Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des einkommensteuerlichen Abzugsverbots für Geldbußen
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; OWiG § 17 Abs. 4; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8, Abs. 1, 4; StGB § 73
Verfahrensgang
Tatbestand
A.
Die Vorlagen betreffen die Frage, ob das Abzugsverbot für Geldbußen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die Geldbuße gemäß § 17 Abs. 4 OWiG der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils dient.
I.
1. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG) unterliegen der Einkommensteuer. Bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) sind unter anderem die Vorschriften über die Betriebsausgaben – nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 4 EStG „Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind” – zu befolgen. § 4 Abs. 5 regelt einschränkend, welche Betriebsausgaben den Gewinn nicht mindern dürfen. Ergänzend dazu bestimmt § 12 EStG, welche Ausgaben als Privataufwendungen gelten und deshalb nicht abzugsfähig sind.
Durch das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 25. Juli 1984 (BGBl I S. 1006) wurde in § 4 Abs. 5 Satz 1 EStG eine Nummer 8 eingefügt. Die Vorschrift lautet:
(5) Die folgenden Betriebsausgaben dürfen den Gewinn nicht mindern:
1.–7. …
8. von einem Gericht oder einer Behörde im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder von Organen der Europäischen Gemeinschaften festgesetzte Geldbußen, Ordnungsgelder und Verwarnungsgelder. …
9. …
Dieser Vorschrift wurde durch § 52 Abs. 3 a EStG (Art. 1 Nr. 4 Buchst. a des Änderungsgesetzes) Rückwirkung verliehen. Zugleich wurde durch Ergänzung des § 12 EStG die Nichtabzugsfähigkeit von Geldstrafen und anderen vermögensrechtlichen Folgen aus Straftaten ausdrücklich geregelt (Art. 1 Nr. 3 des Änderungsgesetzes); auch dieser Regelung wurde Rückwirkung beigelegt (Art. 1 Nr. 4 Buchst. a des Änderungsgesetzes).
Das Änderungsgesetz war insoweit die Reaktion (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 10/1314, S. 1) auf zwei Entscheidungen des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 21. November 1983 (BFHE 140, 50und 62, durch die eine (damals noch so bezeichnete) Geldstrafe nach § 890 ZPO, eine Geldbuße nach § 38 Abs. 2 Satz 2 GWB sowie eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz als abziehbare Betriebsausgaben anerkannt worden waren. Damit hatte der Bundesfinanzhof die durch den Reichsfinanzhof begründete, vom Obersten Finanzgerichtshof bestätigte und vom Bundesfinanzhof (vgl. etwa BFHE 61, 361; 94, 56; 105, 468; 118, 307) zunächst fortgesetzte Rechtsprechung, nach der Geldstrafen, Geldbußen und polizeilich auferlegte Gebühren nicht als Betriebsausgaben abziehbar waren, hinsichtlich der Geldbußen ausdrücklich aufgegeben. Der Große Senat war zu der Auffassung gelangt, daß Geldbußen durch den Betrieb veranlaßte Aufwendungen im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG und damit Betriebsausgaben sein könnten, wenn ihre Abziehbarkeit mangels positiven Abzugsverbots die notwendige Folge des steuerrechtlichen Nettoprinzips sei; soweit der Zweck der Geldbuße, ein unlauteres Gewinnstreben zu bekämpfen, damit kollidiere, sei eine Abwägung zwischen dem Nettoprinzip und dem speziellen Zweck des Ordnungswidrigkeitenrechts geboten, die Sache des Gesetzgebers und nicht des Richters sei (vgl. BFHE 140, 50[59]).
2. Gegenstand des in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG geregelten Abzugsverbots sind unter anderem Geldbußen, mit denen kartellrechtswidrige Absprachen als Ordnungswidrigkeiten nach § 38 Abs. 4 GWB bis zur Höhe von einer Million Deutsche Mark, über diesen Betrag hinaus bis zur dreifachen Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses geahndet werden können. Dazu bestimmt das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – OWiG – in § 17 Abs. 4, daß die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll. Diese Vorschrift gilt nach § 30 Abs. 3 OWiG für die Verhängung von Geldbußen gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen entsprechend.
3. Wird die Ordnungswidrigkeit nicht mit einer Geldbuße geahndet, so gestattet § 29 a OWiG die Anordnung des Verfalls eines Geldbetrages bis zu der Höhe, die dem für die Tat oder aus ihr erlangten Vermögensvorteil entspricht. Hat der Täter oder Teilnehmer für eine oder aus einer Straftat einen Vermögensvorteil erlangt, so ist dessen Verfall gemäß § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen, soweit dem Verletzten nicht aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung den Vermögensvorteil beseitigen oder mindern würde. Gemäß § 73 c Abs. 1 StGB wird der Verfall nicht angeordnet, wenn und soweit er für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre; im übrigen kann die Verfallsanordnung unterbleiben, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist oder das Erlangte nur einen geringen Wert hat. Abschöpfungsbeträge nach den hier genannten Vorschriften können nach § 4 Abs. 4 EStG bei der Veranlagung zur Einkommensteuer als Betriebsausgaben abgesetzt werden.
Ist die Handlung schließlich eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Gesetzes zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954 – WiStG –), so ist gemäß § 8 Abs. 1 WiStG unabhängig davon, ob die Tat geahndet wird oder nicht, die Abführung des Mehrerlöses anzuordnen, wenn und soweit dies keine unbillige Härte ist oder der Mehrerlös gering ist (§ 8 Abs. 2 WiStG). Diese Abschöpfung ist als Betriebsausgabe nach § 4 Abs. 4 EStG abziehbar (vgl. BFH, BStBl 1965 III, S. 585).
II.
1. a) Im Ausgangsverfahren der Vortage 1 BvL 4/87 hatte das Bundeskartellamt durch Bußgeldbescheid gegen die Klägerin – eine GmbH & Co. KG, die ein Bauunternehmen betreibt – wegen der Teilnahme an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen eine Geldbuße in Höhe von 237.500 DM festgesetzt. Bei deren Bemessung berücksichtigte es den durch die Zuwiderhandlung erzielten Mehrerlös in Höhe von 177.500 DM. Die Klägerin zahlte im Wirtschaftsjahr 1976/77 einen Teilbetrag von 50.000 DM und im Wirtschaftsjahr 1977/78 den Restbetrag. Von diesem machte sie einen Mehrerlös von 127.500 DM als Betriebsausgabe geltend. Das Finanzamt erkannte diesen Betrag jedoch nicht als Betriebsausgabe an. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Klägerin legte Revision ein.
b) Im Ausgangsverfahren der Vortage 1 BvL 5/87 erließ das Bundeskartellamt gegen die Klägerin zu 1) – eine Kommanditgesellschaft, die bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen ein Straßen- und Tiefbauunternehmen betrieb – sowie gegen den Kläger zu 2) – den persönlich haftenden Gesellschafter der Klägerin zu 1) – wegen der Teilnahme an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen einen Bußgeldbescheid. Gegen die Klägerin zu 1) wurde dabei eine Geldbuße von 112.220 DM, gegen den Kläger zu 2) eine solche von 19.000 DM verhängt. Bei der Bemessung der Geldbuße gegen die Klägerin zu 1) wurde unter anderem der durch die Zuwiderhandlung erzielte Mehrerlös berücksichtigt. Das Finanzamt anerkannte die gezahlten Geldbußen bei der Gewinnfeststellung und bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrages nicht als abziehbare Betriebsausgaben und erließ einen entsprechend geänderten Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuermeßbescheid. Das Finanzgericht setzte den Gewinn aus Gewerbebetrieb und den Gewerbeertrag jeweils in Höhe von insgesamt 132.232 DM niedriger fest und nahm insoweit auf die Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFHE 140, 50) Bezug. Hiergegen wendet sich die Revision des Finanzamts.
c) Im Ausgangsverfahren der Vortage 1 BvL 6/87 setzte das Bundeskartellamt gegen die Klägerin – eine GmbH & Co. KG, die eine Brauerei betreibt – wegen Kartellrechtswidriger Vereinbarungen eine Geldbuße von 420.000 DM fest. Bei der Zumessung der Geldbuße wurden die durch die Absprachen erzielten Mehrerlöse auf der Grundlage der erklärten Umsätze berücksichtigt. In ihrer Steuerbilanz bildete die Klägerin eine Rückstellung in Höhe der festgesetzten Geldbuße. Bei der Gewinnermittlung setzte sie davon 390.000 DM als Betriebsausgabe ab. Das Finanzamt versagte den Abzug und erließ einen entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheid. Vorverfahren und Klage blieben erfolglos; dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
d) Im Ausgangsverfahren der Vortage 1 BvL 7/87 verhängte das Bundeskartellamt gegen die Klägerin – eine andere Brauerei, die ebenfalls in der Rechtsform der GmbH & Co. KG betrieben wird – wegen entsprechender kartellrechtswidriger Vereinbarungen eine Geldbuße von 1.140.000 DM. In ihrer Bilanz bildete die Klägerin eine Rückstellung in Höhe des Bußgeldbetrages, die das Finanzamt jedoch nicht als gewinnmindernd anerkannte. Vorverfahren und Klage gegen den entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheid blieben erfolglos; die Klägerin legte Revision ein.
2. Der Bundesfinanzhof hat die Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,
ob § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 25. Juli 1984 (BGBl I S. 1006) insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als er den auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils (§ 17 Abs. 4 OWiG) entfallenden Teil der Geldbuße vom Abzug als Betriebsausgabe ausschließt.
Zur Begründung hat der Bundesfinanzhof jeweils ausgeführt:
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG, gegen dessen rückwirkendes Inkrafttreten keine Bedenken bestünden, verstoße gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) und verletze den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG), soweit er ein Abzugsverbot auch für den Teil der Geldbuße regele, welcher der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils diene. Einer verfassungskonformen Auslegung stehe der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen.
Die Vorschrift verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie betrieblich veranlaßte Geldbußen auch insoweit vom Betriebsausgabenabzug ausschließe, als diese der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils oder des Mehrerlöses dienten. Hingegen seien Abschöpfungen von Vermögensvorteilen durch Maßnahmen ohne Sanktionscharakter nach §§ 73 ff. StGB, § 29 a OWiG bzw. §§ 8, 10 Abs. 2 WiStG gemäß § 4 Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben abziehbar. Der Verstoß wiege sogar besonders schwer, weil dadurch der Straftäter gegenüber dem nur ordnungswidrig handelnden Täter steuerrechtlich begünstigt werde. Diese steuerrechtliche Privilegierung des Straftäters müsse nicht hingenommen werden, weil eine betragsmäßige Aufteilung der Geldbuße in ihre funktionalen Komponenten möglich sei und im Wege der Ergänzung der Vorschriften über den notwendigen Inhalt von Bußgeldbescheiden ermöglicht werden könne.
Art. 20 Abs. 3 GG werde verletzt, weil die Geldbuße hinsichtlich ihres abschöpfenden Teils keinen Sanktionscharakter habe. Das Abzugsverbot führe insoweit zu einem sachfremden, nicht durch ordnungspolitische oder strafrechtliche Notwendigkeiten gerechtfertigten Eingriff in das einkommensteuerrechtliche Nettoprinzip und damit zu einer Art „Strafsteuer”.
III.
1. Der Bundesminister der Finanzen hat namens der Bundesregierung zu den Vortagen Stellung genommen. Er hält die durch § 52 Abs. 3 a EStG angeordnete Rückwirkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG für verfassungsgemäß. Er erachtet auch die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesfinanzhofs für unbegründet. Bei der Ermittlung des Mehrerlöses nach §§ 8, 10 Abs. 2 WiStG und des Vermögensvorteils nach §§ 73 ff. StGB, § 29 a OWiG bleibe die steuerrechtliche Behandlung des abgeschöpften Betrages unberücksichtigt, während bei der Bemessung der Geldbuße nach § 17 Abs. 4 OWiG nur der wirtschaftliche Vorteil zu berücksichtigen sei, der sich nach Abzug der Steuern ergebe. Dieser Unterschied in der Ermittlung des wirtschaftlichen Vorteils gebiete die steuerrechtliche Ungleichbehandlung und schließe es aus, daß der ordnungswidrig handelnde Täter gegenüber Straftätern in verfassungswidriger Weise steuerrechtlich benachteiligt werde.
2. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat die Auffassungen mehrerer Strafsenate und des Kartellsenats mitgeteilt. Nach Ansicht des 1. Strafsenats sind bei der Anordnung des Verfalls nach § 73 StGB die dem Täter entstandenen Unkosten vorher abzuziehen. Es sei jedenfalls möglich, die steuerliche Nichtabzugsfähigkeit der Geldbuße bei ihrer Bemessung zu bedenken. Der 4. Strafsenat hat ausgeführt, der Verfall diene – wie Geldstrafen oder Geldbußen – der Wiederherstellung der verletzten Rechtsordnung. Wenn die vom Bundesfinanzhof dargelegte steuerrechtliche Ungleichbehandlung bestehe, müsse dies dazu führen, daß auch die für verfallen erklärten Geldbeträge nicht als steuermindernd angesehen werden könnten. Der 5. Strafsenat hat darauf hingewiesen, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesfinanzhofs entfielen, wenn als wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 17 Abs. 4 OWiG nur der aus der Ordnungswidrigkeit gezogene „Gewinn nach Steuern” berücksichtigt würde. Der Kartellsenat hat dargelegt, daß er den im Rahmen des § 38 Abs. 4 GWB bedeutsamen Mehrerlös nicht als eine von der Geldbuße abtrennbare, wertneutrale Abschöpfungsmaßnahme ohne Sanktionscharakter, sondern als einen Gesichtspunkt für die Zumessung der Geldbuße behandele.
3. Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat mitgeteilt, der I. und der III. Senat teilten die Auffassung des vorlegenden VIII. Senats, der IX. Senat habe insoweit Bedenken. Der VI. Senat halte das Abzugsverbot noch nicht für verfassungswidrig, weil es vertretbar sei, die Geldbuße auch hinsichtlich ihres Abschöpfungsteils als Sanktion zu verstehen. Der IV. Senat habe das mit Rückwirkung in § 12 Nr. 4 EStG eingefügte Abzugsverbot für Geldauflagen gemäß § 153 a StPO für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (BFHE 146, 411).
4. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 6/87 hält die Rückwirkungsregelung des § 52 Abs. 3 a EStG für verfassungsrechtlich bedenklich; im übrigen schließt sie sich der Auffassung des vorlegenden Gerichts an.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG ist, soweit sie zur Prüfung gestellt ist, mit der Verfassung vereinbar. Insbesondere verstößt sie nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
I.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; st. Rspr.). Daraus folgt für das Gebiet des Steuerrechts vor allem, daß die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet werden muß (vgl. BVerfGE 61, 319 [343]; 66, 214 [222 f.]; 67, 290 [297]; 68, 143 [152 f.]; 72, 200 [260]; 74, 182 [200]).
Das geltende Einkommensteuerrecht zieht daraus die Konsequenz, daß bei den hier in Betracht kommenden Einkünften nur der Gewinn, das heißt der Zuwachs des Betriebsvermögens im Laufe des Wirtschaftsjahres, der Besteuerung unterliegt und daß grundsätzlich alle betrieblich veranlaßten Aufwendungen als Betriebsausgaben absetzbar sind (vgl. insoweit auch BVerfGE 27, 58 [64 f.]); dieses sogenannte Prinzip der Nettobesteuerung ist in § 4 Abs. 1 und 4 EStG ausdrücklich niedergelegt. Im vorliegenden Zusammenhang kann unentschieden bleiben, ob dieses Prinzip verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist. Selbst wenn es das wäre, könnte es der Gesetzgeber beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen.
Bei der Normierung solcher Ausnahmen ist der Gesetzgeber allerdings nicht völlig frei. Insbesondere muß er darauf achten, daß sich die Fälle, in denen er eine betrieblich veranlaßte Aufwendung nicht als absetzbare Betriebsausgabe anerkennt, so weitgehend von allen übrigen Fällen unterscheiden, daß diese Verschiedenbehandlung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz sachlich ausreichend gerechtfertigt ist. Dabei steht ihm allerdings eine weite Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit zu. Außerdem darf er sich – wie stets bei der Ordnung von Massenerscheinungen – bei der Ausgestaltung seiner Normen generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl. BVerfGE 78, 214 [226 f.], m.w.N.).
2. Bei der Entscheidung darüber, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Rahmen für Ordnungswidrigkeiten Bußgelder angedroht und verhängt werden sollen, ist der Gesetzgeber an den für Strafandrohungen entwickelten Grundsatz des schuldangemessenen Strafens gebunden, nach welchem jede Strafe in einem gerechten Verhältnis zum Verschulden des Täters stehen muß (vgl. etwa BVerfGE 28, 386 [391], m.w.N.; zuletzt auch BVerfGE 64, 261 [271]). Im übrigen genießt er aber auch hierbei weitgehende Freiheit.
Das gilt insbesondere für die Frage, was bei Ordnungswidrigkeiten aus dem Bereich der Wirtschaft mit dem Gewinn und den sonstigen Vorteilen geschehen soll, die sich der Täter durch sein ordnungswidriges Verhalten verschafft hat. Der Gesetzgeber kann bei der Ausgestaltung des Ordnungswidrigkeitenrechts diese dem Täter ganz oder teilweise belassen, er kann aber auch ihre vollständige oder zumindest teilweise Abschöpfung oder Einziehung anordnen. Entschließt er sich zu letzterem, so fällt die Entscheidung darüber, wie die Abschöpfung oder Einziehung erfolgen soll, grundsätzlich in seinen Gestaltungsraum. Er kann die Abschöpfung selbständig neben der Festsetzung eines nur am Verschulden des Täters orientierten Bußgeldes vorsehen, in Fällen, in denen ein solches nicht verhängt werden kann, auch als Inhalt eines in einem „objektiven Verfahren” ergehenden gesonderten Ausspruches. Ebenso kann er aber auch das Bußgeld so bemessen, daß damit – neben einer strafähnlichen Sanktion – zugleich die Abschöpfung des Gewinns sichergestellt wird. Dem kann er insbesondere auch dadurch Rechnung tragen, daß das Bußgeld schon durch die gesetzliche Regelung auf ein Mehrfaches des durch die Ordnungswidrigkeit erlangten Vorteils festgesetzt wird.
3. Mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist weder eine Regelung vereinbar, die dem Täter seinen Gewinn sowohl unter ordnungswidrigkeitsrechtlichen als auch unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten voll beläßt, noch eine Regelung, welche die vollständige Abschöpfung nach ordnungswidrigkeitsrechtlichen Grundsätzen mit einer zusätzlichen steuerrechtlichen Belastung verbindet. Ist gemäß dem geltenden Recht der durch eine Ordnungswidrigkeit erlangte Gewinn nach einkommensteuerlichen Regeln zu versteuern, so darf deshalb in den auf seine Abschöpfung gerichteten Teil des Bußgeldes nur der um den absehbaren Steueranteil verminderte Gewinnbetrag einbezogen werden. Umgekehrt darf die Absetzung der Geldbuße als Betriebsausgabe in Höhe des Abschöpfungsbetrages dann nicht ausgeschlossen werden, wenn deren Bemessung vom Bruttobetrag des erzielten Gewinns ausgeht. Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, welchen von diesen beiden Wegen er bei seiner Regelung einschlagen will; er braucht dabei auch nicht für alle in Betracht kommenden Fälle den gleichen Weg zu wählen. Für einen von beiden muß er sich aber entscheiden, wenn er die Gewinnabschöpfung in die Bemessung der Geldbuße einbeziehen will.
II.
1. Die geltende gesetzliche Regelung stimmt bei der Auslegung, die § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG bisher in der Rechtsprechung der Obergerichte gefunden hat, mit den vorstehend entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen überein.
a) Die rückwirkende Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG gemäß § 52 Abs. 3 a EStG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Neuregelung hat nur die Rechtslage wiederhergestellt, die bis zu den Entscheidungen des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 21. November 1983 der allgemeinen Rechtsauffassung entsprach. In der Zeit bis zum Erlaß dieser Neuregelung konnte wegen deren unverzüglicher Ankündigung kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen.
b) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG ist es unter keinen Umständen zulässig, die einkommensteuerliche Absetzung von Bußgeldern anzuerkennen, die von deutschen Behörden oder Gerichten oder von Organen der Europäischen Gemeinschaften festgesetzt worden sind. Diese Vorschrift ist eindeutig und, wie der Bundesfinanzhof zutreffend ausgeführt hat, auch unter dem Gesichtspunkt verfassungskonformer Auslegung keiner anderen Interpretation zugänglich. Sie verbietet die Absetzung aller finanziellen Sanktionen, die in den dafür einschlägigen Gesetzen als Geldbußen bezeichnet werden. Für die unterschiedliche Behandlung danach, ob mit der Geldbuße zugleich der Gewinn abgeschöpft wird oder nicht, läßt sie weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrer Entstehungsgeschichte Raum.
c) Dagegen läßt § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG eine Auslegung zu, bei deren Anwendung beide Bestimmungen in ihrem gegenseitigen Zusammenwirken den Anforderungen der Verfassung gerecht werden. Nach dieser Vorschrift soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil übersteigen, den der Täter aus seiner Ordnungswidrigkeit gezogen hat. Damit hat der Gesetzgeber zwar hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, daß Geldbußen, die nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz verhängt werden, sowohl der von § 17 Abs. 3 OWiG vorgeschriebenen Ahndung des Gesetzesverstoßes als auch der Abschöpfung der daraus gezogenen Vorteile dienen sollen. Er hat es den zuständigen Behörden und Gerichten aber nicht untersagt, bei der Berechnung des Vorteils zu berücksichtigen, daß dieser auch noch der Besteuerung nach dem Einkommensteuerrecht unterliegt. Dementsprechend gehen die bisher veröffentlichten Entscheidungen von Obergerichten bei der Auslegung des § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG auch ohne verfassungsrechtliche Überlegungen davon aus, daß bei der Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils die unvermeidliche Einkommensbesteuerung – gegebenenfalls im Wege der Schätzung – berücksichtigt werden müsse (vgl. BayObLGSt n. F. 1980, 40 [42]; OLG Düsseldorf, OLGSt SchwArbG § 1 Nr. 6). Auch im Schrifttum ist diese Auffassung, soweit ersichtlich, einhellig anerkannt (vgl. etwa Peltzer, DB 1977, S. 1445 [1447 f.]; Sannwald, GewArch. 1986, S. 84 [85 f.]; Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 8. Aufl., § 17 Rdnr. 42; Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 17 Rdnr. 52).
Bei dieser Auslegung sind die unter I. entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätze erkennbar nicht verletzt. Eine doppelte Gewinnabschöpfung, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar wäre, findet jedenfalls so lange nicht statt, wie § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG im dargestellten Sinne ausgelegt und angewandt wird. Eine Auslegung der Vorschrift, die vom Bruttogewinn ausginge, wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch unzulässig, solange der in diesem Punkt keiner restriktiven Auslegung zugängliche § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG die steuerliche Absetzung von Geldbußen auch insoweit untersagt, als diese die Gewinnabschöpfung im Auge haben.
2. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist auch nicht darin zu erblicken, daß Bußgelder nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG nicht als Betriebsausgaben von der Einkommensteuer abgesetzt werden können, während das bei Geldbeträgen, deren Verfall nach §§ 73 ff. StGB oder § 29 a OWiG angeordnet wird oder die nach § 8 WiStG abgeführt werden müssen, möglich ist.
a) Wie bereits dargelegt, ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG nur unvereinbar, daß einer Abschöpfungsmaßnahme der Bruttobetrag des erlangten Gewinns zugrunde gelegt wird, wenn der abgeschöpfte Betrag nicht steuerlich abgesetzt werden kann, und umgekehrt, daß ihr der Nettobetrag zugrunde gelegt wird, wenn dieser später auch noch steuerlich berücksichtigt wird. Es ist aber Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob dem Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz oder im Verfahren nach dem Einkommensteuergesetz Rechnung getragen werden soll (vgl. oben B I 3). Art. 3 Abs. 1 GG verlangt auch nicht, daß sich der Gesetzgeber für alle in Betracht kommenden Fälle gleich entscheidet. Gerade in Fällen, in denen ein Schuldausspruch nicht in Frage kommt und es sich daher aufdrängt, die Abschöpfung in einem „objektiven Verfahren” herbeizuführen, bestehen sachliche Gründe dafür, daß die Abschöpfung, die von den nach Ordnungswidrigkeitenrecht zuständigen Behörden und Gerichten angeordnet wird, den Bruttobetrag des erlangten Gewinns erfaßt, dann aber für den Täter auch steuerrechtlich günstig wirkt. Es ist Sache der Fachgerichte, dafür Sorge zu tragen, daß der erlangte Vorteil nicht mehrfach, nämlich sowohl bei der Berechnung des abzuschöpfenden Betrages als auch bei der Besteuerung, zu Lasten des Täters berücksichtigt wird. Soweit es zu dieser Frage obergerichtliche Entscheidungen gibt, gehen diese angesichts der unbestrittenen Absetzbarkeit nach dem Einkommensteuerrecht im allgemeinen davon aus, daß dem Verfall nach §§ 73 ff. StGB und § 29 a OWiG ebenso wie der Abführung nach § 8 WiStG der volle Betrag des durch die begangene Ordnungswidrigkeit erlangten Gewinns zugrunde gelegt werden muß (vgl. etwa BGHSt 30, 314; BayObLGSt n. F. 1977, 28; bedenklich für die Fälle des § 73 c StGB insoweit BGHSt 33, 37 [40], und BGH, NJW 1989, S. 2139 [2140]). Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Sollte sich zwischen der Rechtsprechung der Strafgerichte und der der Finanzgerichte eine Diskrepanz ergeben, die mit den hier entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätzen unvereinbar wäre, wäre es Sache des Gesetzgebers, durch klarstellende Regelungen für deren Beseitigung zu sorgen.
b) Der allgemeine Gleichheitssatz ist schließlich weder dadurch verletzt, daß bei einer Gewinnabschöpfung nach § 17 Abs. 4 OWiG der auf den fraglichen Geldbetrag entfallende Steueranteil häufig nur geschätzt werden kann (vgl. dazu auch BVerfGE 78, 214 [229]), noch dadurch, daß bei einer Abschöpfung nach §§ 73 ff. StGB, § 29 a OWiG oder § 8 WiStG die Möglichkeit der einkommensteuerlichen Absetzung bei den einzelnen Tätern je nach deren Einkommensverhältnissen ganz unterschiedlich zu Buche schlagen kann. Beide Wirkungen erklären sich unmittelbar aus den Eigengesetzlichkeiten des Einkommensteuerrechts und sind verfassungsrechtlich von der Befugnis des Gesetzgebers zu generalisierenden und pauschalierenden Regelungen gedeckt (vgl. oben B I 1).
Fundstellen
Haufe-Index 1179048 |
BStBl II 1987, 212 |
BStBl II 1990, 483 |