Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtannahmebeschluß: keine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführte Sicherheitsüberprüfungen der atomrechtlichen Genehmigung

 

Orientierungssatz

1. Die Bedeutung und Tragweite von Grundrechten ist nicht grundlegend verkannt, wenn die Fachgerichte BetrVG § 87 Abs 1 dahingehend auslegen, daß dem Betriebsrat gegenüber Maßnahmen, die der Arbeitgeber aufgrund eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes vornehmen muß, kein Mitbestimmungsrecht zusteht.

Hier: genehmigungsbehördliche Auflage, in einer kerntechnischen Anlage nur Personen zu beschäftigen, die sich einer Sicherheitsüberprüfung durch die Genehmigungsbehörde unterzogen haben.

2. Da die Fachgerichte auch in den Fällen, in denen sie eine Klagebefugnis iSv VwGO § 42 Abs 2 verneinen, abschließend und sachlich uneingeschränkt das Bestehen von möglicherweise verletzten Rechten des Klägers überprüfen, liegt eine mit der Rechtsschutzgarantie des GG Art 19 Abs 4 unvereinbare Rechtsschutzlücke nicht vor.

GG Art 19 Abs 4 gewährleistet nicht selbst den Bestand oder Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung. Demgemäß liegt eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie nicht bereits dann vor, wenn die Fachgerichte auch in den Fällen, in denen Verfahrensgegenstand eine an sich der betrieblichen Mitbestimmung unterliegende Maßnahme ist, allein dem von einer hoheitlichen Maßnahme direkt betroffenen Arbeitgeber eine Anfechtungsbefugnis einräumen.

Hier: Eingriff der Atomaufsichtsbehörde in die Betriebsordnung durch die an den Betreiber eines kerntechnischen Forschungszentrums gerichtete Anordnung, das Wachpersonal mit Reizstoffwaffen auszurüsten.

 

Verfahrensgang

BVerwG (Entscheidung vom 09.07.1992; Aktenzeichen 7 C 32/91; BVerwGE 90, 304)

BAG (Entscheidung vom 09.07.1991; Aktenzeichen 1 ABR 57/90; EBE/BAG 1991, 170)

OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 16.11.1990; Aktenzeichen 21 AK 24/89)

LAG Köln (Entscheidung vom 12.06.1990; Aktenzeichen 4 TaBV 2/90)

ArbG Aachen (Entscheidung vom 31.08.1989; Aktenzeichen 5d BV 8/89)

 

Gründe

I.

Der beschwerdeführende Betriebsrat wendet sich mit beiden Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen, die seine Beteiligungsrechte bei behördlich angeordneten sicherheitsbezogenen Maßnahmen des Arbeitgebers betreffen. In dem angegriffenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts geht es um eine Sicherheitsüberprüfung von Arbeitnehmern, die von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde gefordert worden war (1 BvR 1767/91). Das Bundesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen Anträge des Beschwerdeführers zurückgewiesen, diese Maßnahmen zu unterlassen und dem Beschwerdeführer Einblick in alle diesbezüglichen Unterlagen zu gewähren. Mit der Verfassungsbeschwerde in der Sache 1 BvR 1117/92 greift der Beschwerdeführer ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts an, das seine Anfechtungsklage gegen eine atombehördliche Anordnung als unzulässig abweist, die den Arbeitgeber verpflichtete, das Wachpersonal mit Reizstoffwaffen auszustatten. Die Verfassungsbeschwerden sind auf Antrag des Beschwerdeführers wegen ihres engen Sachzusammenhangs zur gemeinsamen Beschlußfassung verbunden worden.

II.

Über die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist gemäß Art. 8 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl. I S. 1442) – ÄndG – nach §§ 93 a, 93 b BVerfGG in der Fassung des Art. 1 ÄndG zu entscheiden. Annahmegründe nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Den Verfassungsbeschwerden kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt.

1. Den Verfassungsbeschwerden kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder die durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist. Über die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Frage müssen also ernsthafte Zweifel bestehen. Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne kann sein, daß die Frage in der Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechung der Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. An ihrer Klärung muß zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann. Bei der Prüfung der Annahme muß bereits absehbar sein, daß sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde mit der Grundsatzfrage befassen muß. Kommt es auf sie hingegen nicht entscheidungserheblich an, ist eine Annahme nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht geboten (Beschluß des Ersten Senats vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 1693/92 -).

a) Auf die durch die Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Fragen nach der Grundrechtsfähigkeit eines Betriebsrats und nach der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Eingriffe in dessen Rechte, würde es in den Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht entscheidungserheblich ankommen.

Das angegriffene Urteil des Bundesarbeitsgerichts beruht auf der Rechtsauffassung, daß dem Betriebsrat gegenüber Maßnahmen, die der Arbeitgeber aufgrund eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes vornehmen muß, kein Mitbestimmungsrecht zustehe. In weitgehender sachlicher Übereinstimmung damit vertritt das Bundesverwaltungsgericht den Standpunkt, das Betriebsverfassungsgesetz beziehe sich nur auf betriebliche Angelegenheiten, die vom Arbeitgeber zu regeln seien. Gegenüber anderen Personen oder Stellen als dem Arbeitgeber räume es dem Betriebsrat keine Befugnisse ein. Das werde durch § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bestätigt, der Mitbestimmung ausdrücklich ausschließe, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung bestehe. Insofern könne der angefochtene Verwaltungsakt Beteiligungsrechte des Beschwerdeführers nicht berühren.

Diese einfachrechtliche Würdigung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts durch die Fachgerichte können vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Gericht Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere den Umfang seines Schutzbereichs grundlegend verkannt hat (BVerfGE 18, 85 (92 f.)).

Daran gemessen läßt sich ein Verfassungsverstoß nicht feststellen. Daß die Gerichte mit ihrer Auffassung zur Reichweite der Mitbestimmungsrechte des Beschwerdeführers Grundrechtspositionen in ihrer Bedeutung und Tragweite verkannt haben könnte, ist nicht erkennbar. Sinngemäß macht der Beschwerdeführer dazu geltend, der Staat sei zur Erfüllung eines Schutzauftrags aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG gehalten, eine betriebliche Mitbestimmung gesetzlich vorzusehen. Selbst wenn man dem folgt, so läßt sich daraus jedenfalls nicht ableiten, daß dem Betriebsrat auch Mitbestimmungsbefugnisse im Hinblick auf solche Maßnahmen von Verfassungs wegen eingeräumt werden müßten, bei denen der Arbeitgeber in Erfüllung einer Pflicht handelt, die ihm durch eine hoheitliche Maßnahme auferlegt worden ist.

Gibt es aber hinsichtlich der umstrittenen Maßnahme kein Mitbestimmungsrecht des Beschwerdeführers, so kann er durch die angefochtene Anordnung der Atombehörde und die angegriffenen Gerichtsentscheidungen jedenfalls in den von ihm geltend gemachten materiellen Grundrechtspositionen nicht verletzt sein.

b) Auch soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten geltend macht, werfen die Verfassungsbeschwerden keine grundsätzlich bedeutsamen Fragen auf.

Die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist zweifelsfrei nicht verletzt. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, ihm stünden weitergehende Mitbestimmungsbefugnisse zu, als die Gerichte ihm zuerkannt haben, ist ihm hinreichender Rechtsschutz gewährt worden; denn die Verwaltungsgerichte haben diese Frage sachlich geprüft und entschieden. Daß sie sie bereits im Zusammenhang mit seiner Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) verneint haben, ist insofern ohne Bedeutung. Nach der genannten Vorschrift ist eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn nach dem Vorbringen des Klägers eine Verletzung seiner Rechte wenigstens möglich oder in sachlich prüfungsbedürftiger Weise dargelegt ist (vgl. dazu etwa Redeker/v. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl., § 42 Rdnr. 15). Verneinen die Verwaltungsgerichte die Klagebefugnis, so überprüfen sie abschließend und sachlich uneingeschränkt, ob solche Rechte bestehen können. Eine mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbare Rechtsschutzlücke bleibt damit nicht offen.

Die Rechtsschutzgarantie wird auch nicht dadurch verletzt, daß nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts – und sinngemäß auch der des Bundesarbeitsgerichts – allein dem Arbeitgeber eine Anfechtungsbefugnis gegenüber solchen Verwaltungsakten zusteht, die eine an sich der betrieblichen Mitbestimmung unterliegende Maßnahme betrifft. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht selbst den Bestand oder den Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung. Diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im übrigen (vgl. BVerfGE 83, 182 (194 f.)). Eine solche Rechtsstellung steht dem Beschwerdeführer aber nach der übereinstimmenden Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts, wie bereits dargelegt wurde, aber gerade nicht zu. Originäre Grundrechtspositionen, die dem Beschwerdeführer über die ihm durch das Betriebsverfassungsrecht eingeräumten Rechte hinaus verteidigungsfähige Rechte gewähren könnten, bestehen offensichtlich nicht.

Ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet sein kann, gegen einen Verwaltungsakt, der mitbestimmungspflichtige Maßnahmen betrifft, rechtliche Schritte zu unternehmen, ist nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerden und bedarf daher keiner weiteren Klärung. Diese ist im übrigen zunächst den dafür zuständigen Fachgerichten zu überlassen.

c) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und des gesetzlichen Richters durch das Bundesarbeitsgericht rügt (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), wirft seine gegen dessen Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde ebenfalls keine grundsätzlich bedeutsamen Fragen auf. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt, daß die Gerichte verpflichtet sind, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht darf einen Kläger nicht als beweisfällig abweisen, ohne alle angetretenen und erheblichen Beweise zu erheben (vgl. BVerfGE 50, 32 (35 f.); st. Rspr.). Vorliegend ist nicht erkennbar, inwiefern es von dem insofern allein maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Bundesarbeitsgerichts aus auf die beantragte Einholung von Gutachten ankam. Inwiefern das Bundesarbeitsgericht das Gebot des gesetzlichen Richters verletzt haben könnte, läßt sich der Verfassungsbeschwerde nicht in hinreichend substantiierter Weise entnehmen.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Bereits aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß derartige Rechte des Beschwerdeführers durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt sein können.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

NVwZ 1995, 781 (S)

NZA 1995, 129-130 (ST)

AP ArbGG 1979 § 72a, Nr. 47 (S)

AP BetrVG 1972 § 87, Nr. 2 zu Gesetzesvorbehalt (ST)

AP BetrVG 1972 § 87, Nr. 28 zu Überwachung (S)

ArbuR 1994, 377 (T)

AuA 1995, 322-323 (ST)

EzA-SD 1994, Nr 20, 3-4 (ST)

EzA BetrVG 1972 § 87, Betriebliche Ordnung Nr. 18a (T)

PersF 1995, 526 (S)

RDV 1995, 168-169 (ST)

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