Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 12.10.2006; Aktenzeichen 1 Ws 761/06) |
OLG München (Beschluss vom 09.08.2006; Aktenzeichen 1 Ws 761/06) |
LG Deggendorf (Beschluss vom 06.07.2006; Aktenzeichen StVK 80/03) |
Tenor
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 9. August 2006 und vom 12. Oktober 2006 – 1 Ws 761/06 – und der Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 6. Juli 2006 – StVK 80/03 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen gerichtliche Entscheidungen, die die Fortdauer einer 1997 angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet haben.
I.
1. Gegen den 1962 geborenen Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Passau vom 15. Juli 1997 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beging der Beschwerdeführer zwischen Oktober 1994 und März 1997 zum Nachteil mehrerer Familienangehöriger, unter anderem seiner Schwester, eine Reihe von Straftaten, überwiegend Delikte der Beleidigung und Bedrohung, in drei Fällen aber auch Körperverletzungsdelikte. So lauerte er im Juni 1995 einer entfernten Verwandten vor deren Arbeitsplatz auf und schlug ihr ohne ersichtlichen Grund mit einer Aktentasche gegen den Oberschenkel. Anfang Juli 1995 passte der Beschwerdeführer die Geschädigte nochmals vor ihrer Arbeitsstelle ab und schlug ihr ohne ersichtlichen Grund mit einem geschlossenen Regenschirm auf den Kopf; als die Tochter der Geschädigten den Vorfall bemerkte und der Geschädigten zu Hilfe kam, schlug der Beschwerdeführer auf die Tochter ein, zog sie an den Haaren und versuchte vergeblich, sie von der Straße weg unter vorbeifahrende Autos zu stoßen. Der ihrer Tochter zu Hilfe kommenden Geschädigten stieß der Beschwerdeführer so schwungvoll gegen das Schienbein, dass sie stürzte und mit dem Hinterkopf an eine Mauer stieß; dabei erlitt sie eine Kopfverletzung, die stationär behandelt werden musste.
Das Gericht kam nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis oder an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leide, wobei die Abgrenzung im konkreten Fall schwierig sei; jedenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeiten völlig im Sinne von § 20 StGB aufgehoben war. Beim Beschwerdeführer sei in Zukunft mit ähnlichen rechtswidrigen Taten (auch Körperverletzungsdelikten) zu rechnen. Ohne eine Änderung des sozialen Umfelds sei mit erneuten Tätlichkeiten des Beschwerdeführers gegenüber seinen Angehörigen zu rechnen.
2. Seit 15. Juli 1997 war der Beschwerdeführer im Bezirksklinikum Mainkofen einstweilig untergebracht; ab Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Passau am 5. November 1997 wurde in Mainkofen die Maßregel vollzogen. Von April 1998 bis Januar 2001 war der Beschwerdeführer im Bezirkskrankenhaus Straubing untergebracht. Seit 31. Januar 2001 befindet sich der Beschwerdeführer wieder ununterbrochen im Bezirksklinikum Mainkofen.
In ärztlichen Stellungnahmen des Bezirkskrankenhauses Straubing vom 14. September 1998, 9. August 1999 und 4. August 2000 und des Bezirksklinikums Mainkofen vom 5. September 2001, 11. Dezember 2002, 15. Oktober 2003, 2. Dezember 2004 und 6. März 2006 wurde aus ärztlicher Sicht eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung des Beschwerdeführers zur Bewährung nicht befürwortet. In den seit 1998 inhaltlich im Wesentlichen identischen Stellungnahmen wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer zurückgezogen lebe und sich mit selbst gekauften Lebensmitteln verpflege. Er verweigere den Kontakt zu Ärzten und Therapeuten und äußere sich häufig in aggressiver und beleidigender Weise. Abgesehen von einem Minimum an Kontakt zu dem Pflegepersonal sei eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer nicht möglich. Daher könne auch keine therapeutische Behandlung durchgeführt werden. Der Beschwerdeführer lasse keine Krankheitseinsicht erkennen.
3. Im November 2000 beantragte der Beschwerdeführer, die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung auszusetzen, hilfsweise eine Begutachtung des Beschwerdeführers durch einen externen Sachverständigen durchzuführen. Daraufhin nannte die Strafvollstreckungskammer dem Beschwerdeführer die Namen von zwei Sachverständigen, die für die Begutachtung in Betracht kämen. Der Beschwerdeführer teilte mit, dass er sich der Begutachtung durch beide Sachverständige widersetzen werde, da er von diesen keine unvoreingenommene Begutachtung erwarte, und schlug eine Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. F. vor. Daraufhin ordnete die Strafvollstreckungskammer die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens durch Prof. Dr. F. an. Dieser vertrat in seinem Gutachten vom Juli 2001 die Auffassung, der Beschwerdeführer leide an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen, die auch in Zukunft fortbestehen würden. Bei dem Beschwerdeführer sei von einem „niedrigen bis angedeutet mittleren Gewaltrisiko” auszugehen; es sei möglich, dass es zu neuen impulsgesteuerten Taten komme. Dabei sei es nicht möglich abzuschätzen, welchen Schweregrad mögliche neue Taten haben könnten und welche Gefährlichkeit zu befürchten sei. Bei dem Beschwerdeführer sei das Risiko neuer rechtswidriger Taten nicht allein in seiner Persönlichkeit begründet, sondern könne sich „erst aus einer problematischen Interaktion im Rahmen der Familienproblematik entwickeln”.
4. Nachdem das Landgericht Regensburg im Oktober 2001 auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. F. die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung abgelehnt hatte, hob das Oberlandesgericht Nürnberg auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 28. Mai 2002 den Beschluss des Landgerichts auf und verwies die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung zurück, da das Sachverständigengutachten weder für eine Aussetzung der Maßregel noch für die Ablehnung einer Aussetzung eine geeignete Grundlage darstelle; angesichts der dargelegten Mängel werde die Strafvollstreckungskammer zu prüfen haben, ob es nicht geboten sei, einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen. Im Juni 2002 ordnete das Landgericht Regensburg die Einholung eines neuen psychiatrischen Sachverständigengutachtens an und beauftragte einen der beiden Sachverständigen, die von der Kammer ursprünglich vorgesehen, vom Beschwerdeführer jedoch abgelehnt worden waren. Der Beschwerdeführer weigerte sich, sich von dem Sachverständigen begutachten zu lassen und lehnte in der Folgezeit auch einen ersatzweise mit der Erstattung des Gutachtens beauftragten Arzt des Bezirksklinikums Mainkofen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Im November 2002 teilte der Verteidiger des Beschwerdeführers mit, dass ein neues Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeitsprognose nicht zwingend erforderlich sei, da eine Begutachtung die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung weiter verzögere; die Sachverständigenfrage könne auch noch anlässlich des nächsten Überprüfungstermins geklärt werden.
Seit Anfang des Jahres 2003 wurde im Rahmen der jährlichen Überprüfungen nach § 67e StGB jeweils die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung abgelehnt. Die Entscheidungen stützten sich dabei auf die Stellungnahmen der Ärzte des Bezirksklinikums.
5. Durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 6. Juli 2006 wurde die Vollstreckung der Unterbringung des Beschwerdeführers wiederum nicht zur Bewährung ausgesetzt. Nach der ärztlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes habe weiterhin eine schizoide Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und querulatorischen Zügen bestanden. Wegen der Verweigerung jeglicher therapeutischer Zusammenarbeit sei der Zustand des Beschwerdeführers seit Jahren unverändert. In Freiheit seien Taten ähnlich der Ausgangsdelikte zu befürchten, auch seien die Erbstreitigkeiten mit der Schwester nach wie vor gegeben. Ein zweiter externer Gutachtenauftrag habe nicht ausgeführt werden können, da der Beschwerdeführer die Untersuchung verweigert habe. Die im April 2005 angeregte Erprobung einer Entlassungslockerung habe nicht ansatzweise in die Wege geleitet werden können, da der Beschwerdeführer grundsätzlich jedes Gespräch mit Ärzten und Personal verweigert habe.
Dagegen legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 12. Juli 2006 sofortige Beschwerde ein und kündigte eine ausführliche Begründung der Beschwerde an.
6. Die gegen den Beschluss des Landgerichts vom 6. Juli 2006 gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht München mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 9. August 2006. Eine ergänzende telefonische Befragung der behandelnden Ärzte vom 3. August 2006 habe ergeben, dass sich an der aggressiven Grundhaltung des Beschwerdeführers auch weiterhin nichts geändert habe und sich selbst bei einer Beendigung des Erbrechtsstreits an der negativen Prognose nichts ändern würde. Im Hinblick auf die Anlasstaten und die fehlende Behandlungsbereitschaft des Beschwerdeführers stehe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Fortdauer der Unterbringung nicht entgegen. Auch erübrige sich der Versuch einer erneuten externen Begutachtung, weil nichts dafür spreche, dass sich an der ablehnenden Haltung des Beschwerdeführers Änderungen ergeben hätten.
7. Mit einem Schreiben vom 11. September 2006 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge nach § 33a StPO und beantragte, eine gleichzeitig vorgelegte Beschwerdebegründung zu berücksichtigen.
8. Mit angegriffenem Beschluss vom 12. Oktober 2006 lehnte das Oberlandesgericht den Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs ab, da das Oberlandesgericht auf die angekündigte Beschwerdebegründung angemessen zugewartet habe und auch unter Berücksichtigung des nachgereichten Vorbringens eine Änderung der angefochtenen Entscheidung nicht veranlasst sei.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer den Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 6. Juli 2006 und die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 9. August 2006 und 12. Oktober 2006 an. Er rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Die angegriffenen Beschlüsse hätten Art. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, da sie sich auf die unzutreffenden und widersprüchlichen Stellungnahmen der Bezirksklinik gestützt hätten. Die Beschlüsse seien willkürlich, weil sie jede Auseinandersetzung mit dem wirklichen Sachverhalt vermissen ließen und unkritisch die Behauptungen der Bezirksklinik übernommen hätten. Demgegenüber habe es für den Beschwerdeführer sachliche Gründe für die Weigerung zur therapeutischen Mitarbeit gegeben. Die Gerichte seien ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen, da sie sich keine ausreichende Tatsachengrundlage durch ein Gutachten eines externen Sachverständigen verschafft hätten; ein solches Gutachten sei erforderlich gewesen, da aufgrund der Verweigerungshaltung des Beschwerdeführers gegenüber den Klinikärzten nur auf diese Weise eine objektive Bewertung möglich gewesen wäre. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass von dem Beschwerdeführer die Gefahr weiterer Körperverletzungsdelikte ausgehe.
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts seien willkürlich und hätten den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, da das Oberlandesgericht über die sofortige Beschwerde entschieden habe, ohne die angekündigte Beschwerdebegründung abzuwarten. Dem Beschwerdeführer sei in den vorangegangenen Beschwerdeverfahren jeweils eine Frist zur Begründung gesetzt worden. Art. 103 Abs. 1 GG sei auch deshalb verletzt, weil das Oberlandesgericht seine Beschwerdeentscheidung auf eine ergänzende Stellungnahme der Klinikärzte vom 3. August 2006 gestützt habe, diese nachteilige Stellungnahme dem Beschwerdeführer jedoch zuvor nicht mitgeteilt worden sei.
III.
1. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Es vertritt die Ansicht, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
Der Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 11. April 2007, der die Fortdauer der Unterbringung anordnete, habe das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lassen, da die angegriffenen Beschlüsse nicht mehr Grundlage für die derzeit andauernde Unterbringung seien.
Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, da der Beschwerdeführer vor Erlass der Beschwerdeentscheidung mehrere Schriftsätze mit Befangenheitsanträgen eingereicht habe, so dass das Oberlandesgericht davon habe ausgehen dürfen, dass eine Beschwerdebegründung nicht mehr eingehen werde. Ferner habe das Oberlandesgericht auf die Gehörsrüge des Beschwerdeführers hin durch Beschluss vom 12. Oktober 2006 entschieden, dass auch unter Berücksichtigung des nachgereichten Vorbringens eine Änderung der Beschwerdeentscheidung nicht veranlasst sei, so dass der Vortrag des Beschwerdeführers letztendlich auch hinreichend gewürdigt worden sei. Schließlich habe die unterlassene Mitteilung der ärztlichen Stellungnahme vom 3. August 2006 das rechtliche Gehör nicht verletzt, da die Stellungnahme nur vorangehende Stellungnahmen bestätigt habe.
Die die Fortdauer der Unterbringung anordnenden Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten, da die Gerichte ihrer Sachaufklärungspflicht nachgekommen seien. Insbesondere sei aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen nicht erforderlich gewesen. Der Beschwerdeführer habe bislang jede Begutachtung unmöglich gemacht, da er die Begutachtung durch nicht genehme Sachverständige verweigere; Gutachten nach Aktenlage brächten demgegenüber keine neuen Erkenntnisse. Bei einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Begutachtung sei diese auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Angesichts des bestehenden Gefahrenpotentials sei die Dauer der Unterbringung nicht unverhältnismäßig.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 106 Js 14879/95 samt Unterbringungsheft der Staatsanwaltschaft Passau vorgelegen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist trotz der inzwischen ergangenen Entscheidungen über die Fortdauer der Unterbringung zulässig. Im Hinblick auf die Entscheidungen des Landgerichts Deggendorf vom 11. April 2007 und des Oberlandesgerichts München vom 4. Juli 2007, durch die die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung erneut abgelehnt und die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verworfen wurde, besteht zwar kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine den vergangenen Zeitraum betreffende erneute Entscheidung der Strafvollstreckungsgerichte über die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung. Im Hinblick auf den mit dem Freiheitsentzug verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriff besteht aber noch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen.
2. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.
a) Aus Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG ergibt sich, dass die Freiheit der Person nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden darf. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges sein (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315≫).
Aus der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG ergeben sich Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪308≫). Dabei muss nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Soweit keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften bestehen, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Richters ab, in welcher Weise er die Aussetzungsreife prüft (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309 f.≫). In der Regel besteht jedoch die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen zuzuziehen, wenn es um eine Prognoseentscheidung geht, bei der geistige und seelische Anomalien in Frage stehen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫); dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. April 1995 – 2 BvR 1087/94 –, NJW 1995, S. 3048 ≪3049≫). Der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen muss der Richter durch eine sorgfältige Auswahl des Gutachters entgegenwirken. So wird es von Zeit zu Zeit geraten sein, einen anstaltsfremden Sachverständigen mit der Begutachtung zu beauftragen, um auszuschließen, dass anstaltsinterne Belange oder die Beziehung zwischen Therapeuten und Untergebrachtem das Gutachten beeinflussen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪310 f.≫; 109, 133 ≪164≫).
Neben der Schaffung einer ausreichenden Tatsachengrundlage haben die Gerichte darzulegen, aufgrund welcher Tatsachen die Gefahr von Straftaten mit welcher Wahrscheinlichkeit besteht und aus welchen Gründen einer möglichen Gefahr von Straftaten nicht durch Hilfen außerhalb des Maßregelvollzuges in ausreichendem Maße begegnet werden kann (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311 ff.≫).
b) Diesen Maßstäben halten die angegriffenen Beschlüsse nicht stand. Landgericht und Oberlandesgericht lehnen auf der Grundlage von Stellungnahmen der behandelnden Ärzte des Bezirksklinikums eine günstige Sozialprognose ab, weil aufgrund des unveränderten Zustands des Beschwerdeführers und seiner aggressiven Grundhaltung ähnliche Taten zu erwarten seien, wie sie der Verurteilung von 1997 zugrunde lagen. Wegen der Verweigerungshaltung des Beschwerdeführers hätten Entlassungslockerungen nicht durchgeführt werden können. Der Versuch einer erneuten externen Begutachtung habe sich erübrigt, weil keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sich an der ablehnenden Haltung des Beschwerdeführers etwas ändern werde.
Diese Einschätzungen der Strafvollstreckungsgerichte berücksichtigen nicht ausreichend, dass mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges der Anspruch des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde und seiner freien Persönlichkeit zunehmendes Gewicht auch für die Anforderungen gewinnt, die an die für die Prognoseentscheidung notwendige Sachverhaltsaufklärung zu stellen sind.
Um der verfassungsrechtlich gebotenen bestmöglichen Sachaufklärung nachzukommen, hätten die Vollstreckungsgerichte sich ernsthaft darum bemühen müssen, zur Vorbereitung der angegriffenen Entscheidungen ein Sachverständigengutachten eines anstaltsfremden Sachverständigen einholen. Der Beschwerdeführer war neun Jahre in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht, ohne dass innerhalb dieses Zeitraums zumindest ein externes psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde, das eine ausreichende Grundlage für die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung bildete. Das im Jahr 2001 eingeholte Gutachten von Prof. Dr. F. wurde zwar der Entscheidung des Landgerichts Regensburg von Oktober 2001 zugrunde gelegt; diese Entscheidung wurde jedoch vom Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 28. Mai 2002 mit der Begründung aufgehoben, dass das Gutachten an erheblichen Mängeln leide und weder für eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung noch für die Ablehnung einer Aussetzung eine verwertbare Grundlage darstellen könne. Alle nachfolgenden Entscheidungen über die Fortdauer der Unterbringung wurden lediglich auf Stellungnahmen des Bezirksklinikums gestützt.
Im vorliegenden Fall durften Bemühungen zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bereits deshalb unterlassen werden, weil der Beschwerdeführer im Jahr 2002 nicht zu einer Exploration durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen bereit gewesen war. Zwar hat der Untergebrachte keinen Anspruch auf eine Untersuchung durch einen von ihm vorgeschlagenen Sachverständigen. Die Strafvollstreckungsgerichte sind daher grundsätzlich nicht verpflichtet, einen neuen Sachverständigen einzusetzen, solange kein berechtigter Grund für eine Ablehnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Sinne von § 74 StPO besteht. Im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles waren die Strafvollstreckungsgerichte vor Erlass der angegriffenen Entscheidungen jedoch verpflichtet, sich zur Erreichung einer zureichenden Sachaufklärung um eine Begutachtung durch einen externen Sachverständigen zu bemühen. Bei dem Beschwerdeführer besteht die – möglicherweise krankhaft – verfestigte Vorstellung, er werde von den beiden ursprünglich vorgeschlagenen Sachverständigen und den behandelnden Klinikärzten nicht unvoreingenommen beurteilt. Diesen Bedenken des Beschwerdeführers war im Jahr 2001 auch dadurch Rechnung getragen worden, dass statt eines der beiden vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen der von dem Beschwerdeführer vorgeschlagene Sachverständige Prof. Dr. F. mit der Begutachtung beauftragt wurde. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach der zurückverweisenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg der Begutachtung durch einen der von ihm bereits anfänglich abgelehnten Gutachter und einen der behandelnden Klinikärzte entgegentrat, darf daher nicht auf Dauer dazu führen, dass der Versuch einer Begutachtung durch einen externen Sachverständigen nicht mehr unternommen wird. Solange die Möglichkeit bestand, im Wege der Durchführung von Entlassungslockerungen die Basis der prognostischen Beurteilung zu erweitern, hat sich die unterlassene Hinzuziehung eines externen Sachverständigen noch innerhalb des fachgerichtlichen Wertungsrahmens gehalten. Da der Beschwerdeführer jedoch nicht nur seit geraumer Zeit jeden Kontakt mit den behandelnden Ärzten und dem Anstaltspersonal ablehnt, sondern sich auch seit dem Jahr 2005 kategorisch weigert, an Entlassungslockerungen mitzuwirken, mussten sich die Strafvollstreckungsgerichte nunmehr bemühen, über die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte hinaus eine zureichende Beurteilungsgrundlage zu gewinnen. Im Hinblick auf die mit zunehmender Dauer der Unterbringung gestiegenen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges hätte dies durch Einholung eines externen Sachverständigengutachtens geschehen müssen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer zu einer entsprechenden Begutachtung von vornherein nicht bereit gewesen wäre; vielmehr wurde bereits mit Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 26. Januar 2004 und mit Schreiben des Beschwerdeführers vom 2. Februar 2004 die Bereitschaft zu einer Begutachtung durch einen externen Sachverständigen erklärt und ein in Betracht kommender Sachverständiger benannt.
3. Auf die weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtsverletzungen, vor allem die Frage, ob das Oberlandesgericht die vom Beschwerdeführer angekündigte Beschwerdebegründung hätte abwarten und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem ärztlichen Bericht vom 3. August 2006 hätte geben müssen, kommt es nicht mehr an, weil jedenfalls eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde führt.
V.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG durch Landgericht und Oberlandesgericht festzustellen. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
VI.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1930181 |
NPA 2009 |