisung in eine sozialtherapeutische Einrichtung verfügen könne. Eine Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung der Vollzugsanstalt Straubing sei vom Beschwerdeführer abgelehnt worden, da er aufgrund der reduzierten Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten Angst um den Bestand seiner Ehe gehabt habe.
5. Das Landgericht Lüneburg wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 26. August 2005 als unbegründet zurück. Die Justizvollzugsanstalt Celle handele ermessensfehlerfrei, wenn sie derzeit eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt nicht anordne. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG bedürfe die Verlegung der Zustimmung des Leiters der aufnehmenden sozialtherapeutischen Anstalt. Eine solche Zustimmung liege bislang nicht vor. Ob die Vollzugsanstalt den Beschwerdeführer in seinen Bemühungen, die Aufnahme in eine sozialtherapeutische Anstalt zu erreichen, ausreichend unterstützt habe, sei in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Bei dem vom Beschwerdeführer geforderten Bemühen um seine Aufnahme in eine sozialtherapeutische Anstalt handele es sich nicht um eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges. Anfechtbar wären gegebenenfalls die Bescheide der die Aufnahme ablehnenden sozialtherapeutischen Anstalten.
6. Die gegen diesen Beschluss erhobene Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 1. November 2005 als unzulässig. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG seien nicht gegeben. Der Senat halte an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Zustimmung des Leiters einer sozialtherapeutischen Anstalt nach § 9 Abs. 2 StVollzG kein verwaltungsinterner Vorgang, sondern eine selbständig anfechtbare Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG sei. Die Frage, ob eine Ablehnung der Aufnahme des Gefangenen allein wegen Erschöpfung der Kapazitäten der sozialtherapeutischen Anstalt rechtmäßig sei, sei daher in dem vorliegenden Verfahren nicht zu überprüfen.
7. Die sozialtherapeutische Einrichtung der Justizvollzugsanstalt Lingen lehnte mit Bescheid vom 19. September 2005 ein Aufnahmeersuchen des Beschwerdeführers unter Hinweis auf fehlende Behandlungskapazitäten ab; wegen des Behandlungsanspruchs der nach § 9 Abs. 1 StVollzG zu verlegenden Gefangenen sei die Aufnahmemöglichkeit für Bewerber nach § 9 Abs. 2 StVollzG stark eingeschränkt, so dass lange Wartelisten geführt würden. Gegen diesen Bescheid wandte der Beschwerdeführer sich mit einem Antrag nach § 109 StVollzG an das Landgericht Osnabrück. Das Landgericht Osnabrück wies diesen Antrag mit Beschluss vom 28. November 2005 als unzulässig zurück. Die Versagung der Zustimmung des Leiters einer sozialtherapeutischen Einrichtung sei eine verwaltungsinterne Maßnahme, die vom Gefangenen nicht gesondert angefochten werden könne. Grundsätzlich sei die Vollzugsanstalt Celle für die Verlegung des Beschwerdeführers zuständig.
II.
1. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 26. August 2005 sowie den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 1. November 2005. Er macht geltend, die Gerichte hätten entgegen ihrer Verpflichtung, dem erkennbaren Interesse eines Antragstellers bestmöglich Rechnung zu tragen, sein Antragsbegehren zu eng ausgelegt. Sein erkennbares Interesse sei auf die Aufnahme der als notwendig erachteten Behandlungsmaßnahme gerichtet gewesen. Sowohl die Strafvollstreckungskammer als auch das Oberlandesgericht hätten demgegenüber das von ihm verfolgte Rechtsschutzziel auf die Frage verkürzt, ob die Vollzugsbehörde verpflichtet gewesen sei, eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt ohne Zustimmung deren Leiters anzuordnen. Sowohl die Behandlungsmaßnahme selbst als auch eine damit notwendigerweise verbundene Verlegung in eine Behandlungseinrichtung sei in mehreren Vollzugsplänen festgeschrieben gewesen; die Vollzugsbehörde sei damit eine Selbstbindung eingegangen. Es sei nicht seine Aufgabe, sich um die Aufnahmezustimmung des Leiters einer sozialtherapeutischen Einrichtung zu bemühen und die Voraussetzungen für seine Behandlung zu schaffen. Insbesondere könne nicht von ihm verlangt werden, gegen jede Aufnahmeverweigerung selbst gesondert vorzugehen.
Den vom Beschwerdeführer überdies gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG hat die Kammer abgelehnt.
2. Das Niedersächsische Justizministerium hatte Gelegenheit zur Äußerung; es hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 49, 329 ≪340 ff.≫; 84, 34 ≪49≫; 101, 397 ≪407≫). Dies gilt auch, soweit es um die gebotene Berücksichtigung rechtlich geschützter Interessen im Rahmen behördlicher Ermessensentscheidungen geht (vgl. BVerfGE 113, 273 ≪310≫).
Die Garantie wirksamen Rechtsschutzes schließt gewisse Erschwerungen des Zugangs zu den Gerichten durch sachgerechte prozessrechtliche Anforderungen – vor allem solche, die einer geordneten Rechtspflege und damit ebenfalls der Wirksamkeit des Rechtsschutzes dienen – nicht aus. Dabei müssen jedoch die Grenzen des für den Rechtsschutzsuchenden Zumutbaren gewahrt bleiben. Der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz darf nicht in unverhältnismäßiger, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise beschränkt werden (vgl. BVerfGE 10, 264 ≪267 f.≫; 88, 118 ≪123 f.≫; stRspr).
Art. 19 Abs. 4 GG gebietet daher zunächst den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird. Legt etwa ein Gericht den Verfahrensgegenstand in einer Weise aus, die das vom Antragsteller verfolgte Rechtsschutzziel ganz oder in wesentlichen Teilen außer Betracht lässt, so liegt darin eine Rechtswegverkürzung, die den Rechtsanspruch des Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzt (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 1997 – 2 BvR 2989/95 –, Juris, und vom 26. Oktober 1993 – 2 BvR 1004/93 –, StV 1994, S. 201; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2002 – 2 BvR 553/01 –, NJW 2002, S. 2699 ≪2700≫).
Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz hat jedoch nicht nur Bedeutung für die Auslegung und Anwendung des Prozessrechts. Der von Art. 19 Abs. 4 GG vermittelte Anspruch beschränkt sich nicht auf die gerichtliche Kontrolle und das gerichtliche Verfahren; das Grundrecht verbietet vielmehr auch über das Verfahrensrecht der Gerichte hinaus Maßnahmen, die geeignet sind, den Rechtsschutz der Betroffenen zu vereiteln, auch außerhalb des Prozessrechts (vgl. BVerfGE 100, 313 ≪364≫ m.w.N.).
2. Diesen Maßstäben hat das Landgericht nicht Rechnung getragen.
Die Zurückweisung der vom Beschwerdeführer gestellten Anträge stützt sich auf die Annahme, bei Nichtvorliegen der nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG erforderlichen Zustimmung des Leiters einer aufnehmenden Anstalt könne, eben wegen des Fehlens dieser Zustimmung, eine auf Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt zielende Verpflichtungsklage gegen die Justizvollzugsanstalt, in der der Gefangene sich regulär befindet, keinen Erfolg haben. Seinen – unumstrittenen und auch vom Landgericht vorausgesetzten – Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die beantragte Verlegung (vgl. OLG Celle, NStZ 2000, S. 167; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 9 Rn. 3; Arloth/Lückemann, StVollzG, 2004, § 9 Rn. 16) kann der Betroffene nach Auffassung des Landgerichts (nur) durchsetzen, indem er etwaige Bescheide angreift, mit denen seitens sozialtherapeutischer Anstalten die erforderliche Zustimmung verweigert wird.
a) Mit dieser Auslegung wird dem Beschwerdeführer die Erlangung wirksamen Rechtsschutzes in unzumutbarer Weise erschwert. Das Landgericht verweist ihn für die Durchsetzung von Ansprüchen, die die begehrte Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt betreffen, auf die Notwendigkeit, zunächst die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG erforderliche Zustimmung des Leiters einer solchen Anstalt einzuklagen.
aa) In einem Land wie Niedersachsen, in dem es mehrere therapeutische Einrichtungen gibt, hat der Verweis auf diesen Weg der Rechtsdurchsetzung zur Folge, dass ein Gefangener, der nur eine Verlegung innerhalb des Landes erstrebt, unter Umständen mehrere Antrags- und – nach Zugang der jeweiligen Zustimmungsversagung – Klageverfahren durchführen muss. Anschließend wird womöglich auch im Erfolgsfall noch ein weiteres Verfahren gegen die Anstalt nötig, die über die Verlegung primär zu entscheiden hat und die noch andere Gründe als den der fehlenden Zustimmung dafür haben kann, ihr Ermessen bezüglich konkreter Verlegungsanträge nicht im Sinne des betreffenden Gefangenen auszuüben. Da in Fällen wie hier vorläufiger Rechtsschutz regelmäßig nicht in Betracht kommen wird und in der Hauptsache mit einer erheblichen Verfahrensdauer gerechnet werden muss, wird auf diese Weise ein zeitgerechtes Vordringen zu einer Entscheidung häufig nicht möglich sein. In jedem Fall wird der Betroffene, dem an einem zeitgerechten Abschluss seiner Bemühungen um Rechtsschutz gelegen ist, auf ein soweit wie möglich paralleles Betreiben der in Frage kommenden Klageverfahren gedrängt, das nicht nur die Gerichte, sondern auch ihn selbst erheblich belastet.
bb) Hinzu kommt, dass die Rechtsauffassung des Landgerichts den Gefangenen, der sich um die Durchsetzung seines Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt bemüht, mit erheblichen und ungewöhnlichen Schwierigkeiten für den Fall belastet, dass diese Rechtsauffassung anderenorts nicht geteilt wird.
Will der Gefangene seinen Rechtsanspruch auf dem Weg verfolgen, auf den ihn das Landgericht verweist, so muss er, wenn er bei einer sozialtherapeutischen Anstalt außerhalb des Landgerichtsbezirks seiner Stammanstalt erfolglos die Zustimmung des Anstaltsleiters zu seiner Verlegung dorthin beantragt hat, versuchen, die verweigerte Zustimmung bei einem anderen Landgericht einzuklagen, nämlich bei dem, in dessen Bezirk die betreffende Anstalt ihren Sitz hat (§ 110 Satz 1 StVollzG). Stellt dieses Gericht sich auf den Standpunkt, dass es sich bei der Zustimmung des Leiters einer aufnehmenden Anstalt nicht um eine selbständig einklagbare Maßnahme im Sinne des Strafvollzugsgesetzes (§ 109 Abs. 1 Satz 2 StVollzG), sondern um ein Verwaltungsinternum handelt – mit der Folge, dass eine auf Verlegung zielende Klage nur gegen die Stammanstalt gerichtet werden kann –, so sitzt der Gefangene zwischen allen Stühlen. Während das für Klagen gegen seine Stammanstalt zuständige Landgericht ihn auf den Weg des Einwerbens einer Zustimmung und gegebenenfalls der Klage gegen die potentiell aufnehmende Anstalt verweist, deren Leiter die Zustimmung verweigert hat, verweist das für die potentiell aufnehmende Anstalt zuständige Landgericht ihn auf den Weg der Klage gegen seine Stammanstalt. Genau dies ist dem Beschwerdeführer widerfahren, als er sich, der Rechtsauffassung folgend, die der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts Lüneburg zugrundeliegt, mit einem Aufnahmegesuch an die sozialtherapeutische Einrichtung der Justizvollzugsanstalt Lingen gewandt und die dort verweigerte Zustimmung vor dem Landgericht Osnabrück einzuklagen versucht hat.
Auch wenn die Rechtsordnung gewährleistet, dass bei einander widersprechenden Entscheidungen, die den Rechtsschutzsuchenden in eine solche Situation bringen, der Widerspruch auf die Einlegung von Rechtsmitteln hin letztlich aufgelöst werden kann (§ 121 Abs. 2 GVG), liegt für den betroffenen Gefangenen schon in der Entstehung dieser Situation eine erhebliche Erschwerung und Verzögerung des Rechtsschutzes. Daraus folgt nicht, dass ein derartiger Widerspruch grundsätzlich von vornherein vermieden werden müsste, indem das später entscheidende Gericht seinen Rechtsstandpunkt dem des früher entscheidenden Gerichts anpasst. Kommen aber mehrere Auslegungen in Betracht, von denen nur eine dazu führt, dass sich der Betroffene im nicht auszuschließenden Fall divergierender Rechtsprechung anderer Gerichte in eine Lage versetzt sieht, die er als “kafkaesk” empfinden muss und aus der ihn nur langwierige weitere Gerichtsverfahren wieder befreien können, so ist auch dies bei der Auslegung zu berücksichtigen (zum Auslegungsgesichtspunkt der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen im etwas anders gelagerten Fall der Verlegung nach § 9 Abs. 1 StVollzG vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2004 – 2 ARs 387/04 –, StraFo 2005, S. 86 ≪87≫). Dies gilt besonders, wenn es um den Rechtsschutz in einem Bereich wie dem Strafvollzug geht, in dem die Betroffenen typischerweise nach Bildungsstand, materiellen Ressourcen und Kommunikationsmöglichkeiten für den Umgang mit den Kompliziertheiten der Rechtsordnung nicht gut gerüstet sind.
cc) Wenn ein Gericht geltende Rechtsvorschriften in einer Weise auszulegen gedenkt, die für den Rechtsschutzsuchenden mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, wie sie hier als Folge der Rechtsauffassung des Landgerichts auftreten, muss es prüfen, ob hinreichend gewichtige Gründe die Erschwerung des Rechtsschutzes rechtfertigen. Nur wenn solche hinreichend gewichtigen Gründe vorliegen, kann die Erschwerung dem Rechtsschutzsuchenden zumutbar sein. Solche Gründe sind hier nicht erkennbar.
Die alternative Auslegung, wonach der Gefangene, der in eine andere Anstalt verlegt werden will, eine dazu erforderliche Zustimmung nicht gesondert einzuklagen hat, sondern seinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Verlegung im Klagewege allein gegen seine Stammanstalt verfolgen kann und muss (vgl. Arloth/Lückemann, a.a.O., § 9 Rn. 21; inzwischen auch LG Osnabrück, Beschluss vom 28. November 2005 – 13 StVK 700/05 – siehe auch, gegen die isolierte Anfechtbarkeit der erteilten Zustimmung eines anderen Landes zur Verlegung nach § 8 StVollzG, OLG Hamm, NStZ 1994, S. 256), bietet dem Gefangenen wirksameren Rechtsschutz.
Zwingende Rechtsgründe stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Das für Klagen gegen die Stammanstalt des Gefangenen zuständige Landgericht ist “jedenfalls soweit es um Verlegungen innerhalb eines Landes geht” – nicht gehindert, die ablehnende Entscheidung einer sozialtherapeutischen Anstalt im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG inzident im Rahmen einer auf Verlegung gerichteten Verpflichtungsklage zu überprüfen und die Zustimmung der Aufnahmeanstalt, soweit diese rechtswidrig versagt wurde, zu ersetzen. Für den Verwaltungsprozess ist seit langem anerkannt, dass bei mehrstufigen Verwaltungsakten, bei denen die erlassende Behörde an das Einvernehmen oder die Zustimmung einer anderen Behörde gebunden ist, die Versagung der gesetzlich vorgesehenen behördlichen Mitwirkungshandlung im Rahmen einer auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts gerichteten Verpflichtungsklage inzident überprüft und die versagte Mitwirkungshandlung gegebenenfalls durch das zur Entscheidung berufene Gericht ersetzt werden kann (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 42 Rn. 84 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 14 Aufl., 2005, Anh. § 42 Rn. 82; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 42 Rn. 129; jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Gründe, die gegen eine Übertragung dieser Grundsätze auf das Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG sprechen, das trotz der in § 120 Abs. 1 StVollzG enthaltenen Verweisung auf die Vorschriften der Strafprozessordnung seiner Natur nach Verwaltungsstreitverfahren ist (vgl. Müller-Dietz, Die Strafvollstreckungskammer als besonderes Verwaltungsgericht, in: Festschrift 150 Jahre Landgericht Saarbrücken, 1985, S. 335 ≪340≫), sind nicht ersichtlich.
Zumindest in den Fällen, in denen der Gefangene eine Verlegung innerhalb des Landes anstrebt (zu Fragen, die sich bei angestrebter Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt eines anderen Landes stellen, vgl. Arloth/Lückemann, a.a.O., § 9 Rn. 14), steht einer Ersetzung der Zustimmung der Aufnahmeanstalt durch das Landgericht, in dessen Bezirk die Stammanstalt ihren Sitz hat (§ 110 Satz 1 StVollzG), nicht entgegen, dass eine Beiladung der Aufnahmeanstalt zum Vollzugsverfahren nach dem Wortlaut des § 111 StVollzG nicht vorgesehen ist (vgl. OLG Celle, NStZ 1984, S. 334; Calliess/Müller-Dietz, a.a.O., § 111 Rn. 2; zur Frage einer verfassungskonformen Auslegung Seebode, NStZ 1984, S. 335 ≪336≫). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sowohl die Stammanstalt als auch die sozialtherapeutische Anstalt, in die der Gefangene verlegt werden will, dem gleichen Rechtsträger – hier dem Land Niedersachsen – angehören. Die gemäß § 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG zu beteiligende Stammanstalt handelt lediglich in Prozessstandschaft für die Körperschaft, der sie angehört; eine Entscheidung in dem Rechtsstreit über eine Verlegung gemäß § 9 Abs. 2 StVollzG betrifft nur das Land als Träger des materiellen Rechts, nicht aber die ihm ebenfalls angehörende sozialtherapeutische Anstalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1988 – BVerwG 2 C 62.85 –, BVerwGE 80, 127 ≪128≫). Kommt demnach eine Beteiligung der Aufnahmeanstalt an dem Vollzugsverfahren nicht in Betracht, so ist es Sache des Landes, sicherzustellen, dass die Gründe, die die sozialtherapeutische Anstalt zur Verweigerung der Zustimmung bewegt haben, im gerichtlichen Verfahren von der beteiligten Stammanstalt geltend gemacht werden (vgl. für Fälle des mehrstufigen Verwaltungsakts, in denen eine Beiladung ausscheidet, BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1967 – BVerwG VI C 73.64 –, BVerwGE 26, 31 ≪48≫), und Sache der Strafvollstreckungskammer, bei Bedarf die Möglichkeiten weiterer Sachaufklärung zu nutzen.
Hinreichend gewichtige Gründe für die Erschwerung des Rechtsschutzes, die sich für den Beschwerdeführer ergibt, wenn er verweigerte Zustimmungen von sozialtherapeutischen Anstalten jeweils gesondert bei den für diese Anstalten zuständigen Gerichten einklagen muss, sind auch sonst nicht ersichtlich. Gesichtspunkte einer geordneten Rechtspflege, die die Inkaufnahme von Erschwerungen des Rechtsschutzes rechtfertigen können, weil sie im Ganzen gerade der Wirksamkeit des Rechtsschutzes dienen (vgl. BVerfGE 10, 264 ≪267≫), sprechen nicht für den Weg, auf den das Landgericht den Beschwerdeführer gewiesen hat. Vielmehr ist dieser Weg auch für die Gerichte mit Mehrbelastungen verbunden, die ohne Nutzen bleiben.
b) Angesichts des festgestellten Grundrechtsverstoßes kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG darüber hinaus auch dadurch verletzt ist, dass das Landgericht entgegen dem mit dem Bescheidungsantrag erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel nicht überprüft hat, ob die Vollzugsanstalt sich darauf beschränken durfte, dem Beschwerdeführer eine Anschriftenliste der sozialtherapeutischen Anstalten auszuhändigen, ohne eigene Bemühungen um eine Ermöglichung der Therapie zu entfalten oder die Bemühungen des Beschwerdeführers gezielter zu unterstützen.
IV.
Der Beschluss des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergeht gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen