Verfahrensgang
LG Ulm (Beschluss vom 02.05.2007; Aktenzeichen 2 Qs 2028/07) |
LG Ulm (Beschluss vom 12.04.2007; Aktenzeichen 2 Qs 2028/07) |
AG Ulm (Beschluss vom 08.02.2007; Aktenzeichen 5 BWL 14/05) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Ulm vom 12. April 2007 – 2 Qs 2028/07 – und vom 2. Mai 2007 – 2 Qs 2028/07 – und der Beschluss des Amtsgerichts Ulm vom 8. Februar 2007 – 5 BWL 14/05 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Ulm zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger. Zwischen 1997 und 1999 wurde er insgesamt viermal wegen unerlaubter Einreise bzw. wegen Verstoßes gegen räumliche Beschränkungen des Asylverfahrensgesetzes zu geringen Geldstrafen (zwischen 10 und 30 Tagessätzen) verurteilt. Im Oktober 2000 folgte eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen Beleidigung und im November 2000 eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen wegen Diebstahls.
Mit Urteil vom 23. Februar 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Bewährungsbeschluss vom selben Tag wurde ihm aufgegeben, dem Amtsgericht jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich mitzuteilen. Zugleich wurde er der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Weitere Auflagen oder Weisungen wurden nicht erteilt.
2. Im Februar 2006 konnte der Beschwerdeführer nicht mehr von seinem Bewährungshelfer erreicht werden und auch dem Ausländeramt war nur bekannt, dass seine Aufenthaltsgenehmigung zum 31. März 2007 enden würde. An der, nach seiner Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung in Erfahrung gebrachten, neuen Adresse konnte er ebenfalls nicht angetroffen werden, jedoch meldete er sich im Mai 2006 erstmals bei seinem Bewährungshelfer, um eine wiederum neue Adresse mitzuteilen. Der Kontakt zu seinem Bewährungshelfer endete bereits im Juli 2006 wieder. In der Folgezeit konnte der Beschwerdeführer weder persönlich angetroffen werden noch beantwortete er die Anschreiben seines Bewährungshelfers. Auch auf die Einbestellung zu seinem Bewährungshelfer im Januar 2007 reagierte er nicht.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Februar 2007 widerrief das Amtsgericht die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB. Der Beschwerdeführer sei auch dem gerichtlichen Anhörungstermin am 8. Februar 2007 unentschuldigt fern geblieben. Der Beschwerdeführer habe sich über einen langen Zeitraum der Aufsicht und Leitung seines Bewährungshelfers entzogen. Dieses Verhalten gebe Anlass zu der Besorgnis, dass er erneut Straftaten begehen werde.
4. Die hiergegen eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 12. April 2007 als unbegründet. Das Amtsgericht sei zu Recht von einem groben und beharrlichen Verstoß gegen die Bewährungsauflagen ausgegangen. Dieser biete auch Anlass zu der Besorgnis, dass der Beschwerdeführer neue Straftaten begehen werde. Der ausländerrechtlich berechtigte Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers habe am 31. März 2007 geendet. Es liege nahe, dass sich der Beschwerdeführer durch die Angabe falscher Wohnsitze und sein “Abtauchen” gezielt Behörden und Gerichten entziehen wolle. Es sei zu befürchten, dass der Beschwerdeführer Vorbereitungen getroffen habe, sich nach dem 31. März 2007 unberechtigt – und damit in strafrechtlich relevanter Weise – weiter in Deutschland aufzuhalten. Der Beschwerdeführer sei bereits in der Vergangenheit wiederholt wegen ausländerrechtlicher Straftaten verurteilt worden. Eine positive Prognose könne daher nicht gestellt werden.
5. Mit seiner Anhörungsrüge nach § 33a StPO wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er zu der Einschätzung des Gerichts, es drohten strafbare Verstöße gegen das Ausländerrecht, nicht angehört worden sei. Andernfalls hätte er dem Gericht mitgeteilt, dass seine Aufenthaltserlaubnis zwischenzeitlich – wie erwartet – bis zum 31. August 2008 verlängert worden sei. Allein der Verstoß gegen die ihm erteilten Weisungen rechtfertige den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht.
6. Mit angegriffenem Beschluss vom 2. Mai 2007 stellte das Landgericht fest, dass eine Nachholung des rechtlichen Gehörs sowie eine Abänderung der Entscheidung vom 12. April 2007 nicht geboten seien. Aufgrund der Art, des Gewichts und der Häufigkeit des bewährungswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf sein auch in der Vergangenheit wiederholt aufgetretenes deliktisches Verhalten müsse weiterhin eine negative Prognose gestellt werden. Wer sich innerhalb der Bewährungszeit hartnäckig an keine der ihm erteilten Bewährungsauflagen halte, setze selbst ein negatives Indiz dafür, dass er sich entgegen der in ihn gesetzten Erwartungen in Zukunft nicht “normkonform” verhalten werde. Der im Beschluss vom 12. April 2007 aufgenommene Hinweis auf mögliche ausländerrechtliche Delikte stelle lediglich beispielhaft eine der möglichen Formen von Fehlverhalten dar.
II.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Sinn und Zweck der Auflagen und Weisungen in einem Bewährungsbeschluss sei es, mitzuwirken, dass der Verurteilte keine Straftaten mehr begehe. Es verstoße daher gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, die Bewährung wegen eines Verstoßes gegen Weisungen in der Bewährungszeit zu widerrufen, obwohl der Verurteilte keine Straftaten begangen habe. Auch die Begründung der Prognoseentscheidung widerspreche verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Das Landgericht habe nicht dargelegt, aus welchem Grund die Weisungsverstöße die Begehung weiterer Straftaten besorgen ließen. Die zunächst mit Beschluss vom 12. April 2007 aufgestellte Prognose, es bestehe die Gefahr ausländerrechtlicher Verstöße, sei nicht mehr haltbar gewesen, nachdem der Beschwerdeführer dem Gericht mitgeteilt habe, dass er eine ausländerrechtliche Genehmigung bis 31. August 2008 besitze. Entgegen der Ansicht des Landgerichts im Beschluss vom 2. Mai 2007 ergebe sich die negative Prognose auch nicht allein aus dem Verstoß gegen Bewährungsweisungen. Nach § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB müsse unter Würdigung der Verstöße in ihrer konkreten Bedeutung eine neue Prognose gestellt werden. Hierbei sei der Widerruf nicht als Strafe für einen etwaigen Weisungsverstoß oder allgemeine Disziplinlosigkeit anzusehen. Der Weisungsverstoß allein trage einen Bewährungswiderruf gerade nicht. Auch die Vorverurteilungen des Beschwerdeführers könnten hier nicht herangezogen werden. Seine letzte Vorverurteilung datiere aus dem Jahr 2000. Außerdem habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass vier seiner Vorstrafen ausländerrechtliche Verstöße betroffen hätten, die in die Prognose gerade nicht eingestellt werden könnten.
Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Landgericht seinem Beschluss vom 12. April 2007 Erkenntnisse zugrunde gelegt habe, zu denen sich der Beschwerdeführer nicht habe äußern können. Obwohl der Beschwerdeführer dem Beschluss des Landgerichts vom 12. April 2007 die Grundlage entzogen habe, habe das Landgericht weiter daran festgehalten. Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, weil die Entscheidungen der Gerichte objektiv willkürlich gewesen seien.
III.
1. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hatte Gelegenheit zur Äußerung; es hat von einer Stellungnahme abgesehen.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 25 Js 13176/04 samt Bewährungsheft der Staatsanwaltschaft Ulm vorgelegen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.
a) Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden darf (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe stellt einen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Person dar. Freiheitsbeschränkungen bedürfen einer materiell-gesetzlichen Grundlage.
Die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde hin eingreifen (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 34, 369 ≪379≫). Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Verfehlt ein Gericht diese Maßstäbe, so verletzt es als Träger öffentlicher Gewalt die außer acht gelassenen Grundrechtsnormen; sein Urteil oder Beschluss muss auf eine Verfassungsbeschwerde hin vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden. Die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts sind nicht immer allgemein klar abzustecken; dem richterlichen Ermessen muss ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalls ermöglicht. Allgemein gilt, dass die üblichen Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts so lange der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen sind, als Auslegungsfehler nicht sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Fall von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 ≪93≫).
b) Diesen Maßstäben halten die angegriffenen Beschlüsse nicht stand.
Gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB wird die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, wenn der Verurteilte gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstoßen hat oder sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen werde. Bereits der Wortlaut des Gesetzes stellt klar, dass allein der beharrliche und gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen ihm erteilte Weisungen oder das beharrliche Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht rechtfertigen. Der Bewährungswiderruf ist keine Strafe für den Weisungsverstoß. Maßgeblich ist nach allgemeiner Auffassung vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht (Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007, § 56 f Rn. 11; Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, § 56 f Rn. 7; Münchener Kommentar, Strafgesetzbuch, 2005, § 56 f Rn. 17; KG, Beschlüsse vom 15. Juni 2000 – 1 AR 599/00 – 5 Ws 402/00 u.a. –, juris, und vom 13. September 2000 – 1 AR 962/00 – 5 Ws 593/00 u.a. –, juris; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 25. Oktober 1982, 1 Ws 838/81 – , StV 1983, S. 70 und vom 4. Dezember 1995 – 1 Ws 952/95 –, StV 1996, S. 443 ≪444≫). Die Fachgerichte haben unter Einbeziehung des Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit eine erneute Prognose zu stellen.
Diese tatbestandlichen Voraussetzungen waren den Fachgerichten – wie die angegriffenen Beschlüsse zeigen – zwar bekannt. Sie haben jedoch in Verkennung der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Die Feststellungen der Fachgerichte tragen die Schlussfolgerung, aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers während der Bewährungszeit bestehe die Besorgnis, er werde neue Straftaten begehen, nicht. Die Fachgerichte haben lediglich festgestellt, dass der Beschwerdeführer wiederholt gegen seine Pflicht zur Mitteilung jeden Wohnsitzwechsels verstoßen und sich hartnäckig der Aufsicht seines Bewährungshelfers entzogen habe.
Der Verstoß gegen die Weisung, jeden Wohnungswechsel mitzuteilen und das Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers lässt nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Oktober 1982 – 1 Ws 838/81 –, StV 1983, S. 70 und Beschluss vom 4. Dezember 1995 – 1 Ws 952/95 –, StV 1996, S. 443 ≪444≫; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Februar 1976 – 3 Ws 49/76 –, MDR 1976, S. 505). Das Amtsgericht hat keine weiteren konkreten und objektivierbaren Anhaltspunkte dafür dargelegt, aus welchem Grund der Bewährungsverstoß Anlass zur Besorgnis gibt, der Beschwerdeführer werde weitere Straftaten begehen. Es hat lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt und auf die Häufigkeit und Dauer der Bewährungsverstöße hingewiesen.
Das Landgericht hat zwar mit seinem Beschluss vom 12. April 2007 diesen Begründungsmangel zunächst behoben, indem es darauf hinwies, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit mehrfach gegen ausländerrechtliche Vorschriften verstoßen habe und in Anbetracht seines am 31. März 2007 endenden Aufenthaltsstatus' weitere ausländerrechtliche Straftaten von ihm zu erwarten seien. Dieser Argumentation hat der Beschwerdeführer jedoch durch seine Anhörungsrüge die Grundlage entzogen, indem er mitteilte, seine Aufenthaltserlaubnis sei – wie erwartet – bis zum 31. August 2008 verlängert worden, so dass ausländerrechtliche Straftaten von ihm nicht zu erwarten seien. Dennoch hat sich das Landgericht nicht veranlasst gesehen, seine Beschwerdeentscheidung zu überdenken. Es hat an seinem Beschluss vom 12. April 2007 unter Hinweis auf das auch in der Vergangenheit immer wieder aufgetretene deliktische Verhalten des Beschwerdeführers festgehalten. Hierbei hat sich das Landgericht den Blick dafür verstellt, dass der Beschwerdeführer von 1997 bis 1999 wegen ausländerrechtlicher Delikte verurteilt worden war, die nunmehr aber angesichts des aktuellen ausländerrechtlichen Status' des Beschwerdeführers nicht zu erwarten sind oder waren. Auch seine weiteren Verurteilungen wegen Diebstahls und Beleidigung lagen im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung mehr als sechs Jahre zurück und bewegten sich am untersten Rand der Kriminalität (Verurteilungen zu 10 bzw. 30 Tagessätze). Daraus lässt sich nur schwerlich eine negative Prognose herleiten. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine kriminelle Neigung des Beschwerdeführers zur gewohnheitsmäßigen Begehung von Straftaten, die eine lückenlose Überwachung durch Gericht und Bewährungshelfer erforderte, so dass bereits das Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers konkreten Anlass zur Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten geben könnte. Auch sonstige konkrete Umstände, die die Begehung weiterer Straftaten besorgen ließen, sind weder dargetan noch aus den vorgelegten Akten ersichtlich. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann es auch nicht darauf ankommen, dass sich der Beschwerdeführer während der Bewährungszeit nicht “normkonform” verhalten hat, indem er seine Bewährungsweisungen nicht befolgte. Denn allein der Verstoß gegen die Weisungen rechtfertigt den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung hier nicht.
Die im Einzelnen in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage, ob die Verpflichtung des Verurteilten, dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, eine Weisung im Sinne des § 56c StGB darstellt, die bei einem Verstoß einen Bewährungswiderruf auslösen kann (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Januar 2004 – 1 Ws 12-14/04 –, SchlHA 2005, S. 255; OLG Köln, Beschluss vom 8. März 1994 – 2 Ws 137/94 –, NStZ 1994, S. 509; OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2006 – 2 Ws 123/06 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 24. September 2003 – 2 Ws 328/03 –, NStZ 2004, S. 627), kann hier offen bleiben, weil es an dem zusätzlichen Merkmal fehlt, das Anlass zur Besorgnis gibt, dass der Beschwerdeführer erneut Straftaten begehen werde.
2. Auf die weiteren geltend gemachten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an, weil jedenfalls eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG festzustellen ist, die der Verfassungsbeschwerde zum Erfolg verhilft.
V.
Die Beschlüsse sind aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Amtsgericht Ulm zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zurückverwiesen.
VI.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1776262 |
NJW-Spezial 2007, 553 |
StRR 2007, 202 |